Prolog
Tennessee,
Frühjahr 1863
Es war kurz nach der Morgendämmerung, doch Wes McCaffrey schritt bereits die Straße hinunter, zusammengerollte Decken auf den Rücken geschnallt und sein Jagdgewehr in einer Hand. Als Will ihn einholte - er hatte darauf verzichtet, nach ihm zu rufen, weil er die Leute nicht wecken wollte -, packte er seinen Zwillingsbruder an den Jackenaufschlägen, zerrte ihn herum und stieß ihn mit dem Rücken gegen den Stamm einer Eiche.
Wes stöhnte auf, starrte Will wütend an und bückte sich, um seine Mütze aufzuheben, die ihm vom Kopf gerutscht war. »Du kannst mich nicht aufhalten«, sagte er, und Will wusste, dass es stimmte, so sehr ihn seine eigene Ohnmacht auch krank machte. »Wenn du auf der Veranda stehen und den Yankees zuwinken willst, wenn sie kommen, um uns auszuräuchern, ist das deine Wahl. Ich hingegen werde kämpfen.«
Will presste die Lippen aufeinander und unterdrückte seinen aufwallenden Zorn. Am liebsten wäre er explodiert, doch wenn man es mit Wes zu tun hatte, musste man einen kühlen Kopf bewahren. Wenn man ihn zur Vernunft prügeln wollte, wie Will es in diesem Moment am liebsten getan hätte, wurde er nur noch sturer. Dann war er ungefähr so gefügig wie ein von Bienen gestochenes Maultier, das man aus einem Schlammloch ziehen wollte.
»Du kannst sie nicht aufhalten, Wes«, sagte er schließlich mit ruhiger Stimme. »Niemand kann das. Sie sind in der Überzahl, und sie haben alles reichlich - Pferde, Waffen, Proviant, einfach alles. Es ist vergebliche Mühe, sie aufhalten zu wollen.«
Wes' blaue Augen blitzten, und sein Gesicht wurde rot wie der Unterrock eines Freudenmädchens. Er fuhr sich mit der Hand über den Mund, als könne er dadurch den Impuls unterdrücken, Will ins Gesicht zu spucken. »Ich hätte nie gedacht, dass sich mein eigener Bruder einmal als Feigling entpuppen würde«, stieß er wütend hervor. Er trat auf Will zu und drückte ihm einen Zeigefinger gegen die Brust. »Wenn General Lee dich so reden hört, würde er dich noch vor Sonnenuntergang aufhängen lassen.«
Will verschränkte die Arme und zeigte sich unbeeindruckt. Wes war nicht die einzige halsstarrige Person der Familie McCaffrey. Er war nur einer von vieren. »Nun, General Lee ist nicht hier, oder?«, höhnte er. »Verdammt, Wes, wenn du nicht den Kopf voller Flausen und Ruhmes-Träumereien hättest, wäre dir klar, dass meine Ansichten vernünftig sind. Was, zum Teufel, willst du so eifrig verteidigen? Vielleicht das Sklaventum? Die Interessen eines Haufens fetter Plantagenbesitzer und Aristokraten, die dich eher mit der Peitsche bearbeiten würden, als dich mit ihren Töchtern tanzen zu lassen? Du weißt, wie sie unsereinen nennen, nicht wahr? Weißes Gesindel, das sind wir für sie.«
»Halt die Schnauze!«, schrie Wes. Wenn es überhaupt eine Hoffnung gegeben hatte, dass die Leute ihren Streit nicht mitbekamen, dann war sie jetzt hinüber. »Es ist nicht so, und du weißt das! Gesindel sind diejenigen, die hier herunter kommen - die Blaubäuche, die brandschatzen und plündern und morden. Für die würde ich nicht eintreten.«
»Du redest, als könntest du sie ganz allein stoppen. Du bist gerade mal siebzehn Jahre alt, Wes! Du bist ein Junge, der Soldat spielen will, und du wirst in den Tod gehen, wenn du nicht vernünftig bist.«
Wes wollte ihm an den Kragen gehen, besann sich jedoch anders und blieb widerwillig stehen. »Ich gehe«, sagte er ernst. »Damit hat sich's. Und wenn du auch nur ein bisschen Mumm hast, Will McCaffrey, gehst du mit mir.«
Will fuhr sich mit den gespreizten Fingern durchs Haar und legte dann die Hände auf die Hüften, um nicht seinen eigenen Bruder zu erwürgen. »Du willst abhauen, ohne dich von Mama und Daddy zu verabschieden?«, fragte er verwundert, und seine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern. »Wes, das wird sie umbringen.«
Schließlich gab Wes klein bei, aber nur ein bisschen. »Ich werde ihnen schreiben, sobald ich bei einer richtigen Einheit bin«, sagte er.
In Wills Augen flammte ohnmächtiger Zorn auf.
»Sag ihnen auf Wiedersehen von mir«, fuhr Wes fort, als Will nichts sagte - nichts sagen konnte.
Schließlich atmete Will tief durch. »Ich gehe mit dir«, erwiderte er langsam. »Aber ich gehe nicht von hier fort, ohne erst mit Mama und Daddy zu sprechen. Sie verdienen Besseres von dir, Wes, und das weißt du verdammt genau.« Insgeheim bezweifelte er, dass sie überrascht sein würden, jedenfalls was Wes betraf.
Überall ringsum marschierten Männer und Jungen gleichermaßen in den Krieg davon, und kaum jemand sprach in diesen Tagen über etwas anderes.
Wes schaute fort. Er konnte Wills Blick nicht standhalten. »Ich werde auf dich warten«, sagte er, jetzt wieder völlig stur. »Eine halbe Meile von hier.«
»Nein, verdammt!«, grollte Will. »Wenn du das tust, versohle ich dich hier auf der Straße. Wes, ich schwöre bei Gott, dass ich es tun werde, bevor ich zulasse, dass du ihnen dies antust.«
Es folgte ein Moment des Schweigens, in dem alles in der Schwebe hing. Dann ließ sich Wes erweichen. Er grinste sogar ein wenig. Mit der freien Hand klopfte er Will auf die Schulter.
»Also gut«, sagte er. »Also gut.«
Sie gingen zurück über die vertraute Straße, und beide schwiegen. Will nahm den Anblick der Hügel und Ebenen der Umgebung in sich auf, prägte sich die Laute und Gerüche ein, sodass sie für immer in ihm gespeichert waren und er sich daran erinnern konnte, wenn ihm danach zumute sein würde. Wes pfiff leise ein Liedchen durch die Zähne; er war ungeduldig und wollte so schnell wie möglich weg.
Als sie ihr Elternhaus betraten, stand ihre Mutter am Herd, und ihr Vater saß an seinem üblichen Platz beim Kamin. June briet gerade Spiegeleier. Sie wusste, dass nun schließlich doch der Tag gekommen war, vor dem sie sich gefürchtet hatte, seit der erste Schuss in Fort Sumter gefallen war. Jacob verschränkte mit ernster Miene die Arme und wartete.
»Wir werden heute Morgen gehen«, sagte Wes, als Will sich weigerte, es ihm leichter zu machen und als Erster zu sprechen. »An die Front.«
June tastete nach einem Stuhl und ließ sich aufseufzend darauf niedersinken. Jacob stand auf, durchquerte den Raum und trat vor seine Söhne. Will war fast so groß wie er, Wes hingegen war etwas gedrungener.
»Willst du das wirklich, Will?«, fragte Jacob mit leiser und doch volltönender Stimme.
Will schluckte. »Nein, Sir«, sagte er.
Jacob heftete den Blick seiner dunkelbraunen Augen auf Wesleys Gesicht. »Dann ist alles deine Idee?«
Wesleys Hals und Gesicht röteten sich. »Es ist das Richtige«, antwortete er.
Jacob schüttelte nur den Kopf. Dann bohrte sich sein Blick in Wills Augen. »Dein ganzes Leben lang hast du auf deinen Bruder hier aufgepasst. Ich nehme an, du hältst das für deine Pflicht.«
»Ja, Sir«, sagte Will. Er war den Tränen nahe, und er glaubte, vor Scham zu sterben, wenn er ihnen freien Lauf lassen würde.
Jacob legte ihm eine Hand auf die Schulter. Er sah Wes mit einer Mischung aus Ärger und Kummer an, wandte sich ab und verließ das Haus. Will nahm an, dass sein Vater ein paar Minuten allein sein wollte; das konnte er verstehen.
Unterdessen hatte June ihre Fassung wiedererlangt, doch sie blickte Will an wie jemand, der sich an die Stücke eines unwiederbringlich zerbrochenen Schatzes klammert. Sie legte einen Arm um Wes, drückte ihn lange an sich und ließ schweren Herzens geschehen, dass sich ihr zweitgeborener Zwillingssohn aus ihrer Umarmung löste und flüchtete, überwältigt von seinen Gefühlen.
Will trat zu ihr, und sie legte die Hände auf seine Oberarme, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn leicht auf die Wange. »Dein Daddy hat Recht; du hast immer auf Wes aufgepasst«, sagte sie. Tränen glänzten in ihren Augen, und sie schniefte und versuchte zu lächeln. »Ich mag gar nicht daran denken, wie viel du bis zum Erwachsenwerden wegen deines Bruders durchgemacht hast.«
»Ich werde auf ihn aufpassen, Mama«, versprach er mit belegter, wie erstickt klingender Stimme.
Sie nickte und streichelte leicht mit den Fingerspitzen über seine Wange. »Vergiss nicht, auf dich selbst aufzupassen.«
Er küsste sie auf die Stirn, wollte gehen, doch sie hielt ihn fest und zog ihn wieder zu sich heran.
»Lass nicht zu, dass ihm etwas passiert«, sagte sie.
Will konnte kein Wort herausbringen; er nickt nur. Dann löste er sich von ihr, ein für alle Mal, und ging zur Tür. Er sah seinen Vater, der zu den Baumwollfeldern schritt - kerzengerade, den Kopf hoch erhoben, die langen, kräftigen Arme an den Seiten schwingend. Wes war bereits auf dem Weg zur Straße; seine wütende Miene und seine ungestümen Schritte ließen darauf...