Der Weg des Meisters

„Qi“ – eine universelle Kraft

„Der Mensch lebt inmitten von Qi, und Qi erfüllt den Menschen. Angefangen bei Himmel und Erde bis zu den zehntausend Wesen braucht alles das Qi, um zu leben.“

Huang Di Nei Jing – Der Klassiker des gelben Kaiser.

Qi stellt eine universelle Energie dar, die alles durchdringt und verbindet. Qi ist überall und alles ist Qi. Qi existiert in verschiedener Qualität und Quantität beziehungsweise in verschiedener stofflicher Abstufung. Wir finden es sowohl auf einer sehr verfeinerten Ebene, als auch in etwas gröberen Formen. Qi befindet sich somit im Menschen, in der Luft, im Raum, im Essen, in Pflanzen, einfach überall. Es ist der kleinste Bestandteil des Universums und stellt die treibende Kraft für alle Wandlungen und Transformationsprozesse dar. Jegliche Aktivität ist somit eine Manifestation von Qi.

In der chinesischen Version klingt das so:

Qi ist der Träger von Yin und Yang. Wenn sich das Qi des Himmels und das Qi der Erde verbinden, entsteht der Mensch. Wenn sich Qi konzentriert, entsteht Form, wenn sich Qi verflüchtigt, zerfällt sie. Qi ist aber auch Information und daher meist mehr Funktion als Substanz. Man sagt, dass Qi nicht gemessen werden kann, da es nie lange genug still hält.

Interessanterweise besteht das chinesische Zeichen für Qi aus einem unteren Teil, der in seiner Übersetzung soviel wie „Reis“ beziehungsweise „Weizen“ bedeutet, und einem oberen Teil, dessen Bedeutung „Luft“ beziehungsweise „Dampf“ ist. Diese piktografische Darstellung bezieht sich auf die zwei Quellen, aus denen wir Qi aufnehmen können: Essen und Atmen.

Hierzu sollte man erwähnen, dass die Luft natürlich Hauptträger des Qis ist. Ein Tag ohne Nahrung kann für manchen von uns schon der Weltuntergang sein, eine Stunde ohne Sauerstoff ist allerdings auch ganz schön anstrengend! Das alte Wort für Qi bedeutete übrigens soviel wie „kein Feuer“ und sollte somit ein Symbol für die Harmonie zwischen den einzelnen Organen sein.

Qi in der Natur

• „San Cai“, die drei Kräfte: Traditionell wurde zwischen dem Qi des Himmels ( „Tian“), des Menschen ( „Ren“) und der Erde ( „Di“) unterschieden.
• Qi aus der Luft, die wir atmen: Wenn Sie sich in einem geschlossenen Raum mit vielen Menschen befinden, werden Sie nach einiger Zeit merken, dass die Luft schlechter beziehungsweise stickiger wird. Dies liegt allerdings weniger am sinkenden Sauerstoffgehalt (der bleibt nämlich fast gleich), sondern am Fehlen von frischem Qi, oder wie der Wissenschafter sagt: Die Luft ist weniger ionisiert.
• Qi aus der Nahrung, die wir essen: Vergleichen Sie einmal den Effekt von „Junkfood“ mit frisch gekochtem „normalem“, hochwertigem Essen. Nach dem Burger oder Schnitzel werden Sie sich wahrscheinlich müde fühlen (ein Kollege von mir nennt dies fachmännisch „Fresslähmung“), nach hochwertigem (Qi-reichem) Essen hingegen werden Sie sich fit und energiegeladen fühlen.
• Qi aus anderen Quellen: Glücklicherweise gibt es noch andere Dinge auf dieser Welt, die uns Energie verschaffen: ein schönes Abendessen, ein nettes Gespräch, gute Musik, ein Tanz, und vieles, vieles mehr. Auch wenn wir uns nach solchen „Nettigkeiten des Lebens“ tatsächlich oft energiegeladener fühlen, so liegt deren Wirkung hauptsächlich darin, dass sie gestautes Qi im Körper wieder befreien, sodass es uns dann wieder zu Verfügung steht. Oft mangelt es uns gar nicht an Qi, es befindet sich nur nicht am richtigen Ort. Wenn wir unter einer Qi-Stagnation leiden, so staut sich Qi in einem bestimmten Körperteil (meist in der Leber), sodass es für den Rest unseres Körpers nicht mehr zur Verfügung stehen kann. Dies führt dann genauso wie ein einfacher Qi-Mangel zu einem Gefühl der Müdigkeit. Als „Quellen von Qi“ gelten aber laut strenger Lehrmeinung nur Luft und Nahrung. Nichtsdestotrotz ist es von großem Vorteil, zu wissen, welche Situationen uns sehr viel Energie rauben, und welche uns Energie verschaffen, und natürlich auch dementsprechend zu handeln.

Qi im Körper

Die Aufgaben von Qi im Körper

1. Antrieb und Transport
2. Erwärmung
3. Abwehr
4. Kontrolle
5. Umwandlung
6. Ernährung
7. Qi bewegt Blut.
8. Qi bewegt Flüssigkeiten.
9. Qi bewegt Nahrung.
10. Qi bewegt Wärme.
11. Qi bewegt Schleim.

Qi fließt zum größten Teil in Energiekanälen, sogenannten „Meridianen“, durch den Körper. Hier werden zwölf reguläre Meridiane ( „Shi Er Jing“) und acht Extrameridiane ( „Ba Mai“) unterschieden. Der Begriff der Meridiane stammt eigentlich von Jesuiten, die zu Missionarszwecken nach China gekommen waren, in China nennt man dieses System „jing luo“, „Kanäle und Kollateralen“. Dieses Kanalsystem durchdringt nach chinesischer Auffassung den gesamten Körper und versorgt auch die entlegensten Winkel mit Energie. Auf den Meridianen liegen (Akupunktur-)Punkte, an denen Qi beispielsweise mithilfe von Akupunkturnadeln, aber auch durch Akupressur beeinflusst werden kann. Auch hier bedeutet das chinesische Wort für Akupunkturpunkt „xue“ viel weniger Punkt, als eigentlich „Loch“ oder „Zugang“.

Meridiane können eigentlich als „Narben der Embryogenese“ angesehen werden, d.h. die Zellen des Lungenmeridians stammen entwicklungsgeschichtlich von denselben Zellen ab, wie die Lunge selbst. Wenn man nun diese Zellen mit einer Nadel stimuliert beziehungsweise verletzt, sendet der Körper spezielle Hormone, Immunmodulatoren etc., um diese Zellen, und somit auch das zugehörende Organ zu heilen.

Die zwei Haupttypen von Qi im Körper

Vorgeburtliches oder vorhimmlisches Qi – „Xian Tian Qi“

Dieses Qi wird in den Nieren gespeichert und hat seinen Ursprung im so genannten Jing, unserer „Essenz“. Auch hierbei ist natürlich zu erwähnen, dass die TCM mit dem Begriff „Nieren“ viel eher eine funktionelle Einheit von Nieren und auch Nebennieren, welche ja Produktionsstätte einer Vielzahl an Hormonen sind, sieht.

Vorgeburtliches Qi ist unsere Grundkonstitution, die uns von unseren Eltern vererbt wurde. Es entspricht somit (teilweise) unseren Genen, unserer DNA. Wenn beispielsweise Vater ein „Bär“ und Mutter ein „Gorilla“ sind, dann wird das Kind höchstwahrscheinlich keine „Gazelle“ sein, sondern zumindest ein „Löwe“, und über Schönheit lässt sich ja bekanntermaßen streiten. Um einen anderen Vergleich zu wählen: Das vorgeburtliche Qi entspricht der Tankfüllung in unserem „Lebens“-Auto. Je nach Fahrstil kommen wir mit einer Tankfüllung unterschiedlich weit. Böse Geister behaupten, das vorgeburtliche Qi bestimme, ob man mit dem robustesten Volvo oder nur einem gebrechlichen Nissan Micra durchs Leben fährt. Diesem Vergleich kann der Autor dieses Buches persönlich nicht sehr viel abgewinnen. Eine kleine Nebenbemerkung am Rande: Er fährt zurzeit das letztgenannte Auto.

Wie sich Qi anfühlt? Diese Frage ist in etwa so leicht zu beantworten, wie: „Erkläre mir bitte die Farbe Blau“. Hier gibt es nur eine Antwort: Üben, Üben, Üben und vor allem Fühlen … Oder, wie es einer meiner Lehrer zu sagen pflegte: „Am deutlichsten fühlen wir Qi dann, wenn es uns fehlt.“

Das heißt aber nicht, dass jemand, der mit einer guten Grundkonstitution auf die Welt kommt, länger leben wird. Oft ist es gerade umgekehrt, da Menschen mit einer schwächeren Grundkonstitution meist schon in jungen Jahren (zwangsweise) gelernt haben, auf sich und ihre Gesundheit zu achten und sich die Energien sorgfältig einzuteilen.

Man sagt, das vorhimmlische Qi reiche genau für fünf Tage. Fragen Sie mich bitte nicht, warum ausgerechnet fünf Tage. Tatsache ist allerdings, dass wir auf unserer Reise durchs Leben nicht vergessen sollten, regelmäßig „nachzutanken“, und zwar den im Folgenden geschilderten „Treibstoff“.

Nachgeburtliches oder nachhimmlisches Qi – „Hou Tian Qi“

Dies ist jenes Qi, welches wir täglich durch Atmen, Essen und Trinken, also durch gesunde Lebensführung zu uns nehmen. Diese Form des Qi sollte genug für die täglichen Bedürfnisse sein, sodass wir nur möglichst wenig von unserem vorgeburtlichen Qi aufbrauchen müssen. Dadurch können wir unser vorgeburtliches Qi für schlechte Zeiten aufheben und müssen nicht „dauernd zur Bank laufen, um Geld vom Sparbuch abzuheben“.Deswegen ist es sinnvoll, von Zeit zu Zeit unser „Energiekonto“ an nachhimmlischem Qi zu überprüfen. „Verdiene ich soviel, wie ich ausgebe? Oder schreibe ich schon rote Zahlen?“ Wie der Buchhalter sagt: Man kann nur soviel ausgeben, wie man auch verdient. Gerade auf das nachgeburtliche Qi haben wir somit großen Einfluss. Es wird in unserem Energiezentrum im Unterbauch gespeichert, dem so genannten Dan Tian, und wenn nachgeburtliches Qi im Überfluss vorhanden ist, dann kann es in nachgeburtliche Essenz umgewandelt werden. Diese entspricht in etwa dem in der Leber gespeicherten Glykogen. Aber nicht nur. Wissen Sie, was sich die Chinesen noch unter nachgeburtlicher Essenz vorstellen? Körperfett! Genau! Tatsächlich ist es so, dass in verschiedensten Studien immer diejenigen Menschen die höchste Lebenserwartung hatten, die im Laufe ihres Lebens langsam, aber stetig zugenommen haben. L-a-n-g-s-a-m! Weder die ganz Dünnen, noch die ganz Dicken lebten so lange, wie diejenigen,...