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Kapitel 1
Damals
Er fühlte ebenso stark wie ich. Rückblickend betrachtet, war das immer der beste Teil. Mit Jamie war es nie einseitig. Er liebte mich auf eine Art, die sich anfühlte, als wären wir vom Universum füreinander bestimmt worden, die Chemie kollidierender Sterne.
Wir hatten uns auf der Highschool kennengelernt. Ein sofortiger Funke, obwohl wir noch nicht einmal Teenager waren. Wir wohnten zwei Straßen voneinander entfernt, aber wir hätten genauso gut unter einem Dach leben können. Wir gingen Seite an Seite zur Schule, taten abends, als würden wir zusammen lernen, entdeckten in seinem Schlafzimmer unsere Liebe zur Musik, jeder mit einem Kopfhörer im Ohr. Er brachte mir das Kartenspielen und das Flirten bei. Ich brachte ihn gern zum Lachen, bis er das Zimmer verlassen musste. Wir waren der Sauerstoff des anderen, so unzertrennlich, dass die Lehrer es kommentierten. Seine Eltern fanden es entzückend. Meine Mutter erklärte uns für unerträglich.
Wir küssten uns zum ersten Mal an meinem fünfzehnten Geburtstag - letzte Reihe des Kinos, unsere Münder heiß und zögernd und schüchtern. Exakt zwei Jahre danach schliefen wir zusammen - auch wenn alle anderen bereits davon ausgingen, wir hätten den Schritt längst getan. Das hatte es sogar noch besser gemacht, denn das Hinauszögern war ein Geheimnis, das wir teilten. Vierundzwanzig Monate verstohlener Blicke und süßer Vorfreude, gedrückter Hände und geflüsterter Komplimente.
Der Augenblick selbst, in der festen Vertrautheit von Jamies Bett und seinen Armen, war genau so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Die Monate der Sehnsucht machten alles magisch. Bedeutsam und sicher, und mein Herz verwandelte sich in Helium.
In unserem Oberstufen-Jahrbuch wurden wir als das Paar, das am ehesten heiraten wird betitelt. Wir mussten dafür viel Häme einstecken, aber das war uns egal.
Am Tag unserer Abiturergebnisse gingen Jamie, Lara und ich mit einer Flasche Cava ans Flussufer, im Schatten der alten Tudorgebäude, die hinten an den Elm Hill angrenzten.
Wir fanden einen sonnenverbrannten Flecken Gras und reckten unsere Gesichter zu dem heißen blauen Himmel hoch. Über unseren Köpfen segelten Tauben träge zwischen den Pfannendächern. Unten auf dem Fluss schipperten Leute unbeholfen in gemieteten Stechkähnen herum. Wir konnten das Klatschen hören, wenn eine Stange ins Wasser gestoßen wurde, und das gelegentliche Schnattern einer aufgescheuchten Gans.
Neben mir streckte Jamie eine Hand nach meiner aus. Mein Verstand raste, der Stress des Tages der Abiturergebnisse begann sich endlich zu legen. Unsere Zukunft war ein Geschenk, auf das ich jahrelang gewartet hatte, und jetzt lag sie da, im Begriff, ausgepackt zu werden.
Lara ließ den Cava-Korken knallen. Meine beste Freundin, meine festeste Verbündete. Ich kannte sie seit dem ersten Tag der Grundschule. »Freiheit«, verkündete sie und reichte die Flasche dann an mich weiter.
»Freiheit.« Ich nahm einen Schluck, und die Perlen kitzelten meinen Gaumen, bevor ich die Flasche an Jamie weitergab.
»Unser Einserabiturient.« Lara sah Jamie an. »Danke, dass du uns alle vorgeführt hast.«
Er riss den Kopf von einem Gänseblümchen und schnippte ihn in ihre Richtung.
Lara hatte die letzten paar Jahre hauptsächlich damit verbracht zu rebellieren, anstatt zu lernen. Aber sie hatte besser abgeschnitten als ich und kaum schlechter als Jamie. Sie war einfach von Natur aus schlau.
»Deine Mum und dein Dad werden so stolz sein«, sagte ich zu Jamie.
Jamie hätte alles tun können, überall hingehen können. Das wussten wir alle. Er hatte Architekt werden wollen, seit er alt genug war, um zu fragen, woher die Gebäude kamen.
Er stöhnte auf. »Sie wollen mich heute Abend immer noch zum Essen einladen.«
»Nur dich?«, fragte Lara. »Und was ist mit Neve?«
Ich warf Lara einen betonten Blick zu. »Du solltest hingehen«, sagte ich zu ihm.
Er schüttelte den Kopf, streckte sich auf dem Gras aus. »Sie werden mir nur Vorträge halten.«
Darüber, wie du dir das Leben verbaust, indem du hier bei mir bleibst.
Jamies Vater war sechs Jahre zuvor mit Immobilien zu Reichtum gekommen, und jetzt hatte er genug Geld, um seine Söhne damit zu überschütten, und große Ziele für Jamie, seinen jüngsten. Russell Group University, exotische Reisen, gut vernetzte Freunde und Bekannte, Mitgliederclubs. Erste Klasse und fünf Sterne von allem. Im Grunde war Jamie dafür vorgesehen, ein Klon von Harry, seinem älteren Bruder, zu werden.
»Ich werde nicht mit ihnen essen gehen«, erklärte Jamie, rollte sich zu mir herum und fixierte mich mit seinen magnetisierenden Augen. Niemand konnte mich mit seinem Blick so in seinen Bann ziehen wie Jamie.
Lara legte den Kopf auf die Seite. »Ich glaube, du bist der einzige Mensch, den ich kenne, der noch sturer ist als ich.«
Ich war mir nicht sicher, ob ich ihr da recht gab. Jamie war prinzipientreu, nicht stur - auch wenn ich wusste, dass Lara sagen würde, da sei kein Unterschied.
Wir ließen die Cava-Flasche zwischen uns kreisen, wurden allmählich immer beschwipster, während das Gras die Feuchtigkeit aufsog und der Himmel sich verdunkelte. Auf dem kurzen Fußweg ins Stadtzentrum versenkten wir die leere Flasche in einem Abfalleimer. Später wünschte ich, wir hätten sie nicht weggeworfen.
Wir drei waren bis in den frühen Morgen unterwegs, zogen von einer Bar zur nächsten. Jamies Hand lag die ganze Nacht um meine Taille. Unsere Handy-Akkus gingen zur Neige. Lara verließ uns, um mit einem Jungen, den sie eben erst kennengelernt hatte, zu einer Party zu gehen. Schließlich, während sich die Morgendämmerung wie Milch über die Kirchtürme und Häuserdächer ergoss, küssten Jamie und ich uns an der gekrümmten Mauer einer Seitengasse. Die Aussicht auf unsere Zukunft brannte in meinem Verstand wie die aufgehende Sonne. Wir stolperten die zwei Meilen zurück zu seinem Elternhaus, benebelt von Alkohol.
Wir torkelten die Treppe hoch in sein Schlafzimmer. Teilten uns ein großes Glas Wasser, küssten uns, hatten Sex, noch in unseren Kleidern. Wir stöhnten immer wieder den Namen des anderen, während das Bett unter uns wackelte und quietschte.
Zweimal sah ich das Licht im Flur angehen. Hörte das Knarren eines Dielenbretts, dann gedämpfte Stimmen.
Erst später wurde mir bewusst, wie laut wir gewesen waren. Wie respektlos. Dass ich seinen Eltern noch einen Grund mehr gegeben hatte, mich zu hassen, falls sie nicht schon genügend hatten.
Ich wachte spät und allein auf. Als ich mich mit dröhnendem Kopf aufsetzte, konnte ich wieder Stimmen hören. Nur dass sie diesmal nicht gedämpft waren.
Sonnenlicht strömte wie warmes Wasser durch einen Spalt in den Vorhängen. Ich sehnte mich nach frischer Luft. In Jamies Zimmer türmten sich halb gepackte Kartons, die Vorboten des anstehenden Umzugs seiner Eltern nach Putney. Jamies Großvater war in jenem Frühjahr gestorben, nachdem er jahrelanger ständiger Pflege bedurft hatte, und so erfüllten sich seine Eltern jetzt ihren lang gehegten Wunsch, nach London zu ziehen.
Sie hatten gewollt, dass Jamie ebenfalls dorthin zog. Aber Jamie wusste, dass ich es mir nicht leisten konnte, in London auf die Uni zu gehen. Daher hatte er seinen Eltern gesagt, er wolle in Norwich Architektur studieren und mit mir in ein Haus ziehen. Zu dem Zeitpunkt waren wir seit drei Jahren zusammen - aber was sie früher einmal für entzückend gehalten hatten, hatte sich inzwischen in einen Anlass zur Besorgnis verwandelt. Sie setzten sich immer wieder mit ihm hin und fragten ihn, ob er sich sicher sei. Chris, sein Dad, ging sogar ein paarmal mit ihm Bier trinken und rief ihm in Erinnerung, dass es dort draußen »viele Frauen« gab. Er bat Harry, mit ihm zu reden, um ihn zur Vernunft zu bringen.
Ich hatte Jamie nie gebeten zu bleiben. Das hätte ich niemals getan. Auch ich wollte nur das Beste für ihn.
Sie hatten all seine Poster abgenommen. Die Wände waren jetzt verunstaltet von Blu-Tack-Flecken. Ich verspürte einen traurigen Stich bei dem Gedanken, dass ich dieses Zimmer vermutlich niemals wiedersehen würde. Das Zimmer, in dem wir uns verliebt hatten. In dem wir so viele Stunden mit Lachen, Berührungen, Küssen verbracht hatten. All die Arten geplant hatten, auf die wir für immer zusammenbleiben würden.
Schließlich ging die Tür auf, und Jamie kam herein, irgendetwas unter den Arm geklemmt. Er stellte es ab, dann ließ er sich schwer auf die Bettkante fallen. Ich konnte sehen, dass sich sein Nacken gerötet hatte, so wie immer, wenn er aufgewühlt war.
Ich beugte mich vor, um zu sehen, was es war. Ein Gemälde - auch wenn ich es nicht erkannte. Es sah amerikanisch aus, zeigte vier Leute in einem Diner nach Einbruch der Dunkelheit. Es hatte eine trostlose, fast unheimliche Aura, und ich liebte es auf Anhieb, wenngleich ich es nicht verstand.
»Sie haben gestern Abend alle im Restaurant auf mich gewartet«, sagte Jamie schließlich tonlos. Sein hellbraunes Haar war feucht, ein Hinweis darauf, dass er bereits geduscht hatte. Er roch nach Axe und Zahnpasta. »Meine Grandma war auch da. Sie wollte mir das hier schenken, um mir zu gratulieren.« Er zeigte auf das Gemälde. »Es hat meinem Grandad gehört. Er wusste, wie sehr ich es...
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