Schweitzer Fachinformationen
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Dieses Buch ist eine Anthologie indianischer Mythen über die Liebe, die ich in verschiedenen indianischen Sprachen aufgenommen habe und die hier erstmals in schriftlicher Form erscheinen. Lieben und Nicht-Lieben: eines der beliebtesten Themen der Menschheit. Arbeit, Essen, Liebe, das Jenseits und die Kunst sind Grundthemen des Lebens. Amouröse Verstrickungen bilden den roten Faden in den hier vorliegenden Mythen.
Paare, die sich lieben oder streiten, mögen glauben, ihre Situation sei einzigartig und ihr Glück oder Unglück hänge allein mit ihrer Persönlichkeit und ihrer individuellen Geschichte zusammen, mit ihren Gemeinsamkeiten und Gegensätzen.
Archaische, vielleicht jahrtausendealte Mythen wie die der Indianer Rondônias, die von Generation zu Generation überliefert werden und im Gedächtnis der Erzähler wie der Zuhörer aufbewahrt werden, regen zu einem anderen Blickwinkel an. Sie zeigen ein ewiges Moment der Liebe, ein Grundmuster von Einig- und Uneinigkeit zwischen den Geschlechtern, das über die Zeit hinweg, ungeachtet der verschiedenen Gesellschaften, Bräuche, sozialen Bedingungen und Sprachen, überraschend ähnlich geblieben ist.
Vieles, was wir bei diesem grundlegenden Aspekt des Lebens, dem Zusammenleben der Geschlechter, uns selbst zuschreiben, unserem Verhalten oder unserem Schicksal, hat in Wirklichkeit einen allgemeinen Ursprung. Wir bauen uns unsere Existenz innerhalb gegebener sozialer Bedingungen auf, ohne zu wissen, dass wir nur wiederholen, was so viele andere Generationen schon vor uns durchlebt haben. Eine Lektion, die tröstend oder auch niederschmetternd sein kann, je nach Standpunkt.
Die kleinen Lebensgemeinschaften in den Dörfern des brasilianischen Urwalds bieten reichlich Material, um über diese Tatsache nachzudenken. Die Geschichten sind überraschend und aktuell und würden durchaus auch als Grundgerüst moderner Romane taugen. Einige sind Musterbeispiele des Dramas der Liebe. Die Themen sind alt: Verführung; das Mutter-Tochter-Verhältnis zwischen Konkurrenz und Solidarität; die einsame Liebe; Unersättlichkeit; der Traum von einer abenteuerlichen, um nicht zu sagen romantischen Liebe; verzauberte Frauen und Männer mitten im Urwald oder auf dem Grund des Wassers; Inzest, die verbotene Liebe; rivalisierende Liebhaber, die sich gegenseitig umbringen; Witwenschaft und die Rolle des Toten; Gewalt und Rache; und so weiter und so fort. Die Liebe erscheint in diesen Geschichten oft kompliziert und schwer zu finden, und manchmal kommt sie unerwartet wie ein Geschenk daher.
Im Laufe der Jahre zeichnete ich bei den verschiedenen Völkern immer mehr Geschichten auf. Daraus sind bereits zwei Bände über die Mythologie indianischer Völker derselben Region entstanden: Vozes da origem (Stimmen des Ursprungs) und Tuparis e Tarupás. Und auch Der gegrillte Mann ist Teil einer viel größeren Sammlung von Mythen, die in verschiedenen Sprachen festgehalten und seit 1993 ins Portugiesische übertragen wurden. Je weiter dieses Forschungsprojekt fortschritt, desto mehr drängten sich Vergleiche, Kommentare, Erklärungen und Theorieversuche auf. Ich denke aber, dass es wichtig ist, dem Leser die Freude an der Überraschung und am Entdecken nicht zu nehmen. Die Geschichten sollen für sich sprechen; unser Ideensystem sollte als Einführung entbehrlich sein. Andererseits kann ein gewisses Maß an Analyse so etwas wie ein Ariadnefaden sein, der uns durch das Gewirr der Handlungen führt und uns zeigt, wie heutig die Gedankenwelt einer Gesellschaft sein kann, die so anders ist als die unsere. Um diese beiden widersprüchlichen Überlegungen miteinander zu versöhnen, habe ich einen kleinen Essay über die Mythen ans Ende des Buches gesetzt.
Die für Der gegrillte Mann ausgewählten Geschichten, die sich immer um das Thema Liebe drehen, sind nach den einzelnen Volksgruppen der Erzähler geordnet: Macurap, Tupari, Ajuru, Jabuti, Arikapu und Aruá. Die sechs Völker stammen alle aus Rondônia und haben je ihre eigene Sprache und ihre eigenen Traditionen.
Macurap, Tupari und Ajuru sind Sprachen aus dem Tupi-Stamm, sie gehören zur Familie der Tupari; Aruá gehört zur Familie der Tupi-mondé (ebenfalls Tupi-Stamm); Arikapu und Jabuti sind unabhängige Sprachen. Diese Völker leben in zwei verschiedenen Reservaten, den áreas indígenas A.I.Rio Branco und A.I.Guaporé, nahe der Grenze zwischen Brasilien und Bolivien, mit einer Bevölkerung von insgesamt ungefähr siebenhundertfünfzig Einwohnern. Sie haben seit etwa fünfzig Jahren Kontakt zur nichtindianischen Bevölkerung Brasiliens; sie haben Sklavenarbeit auf den Kautschukplantagen verrichtet und viele wurden Opfer von Masernepidemien und anderen Krankheiten. Heute bewohnen sie ein abgegrenztes, ihnen gesetzlich zugesprochenes Gebiet, es gibt keine Invasoren mehr und die Bevölkerung nimmt langsam wieder zu. Die Mehrheit spricht gut Portugiesisch, aber die Älteren können sich nur in der eigenen Sprache präzise ausdrücken. Und es sind gerade die Älteren - darunter viele Frauen -, die mir die meisten Geschichten erzählt haben.
Insgesamt waren es zweiunddreißig Erzähler und Übersetzer, Menschen, die gern kommunizieren und sich fantasievoll und anschaulich ausdrücken. Viele von ihnen sind im Urwald aufgewachsen, bevor sie in irgendeiner Form friedlichen Kontakt zu Nicht-Indianern hatten. Ihre Geschichten sind frei von urbanem Einfluss und berichten von einem archaischen Leben in kleinen Urwalddörfern.
Die Übersetzung ist relativ frei, in einzelnen Fällen fast eine Nacherzählung. Ich habe in erster Linie versucht, sowohl die Stimmung zu erhalten, in der die Geschichten erzählt wurden, als auch den portugiesischen Stil der Übersetzer, die fast alle jünger sind, die Sprache besser sprechen und ebenfalls gute Erzähler sind.
Es ist höchste Zeit, diese Mythen aufzunehmen und zu verstehen, so viele wie möglich zu sammeln und die alten Erzähler anzuhören, die Welt von Völkern zu erschließen, die heute nur noch wenige Überlebende zählen, wie zum Beispiel die Ajuru, die Aruá und die Arikapu. Eine sorgfältigere und genauere Übersetzung, wie ich sie bei den Suruí-Mythen in Vozes da origem vorgenommen habe, wo ich eine wörtliche Übertragung gewählt habe, hätte sehr viel länger gedauert und wäre im vorliegenden Fall auch gar nicht möglich gewesen, denn bei den Arikapu und Ajuru zum Beispiel gibt es niemanden, der sowohl die eigene Sprache als auch Portugiesisch fließend spricht. Da es viele Sprachen, viele verschiedene Völker und viele Geschichten sind und dieses Buch ein relativ weites Feld absteckt, halte ich eine gewisse übersetzerische Freiheit für gerechtfertigt.
Andererseits ist dies nur eine mögliche Form der Präsentation und kein Modell. Es ist durchaus wünschenswert, dass irgendwann auch weitere Übertragungen erscheinen. Eines der Anliegen dieses und der anderen Bücher über Mythen, die ich herausgegeben habe, ist, dem Ausbildungsprogramm für indianische Lehrer, das in Rondônia seit 1991 vom IAMÁ (dem Institut für Anthropologie und Umwelt, eine unabhängige Nichtregierungsorganisation) gefördert wird, als Lesematerial zu dienen.
Die indianischen Leser vergleichen wörtliche Übertragungen des aufgenommenen Materials mit ausgearbeiteten Fassungen, sie hören die Geschichten in den indianischen Sprachen, versuchen, eigene Versionen aufzuschreiben, und befragen die Älteren. Es gibt ein bisher noch langsam voranschreitendes Projekt, bei dem die Mythen in den verschiedenen indianischen Sprachen aufgeschrieben werden - vor allem auf Tupari. Eine der Zielsetzungen für die Zukunft ist es, zweisprachige Ausgaben herauszubringen.
Ob in der Schule oder anderswo, man kann nicht oft genug darauf hinweisen, wie wichtig es ist, die Tradition des mündlichen Erzählens, das Weitergeben des Wissens durch das Sprechen und Erinnern, und nicht über das Geschriebene, aufrechtzuerhalten und weiter anzuregen. Schreiben ändert die Art, wie man denkt, lernt, die Welt erfährt und erzählt, aber das Geschriebene ist heute Teil unserer Welt, ein Instrument gesellschaftlicher Macht. Die Mehrheit der indianischen Gemeinschaften wünscht sich, eine Schule zu besuchen. Vielleicht sind das Geschriebene und die Tradition mündlicher Überlieferung auch gar nicht so unvereinbar, wie man zunächst glaubt. Die technologische Gesellschaft hat auch eine mündliche Komponente, wir haben Radios, Aufnahmegeräte, Videos, die dazu beitragen können, kulturelle Wurzeln lebendig zu erhalten.
Die Aufzeichnung der Mythen ist eine Möglichkeit, kulturelle Eigenständigkeit darzustellen, daran zu erinnern, dass gesellschaftliche Vielfalt Reichtum bedeutet und verschiedene Traditionen nebeneinander bestehen können müssen. Damit erweitert sich für die brasilianische Gesellschaft, die mehr als zweihundert bisher kaum bekannte indianische Sprachen und Kulturen zählt, die Vorstellungswelt, der Grundstoff für jede Art von Fiktion.
Man muss also nur noch erkennen, wie man in den tiefen Gewässern dieser Ursprünge Brasiliens fischt, statt die Mythologie als etwas Unverständliches beiseite zu schieben. Verstörend bleibt sie immer, aber je vertrauter sie wird, desto weniger beängstigend.
Der ursprüngliche Titel der Anthologie war A guerra dos pinguelos, was so viel bedeutet wie Der Krieg der Geschlechter, eine vielleicht etwas indirekte Art, die sexuelle Freizügigkeit der Sprache in den Erzählungen anklingen zu lassen. Im regionalen...
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