Schweitzer Fachinformationen
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Najamai machte sich bereit, ihre Wohnung in Firozsha Baag abzuschließen und zum Zug zu gehen, um den Tag bei der Familie ihrer Schwester in Bandra zu verbringen.
Sie schob geschäftig ihre Leibesfülle durch die Räume, drehte die Schlüssel in den Schlössern ihrer siebzehn Kommoden herum und rüttelte dann an jeder, um sich zu überzeugen, daß sie richtig eingeschnappt waren. Bald war sie ganz atemlos, so aufgeregt und verausgabt war sie.
Ihre Atemlosigkeit erinnerte sie an ihre Operation, der sie sich drei Jahre zuvor unterzogen hatte, um sich Fettgewebe vom Unterleib und aus den Brüsten entfernen zu lassen. Der Chirurg hatte ihr gesagt: »Im Spiegel werden Sie keinen großen Unterschied bemerken. Aber wenn Sie erst mal über sechzig sind, werden Sie erkennen, daß es sich gelohnt hat. Es wird verhindern, daß Ihr Körper schlaff wird.«
Jetzt war sie schon fünfundfünfzig und würde bald erfahren, ob er die Wahrheit gesagt hatte, wenn der gnädige Gott sie noch fünf weitere Jahre leben ließ. Najamai stellte die Wege des gnädigen Gottes nicht in Frage, obwohl er ihr Soli weggenommen hatte, in dem gleichen Jahr, als zuerst Dolly und dann Vera zu weiterem Studium ins Ausland gegangen waren.
Heute wäre es der erste Sonntag, an dem die Wohnung den ganzen Tag lang leerstehen würde. »In gewisser Weise ist es gut«, überlegte sie, »daß Tehmina von nebenan und die Boyces von unten meinen Kühlschrank so oft benutzen, wie sie es tun. Jeder, der beim Anblick meiner leeren Wohnung auf schlimme Gedanken kommt, wird es sich zweimal überlegen, wenn er das Kommen und Gehen der Nachbarn sieht.«
Vorübergehend versöhnt mit den Nachbarn, die sie sonst als lästig betrachtete, brach Najamai auf. Sie nickte den Jungs zu, die im Hof spielten. Draußen kam es ihr nicht mehr so heiß vor, denn es wehte eine leichte Brise. Sie fühlte sich eins mit der Welt. Es waren zwanzig Minuten zu Fuß, und sie hätte genug Zeit, den Schnellzug um viertel nach zehn zu erwischen. Sie würde lange vor der Mittagszeit bei ihrer Schwester eintreffen.
Um halb zwölf öffnete Tehmina vorsichtig die Tür und spähte hinaus auf den Flur. Sie überzeugte sich, daß die Luft rein war und kein Risiko bestand, daß es auf dem Weg zu Najamais Kühlschrank zu einer Begegnung mit einem der Boyces kam. »Es ist schamlos, wie diese Leute die Gutmütigkeit der armen Dame mißbrauchen«, dachte Tehmina. »Als sie den Kühlschrank gekauft hat, hat Najamai bloß gesagt, ihr könnt ihn gerne mitbenutzen. Das hat sie aus reiner Höflichkeit gesagt. Jetzt führen sich diese Boyces so auf, als würde ihnen der Kühlschrank halb gehören.«
Sie schlurfte in Latschen und Staubmantel hinaus, ein leeres Glas in der einen Hand, die Schlüssel zu Najamais Wohnung in der anderen. Sie stank nach Nelken, die sie aus zwei Gründen im Mund hatte: Sie bewahrten sie vor ihren Übelkeitsanfällen und linderten ihre chronischen Zahnschmerzen.
Tehmina verfluchte das schlechte Licht im Flur und ging bedächtig weiter. Selbst an den sonnigsten Tagen verharrte der Flur in einem Zustand von Dämmerlicht. Während sie mit den Schlössern hantierte, wünschte sie sich, ihr grauer Star würde sich beeilen und endlich reif werden, so daß er entfernt werden konnte.
Als sie endlich drinnen war, schwang sie die Kühlschranktür auf, um sich in dem köstlichen Strom kalter Luft zu aalen. Ein seltsam aussehendes Päckchen in Plastik erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie drückte es, schnüffelte daran, beschloß, es nicht zu öffnen. Das Eisfach war fast leer. Die wöchentlichen Rindfleischpäckchen der Boyces waren noch nicht eingetroffen.
Tehmina tat zwei Eiswürfel in das leere Glas, das sie mitgebracht hatte - das mittägliche Getränk mit gekühlter Limonade war ihr so lieb und teuer wie der abendliche Scotch und Soda -, und machte sich daran, die Wohnung wieder abzuschließen. Aber während ihres Kampfes mit Najamais Schlössern und Riegeln wurde sie von Schritten hinter ihr überrascht.
»Francis!«
Francis verrichtete Gelegenheitsarbeiten. Nicht nur für Tehmina und Najamai im Block C, sondern für jeden in Firozsha Baag, der seiner Dienste bedurfte. Dies war seine einzige Einkommensquelle, seitdem er in dem Möbelladen von gegenüber, wo er als Bote gearbeitet hatte, seine Arbeit verloren hatte oder gefeuert worden war, es war nie klar, was von beiden. Die Markise dieses Ladens lieferte ihm immer noch das einzige Dach, das er je gekannt hatte. Seltsamerweise hatte der Ladenbesitzer nichts dagegen, und es war ein günstiger Standort - Tehmina oder Najamai oder irgendeine der anderen Nachbarinnen brauchte sich bloß aus ihrer Veranda herauszulehnen und zu winken oder zu klatschen, und schon kam er.
Francis kam mit seinem üblichen Grinsen auf Tehmina zu.
»Hör auf, so zu glotzen, du Idiot«, sagte Tehmina erschrocken, »und sieh nach, ob diese Tür hier richtig abgeschlossen ist.«
»Ja, Bai. Aber wann kommt Najamai wieder? Sie hat gesagt, sie will mir heute etwas Arbeit geben.«
»Unmöglich. Kann unmöglich für heute sein. Sie kommt erst sehr spät wieder. Du mußt dich geirrt haben.« Mit einem lauten Saugen schob sie die Nelken in die andere Backe und fuhr fort: »Wie oft hab ich dir schon gesagt, du sollst die Ohren aufsperren und richtig zuhören, wenn man dir was sagt. Aber nein. Du hörst nie zu.«
Francis grinste wieder und zuckte die Achseln. Er ließ ihr lieber ihren Willen und erwiderte: »Tut mir leid, Bai, ich hab mich geirrt.« Er war bloß eins fünfzig groß, besaß aber eine Kraft, die in keinem Verhältnis zu seinem leichten Körperbau stand. Einmal, bei einem Hausputz in Tehminas Küche, hatte er den Quader aufgehoben, der fürs Gewürzestampfen benutzt wurde. Er wog mindestens fünfzig Pfund, und es war die Art, wie er ihn hob, zwischen Daumen und Fingerspitzen, die Tehmina so in Erstaunen versetzte. Später hatte sie es Najamai erzählt. Die Frauen hatten über seine Kraft gestaunt und über Tehminas Vermutung gekichert, daß er ja wie ein Bulle gebaut sein müsse.
So demütig wie möglich fragte Francis jetzt: »Haben Sie heute irgendwelche Arbeit für mich?«
»Nein. Und ich mag es nicht, wenn du hier im Flur herumlungerst. Wenn es Arbeit gibt, rufen wir dich. Jetzt geh weg.«
Francis ging. Tehmina mochte beleidigend sein, aber er brauchte die paar Paise, die die Nachbarn ihn gnädig verdienen ließen, und die Reste, die Najamai ihm überließ, wenn es welche gab. Und so kehrte er in den Schatten der Markise des Möbelladens zurück.
Während Tehmina ihre Limonade mit Najamais Eiswürfeln kühlte, war unten Silloo Boyce damit beschäftigt, das Rindfleisch zu säubern und in sieben gleich große Päckchen aufzuteilen. Es mißfiel ihr, daß sie wegen dem Kühlschrank Najamai gegenüber verpflichtet war, obwohl es wirklich sehr bequem war. »Außerdem«, gab sie sich selbst zu bedenken, »wir tun genug, um uns erkenntlich zu zeigen, jeden Abend leiht sie sich die Zeitung aus. Und jeden Morgen nehme ich für sie ihre Milch und ihr Brot entgegen, damit sie nicht so früh aufstehen muß. Madame kommt nicht einmal runter, meine Söhne müssen die Sachen hochbringen.« So sinnierte und räsonnierte sie jeden Sonntag, während sie das Fleisch in Plastiktüten verstaute, die ihr Sohn Kersi später in Najamais Kühlfach stapeln würde.
Im Moment war Kersi damit beschäftigt, seinen Kricketschläger zu reparieren. Die Schnur am Griff hatte sich aufgedröselt und sich in einem schwarzen Klumpen am Griffende gesammelt, so daß mehr als die Hälfte der Griffstange nackt blieb. Sieht aus wie ein Büschel Schamhaare, dachte Kersi, als er die Schnur entwirrte und anfing, sie wieder um den Griff zu kleben.
Der Schläger war Größe vier, viel zu klein für ihn, und er spielte auch nicht mehr viel Kricket. Aber aus irgendeinem Grund bedeutete er ihm noch immer viel. Das Weidenholz hatte immer noch genug Spannung, um einen Ball bis zur Grenzlinie zu jagen, in krassem Gegensatz zum Schläger seines Bruders Percy. Dieser befand sich in einem traurigen Zustand. Das Blatt war ausgetrocknet und an manchen Stellen gerissen. Der Griff, dessen Gummihalterung und Schnurumwicklung schon seit langem ab waren, hatte sich gespalten, und die Fuge, wo das Blatt auf den Griff traf, hatte sich gelöst. Aber Percy war es egal. Eigentlich war ihm Kricket nie wirklich wichtig gewesen, außer in dem einen Jahr, als die australische Mannschaft zu Besuch war, als er ganze Tage am Radio geklebt und den Kommentaren gelauscht hatte. Jetzt waren es die ganze Zeit Flugzeuge, Modellbaukästen, mit denen er Stunden verbrachte, und Biggles-Bücher, in die er sich vertiefte.
Aber Kersi hatte seit der Grundschule ernsthaft Kricket spielen wollen. In der fünften Klasse wurde er endlich in die Klassenmannschaft aufgenommen. Doch am Vorabend des Spiels bekam der Kapitän Mumps, und der Vizekapitän übernahm die Regie, relegierte Kersi prompt auf die Ersatzbank und holte seinen eigenen Mann rein. Das war das Ende von ernsthaftem Kricket für Kersi. Eine kurze Zeitlang nahm sein Vater sonntagmorgens ihn und seine Freunde von Firozsha Baag öfters mit zum Maidaan von Marine Drives, wo sie spielen konnten. Und jetzt spielten sie ein bißchen im Hof. Aber das war nicht das gleiche. Außerdem wurden sie ständig von Leuten unterbrochen wie diesem gemeinen alten Rustomji vom Block A. Von allen Nachbarn, die brüllten und schimpften, tat Rustomji-der-Zorngickel es am lautesten und häufigsten. Er drohte immer damit, ihnen Schläger und Ball zu konfiszieren, wenn sie nicht sofort aufhörten.
Heutzutage benutzte Kersi seinen Schläger hauptsächlich, um Ratten zu töten. Auch Rattengift und eine Auswahl von Fallen...
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