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An diesem kühlen, nebligen Tag am Anfang des Frühjahres hatte Trey Hargreaves es mächtig eilig. Er folgte einer Frau, der er den Hof gemacht hatte, die ihm jedoch einen Korb gegeben hatte. Deshalb hatte er seinen besten Anzug angezogen und ritt wie der Teufel hinter ihr her, um sie doch noch umzustimmen. Er war so in Gedanken, dass er beinahe die Kutsche übersehen hätte, die sich im Flussbett des Willow Creek quergestellt hatte. Der Kutscher, ein stämmiger rothaariger Ire namens Guffy O'Hagan, legte sich schwer ins Zeug, um die Maultiere wieder in Griff zu bekommen, aber es war klar, dass die störrischen Biester stärker als der Mann waren.
Die Furt durch den Creek war nicht wirklich gefährlich, sagte sich Trey, der zögernd seinen schwarz-weiß gescheckten Hengst am Ufer zum Stehen brachte, um die Situation genauer zu betrachten. Die Strömung war zwar stark, aber der Fluss war an dieser Stelle kaum tiefer als einen Meter und man musste sich schon besonders blöd oder ungeschickt anstellen, um eine Kutsche in so einem harmlosen Wässerchen zum Umstürzen zu bringen - und dabei womöglich auch noch zu ertrinken.
Trey seufzte. Das Problem war, dass es gerade hier in der einsamen Weite des Westens mehr blöde oder ungeschickte Menschen gab, die scheinbar alles daran setzten, sich selbst umzubringen. Trey machte sich keine ernsthaften Sorgen um Guffy, der alles andere als ein Greenhorn war und genau wusste, was er zu tun hatte, aber bei der Frau in der Kutsche hatte er doch erhebliche Zweifel. Sie trug einen blauen Federhut, ein Riesenmonstrum, das schon vollkommen durchnässt und an einer Seite eingeknickt war, weil es offensichtlich an die Decke der Kutsche stieß. Schlimmer war jedoch, dass die Frau sich mit dem Oberkörper weit aus dem Fenster der Kutsche gebeugt hatte und somit das Gefährt mächtig ins Schwanken brachte. Dabei winkte sie Trey mit ihrem Taschentuch zu, wie eine Gräfin oder Prinzessin, die einen Diener zu sich befahl.
Wieder seufzte er.
Sie hatte Mühe, ihre Stimme über das Rauschen des Wassers zu erheben und gegen das Gebrüll der widerspenstigen Maultiere anzukommen - ganz zu schweigen von der unablässigen Litanei an lauten Flüchen, die Guffy ausstieß, der nur selten Passagiere in seiner Kutsche beförderte und jetzt wohl vergessen hatte, dass er eine Lady an Bord hatte.
»Sir!«, schrie die Frau mit dem Federhut und schwenkte ihr Taschentuch noch wilder. »Verzeihen Sie, Sir! Sind Sie etwa ein Outlaw?«
Trey gestattete sich selbst ein schwaches Lächeln. Das war eine scharfsichtige Bemerkung und vielleicht war die Frau gar nicht so blöd, wie er zunächst gedacht hatte. Er fragte sich, ob man ihm wirklich die Jahre ansah, in denen er von Ort zu Ort gezogen war. Dabei hatte er seinen Lebensunterhalt am Spieltisch verdient oder gegen gute Bezahlung auch schon mal als Revolvermann gearbeitet.
Er ging jedoch nicht auf die Frage ein, sondern trieb seinen Schecken in den eisigen Fluss. Als er schließlich die Kutsche erreichte, waren seine Hosenbeine durchnässt und das Wasser stand ihm in den Stiefeln. Er konnte froh sein, wenn ihm nicht ein paar Zehen abfrieren würden.
Jetzt, aus der Nähe, erkannte er, dass die gestrandete Lady noch ziemlich jung war, fast noch ein Mädchen - und dass sie ausgesprochen hübsch war. Unter dem lächerlichen Federhut lugten kastanienbraune Haare hervor und ihre Augenfarbe lag irgendwo zwischen grau und grün. Sie hatte eine zarte Haut, lange Wimpern und einen schön geschwungenen Mund mit vollen Lippen, bei deren Anblick Trey sich fragte, wie es sich anfühlen würde, diese Lippen zu küssen.
»Wie Sie ja selbst sehen können«, sagte sie ohne weitere Umschweife, »benötigen wir Hilfe.« Sie sprach in dem gezierten Tonfall, den die Menschen im Osten so kultiviert hatten. »Aber zuerst beantworten Sie mir bitte meine Fragen. Sind Sie ein Outlaw, Sir, ein Bandit?«
Trey hätte am liebsten laut gelacht, aber das verkniff er sich, denn wenn er diesem Impuls nachgegeben hätte, wäre sie im Stande gewesen, seine Hilfe aus purer Sturheit abzulehnen. »Nun, Ma'am«, erwiderte er bedächtig, »ich schätze, das kommt ganz darauf an, wen Sie danach fragen.« Er tippte mit den Fingerspitzen an seinen Hutrand, als er ihren erschrockenen Gesichtsausdruck sah. »Mein Name ist Trey Hargreaves und ich kann sagen, dass es mir meistens gelungen ist, auf der richtigen Seite des Gesetzes zu stehen. Ich lebe in Springwater«, fuhr er fort und deutete mit dem Daumen über seine Schulter, »nur ein paar Meilen von hier.«
Als er den Namen Springwater erwähnte, entspannten sich ihre Gesichtszüge und die Farbe kehrte in die Wangen zurück. »Dem Himmel sei Dank.« Sie seufzte erleichtert. »Ich hatte schon Sorge, wir würden nie mehr dort ankommen. Besonders nicht, seit wir hier in diesem ... reißenden Fluss festsitzen.« Mit dem Arm deutete sie zum Dach der Kutsche, auf dem eine Menge Gepäck mit Stricken festgezurrt war. »Wenn wir umkippen, sind die ganzen Bücher ruiniert, die ich mitgebracht habe - und da Sie selbst aus Springwater kommen, brauche ich Ihnen ja nicht zu erklären, was das für ein herber, unersetzlicher Verlust wäre. Ohne eine gute Erziehung wären die Kinder ja ganz dem schlechten Einfluss von Orten wie ...«, hier senkte sie vertraulich die Stimme und verlieh ihren Worten einen beschwörenden Klang, »dem Brimstone Saloon überlassen.«
Nun musste Trey wirklich an sich halten, um nicht schallend zu lachen. Er spürte, wie seine Mundwinkel zuckten, aber es gelang ihm, sich zu beherrschen und ein neutrales Gesicht zu machen. »Davor möge der Herr uns alle beschützen«, meinte er inbrünstig und legte eine Hand auf seine Brust.
Ihre Augen verengten sich für einen kurzen Moment. Es war klar, dass sie ziemlich klug war und sie ihm dieses Bekenntnis nicht so ganz abnahm. Sie streckte ihm ihre Hand durchs Fenster entgegen. »Mein Name ist Rachel English«, erklärte sie. »Man hat mich engagiert, um an der neuen Schule in Springwater zu unterrichten.«
In diesem Augenblick schwankte die Kutsche bedenklich und Rachel zog schnell die Hand zurück, die sie Trey zum Gruß geboten hatte. Mit dieser Hand hielt sie die Reste ihres komischen Hutes fest und mit der anderen umklammerte sie die Fensterbrüstung. Ihr Gesicht war voller Angst - und dieser Ausdruck rührte Trey zu seiner eigenen Überraschung.
»Ich kann zum Ufer waten«, sagte sie. »Ich kann sogar ein bisschen schwimmen, wenn das nötig sein sollte, aber die Schulbücher dürfen auf keinen Fall ruiniert werden. Bitte, Sir ... bitte helfen Sie uns, Mr. Hargreaves.«
»Setzen Sie sich und verhalten Sie sich ganz ruhig«, befahl er ihr. »Ich bin gleich zurück.« Er nahm die Zügel auf und trieb den Schecken nach vorne, wo Guffy immer noch mit dem Gespann kämpfte. Die Tiere weigerten sich einfach, in die gleiche Richtung zu gehen. »Hallo, Guffy«, begrüßte Trey den jungen Iren, wobei er mit den Fingern gewohnheitsmäßig seinen Hutrand berührte. »Alles klar?«
»Nicht ganz«, keuchte Guffy freundlich, was erstaunlich war, wenn man bedachte, dass er vollauf mit dem Gespann beschäftigt war. »Wenn du freundlicherweise die Lady ans andere Ufer bringen würdest ... hätte ich eine Sorge weniger.«
Trey nickte und ritt zur Tür der Kutsche zurück. Er beugte sich vor, drehte den Griff und versuchte, die Tür zu öffnen, was sogar für einen kräftigen Mann wie Trey nicht einfach war, da er den starken Gegendruck des Wassers überwinden musste. Schließlich hatte er es geschafft.
»Kommen Sie«, sagte er zu Miss English und schlang seinen Arm um ihre Taille.
Sie zuckte zurück und er hatte den Eindruck, dass diese Frau sogar den sturen Maultieren da draußen noch das eine oder andere beibringen könnte. »Die Bücher ...«, sagte sie streng.
Trey war durchnässt, ihm war kalt - und er würde die Frau, der er gefolgt war, nie und nimmer einholen, wenn er jetzt noch kostbare Zeit mit einer langen Diskussion vergeudete. »Ich hole die verdammten Bücher«, knurrte er. »Aber erst, wenn Sie aus dieser Kutsche sind und sicher am anderen Ufer stehen.«
Sie nahm eine kleine, abgewetzte Handtasche vom Sitz und etwas, das wie der Ableger einer Pflanze aussah. »Na schön«, seufzte sie ergeben, »hoffentlich halten Sie sich auch an Ihr Wort, Sir.«
Trey schlang einen Arm um ihre Taille - Rachel war kaum größer als ein Schulmädchen und sie wog kaum mehr als ein Sack Pferdefutter - und hob sie samt ihrer Handtasche und der seltsamen Pflanze neben dem Sattelhorn hoch. Sie duftet wie Rosen nach einem Regenschauer, dachte Trey, der sich über sich selbst wunderte, denn solche Vergleiche kamen ihm sonst nie in den Sinn. Sie duftete wie frisch gebadet - dabei hatte sie doch gerade den Weg quer durchs Land hinter sich gebracht. Wenn sie die neue Schullehrerin war, war sie die Freundin von Evangeline Wainwright, die sie aus Pennsylvania im Osten hatte kommen...