Schweitzer Fachinformationen
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Zwei Wochen zuvor
Mein Name ist Freedom, und heute ist ein ganz normaler Abend in der Bar. Ein neues Mädchen ist da, blond, vielleicht sechzehn. Sie hat leuchtende Augen, ist noch nicht lang genug im Geschäft. Wird sich bald ändern. Sieht aus, als könnte sie was zu essen vertragen, bisschen Fleisch auf den Knochen. Dass sie neu ist, erkenne ich auch an den weißen Zähnen, dem hübschen Lächeln. In ein, zwei Monaten werden ihr nur noch schwarze Kiesel im Zahnfleisch stecken und die Knochen sich unter der Haut abzeichnen wie vakuumverpackt. Ganz normal in der Branche: Die Vorzüge der Jugend werden zerstört von schäbiger Männerlust und der Versklavung durch Drogen. So ist das Leben.
Ein Biker packt sie an den goldenen Locken und schleift sie Richtung Parkplatz. Zu viel los hier drin, keiner kriegt's mit. Zwischen all den anderen Lederwesten und fettigen Pferdeschwänzen fällt er gar nicht auf. Aber ich kriege es mit. Ich sehe sie. Und sie sieht mich - feuchte, flehende Augen, ein Funken Unschuld, der vielleicht sogar überlebt, wenn ich was tue. Aber ich muss es sofort tun.
«Pass auf die Bar auf», rufe ich niemand Bestimmtem zu. Ich staune über meine eigene Beweglichkeit, als ich über den Tresen mitten in die Horde springe, drücke, schiebe, trete, rufe. Dann finde ich sie - die Kleine zieht eine Parfümfahne hinter sich her. Mit den Zähnen reiße ich den roten Deckel einer Flasche Tabasco ab und spucke ihn aus. Der Biker will grade durch die Tür gehen, sieht mich hinter sich nicht kommen. Er ist gut zwei Köpfe größer als ich. Ich schütte mir eine ordentliche Ladung Soße in die hohle Hand.
Die Klamotten, in denen ich vergewaltigt wurde, habe ich immer noch. Was soll ich sagen? Bin eben eine Masochistin. Mein Name ist Freedom, aber frei fühle ich mich nur selten. So war das eben mit den Schaumschlägern ausgemacht: Ich würde nur dann ins Zeugenschutzprogramm einsteigen, wenn ich meinen Namen zu Freedom ändern durfte. Freedom McFly. Das McFly erlaubten sie mir aber nicht. Klingt zu sehr nach Burger King, sagten sie. Zu sehr nach den Achtzigern. Verdammte Schaumschläger.
Dann eben Freedom Oliver.
Ich lebe in Painter, Oregon, einer Kleinstadt voller Schmutz, Regen und Crystal Meth. Dort stehe ich hinter dem Tresen einer Rockkneipe namens Whammy Bar. Meine Stammgäste sind fette Biker aus West-Coast-Clubs wie den Hell's Angels, den Free Souls und den Gypsy Jokers, die bei jeder Gelegenheit meine üppigen, tätowierten Kurven betatschen.
«Lass mal deinen Hintern sehn!»
«Wie wär's mit 'ner Spritztour?»
«Soll ich dich nicht mal aus deiner Hose befreien, Freedom?»
Ich verberge meine Abscheu hinter einem souveränen Lächeln und strecke meine Brust noch etwas weiter raus; das bringt Trinkgeld, auch wenn es mich anwidert. Sie fragen nach meinem Akzent, und ich sage Secaucus, New Jersey. In Wahrheit ist er aus Mastic Beach, einer zwielichtigen Gegend von Long Island, New York. Diese Kleinstadtidioten merken den Unterschied sowieso nicht.
Am frühen Morgen ist meine Schicht zu Ende, die Bar schließt, und ich spanne meinen Regenschirm auf. Mit zugekniffenen Augen blicke ich durch den Oktoberregen und den Rauch einer Pall Mall. Hat es seit meiner Geburt eigentlich mal einen Tag lang nicht geregnet? Links, gleich neben der Whammy Bar, ist das Hotel Painter. Sein Neonschild surrt im Regen. Ein paar Buchstaben sind kaputt, sodass vom Namen nur die Worte «Hot Pie» übrig bleiben. Passend, denn das Hotel Painter ist eins dieser kakerlakenverseuchten Stundenhotels, die jedem ein marodes Dach über dem Kopf bieten, der eine billige Möse mieten will. Zusammengedrängt unter dem Vordach der Rezeption, suchen die Ladys Schutz vor dem Regen und rufen mir irgendwas zum Abschied zu. Ich winke zurück. Goldlöckchen ist nicht dabei. Gut so. Wohl nicht mehr viel los heute Nacht.
Der Schirm geht nicht mehr zu. Scheiß drauf. Ich werfe ihn in den Matsch und steige in meinen klapprigen, verrosteten Kombi. Im Auto nehme ich den Nasenring raus und drücke die Kippe in den überquellenden Aschenbecher.
Ich zucke zusammen, als plötzlich jemand ans Fenster klopft. Die Scheibe ist beschlagen, und ich muss sie erst ein Stück runterlassen, um die beiden Anzugtypen zu sehen. «Verf.luchte Schaumschläger.» Sie sehen mich an, als hätte ich einen Dachschaden. Aber der Meinung waren sie eh von Anfang an. Den meisten Leuten fällt schwer zu verstehen, was ich sage. «Bisschen spät für euch, oder?»
«Du zwingst uns ja immer wieder, hier rauszufahren», antwortet einer der beiden.
«War doch bloß ein Unfall.» Ich zucke die Achseln und steige aus.
«Ein Unfall? Du hast versucht, jemanden mit Tabasco zu blenden.»
«Auslegungssache, Gumm.» Ich fummle mit dem Schlüsselbund herum. «Der Typ hat sich an einem der Mädels vergriffen, also hab ich ihm eine gescheuert. Blöderweise hab ich nicht die Wange, sondern die Augen erwischt. Rein zufällig hatte ich mir vorher Tabasco auf die Hand gekleckert. Außerdem erhebt er nicht mal Anklage. Tut mir leid, dass ihr dafür extra aus Portland hergefahren seid.»
«Du bewegst dich auf dünnem Eis, Freedom», sagt Howe.
«Von Tabasco ist noch keiner blind geworden.» Ich schüttle mir den Regen aus dem Haar. «Tut nur übelst weh und macht schön wach.»
«Na, zumindest war er sauer genug, die Bullen zu rufen», entgegnet Gumm. «Ohne uns würdest du jetzt in einer Zelle sitzen.»
«Ne Augenklappe würde ihm sowieso ganz gut stehen.» Ich steige aus und gehe voraus zur abgeschlossenen Bar. Drinnen schalte ich den Strom wieder an und stelle uns drei Budweiser hin. Mit großen Augen begaffen sie das Bier. «Entspannt euch, ich verrat's schon keinem», versichere ich.
Das Licht ist schummrig, fast wie in einem Verhörraum. Rings um den Tresen erstreckt sich der alte Holzfußboden des Ladens, hier und da steht ein Billardtisch. Kalter Rauch hängt schwer in der Luft, liegt in den Rillen der Bodendielen wie ein Song auf einer Schallplatte. Aus den Boxen kommt Lynyrd Skynyrd. Die US-Marshals Gumm und Howe nehmen sich Barhocker und setzen sich.
«Du weißt ja, wie's läuft», sagt Agent Gumm. Er hat grau meliertes Haar, einen Zwirbelbart, schlaffe Wangen und ganz offensichtlich überhaupt keine Lust, hier zu sein. Ich will auch nicht, dass er hier ist. Aber das Gericht. Scheiß Schweinesystem. Bringen wir's hinter uns: Wir füllen die Formulare aus, ich kriege eine Gardinenpredigt. Wir haben dich gewarnt, denk dran. Ja, ja, ich denke, wie immer. Neben Gumm wirft Agent Howe einen schnellen Blick auf meine Akte. «Wie läuft der Job so, Freedom?»
«Ich würd mir ja 'ne schlaue Antwort ausdenken, aber ich bin zu müde für solchen Mist.» Ich wische meine Lederjacke mit einem Barhandtuch trocken. «Haut mir einfach auf die Finger, dann können wir alle nach Hause, okay?»
«Wollte ja nur wissen, ob das hier in Ordnung ist», meint Howe. Gut sieht er aus, Anfang vierzig, pechschwarzes Haar, grüne Augen. Ich würd ihn vögeln. Na ja, wenn er nicht so ein Arsch wäre. Obwohl, das würde mich vermutlich auch nicht aufhalten.
«Jetzt kommt schon zum Punkt. Ihr seid doch nicht extra aus Portland gekommen, um mir wegen so einer Lappalie auf den Sack zu gehen.»
Sie rollen die Flaschen zwischen den Händen. Gumm wischt mit dem Ärmel den Bierkranz vom Tresen. Sehen mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, so ein Blick, der sagt: Erzählst du's ihr, oder soll ich?
«Rückt ihr jetzt bald mal raus mit der Sprache?» Ich verdrehe die Augen und schwinge mich vor ihnen auf den Tresen. Ich verschränke die Beine wie ein Indianer, die Knie auf Höhe ihrer Augen.
«Matthew wurde vor zwei Tagen aus der Haft entlassen. Er hat Berufung eingelegt. Mit Erfolg.» Gumm hustet gekünstelt, während er das sagt. Na wunderbar. Ich stütze die Ellbogen auf die Knie und das Kinn auf die Fäuste. Welchen Gesichtsausdruck täusche ich am besten vor? Ich entscheide mich für ahnungslos, so als wüsste ich nicht mal, um was für einen Matthew es überhaupt geht. Weiß ich aber. Darum bin ich ja im Zeugenschutz. Beschützt von diesen beiden Gangsterjägern. Diesen Schlipsträgern. Schaumschlägern. Zum Glück wurde die Klage gegen mich damals rechtskräftig abgewiesen, und ich kann nicht noch mal für dieselbe Straftat angeklagt werden. Schwein gehabt.
«Na und?» Sie sollen nicht merken, wie mein Herz hämmert und mir der Schweiß ausbricht.
Gumm beugt sich vor. «Wir verstärken deinen Schutz auf unbestimmte Zeit. Einer unsrer Leute kommt jede Woche bei dir vorbei. Und du hältst schön den Kopf unten.»
«Noch weiter unten als in 'ner Bikerkneipe am Arsch der Welt?»
«Ein moderater Preis für Polizistenmord, Freedom.» Da sind sie wieder, die altbekannten bösen Blicke und verzogenen Mundwinkel. «Ach, komm, was hast du denn zu verlieren, wenn du's einfach mal zugibst? Noch mal angeklagt werden kannst du ja nicht. Du warst es, garantiert.»
«Na, dann beweist es doch. Echt nett jedenfalls von euch Arschlöchern, dass ihr mich vorwarnt.» Ein kräftiger Schluck Bier, dann nicke ich Richtung Tür. «Fahrt vorsichtig bei dem Regen. Nicht dass ihr auf dem Rückweg in die große Stadt noch bei 'nem tragischen Unfall draufgeht.» Ich trinke aus. «Nicht auszudenken wär das.»
Zumindest kapieren sie den Wink. Ist nicht immer der Fall. Manchmal bleiben sie länger, als mir passt. Manchmal mit Absicht, nur, um mir ans Bein zu pinkeln. «Ach, ja», Howe steht auf und knöpft seinen Mantel...
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