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In der Entstehungsgeschichte dieses Romans nimmt die Schiffswerft der Navy in Brooklyn einen besonderen Platz ein. Dort habe ich während des Zweiten Weltkriegs in der Abteilung Bordmontage gearbeitet und Nachtschichten geleistet, als einer von gut sechzigtausend Männern und einigen wenigen Frauen jeder ethnischen Herkunft in New York. Heute lässt sich nicht mehr recht sagen, ob es der eigene, durch Hitler geschärfte Blick oder faktischer Antisemitismus war, der in mir so oft die bange Frage aufsteigen ließ, ob wir uns, wenn endlich Frieden wäre, auf eine rohe Politik der Rasse und Religion gefasst machen müssten, und zwar nicht etwa in den Südstaaten, sondern in New York. Auf jeden Fall nahm die Judenfeindlichkeit, ganz unabhängig davon, wie deutlich sie sich im täglichen Umgang zeigte, in meinem Kopf erschreckende Ausmaße angesichts der realen Bedrohung durch den Nazismus an. Hinzu kam, dass die Kollegen der vierzehnstündigen Nachtschichten so gut wie keinen Begriff davon hatten, was der Nazismus bedeutete - kämpften wir doch vor allem deshalb gegen Deutschland, weil sich das Deutsche Reich mit den Japanern verbündet hatte, den Angreifern von Pearl Harbor. Und nicht selten hörte man sagen, wir seien von einflussreichen Juden, den geheimen Drahtziehern hinter unserer Regierung, in diesen Krieg manövriert worden. Erst, als alliierte Truppen in die deutschen Konzentrationslager vordrangen und Fotos der Berge von ausgemergelten, oftmals verkohlten Leichen in den Zeitungen erschienen, wurde der Nazismus dem aufrechten Amerikaner wirklich ein Gräuel und rechtfertigte unsere eigenen Opfer. (Dass der nationale Konsens im Hinblick auf den Krieg damals bei einer Vielzahl der Leute so tief ging, halte ich für ein Märchen.)
Ich kann bis heute nicht in diesem Roman blättern, ohne erneut die Dringlichkeit zu empfinden, die das Schreiben begleitete. Damals war der Antisemitismus in Amerika meines Wissens literarisch ein wenn nicht tabuisiertes, so doch totgeschwiegenes Thema - zumindest hatte noch kein Roman ihn ins Zentrum gerückt, geschweige denn die Existenz von Fanatikern innerhalb des katholischen Klerus, die mit Pflichteifer und Vergnügen Judenhass schürten. Man mag der Ansicht zuneigen, dass die Welt sich kaum zum Besseren gewandelt hat, doch wenigstens hier gibt es rühmliche Ausnahmen.
Daran musste ich erst neulich denken, als ich ganz zufällig einen Lokalsender in Connecticut einschaltete und mithörte, wie ein katholischer Priester einem offenkundigen Antisemiten auszureden versuchte, dass die Schuld an mehreren Anschlägen auf jüdische Wohnhäuser und Synagogen in der Region Hartford diesen selbst zuzuschreiben wäre. Nach den Tätern wurde weiträumig gefahndet, und der Mann hatte sich in der Sendung des Geistlichen zu Wort gemeldet, um seine Vermutungen über mögliche Täter zu äußern. Für ihn stand außer Frage, dass es nur jemand getan haben konnte, der von Juden schlecht behandelt worden war, einer, der für Juden arbeitete oder dem von Juden schadhafte Ware angedreht, der von Juden um sein Geld gebracht worden war, der Mandant eines jüdischen Anwalts vielleicht, der sich betrogen fühlte. Es gebe, fand der Mann, alle möglichen Erklärungen, weil ja die Juden, wie jedermann wisse, Betrüger aus Gewohnheit und Ausbeuter ihrer Angestellten seien, weil sie grundsätzlich kein Rechtsbewusstsein und keinen Respekt hätten und sich nur ihresgleichen verpflichtet fühlten. (Der Brandstifter wurde wenige Wochen später gefasst - ein geistesverwirrter junger Jude.)
Diese Leier hatte ich seit den dreißiger und frühen vierziger Jahren nicht mehr gehört. In der Zeit vor den Zeitungsfotos der Leichenberge. Aber da war sie nun wieder, neuaufgelegt, brandneue Enthüllungen, von denen der Anrufer mit unüberbietbarer Selbstgewissheit annahm, sie seien Allgemeingut, nur gehöre es sich nicht, dergleichen laut zu sagen. Der Mann trat so selbstgewiss auf, dass er mit dem armen Geistlichen bald kurzen Prozess gemacht hatte und im Brustton der Überzeugung versichern konnte, er sage es bloß, wie's ist, er sei kein Antisemit.
Geändert hat sich heute natürlich einerseits, dass kein Hitler der größten Streitmacht der Welt vorsteht und die Auslöschung des jüdischen Volks verspricht, und andererseits, dass es Israel gibt, das ungeachtet einer in vielem fehlgeleiteten Politik imstande ist, das Existenzrecht der Juden zu verteidigen. Der Roman Fokus hingegen entstand zu einer Zeit, als vernünftige Menschen sich durchaus fragen mussten, ob nicht schon die Annahme eines solchen Rechts jedem Realitätssinn widerspreche.
Heute fragt man sich unweigerlich, ob es je wieder zu einer Situation kommen könnte, wie sie in dem Roman beschrieben wird, und die Antwort kennt niemand. In den fünfziger und sechziger Jahren hätte ich mir vielleicht einreden können, dass es ziemlich unwahrscheinlich sei, und ich würde diese Einschätzung damit begründet haben, was damals Züge eines epochalen Sinneswandels in der Wahrnehmung der Juden annahm. Denn der Antisemitismus, der so untrennbar mit dem Totalitarismus verbunden war, galt nun als eine der Hauptursachen für die Aushöhlung der Demokratie und war somit, zumindest als politisches Programm, für alle indiskutabel geworden, die sich, ungeachtet etwaiger persönlicher Vorbehalte gegen Juden, noch zum freiheitlich verfassten Staat bekannten. Der Zusammenhang aber von individueller Voreingenommenheit und kollektiver Katastrophe war, als das Buch entstand, noch kein Thema, und doch bestimmt es dessen Struktur und Handlung. Am Ende des Zweiten Weltkriegs war der Antisemitismus keine Privatsache mehr.
Ein Sinneswandel in der Wahrnehmung der Juden begleitete auch, paradoxerweise, die ersten erfolgreichen Dekaden Israels nach seiner Staatsgründung. Die Juden waren, kurz gesagt, nicht länger nur Schemen, ein ghettoisiertes Enigma, sondern Farmer, Kampfflieger, Arbeiter. Sie legten die Opferrolle ab, erhoben sich und reihten sich plötzlich ein unter die gefährlichen Nationen - gefährlich im konventionellen militärischen wie im charakterologischen Sinn. Sie waren jetzt wie die anderen, und eine Zeitlang schien es undenkbar, dass herkömmliche antisemitische Ansichten sich an Kämpfern statt wehrlosen Opfern entzünden könnten. Eine Zeitlang strahlten die technischen und militärischen Visionen Israels in etliche afrikanische Länder aus, und Israels Beispiel schien als Vorbild für jedes Schwellenland geeignet, das Anschluss an die Industrienationen suchte.
Diese beispiellose Phase währte nicht lange. Eine Ironie so gigantischen Ausmaßes, dass sie einen zu mystischen Erklärungsversuchen verleiten könnte, ließ Israel, dieses einst von Agrarsozialisten und internationalistischen Bauernsoldaten besiedelte Land - faktisch graduell und aus globaler Sicht ganz - zu einer kriegerischen, hochgerüsteten Lagernation werden, deren rigorose kollektive Wehrhaftigkeit gegen seine Nachbarn sich seither unaufhaltsam bis hin zum Fanatismus verhärtet. Die jüdische Isolation ist wieder da, nur neuerdings bewaffnet. Und so wird eine weitere Rollenfigur der langen historischen Liste hinzugefügt, die schon so viele widersprüchliche Paarungen kennt - Einstein und Freud und/oder Meyer Lansky und ähnliche Gangster; Karl Marx und/oder das Haus Rothschild; der Prager KP-Chef Slánksý als Statthalter Stalins in der Tschechoslowakei und/oder der Jude Slánský am Galgen als Opfer des paranoiden Antisemitismus Stalins.
Fokus befasst sich mit Rollenbildern dieser Art. Zentrales Motiv ist der innere Sichtwechsel eines antisemitischen Mannes, den die Umstände zu einer veränderten Einstellung und Beziehung den Juden gegenüber zwingen. Meines Erachtens wurde Newmans Schritt in Richtung Empathie mit den Juden - zumindest für Teilaspekte ihrer Lage - seit Mitte der vierziger Jahre tatsächlich maßvoll in Teilen der demokratischen Welt vollzogen, und insofern erscheint die Vision einer inneren Wandlung wie die in dieser Geschichte nicht nur romantisch und unwahrscheinlich.
Aber in den vierzig Jahren seit der Entstehung von Fokus haben sich durchaus überraschend wieder andere Perspektiven zur Lage der Juden eröffnet. Interessant sind hier die Haltungen einiger asiatischen Völker gegenüber den erfolgreichen Fremden in ihrer Mitte, etwa der Chinesen in Thailand und der Vietnamesen im Kambodscha Sihanouks, vor der Besetzung des Landes durch vietnamesische Truppen. In Bangkok haben mich Charakterisierungen der ortsansässigen Chinesen erheitert, weil sie so sehr dem glichen, was die Leute früher über die Juden sagten und im Westen zweifellos immer noch sagen. »Die Chinesen kennen Loyalität eigentlich nur gegenüber ihresgleichen. Sie sind sehr schlau, lernen eifriger in der Schule, wollen überall immer die besten sein. Es gibt in Thailand viele chinesische Banker, zu viele; eigentlich war es ein Riesenfehler, den Chinesen die thailändische Staatsangehörigkeit zu gewähren, weil sie das Bankensystem unterwandert haben. Außerdem spionieren sie für China, oder würden es in Kriegszeiten ganz bestimmt. Im Grunde wollen sie nur eines: eine Revolution in Thailand (obwohl sie Banker und Kapitalisten sind), die uns zu Vasallen Chinas macht.«
Ähnlich widersprüchliche Aussagen konnte man über die Vietnamesen hören, die seit Generationen in Kambodscha lebten; auch sie waren fleißiger als die Einheimischen, von fragwürdiger Loyalität und ungeachtet dessen, dass sie eifrige Kapitalisten waren, praktisch Agenten des kommunistischen Vietnam et cetera. Zwei Parallelen fallen dabei auf: Die Chinesen in Thailand und die Vietnamesen in Kambodscha agierten häufig als...
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