Prolog
Früher Winter 1884
Arizona Territorium
Angus McKettrick hasste jeden Dornbusch und Kaktus, jeden Zweig Salbei, jeden Wacholderstrauch, Hasen und Felsen im Umkreis von fünfzig Meilen, und wenn er das Land hätte abflämmen können wie eine Schweinehaut zur Schlachtzeit, hätte er es getan, jawohl. Er hätte gelacht, während die Flammen von einem Ende der Ranch bis zum anderen wüteten und alles verschlangen.
Angus stand hoch auf einer Hügelkuppe und sah auf Georgias Grabmal hinab, einen schneeweißen Engel, gemeißelt aus feinstem italienischen Marmor und so groß wie eine erwachsene Frau. Er hatte das Grabmal eine Woche nach dem Tod seiner Frau bestellt, und es war den weiten Weg von New Orleans, Louisiana, geschickt worden. Georgias Familie stammte aus diesem gottverlassenen Land mit seinen Sümpfen und Alligatoren und der feuchten Hitze. Die Menschen dort bevorzugten anscheinend feine Steinmetzarbeit, nicht nur auf ihren Gräbern, sondern auch in ihren Gärten. Angus führte das darauf zurück, dass sie den französischen Lebensstil im Blut hatten und folglich zu Tand und Getue neigten.
»Georgia«, sagte er ziemlich laut, denn sie waren allein an diesem hoch gelegenen, vom Wind gepeitschten Ort. »Ich bin heute fünfundsiebzig geworden.« Das wusste sie natürlich; sie hielt sich gewiss über ihn auf dem Laufenden, auch von der anderen Seite aus. Hätte sie unter den Lebenden geweilt, hätte sie ihm zur Feier des Tages einen ihrer Kuchen mit braunem Zucker und Melasse gebacken. »Was mich betrifft, so ist das alt genug, aber der Herr sieht das wohl anders.« Der liebe Gott war nach Angus' Erfahrung von widersprüchlicher Art. Er handelte bedächtig und war wahrscheinlich zu gütig, um schnell zu entscheiden, doch er tat es trotzdem.
Angus streckte einen Finger aus und strich über ihren Namen und die sorgfältig gewählten Worte, die in den weißen Sockel gemeißelt waren, auf dem der Engel auf einem nackten und zarten Fuß stand, die Trompete erhoben, den Blick in den Himmel gerichtet, bereit emporzufliegen.
GEORGIA BEAUDREAUX MCKETTRICK
GELIEBTE FRAU UND MUTTER
ZU FRÜH VON UNS GEGANGEN
Darunter standen die Daten, die ihr Leben wie Klammern einschlossen: GEBOREN 13. SEPTEMBER 1824, GESTORBEN 17. JUNI 1870. Angus fand es lächerlich zu versuchen, solch eine Schönheit, so viel Liebe, Gelächter und Vitalität - all die vielen Charakterzüge seiner Georgia - auf eine Hand voll verschwundener Jahre zu beschränken.
Wenn er doch nur an ihrer Stelle hätte sterben können! Es war der Wunsch eines Feiglings, das war ihm klar, doch er hatte ihn seit ihrem Tode oft gehegt. Es hätte nichts geholfen, wenn er zuerst gestorben wäre, denn so stark und schlau Georgia auch gewesen war, sie hätte allein und als Frau die Ranch nicht all die Jahre halten können. Die Jungen, der Älteste war bei ihrem Tod gerade fünfzehn Jahre alt gewesen, wären mehr Belastung als Hilfe gewesen.
Hölle, sie waren immer noch eher hinderlich als hilfreich, alle drei.
Angus legte eine Hand auf den Fuß des Engels und grübelte. »Es wird höchste Zeit, dass unsere Jungs mit dem Poussieren aufhören und einen Hausstand gründen«, bemerkte er, als er all seine streunenden Gedanken wie eine Herde versprengter Rinder gesammelt und in dieselbe Richtung getrieben hatte. »Unser Rafe wird im Juni dreißig, und er ist nichts als ein Hallodri, der sich in Saloons prügelt und hinter Weiberröcken her ist. Er meint, es zählt nur eine Meinung in der Welt, und zwar seine eigene. Den halben Winter hat er mal im Gefängnis und mal auf freiem Fuß verbracht. Und Kade ist nicht besser, er spielt nur geschickter Karten, das ist alles. Und was Jeb betrifft .« Er verstummte kurz und schüttelte den Kopf. »Dieser Junge sieht so gut wie der Teufel vor dem Sündenfall aus, ist wild wie ein Mustang und stur wie ein dreibeiniges Maultier. Wir haben es ihnen zu leicht gemacht, Georgia. Ich habe auf dich gehört und nie Hand an einen von ihnen gelegt, aber jetzt weiß ich, dass ich ihnen dann und wann eins hinter die Ohren hätte geben sollen. Ja, sie wären heute vielleicht etwas wert, wenn ich sie hin und wieder zum Holzschuppen geschleppt hätte wie mein Pa mich früher.«
Er wandte den Kopf und blickte über das Land, das so viel von seinem Blut und Schweiß und seiner Spucke aufgesaugt hatte, seit er achtzehnhundertdreiundfünfzig aus Texas gekommen war. Er war ein junger Mann gewesen, seelisch zerrissen vom Verlust seiner ersten Frau Ellie, die bei der Geburt ihres Sohnes gestorben war. Er hatte den Säugling zurückgelassen, und er war von Ellies Verwandten aufgezogen worden; vielleicht bereute er das am meisten in seinem Leben, die geheime Sünde, die an seinem Gewissen nagte, auch nach all diesen Jahren.
Die ungeschminkte Wahrheit war, dass er dem Baby die Schuld an Ellies Tod gab. Deshalb hatte er sich gegen sein eigenes Fleisch und Blut gewandt. Es war hirnverbrannt, und das wusste er auch, aber er hatte seinen unvernünftigen Zorn niemals überwinden können. Er hatte Florence und Ellies Lieblingsbruder Dill verlassen, hatte nicht gewagt zurückzublicken und geholfen, eine Herde Longhorns nach Kansas City zu treiben.
Im Laufe der Jahre hatte Angus ein paar Briefe von Florence erhalten, in dem sie ihm mitgeteilt hatte, dass Holt ein gesunder, kräftiger Junge war, und wann immer es ihm möglich gewesen war, hatte er ein paar Dollars geschickt und einen knappen Antwortbrief geschrieben. Flo hatte ihn nie um etwas gebeten. Dill und sie betrieben eine ärmliche Farm, und es kostete so einiges, einen Jungen aufzuziehen.
Allmählich ließ der Schriftverkehr nach. Eines Tages wurde Holt einundzwanzig. Angus arrangierte, dass eine Bank in Denver dem Jungen sein Erbe überwies, tausend Dollar für jedes Jahr seines jungen Lebens. Holt, halsstarrig wie alle McKettricks vor ihm, überwies das Geld zurück, jeden Cent.
Angus, selbst stur, legte es auf ein Konto auf Holts Namen an, und seither bekamen sie Zinsen gutgeschrieben.
Jetzt besaß Angus fast dreißigtausend Acres, genug Grasland für eine ziemlich große Rinderherde und viele Pferde. Doch er hatte mit nur einer halben Parzelle, einem Klepper und einem alten Ochsen begonnen. Er lächelte in der Erinnerung an jene frühen Tage. Es hatte viele Sorgen und Mühen gegeben, und dennoch war dies in vielerlei Hinsicht der beste Teil seines Lebens gewesen, weil seine Jahre mit Georgia, die Jahre der Liebe und der Heilung von seinem seelischen Schmerz, noch vor ihm gelegen und darauf gewartet hatten, gelebt zu werden.
Er lachte rau und schüttelte den Kopf. Georgia war ein Schuljahr lang Lehrerin in Indian Rock gewesen, und dann hatte sie, seines sturen Werbens müde, schließlich kapituliert und lachend seinen Heiratsantrag angenommen.
Als er seinen Blick über das Land schweifen ließ, wurde er wieder ernst. Er straffte die Schultern und reckte sein energisches schottisch-irisches Kinn vor. »Georgie«, sagte er im Tonfall eines Mannes, der Widerspruch erwartet, »es wird höchste Zeit, das unsere Söhne etwas Verantwortlichkeit lernen, anständig heiraten und uns einige Enkelkinder schenken. Ich spiele mich jetzt als Autorität auf. Sie haben sich lange genug gehen lassen. Bei Gott, von nun an werden sie wie Männer handeln!«
Die einzige Antwort war das Säuseln des Windes, der sein weißes Haar zerzauste.
Angus atmete die Luft tief ein, als enthielte sie eine stumme Botschaft von Georgia. Er setzte seinen Hut wieder auf, pfiff seinen betagten gescheckten Wallach namens Navajo herbei und schwang sich in den Sattel, nur ein bisschen weniger geschmeidig als früher. Angus hatte zwar Rheumatismus in allen Gliedern, doch er war fast jeden Tag seines Lebens geritten, und das Auf- und Absitzen bereitete ihm nicht mehr Mühe, als auszuspucken oder sich am Kopf zu kratzen. Er hielt die Zügel locker in der linken Hand, tippte mit der rechten an seine Hutkrempe, eine Geste des Abschieds, und ritt den steilen Hügelhang hinab nach Hause.
Als er nach einer Viertelstunde harten Ritts den Stall erreichte, übergab er Navajo Finn Williams, einem der Arbeiter, und ging zum Haus, wobei seine Sporen trügerisch fröhlich klingelten. Über die hintere Veranda und durch die Hintertür gelangte er in die Küche und vergaß fast, seinen Hut abzunehmen.
»Du betrittst nicht mit Sporen an den Stiefeln meinen Boden, Mr. McKettrick«, sagte Concepcion, die ihm den Haushalt führte, seit ihr Ehemann Manuel, ein Schäfer, vor zwanzig Jahren von einer Horde gesetzloser Cowboys aufgehängt worden war. Sie stand an dem großen Plankentisch beim Kamin und knetete Brotteig. Ihr Gesicht und das Oberteil ihres Kattunkleides waren mit Mehl bestäubt. »Wie oft muss ich dir das noch sagen?«
Er blickte sie aus zusammengekniffenen Augen an, wich jedoch zur Türschwelle zurück, schnallte die Sporen ab und warf sie auf die Veranda. Dann hängte er seinen Hut und die Jacke auf die Haken neben der Tür.
»Wo«, begann er unheilvoll, »sind meine Söhne?«
Concepcion hob die Augenbrauen und zuckte die Schultern. »Woher soll ich das wissen?«, fragte sie, die alles über jeden wusste, nicht nur im Haushalt der McKettricks, sondern auch im Umkreis von Meilen.
Angus nahm an, dass sie die Nase immer noch ein wenig hoch trug, weil er ihr an diesem Morgen beim Frühstück offen gesagt hatte, dass sie etwas sehr rundlich geworden war und abspecken sollte. Jetzt bedachte er sie mit einem finsteren Blick, und sie zeigte sich kein bisschen eingeschüchtert. Sie konnte fast so grimmig wie der alte Geronimo persönlich sein und wahrscheinlich - ebenso wie er - einen Mann auf einem Ameisenhügel anpfählen, wenn er ihr zu oft in die Quere kam.
»Also gut«, brummte sie. »Rafe ist...