Schweitzer Fachinformationen
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Stella liebt Max. Und Max liebt Stella. Schon immer. Aber Max hat Stella verraten. Zutiefst verletzt verbannte sie Max aus ihrem Leben und mit ihm ihre Schöne-Tage-Box - ein hölzernes Kästchen, in dem sie all die besonderen Momente ihres Lebens auf Karten notiert. Als Max Jahre später plötzlich vor ihr steht, weist sie ihn ab. Immer wieder, bis sie zufällig auf ihre alte Box stößt und all die schönen Tage ihrer Liebe ihr entgegenleuchten. Doch gibt es für Stella und Max überhaupt eine zweite Chance?
Julia Kaufhold erzählt einfühlsam diese mitreißende Geschichte über Vertrauen und Verrat, Liebe und Mut.
Es war noch viel zu früh, als Stella die Bushaltestelle erreichte. Sie war die Erste an diesem Montagmorgen, dem ersten Schultag nach den großen Ferien. Das Holzhäuschen, in das sich alle bei Regen flüchteten, war leer. Obwohl es nieselte, blieb sie am Straßenrand stehen, es störte sie nicht. Sie trug ihre Nietensandalen und ein neues, weißes Sommerkleid, von dem sie fand, dass es ein bisschen aussah wie ein Brautkleid, was sie aber natürlich nie laut sagen würde. Es war kürzer als die Kleider, die sie sonst trug, und sie fühlte sich leicht und frei darin. Sie hatte sechs Wochen und drei Tage Zeit gehabt, sich zu überlegen, was sie anziehen würde. Als es dann heute Morgen wie aus Eimern goss und das Thermometer vor dem Küchenfenster sechzehn Grad anzeigte, wollte sie sich nicht mehr umentscheiden. Sie bewegte ihre Zehen in der Pfütze. Das Wasser war gar nicht kalt und erstaunlich klar, es schwappte leise. Den hellroten Nagellack hatte sie vor ein paar Stunden im trüben Schein ihrer Nachttischlampe aufgetragen. Er sah schön aus in den Wellen des Pfützenwassers.
Sie hatte nicht geschlafen. Die letzte Nacht nicht und die vorletzte auch nicht. Sie hatte gar nicht erst versucht zu schlafen. Es war zu gut gewesen, wach zu bleiben. Ihr Kopf war leicht und voll von Max. Eigentlich hatte sie gar nicht an ihn gedacht, sondern ihn gespürt, neben sich, in ihrem Bett. So war es ihr jedenfalls vorgekommen. Er war da gewesen und hatte sie angeschaut, mit diesem Blick, mit dem er sie auch vor sechs Wochen im Schein der Taschenlampe angesehen hatte.
Wieder und wieder hatte sie in den letzten Wochen seine Postkarten gelesen. Über die Dänemark-Motive hatte er Fotos geklebt, die er bestimmt mit Selbstauslöser gemacht hatte. Auf jedem der Bilder war er von hinten zu sehen, im gelben Dünengras, auf einem Holzsteg ins Meer, vor einem Leuchtturm, einem Hotel, im Sand. Und auf jeder der Karten stand die Anzahl der Tage, bis sie sich endlich wiedersähen. Sie selbst hatte genauso die Tage gezählt. Fünfundvierzig Striche hatte sie in die untere Ecke ihrer Schreibtischunterlage gemacht, gestern dann endlich den letzten.
»Stella!« Tonia fiel ihr fast in die Arme. »Bist du taub?«
Der Regen prasselte auf das Holzdach der Haltestelle hinter ihnen. Als Stella sich umdrehte, war das Häuschen bis auf den letzten Stehplatz belegt. Sie hatte keine Ahnung, wie die alle hierhergekommen waren. Hinter den Leuten war die Rückwand noch immer schwarz vom Ruß der Haarsprayflamme, die Max dorthin gesprüht hatte.
Tonia ging ein Stück auf Abstand. Sie trug ihr blaues Cape, und aus der Kapuze guckten gerade so eben ihre Augen, ihr Mund und ihre Nase heraus. Sie sah aus wie ein Alien. »Aufgeregt?«
Das Klopfen des Regens und die Stimmen in Stellas Rücken vermischten sich zu einem vertrauten Rhythmus. Der 773er, der in diesem Moment auf dem Hügel zwischen den Feldern auftauchte, die Regentropfen, die im Licht seiner Scheinwerfer tanzten, der Geruch von Nässe und Zigarettenrauch - an diesem Morgen kam ihr das alles ganz besonders vor.
»Okay, war 'ne doofe Frage.« Tonia wischte sich übers regennasse Gesicht. »Klar bist du aufgeregt.«
»Irgendwie .« Stella zog die Zehen aus der Pfütze. »Ich weiß nicht, ich kann's gar nicht fassen, dass ich ihn gleich sehe. Aber ich bin auch total ruhig. Beides gleichzeitig. Ist das normal?«
»Jetzt geht's lo-hos, jetzt geht's lo-hos«, sang Tonia und lachte.
Stella zog ihr die Kapuze über die Augen. Vor ihnen bremste der Bus, Wasser spritzte auf, wie eine Welle wich die Menge zurück, bevor sie wieder nach vorne zu den Türen drängte. Tonia schob Stella vor sich her bis zur Rückbank und weiter ans Fenster. Es gab zwei Busse, die sich auf den Fahrten zur Schule abwechselten. Der eine hatte rote Sitze, der andere blau melierte, die über und über mit Graffiti besprüht waren. Heute fuhren sie im blauen. Stella strich über das schwarze R. I. P. im Polster, bevor sie auf ihrem Sitz Platz nahm.
»Macht ihr da hinten mal die Türen frei?« Die Stimme des Fahrers dröhnte durch den Lautsprecher.
Ein Rucken ging durch den Bus. Rebekka Melcher drückte sich die Tasche an den Bauch, Dirk Preiß hatte die Schulterriemen seines alten Scout-Tornisters so eng geschnallt, dass das Ding unnatürlich hoch saß und seinen Nacken komplett verdeckte. Hanno Pohl sah Stella an und sagte: »Neue Frisur. Cool.«
Sie hatte ganz vergessen, dass die anderen ihre kurzen Haare ja noch gar nicht kannten. Abgesehen von Tonia und Max natürlich. Hanno, Bastian Timm und einer aus der Achten quetschten sich zu dritt in die Reihe vor ihnen. Bastian zog, kaum dass er saß, Bleistift und Skizzenblock aus seinem Rucksack und zeichnete los. Das Mädchen mit dem dunklen Pagenkopf und dem neonpink gepunkteten Regenmantel aus der Parallelklasse setzte sich bei Hanno auf den Schoß. Sören Hartmann fixierte durch seine dicken Brillengläser den Gameboy in seiner Hand, Jens Becker verschwand wie immer hinter einem Vorhang aus Haaren. Stella kannte fast alle Gesichter im Bus. Wie ein großes Familienfest war es heute. Für einen Moment hätte sie am liebsten jeden Einzelnen umarmt. Tonia kramte den Walkman aus ihrem Rucksack, entwirrte die Kabel und drückte ihr einen der Ohrstöpsel in die Hand.
»Die neue Madonna.«
Der Bus fuhr an der Post vorbei, deren gelbe Reklame durch den Nieselregenschleier strahlte. Einer aus der Zehnten rief: »Guck mal, der hat voll den Sonnenbrillenabdruck«, und zeigte auf Tommy Moschel. Ein paar andere lachten. Tommy grinste gequält.
Stella gab Tonia den Kopfhörer zurück. »Heute nicht.« Heute wollte sie all ihre Sinne beisammenhalten. Sie wollte Max sehen, und sie wollte ihn hören.
»Noch zwei Stationen, dann geht's lo-hos.«
Stella rutschte ein Stück nach vorn und drückte ihre Knie in den Vordersitz. Sie hatte Tonia erzählt, dass Max und sie zusammen abgehauen waren, im Gewitter über den Fluss. Sie hatte ihr erzählt, dass es erst komisch gewesen war, neben Max im Zelt zu liegen, und dann doch gut. Sehr gut sogar. Von dem Foto, das Max mit der alten Nikon von ihr gemacht hatte, hatte sie Tonia nichts erzählt. Vielleicht hätte sie es Tonia erzählen müssen, weil sie sich immer alles erzählten und weil es sich nicht gut anfühlte, ein Geheimnis vor ihr zu haben. Aber dann hatte Stella ihre Schöne-Tage-Box in den Händen gehalten und gemerkt, dass sie es nicht einmal auf eine Karte schreiben konnte. Selbst dafür war es zu geheim.
Mit einem Geräusch, als hätte jemand das Ventil einer riesigen Luftmatratze geöffnet, senkte sich die eine Seite des Busses zum Bordstein. Die Türen gingen auf, und Frank und Cord stiegen ein. Frank machte ein paar verrückte Zeichen in ihre Richtung, Cord hob die Hand. Aber der Bus war zu voll. Keine Chance, dass die beiden es bis zu ihnen nach hinten schafften. Die Türen gingen zu, im Gang schoben sich die anderen enger zusammen. Noch eine Haltestelle.
Am liebsten hätte Stella alles auf eine Karte der Schönen-Tage-Box geschrieben, jede Sekunde von Max' und ihrer gemeinsamen Nacht hätte sie darauf festhalten wollen. Alles war wichtig. Wie sie den Ravioli-Topf zusammen im Fluss abgewaschen hatten, wie sich ihre nackten Füße dabei unter Wasser berührten und sie einfach stehen blieben und Max weiterschrubbte, obwohl der Topf längst sauber war. Aber das passte natürlich nicht auf eine Karte. Sie hätte auswählen müssen, und das ging nicht. Und außerdem, was war, wenn ihr Haus abbrannte, wenn sie von all dem Rauch bewusstlos wurde und jemand die Box entdeckte, sie aufbekam und aus purer Neugierde darin herumstöberte? Dann wusste er alles. Ein Nadelstich in die größte Kaugummiblase der Welt, voll von Max-und-Stella-Atem, der dann einfach verströmte. Das durfte nicht passieren.
Der Bus stoppte. Die Ampel strahlte sprühregenrot. Tonia hatte die Lautstärke des Walkmans voll aufgedreht, Madonna sang Like a Prayer. Die Ampel sprang auf Grün, der Bus fuhr wieder an.
Ab jetzt würde sich ihr Leben in zwei Hälften teilen: in die Zeit vor den großen Ferien und die Zeit danach. Dazwischen lag der schönste Tag ihres Lebens.
Als sie in die Haltebucht am Alten Markt einfuhren, spürte sie ein Ziehen im Bauch. Sie setzte sich auf. Tonia schaltete ihren Walkman aus und zog sich die Stöpsel aus den Ohren.
»Jetzt geht's .« Sie quetschte Stellas Hand.
Der Bus hielt, die Türen öffneten sich. Und da war er. Keine fünf Meter von ihr entfernt stand Max im Gang, in dem blauen verwaschenen T-Shirt, das sie so gerne mochte. Seine Augen mussten sie nicht suchen, sie fanden sie einfach. Sie war sofort mit ihm verbunden, als wäre da ein Tau zwischen ihnen, an dem sie beide zogen. Er lächelte kurz, und als sie zurücklächelte, entspannte sich sein Gesicht. Mit ihren Lippen formte sie ein lautloses »Max«, und er formte mit seinen ein »Stella«. Sein Lächeln wurde breiter, und sie hätte schwören können, dass ihre Münder in diesem Augenblick genau übereinanderpassten.
Er stand mitten im Gang, eingerahmt von Körpern und Köpfen, die eigentlich gar nicht da waren. Eigentlich war da nur Max. Er sah ein bisschen anders aus als vor den Ferien. Stella betrachtete ihn genau. Er war größer, und seine Sommersprossen waren über der Nase und den Wangen zu einer hellbraunen Fläche zusammengewachsen. Er sah so schön aus, wie er da stand mit seinen verstrubbelten braunen Haaren, die länger und heller waren als noch vor sechs Wochen. Mit einer andächtigen Bewegung zog er den Rucksack vom Rücken und ließ sie dabei nicht aus den Augen. Stella fuhr über ihre nackten...
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