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Für den dreizehnjährigen Noboru und seine Freunde ist die Erwachsenenwelt illusionär, heuchlerisch und sentimental. Nur der Seemann Ryuji bildet eine Ausnahme. Fasziniert vergöttert der vaterlose Noboru den Mann vom Meer und prahlt vor seinen Freunden mit dem Liebhaber seiner Mutter. Als er jedoch erfährt, dass sich Ryuji gegen das Leben auf See und für die Ehe mit Noborus Mutter entscheidet, fühlt der Junge sich verraten und beginnt, sein einstiges Idol immer mehr zu verachten. Wie konnte er sich so in dem Seemann täuschen? Noboru und seine Freunde fassen einen grausamen Plan.Yukio Mishimas Roman zeigt meisterhaft, wie die harte Realität des Alltags Idealbilder zum Zerbrechen bringen kann. Eine Geschichte über die unterschiedlichen Formen, die die Liebe annehmen kann, und den Konflikt zwischen traditionellen Werten und modernen Sehnsüchten.
»Gute Nacht«, sagte Noborus Mutter und schloss sein Zimmer von außen ab. Was, wenn ein Feuer ausbräche? Natürlich würde sie ihn als Erstes befreien, das hatte sie ihm und sich geschworen. Aber was, wenn die gestrichene Holztür sich durch die Hitze des Feuers verzog oder geschmolzene Farbe das Schlüsselloch verstopfte? Sollte er durch das Fenster flüchten? Die Straße davor war gepflastert und ein Sprung aus dem ungewöhnlich hohen ersten Stock des schmalen Hauses hoffnungslos.
Doch all das hatte er sich selbst zuzuschreiben, denn Noboru hatte der Versuchung nachgegeben, sich nachts aus dem Haus zu schleichen. Aber sosehr seine Mutter ihn auch bedrängt hatte, den Namen des Anführers hatte er nicht preisgegeben.
Während der Besatzungszeit hatten die Amerikaner das von Noborus verstorbenem Vater erbaute Haus am Yatozaka oberhalb des Hafens von Yokohama beschlagnahmt und alle Zimmer im ersten Stock mit Toiletten ausgestattet, sodass es für einen Dreizehnjährigen zwar nicht besonders unangenehm, aber nicht weniger demütigend war, nachts in seinem Zimmer eingeschlossen zu sein.
Eines Morgens, als seine Mutter ihn allein zu Hause gelassen hatte, durchwühlte Noboru in seinem Ärger das ganze Zimmer. In die Wand, die an das Schlafzimmer seiner Mutter grenzte, war eine Kommode eingepasst. Wütend riss Noboru die Schubladen heraus und verstreute die Kleidungsstücke auf dem Boden. Auf einmal bemerkte er einen durch die Rückwand einfallenden Lichtstrahl.
Als er den Kopf in die Nische steckte, um dessen Ursprung zu erkunden, erkannte er, dass es die Spiegelung der Frühsommersonne auf dem Meer war, die das verlassene Zimmer seiner Mutter mit gleißendem Licht durchflutete. Zusammengekauert fand Noboru mühelos Platz in der Nische, in die sogar ein Erwachsener bis zur Hüfte hätte hineinkriechen können.
Durch das Guckloch erschien ihm das Zimmer seiner Mutter wie neu und völlig verändert.
Links an der Wand stand auch nach dem Tod seines Vaters noch das Ehebett aus glänzendem Messing, das dieser eigens in New Orleans bestellt hatte, weil es ihm so gut gefiel. Eine weiße Tagesdecke aus Frottee mit einem eingewebten K - Noborus Familie hieß Kuroda - war ordentlich darübergebreitet. Auf ihr lag ein marineblauer Strohhut mit einem langen hellblauen Band. Auf dem Nachttisch stand ein blauer Ventilator.
Der dreiteilige ovale Spiegel des Frisiertischs rechts am Fenster war nicht ganz geschlossen, sodass seine geschliffenen Kanten durch den Spalt wie aus Eis erschienen. Vor dem Spiegel erhob sich ein kleiner Wald aus Flakons mit Eau de Cologne, Parfümzerstäubern und einem lavendelfarbenen Fläschchen mit Gesichtswasser, neben dem auch eine Puderdose aus böhmischem Kristall funkelte. Am Rand lag wie ein Häufchen verdorrter Zedernblätter ein Paar zusammengeknüllte dunkelbraune Spitzenhandschuhe.
Gegenüber der Frisierkommode am Fenster standen eine Chaiselongue, eine Stehlampe, zwei Stühle und ein zierliches Tischchen. Auf der Chaiselongue lag ein Rahmen mit einer angefangenen Stickerei. Sticken war zwar aus der Mode gekommen, doch Noborus Mutter hatte eine Vorliebe für alle Handarbeiten. Durch das Guckloch konnte er das Motiv nicht genau erkennen, aber es sah aus wie der halb fertige Flügel eines bunten Vogels, vielleicht eines Papageis, auf silbergrauem Grund. Daneben lag, achtlos hingeworfen, ein Paar Nylonstrümpfe. Allein die Art, wie das hauchzarte, hautfarbene Gewebe sich an den Damast der Chaiselongue schmiegte, verlieh dem ganzen Raum etwas seltsam Erregendes. Bestimmt hatte seine Mutter auf dem Weg nach draußen eine Laufmasche entdeckt und in aller Eile noch einmal die Strümpfe gewechselt.
Durch das Fenster sah man nur den strahlend blauen Himmel und ein paar Wolken, die im grellen Widerschein des Meeres hart und glänzend wie Emaille wirkten.
Noboru konnte kaum glauben, dass er das altvertraute Zimmer seiner Mutter vor sich hatte. Ihm war, als blickte er in den Raum einer fremden Frau, die nur kurz das Haus verlassen hatte. Denn dass es sich um das Zimmer einer Frau handelte, war unverkennbar. Es atmete bis in den letzten Winkel vollkommene Weiblichkeit. Und in der Luft hing ein zarter, anhaltender Duft.
Plötzlich fragte sich Noboru, ob das Guckloch natürlichen Ursprungs war. Oder hatten damals mehrere Familien der Besatzungsarmee in diesem Haus gewohnt und .?
So zusammengerollt in dem staubigen Fach, überkam ihn das Gefühl, dass sich hier schon einmal jemand hineingezwängt hatte, der blond, haariger und größer war als er. Als er in der Enge auch noch einen süßsäuerlichen Geruch wahrzunehmen glaubte, hielt er es nicht mehr aus.
Hastig kroch er aus der Nische und stürzte ins Nebenzimmer.
Noboru sollte dieses seltsame Erlebnis nie vergessen.
Das Zimmer nebenan war ihm so vertraut wie eh und je, es hatte nicht mehr die geringste Ähnlichkeit mit dem geheimnisvollen Raum von eben. Hier legte seine Mutter abends ihre Stickerei beiseite, um gähnend mit ihm Hausaufgaben zu machen, ihn zu rügen, weil seine Krawatte nicht richtig saß, oder sich zu beschweren, weil er »ständig mit der Ausrede, Schiffe beobachten zu wollen«, in ihr Zimmer kam. Er sei ja schließlich kein Kind mehr. Der Raum hatte sich außerdem in das Büro zurückverwandelt, in dem die Mutter die Geschäftsbücher durchsah, die sie aus dem Laden mitbrachte, und ewig vor ihren Steuerunterlagen saß.
Noboru suchte nach dem Guckloch.
Es war nicht ganz leicht zu finden.
Bei näherem Hinsehen entdeckte er eine altmodische Zierleiste aus geschnitzten Wellen über der Wandvertäfelung, und das Loch lag gut versteckt unter dem Überhang einer dieser Wellen. Er rannte in sein Zimmer zurück, faltete fieberhaft die verstreuten Kleidungsstücke zusammen und verstaute sie wieder in der Kommode. Während er sie schloss, schwor er sich, nie wieder etwas zu tun, was die Aufmerksamkeit eines Erwachsenen auf diese Schubladen lenken konnte.
Seit Noboru das Guckloch entdeckt hatte, zog er, wenn er in seinem Zimmer eingeschlossen war, immer wieder die Schubladen heraus, um seine Mutter beim Zubettgehen zu beobachten. Er tat dies vor allem an Abenden, an denen seine Mutter mit ihm geschimpft, nicht jedoch, wenn sie ihn liebevoll behandelt hatte.
So fand Noboru heraus, dass seine Mutter die Angewohnheit hatte, sich vor dem Schlafengehen nackt auszuziehen, auch wenn es noch nicht so heiß war, dass man kaum schlafen konnte. Der Ankleidespiegel befand sich in einer versteckten Ecke des Zimmers, und, seine nackte Mutter darin zu sehen, wenn sie dicht davorsaß, war schwierig.
Sie war erst dreiunddreißig Jahre alt, schlank, spielte Tennis und hatte eine gute Figur. Vor dem Zubettgehen pflegte sie sich mit Eau de Cologne einzureiben, doch mitunter saß sie seitlich vor dem Spiegel und starrte mit fiebrig glänzenden Augen hinein, während ihre parfümierten Finger reglos auf ihren Schenkeln ruhten und ihr starker Duft Noboru in die Nase stieg. Eines Abends hielt er ihren roten Nagellack irrtümlich für Blut und erschrak.
Noch nie hatte Noboru den Körper einer Frau so genau betrachtet.
Ihre Schultern fielen zu beiden Seiten ab wie eine sanft geschwungene Küstenlinie. Ihr Hals und ihre Arme waren leicht gebräunt, aber ab dem Dekolleté, über den Brüsten, begann eine zarte, cremige Zone, so warm und weiß, wie von innen erleuchtet. Stolz ragten ihre Brüste aus dem sanften Hang, und wenn sie sie massierte, richteten sich die traubenfarbenen Brustspitzen auf. Ihr sanft atmender Bauch. Die Schwangerschaftsstreifen, ein Wort, das Noboru aus einem verstaubten roten Buch gelernt hatte, das ganz oben auf dem Regal im Arbeitszimmer seines Vaters stand, vorsichtshalber verkehrt herum zwischen einem Gartenbuch über Blumen und Pflanzen der Saison und einem Firmenhandbuch.
Dann betrachtete Noboru es, dieses schwarze Dreieck. Er konnte es partout nicht deutlich sehen, obwohl er seine Augen anstrengte, bis sie schmerzten. Er überlegte sich alle möglichen Obszönitäten, aber keins dieser Worte vermochte das Dickicht zu durchdringen.
Es musste, wie seine Freunde sagten, ein jämmerliches leeres Gehäuse sein. Was hatte dieses leere Ding mit der Leere seiner eigenen Welt zu tun?
Mit dreizehn Jahren war Noboru (wie alle seine Freunde) überzeugt, ein Genie zu sein, überzeugt, dass die Welt aus einigen einfachen Symbolen und Determinanten bestehe, dass der Tod vom Augenblick der Geburt an im Menschen Wurzeln schlage, die er nur zu bewässern und zu nähren brauche, dass die Fortpflanzung eine reine Fiktion sei und mit ihr die ganze Gesellschaft, und dass Väter und Lehrer, allein weil sie Väter und Lehrer waren, eine tödliche Schuld auf sich geladen hätten. So war der Tod seines Vaters, als Noboru acht Jahre alt war, ein freudiges Ereignis, auf das er stolz sein konnte.
An mondhellen Abenden löschte seine Mutter das Licht und stellte sich nackt vor den Spiegel. Das damit verbundene Gefühl von Sinnlosigkeit raubte Noboru in diesen Nächten den Schlaf. Das weiche Licht und die sanften Schatten offenbarten ihm die ganze Hässlichkeit der Welt.
Wäre ich eine Amöbe, dachte er, könnte ich mit meinem mikroskopisch kleinen Körper ihre Gemeinheit besiegen. Aber der Mensch ist mit seinem mittelmäßigen Körper nur zu halben Sachen fähig - er kann gar nichts besiegen.
Nachts drangen die Signale der Schiffshörner wie Nachtmahre durch das offene Fenster. An den Abenden, an denen seine Mutter freundlich zu ihm war, konnte er schlafen, ohne sich daran zu stören. Stattdessen träumte er von ihr.
Noboru war stolz auf sein hartes Herz und weinte nie, nicht einmal im Traum. Sein Herz war hart wie...
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