Schweitzer Fachinformationen
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Loretta steht vor einem Tribunal, aber eine Inquisition kann auch liebevoll gemeint sein, wie sie feststellt
»Fällt euch denn gar nichts ein, wie wir sie aufmuntern könnten?«, fragte Doris leise.
»Ich bin nicht taub! Ich kann euch hören!«, rief ich aus der Küche zu den anderen hinüber, die in Isoldes Wohnzimmer saßen.
Beinahe unglaublich, aber wir hatten es nach ewigen Zeiten geschafft, einen samstäglichen Kaffeeklatsch nur für uns Mädels zu organisieren. Endlich verbrachten wir mal wieder ein paar Stunden miteinander, ohne dass mindestens zwei unserer Kerle am Grill standen und mit Fleischbatzen um sich warfen. Stattdessen würden wir gleich verschiedene kleine Törtchen genießen. Sie waren appetitlich auf einer großen Platte arrangiert, die ich nun aus der Küche zum Kaffeetisch brachte. Isolde hatte für uns prachtvoll eingedeckt: mit traumhaft schönem Geschirr - einem Mitbringsel von einer ihrer Reisen -, Blumenschmuck aus Dahlien sowie farblich passenden Kerzen. Der Tisch war eine einzige Orgie aus flammenden Herbsttönen; sogar der Fondant-Überzug der Törtchen fügte sich harmonisch ins Bild.
Ich stellte die Platte ab und setzte mich. »Zum allerletzten Mal: Ihr müsst mich nicht aufmuntern. Es geht mir gut.«
Bärbel, Isolde und Doris wechselten wissende Blicke, die mir keineswegs entgingen.
»Niemandem, der Liebeskummer hat, geht es gut, Schätzchen«, sagte Doris. »Wir machen uns Sorgen.«
Ich gab meiner Stimme einen munteren Klang. »Wirklich, das müsst ihr nicht. Andere Mütter haben auch schöne Söhne.«
Wieder diese Blicke zwischen ihnen, dann legte Bärbel ihre Hand sanft auf meine. »Süße, du und Pascal . allmählich ist da mal eine endgültige Entscheidung fällig. Dieses ewige Hin und Her ist auf Dauer nicht gesund.«
Sagt mir doch mal was, das ich noch nicht weiß, dachte ich.
Sie hatten ja recht: Eigentlich waren Pascal und ich längst getrennt, aber uneigentlich kamen wir nicht voneinander los. Zwar wählte er zurzeit nur Jobs aus, bei denen er auf Reisen war, aber es gab immer wieder Treffen - wenn auch in größeren zeitlichen Abständen -, bei denen wir uns gegenseitig wort- und tränenreich versicherten, nicht ohne den anderen leben zu können. Oder zu wollen. Oder zu können glauben oder was weiß ich. Das war wirklich nicht gesund. Jedenfalls nicht auf Dauer.
Es war ja nicht so, dass ich meine Freunde ständig damit volllaberte, ganz im Gegenteil. Manchmal telefonierte ich mit Diana, meiner besten Freundin und ehemaligen Mitbewohnerin, die mittlerweile glücklich verheiratet an der Nordseeküste lebte. Das war auch schon alles. Diana war die Einzige, der ich anvertraute, wie ich mich fühlte - was sich durchaus von einem Tag zum nächsten komplett verändern konnte.
Das Problem war, dass es keine wirkliche Lösung für Pascal und mich gab. Bei aller Zuneigung füreinander passten unsere Lebensentwürfe nicht zusammen, ein anderes Wort dafür fällt mir nicht ein. Ich liebte es, Verbrechen aufzuklären, während Pascal schier ausflippte, wenn ich das tat. Er machte sich Sorgen um mich, und genau das wollte er nicht mehr. Das Vertrackte war, dass er mein mörderisches Hobby respektierte und mich keineswegs verändern wollte, und dafür mochte ich ihn umso mehr. Andererseits schaffte ich es nicht, Verbrechen beziehungsweise ihre Aufklärung zu ignorieren, was sogar schon dazu geführt hatte, dass ich Pascal belogen hatte. Bis heute ist mir das zutiefst peinlich, und völlig zu Recht war er stinksauer auf mich gewesen. Nicht nur das: Dank meiner dämlichen Prioritäten hatte ich ihn aus meinem Leben vertrieben. Jedenfalls als Partner. Und deshalb saß ich jetzt hier und wollte am liebsten ganz woanders sein. Irgendwo, wo der Beziehungsstatus zwischen Pascal und mir nicht das zentrale Thema war. Also überall, bloß nicht hier an der schönen, herbstfarbenen Kaffeetafel.
»Fotografierst du eigentlich gerne?«, fragte Isolde. Da sie mich ansah, war wohl ich gemeint.
»Hm . keine Ahnung«, erwiderte ich achselzuckend. Also gut, manchmal knipste ich mit meiner kleinen Digitalkamera so vor mich hin. Ich hatte sie auch schon für Tatort-Fotos benutzt oder um heimlich Bilder von Verdächtigen zu machen.
»Hättest du Lust, es mal auszuprobieren?« Isolde sah mich erwartungsvoll an, Bärbel und Doris ebenfalls.
Aha - daher wehte der Wind. Das war wohl nun die Idee, wie sie die arme Loretta aufmuntern könnten. Und vom Sofa an die frische Luft locken. Wusste man ja, dass frische Luft gegen depressive Verstimmungen helfen sollte. Tatsächlich hatte ich mich in den letzten Wochen zurückgezogen und viel Zeit allein zu Hause verbracht. Okay, das stimmte nicht ganz: Kater Baghira leistete mir Gesellschaft.
Allerdings hatte sich herausgestellt, dass die Abende und Nächte schwer auszuhalten waren, also hatte ich meinen Chef Dennis gebeten, mich für die Nachtschicht einzuteilen.
Wer nun meint, nachts sei an der Sexhotline mehr zu tun als tagsüber: Irrtum. Das Gegenteil war der Fall, denn nachts waren die meisten unserer Kunden brav daheim bei ihren Lieben, während sie ihre Anrufe bei uns gerne während ihrer Mittagspausen, mal zwischendurch vom Büro aus oder von unterwegs erledigten. Soweit jedenfalls meine Theorie, denn natürlich haben wir noch niemals eine Kundenbefragung durchgeführt. Aber mit den Jahren machte man sich halt so seine Gedanken über die Männer, die unsere Dienste in Anspruch nahmen. Um zum Beispiel darauf zu kommen, dass diejenigen, die sich bei uns als Boss mit devoter Sekretärin inszenieren ließen, im realen Leben vermutlich eher in untergeordneter Position tätig waren, musste man nicht Psychologie studiert haben.
»Hallo, Loretta, bist du noch bei uns?«
Isoldes Frage riss mich aus meinen Gedanken. »Sorry. Ob ich gerne fotografieren würde, wolltest du wissen, richtig?« Isolde nickte.
»Wieso? Will Maria mir ein Praktikum anbieten?«
»Quatsch. Du hast doch einen Beruf.« Sie stutzte und setzte hinzu: »Wärst du denn interessiert?«
Ein Praktikum bei einer der begehrtesten und höchstbezahlten Fotografinnen der Welt zu machen und ständig auf Reisen zu sein? Sorry, aber wer kümmert sich dann um meinen Kater? Spaß beiseite: Natürlich wäre das interessant. Aber vielleicht doch an mich vergeudet.
Ich schüttelte den Kopf. »Nee. Ist ja nicht so, dass ich seit Jahrzehnten für die Fotografie brenne, oder? Keine Ahnung, ob ich dafür ein Talent habe.«
»Dann solltest du es unbedingt ausprobieren!«, tirilierte Isolde und sprang auf. Sie eilte in einen Nebenraum und kehrte mit einer eckigen Umhängetasche zurück, die sie mir in die Arme drückte. »Bitte sehr! Von Maria und mir.«
Ich sah in die Tasche und entdeckte: eine Kamera und drei Objektive. Wie bitte? Weder stand mein Geburtstag ins Haus - der war im März -, noch fiel mir irgendein anderer Grund für ein derart kostspieliges Geschenk ein.
»Seid ihr verrückt? Das nehme ich nicht an«, sagte ich entschlossen und zog den Reißverschluss der Tasche wieder zu.
Isolde winkte ab. »Ist nur geliehen. Doris sagt, du machst jetzt erst mal Nachtschicht. Dann hast du doch tagsüber Zeit, spazieren zu gehen und Fotos zu machen.«
Ich warf Doris einen wütenden Blick zu, aber sie zuckte nur gleichmütig mit den Schultern. Die Vorstellung, dass meine Freundinnen sich hinter meinem Rücken über mich unterhielten und Pläne ausheckten, um mich zu beschäftigen, schmeckte mir nicht.
»Wenn ich nachts arbeite, schlafe ich tagsüber. Irgendwann muss ich schließlich schlafen.«
»Aber doch nicht den gesamten Tag, oder?«, fragte Bärbel. »Ich könnte mir vorstellen, dass es dir Spaß macht.«
Mir reichte es. »Was bin ich - euer offizieller Pflegefall, der eine Beschäftigungstherapie nötig hat?« Grimmig blickte ich in die Runde. »Ihr rottet euch konspirativ hinter meinem Rücken zusammen und .«
Doris hob die Hand, um mich zu unterbrechen. »Jetzt mach mal halblang, Loretta. Wir haben ja nicht gerade eine Intrige gesponnen, um dich loszuwerden, oder? Wir machen uns Sorgen um dich. Du wirst immer blasser und stiller. Du denkst doch nicht etwa, dass wir uns das kommentarlos angucken, ohne etwas zu unternehmen?«
So viel zu unserem gemütlichen Mädels-Kaffeeklatsch. Ich fühlte mich wie vor einer Prüfungskommission, die über mein seelisches Gleichgewicht zu befinden hatte. »Das ist ja wohl total übertrieben. Nur weil ich mal eine kurze Phase habe, in der ich mich ein bisschen zurückziehe, müsst ihr ja nicht gleich durchdrehen, oder?«
»Kurze Phase? Das geht jetzt schon einige Monate lang so«, sagte Bärbel. »Du vertraust dich uns nicht an, aber auch das haben wir respektiert, genau wie dein Bedürfnis nach Rückzug. Aber jetzt ist Schluss damit. Wir sind deine Freunde, und wir wollen, dass es dir endlich wieder besser geht.«
Vor meinem geistigen Auge entstand ein Bild: Ich stand barfuß, strubbelig, hornbebrillt und im Büßerhemd vor einer Empore, auf der meine drei Richterinnen saßen und mich streng musterten. Die stets glitzernde Doris mit ihrem feuerroten Haarschopf, die beinahe schon meine Großmutter sein könnte. Die klassische, höchst stilvolle Isolde, auch schon über sechzig, und die schmale, blonde Bärbel, mit Ende dreißig minimal jünger als ich, und Mutter von drei Kindern. Äußerlich betrachtet würde wohl kaum jemand auf die Idee kommen, dass wir beste Freundinnen waren, aber das Schicksal und diverse aufgeklärte Verbrechen der letzten Jahre hatten uns in dieser Konstellation zusammengewürfelt. Sie alle...
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