Schweitzer Fachinformationen
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Loretta trägt zum Streichen ganz besondere Kleidung, und drei Oppas kloppen kesse Sprüche
Das feucht schmatzende Geräusch der farbgetränkten Rolle auf der Mauer wirkte beinahe einschläfernd, zumal in Kombination mit der monotonen Auf-und-ab-Bewegung des Streichens.
Schlüüüüürf, schlüüüüürf, schlüüüüürf, Rolle in den Eimer tunken, Farbe am Gitter abstreifen (schlürfschlürfschlürf) und wieder schlüüüüürf, schlüüüüürf .
»Machtse gut, die Kleine«, kam es von rechts, zustimmendes Gemurmel folgte.
Na, Gott sei Dank. Ich mochte mir nicht ausmalen, was ich mir hätte anhören müssen, wenn man mit meiner Streichtechnik nicht einverstanden gewesen wäre.
Schon seit einer halben Stunde bemühte ich mich, die Tatsache zu ignorieren, dass die drei Oppas, die über viel zu viel Tagesfreizeit verfügten, jede meiner Bewegungen genau verfolgten und wortreich kommentierten. Damit musste man wohl rechnen, wenn man in aller Öffentlichkeit einen Kiosk himmelblau anmalte. Und das auch noch von außen.
Es war nämlich so, dass Franks Büdchen in frisch getünchtem Glanz erstrahlen sollte, wenn mein Kumpel es in zwei Tagen so richtig offiziell eröffnen würde. »So mit allet an Bimbamborius, wat mööchlich is«, wie er es in seiner unnachahmlichen Art ausgedrückt hatte.
Frank rief, und seine Freunde strömten herbei, um zu helfen, das war Ehrensache. Sogar heute, am »Tag der Arbeit«, an dem man ja normalerweise gerade nicht arbeitete.
Auch im Kiosk-Inneren wurde eifrig gewerkelt: Es galt, neue Regale einzubauen und alles irgendwie ein bisschen hübscher zu machen. Da ich als ausgewiesene Motorik-Legasthenikerin wahrlich nicht die erste Wahl war, wenn es darum ging, Möbel zusammenzuschrauben, hatte man mich zum Außendienst eingeteilt. Alles, was ich in meinem legendären Ungeschick hätte bekleckern können, war sorgfältig abgeklebt worden; selbst auf dem Pflaster hatten sie Folie ausgebreitet. Jetzt musste ich nur noch darauf achten, dass ich nicht darauf ausrutschte und kopfüber in den Farbeimer stürzte. Es gab wahrlich würdevollere Tode, als in himmelblauer Farbe zu ersaufen.
Um mich selbst vor großflächiger Besudelung zu schützen, trug ich einen vor ein paar Monaten erbeuteten Overall der polizeilichen Spurensicherung. Kommissarin Küpper hatte tatsächlich mal meine Hilfe benötigt und mich zur Wohnungsdurchsuchung eines Verdächtigen beordert, zu der ich diesen Anzug tragen musste. Und hinterher hatte ich ihn einfach eingesackt. Keine Ahnung, ob es erlaubt war, mit diesem Ding in der Öffentlichkeit herumzulaufen, immerhin prangte dick und fett das Wort »Polizei« auf dem Rücken. Aber bisher hatte noch kein Streifenwagen mit quietschenden Reifen neben mir gehalten, aus dem zwei Beamte gehechtet wären, um mich wegen Amtsanmaßung oder dergleichen einzubuchten. Wäre auch irgendwie lächerlich gewesen, denn was maßte ich mir schon großartig an? Allenfalls, die legitime Besitzerin eines Spusi-Overalls zu sein, die einen Kiosk strich. Na also.
Die drei Oppas waren angesichts meiner Kostümierung schier aus dem Häuschen geraten und hatten einen Schenkelklopper nach dem anderen abgefeuert, allesamt eindeutig-zweideutig, versteht sich.
Nein, ich will euch nicht von Kopf bis Fuß durchsuchen und herausfinden, was ihr in der Hose habt, und ich werde auch keinem von euch Handschellen anlegen, dachte ich bei mir. Als einzig sichtbare Reaktion auf ihre schlüpfrigen Scherze schenkte ich ihnen nur ein mildes Lächeln.
Sie ahnten es ja nicht, aber jeden ihrer Sprüche hatte ich als Telefonistin bei Dennis Kargers Sexhotline nicht nur schon Hunderte Male gehört, sondern Tausende Male selbst gebracht. Szenarien, in denen einer der beiden Protagonisten in Polizeiuniform war, erfreuten sich nämlich großer Beliebtheit bei den Kunden. Allerdings - und das war der ganz wesentliche Unterschied zur momentanen Situation - trug ich dann als Polizistin selbstverständlich eine hautenge Uniform, und mein Hemd war bis zum Bauchnabel aufgeknöpft. Mindestens. Keinesfalls war ich dabei in einen unförmigen Overall gehüllt, der meine sexy Kurven (die ich mir für Telefonate mit Kunden andichtete) komplett verbarg. Aber das war meinen drei Amateur-Kommentatoren vollkommen egal, ihnen reichte das Wort »Polizei« auf meinem Rücken, und sofort war ihre Fantasie auf Hochtouren.
Die Rede ist von JuppZwo, Locke und Steiger. JuppZwo hieß vermutlich so, weil der Vorbesitzer des Büdchens die älteren Rechte am Namen Jupp besaß, der Mann namens Locke hatte selbstverständlich eine Glatze, und Steiger hatte wohl im Bergbau gearbeitet, nahm ich an.
»Gut machsse dat«, sagte Frank, der herausgekommen war, um mein bisheriges Werk zu begutachten. Er musterte meinen farbbespritzten Overall und fügte hinzu: »Kannze dich gleich anne Wand stellen und bis unsichtbar, hömma. Streichen is nich so dein Ding, hm?«
Die drei Oppas belohnten diese Bemerkung mit beifälligem Gegacker.
»Is dat deine Perle, Junge?«, fragte JuppZwo.
Frank schüttelte den Kopf und erwiderte: »Nee, dat is die Loretta!«
Er sagte das in einem Ton, als sei das bereits Erklärung genug: Loretta? Meine Freundin? Seid ihr irre?
»Vielen Dank auch«, murmelte ich aus dem Mundwinkel.
Frank grinste und fuhr fort: »Die kennter doch, die hat doch hier schon Dienst geschoben.«
Die Oppas nickten synchron, dann sagte Steiger: »Klar kennwa die. Aber ob dat deine Perle is, wussten wa nich. Könnte doch sein.«
Wieder schüttelte Frank den Kopf. »Die Loretta? Quatsch. Die doch nich.«
»Wieso dat denn nich?« Steiger musterte mich mit sichtlichem Wohlgefallen. »Dat Frolleinchen sieht doch gaanich so schlecht aus.«
JuppZwo und Locke machten zustimmende Geräusche.
»Dat stimmt«, entgegnete Frank, »aber meine Bärbel . Nix für ungut, Loretta, aber meine Süße is eben, na ja, meine Süße halt. Nich zu toppen, verstehsse?«
»Bärbel heißt deine Perle? Und die is 'ne echte Granate? Musste uns ma vorstellen, Junge.«
»Ich bin doch nich bekloppt und stell euch Schwerenötern meine Perle vor! Hinterher brennt die noch mit eim von euch durch! Nee, nee.«
Die Herrenriege wollte sich schier ausschütten vor Lachen, und ich beschloss, ihrem Geschwätz keine weitere Beachtung zu schenken. Schließlich hatte ich eine Aufgabe zu erledigen.
Seit mittlerweile vier Wochen war Frank nun der neue Inhaber von Jupps Büdchen, unserem langjährigen Stammkiosk. Als regelmäßiger Kunde hatte Frank mitgekriegt, dass Jupp einen Nachfolger suchte, denn er war bereits deutlich über 70. Frank hatte seiner Perle gestanden, dass er schon immer davon geträumt hatte, so ein Büdchen zu besitzen. Und Bärbel, die wunderbare Bärbel, freute sich für ihren Schatz, dass sein Traum jetzt wahr wurde. So einfach konnte es manchmal sein im Leben.
Nach einwöchiger Einarbeitung hatte Jupp endgültig die Schlüssel an Frank übergeben - und mit ihnen gleichzeitig einiges an Stammkundschaft. Dazu gehörten auch die drei alten Herren. Von Frank wusste ich, dass sie ihr Tagesprogramm nach strengen Regeln durchzogen: Zuerst liehen sie sich eine Tageszeitung aus, studierten sie sorgfältig und hechelten dann das aktuelle Weltgeschehen durch, was meist ziemlich unterhaltsam war. Danach saßen sie erst einmal schweigend und beinahe bewegungslos da, als hätte man ihnen die Batterien rausgenommen. Dann verlangte es das Ritual, dass sie ihre Energiespeicher mithilfe von belegten Brötchen und heißen Wiener Würstchen wieder aufluden. Solchermaßen gestärkt, bestritten sie die zweite Hälfte ihrer Schicht am Kiosk, indem sie eine Dreierversion der beiden hämischen Opas aus der »Muppet Show« gaben.
Wohl dem, der ihrem beißenden Humor entging - dann nämlich, wenn sie erst loslegten, wenn das Opfer außer Hörweite war.
Ihre Allgegenwärtigkeit hatte in mir die Fantasie entstehen lassen, dass Frank die drei Männer zum Feierabend in den Kiosk verfrachtete und sie morgens wieder davor aufstellte. So wie die Reklametafeln für Tageszeitungen oder die Eiscremewerbung. Aber das war natürlich Quatsch: Irgendwann am frühen Vormittag tauchten sie von irgendwoher auf und verbrachten den Großteil des restlichen Tages damit, unter dem Wellblechvordach des Büdchens zu sitzen. Anfangs hatten sie immer ihre eigenen Klappstühle dabeigehabt, aber irgendwann hatte Frank sich erbarmt und eine bequeme Holzbank vor dem Kiosk aufgestellt. Dort saßen sie nun. Tagein, tagaus.
Da ich Frank schon ein paar Stunden in seinem Lädchen ausgeholfen hatte, waren die drei alten Zausel mir wohlbekannt. Und ich ihnen, was es allerdings nicht besser machte. Stur ignorierten sie meinen Namen, obwohl ich mich ihnen natürlich damals vorgestellt hatte. Stattdessen nannten sie mich »Kleine« oder »Frolleinchen«, und in der Regel redeten sie auch in meiner Anwesenheit so, als sei ich überhaupt nicht da. »Dat Frolleinchen könnte mal Würstchen rüberwachsen lassen« oder »Die Kleine hatte auch schomma bessere Laune« - so oder ähnlich hörte sich das dann an. Wie selbstverständlich gingen sie davon aus, dass jeder wusste, wann genau sie ihren Mittagssnack wünschten (um exakt 13 Uhr) oder welche Tageszeitung man durchs Fenster hinauszureichen hatte, sobald sie aufkreuzten.
Um ehrlich zu sein: Frank hatte mich vor meinem ersten Einsatz ganz genau über die Gepflogenheiten seiner rüstigen Stammkundschaft aufgeklärt. Wozu übrigens gehörte, dass sie unser kleines Klo benutzen durften. Das allein machte sie zu etwas Besonderem, was sie auch sehr...
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