Schweitzer Fachinformationen
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Dominil fuhr mit Kalix neben sich von Camden aus durch Ostlondon. Beide schwiegen, während Dominil vorsichtig durch den dichten Verkehr manövrierte, vorbei an einer Reihe Warnleuchten neben einer langen Baustelle. Kalix war in Gedanken bei Gawain. Hin und wieder warf sie Dominil einen Blick zu und schien zu einer Frage anzusetzen, aber dann hielt sie sich zurück. Es erforderte einigen Mut, Dominil auf ein sensibles Thema anzusprechen, weil sie oft erschreckend wenig Mitgefühl zeigte.
»Was meinst du, soll ich Gawain besuchen?«, fragte sie schließlich und versuchte dabei, nicht zu emotional zu klingen.
Einen Moment lang schwieg Dominil, dann wandte sie sich um, als sie im Verkehr steckenblieben. »Willst du ihn sehen?«
»Ich glaube, ja.«
»Dann besuche ihn«, antwortete Dominil.
»Aber was ist, wenn es schlecht läuft?«, fragte Kalix besorgt.
Dominil runzelte die Stirn. »Das Risiko musst du einfach eingehen.«
»Findest du, ich sollte es nicht machen?«
Dominils Stirnrunzeln verwandelte sich in einen finsteren Blick. »Müssen wir jetzt wirklich endlos darüber reden?«
Kalix lehnte sich zurück; sie fühlte sich jung und dumm, und das Gespräch kam, genau wie der Verkehr, zum Erliegen.
Sie waren unterwegs zu Krämer MacDoig, um Laudanum zu kaufen. Von Kalix' beschämender Sucht nach dem Opiat wusste der halbe MacRinnalch-Clan, aber Dominil hatte ihre Abhängigkeit geheim halten können. Nur Kalix wusste davon. Wenn es herauskäme, wäre Dominil blamiert. Obwohl Dominil sich große Mühe gab, diskret zu bleiben, war sie nicht sonderlich böse darüber, dass Kalix von ihrem Geheimnis erfahren hatte. Die weißhaarige Werwölfin hielt ihre persönlichen Angelegenheiten streng unter Verschluss, aber eine andere mitfühlende Süchtige zu kennen machte die ganze Sache aus irgendeinem Grund ein wenig erträglicher. Ihre gemeinsame Abhängigkeit hatte Dominil manchmal dazu gebracht, sich Kalix anzuvertrauen. Dabei ging sie nicht sehr weit, aber weiter als bei jedem anderen.
Krämer MacDoig konzentrierte seinen Handel hauptsächlich auf Schottland. Im Laufe seines unnatürlich langen Lebens hatte er mit dem Werwolfclan viele Geschäfte abgeschlossen. Wie der Krämer seine Lebensspanne hatte verlängern können, wusste niemand genau, aber er sagte gerne, wenn man so weit herumkam wie er, würde man doch das eine oder andere aufschnappen. Der kleine Laden im Osten Londons wurde normalerweise von seinem Sohn geführt, dem jungen MacDoig, einer genauso wundersamen Gestalt wie sein Vater; beleibt, rotwangig und seltsam altmodisch gekleidet. Eine Begegnung mit Krämer MacDoig und seinem Sohn mit ihren schwarzen Hüten, den silbern verzierten Gehstöcken, steifen Hemdkragen und bestickten Westen versetzte einen zurück in das neunzehnte Jahrhundert und die Welt von Charles Dickens.
Dominil war eine gewissenhafte Autofahrerin. Sie parkte den Wagen sehr vorsichtig in der Nähe der Themse ein, in einem Gebiet, das früher zu dem alten Hafen gehört hatte, jetzt aber vollständig renoviert war. Die beiden Werwölfinnen stiegen aus und gingen an einer Reihe hoher Bürogebäude mit Glasfronten vorbei. Geschäftsleute auf dem Weg zu den Büros warfen den beiden neugierige Blicke zu; sie waren außergewöhnliche junge Frauen, beide mit extrem langem Haar und langem Mantel, beide mit eher derben Stiefeln, wobei Dominils Stiefel neu waren, die von Kalix dagegen schäbig. Dominil ignorierte die Aufmerksamkeit, Kalix fühlte sich unwohl.
Als sie in die schmale Gasse einbogen, in der ihr Ziel lag, verschwand die moderne Welt auf einen Schlag. Die enge, dunkle Gasse roch klamm und alt, grüner Schimmel überzog die Mauern und das rissige Kopfsteinpflaster. Riesige Ratten sahen erschrocken auf und huschten schnell davon, weil sie spürten, dass man Dominil und Kalix besser nicht in die Quere kam. Die beiden Frauen gingen im Dämmerlicht des frühen Abends schweigend die Gasse entlang. Als es dunkel wurde, nahm Dominil plötzlich ihre Werwolfgestalt an; von einem Augenblick auf den anderen verwandelte sie sich in ein Wesen, das weiter auf zwei Beinen lief, aber dichtes Fell besaß, ein Wolfsgesicht, Pranken, Krallen und sehr scharfe Fangzähne. Kalix war verwundert. Es war unwahrscheinlich, dass sie jemand in der Gasse beobachten würde, trotzdem verwandelten sich MacRinnalch-Werwölfe für gewöhnlich nicht, wenn auch nur die Möglichkeit bestand.
Dominil drehte sich um und suchte mit dem Blick misstrauisch die Gasse ab. Kalix folgte ihrem Beispiel und verwandelte sich ebenfalls. Dabei spürte auch sie die Gefahr, die sie vorher nicht bemerkt hatte, weil sie in Gedanken bei Gawain war.
Plötzlich rannte Dominil zum Eingang der Gasse, und als sie sich ihm näherte, trat ein Mann mit einer Pistole aus dem Schatten. Scheinbar ungerührt ließ er die Werwölfin auf sich zukommen, vielleicht vertraute er darauf, dass er ihr eine Silberkugel durch das Herz jagen konnte. Das war ein schwerer Fehler. Welches Training er auch durchlaufen hatte, es hatte ihn nicht ausreichend auf die Wut und Gewandtheit einer MacRinnalch-Werwölfin vorbereitet. Dominil sprang hoch in die Luft, stieß sich von der Wand ab und stürzte sich auf ihren Angreifer, während die Kugel harmlos an ihrer Schulter vorbeipfiff. Sie hieb mit einer mächtigen Pranke nach dem Mann und erwischte ihn. Er wurde herumgewirbelt. Bevor er auf dem Boden aufschlug, hatte Kalix ihn schon mit den Zähnen gepackt. Sie war Dominil rasend schnell gefolgt und gerade rechtzeitig gekommen, um die Sache zu beenden. Der Werwolfjäger fiel ihnen tot vor die Pfoten, Blut spritzte aus den Bisswunden in seiner Kehle.
Dominil blickte die lange, dunkle Gasse entlang und schnupperte. »Er ist allein«, sagte sie schließlich leise. »Gehen wir.«
Dominil nahm wieder ihre menschliche Gestalt an, die Verwandlung verlief ebenso rasch und geschmeidig wie zuvor. Aber Kalix blieb Werwölfin und fletschte die Zähne. Gewaltsame Auseinandersetzungen lösten bei Kalix immer ihren Kampfrausch aus, sie lief erwartungsvoll auf und ab und hoffte auf weitere Jäger, die sie töten könnte.
»Komm mit«, sagte Dominil, aber Kalix weigerte sich. Knurrend und zähnefletschend wandte sie sich von einer Seite zur anderen.
Auch in ihrer Werwolfgestalt konnte Kalix noch logisch denken, aber jede Form von Gewalt löste in ihr extreme Aggressionen aus, die sie nur schwer kontrollieren konnte. Manchmal war es schwierig, sie zu einem Normalzustand zurückzubringen.
Dominil legte Kalix eine Hand auf die Schulter. Kalix schüttelte sie wütend ab. Die weißhaarige Werwölfin sah ihr tief in die Augen. »Kalix. Beruhige dich. Werde wieder zum Menschen.«
Kalix knurrte nur noch mehr und beugte sich zu der Leiche des Jägers hinunter, vielleicht, um noch einmal über sie herzufallen. Dominil zog eine kleine, antike Flasche aus ihrem langen Ledermantel und schraubte sie auf. Die Flasche war leer, roch aber immer noch so stark nach Laudanum, dass Kalix aufmerksam wurde.
»Wir brauchen Laudanum«, sagte Dominil ruhig.
Kalix schauderte, dann verwandelte sie sich wieder in einen Menschen, wenn auch nicht so geschmeidig wie Dominil. Laudanum spielte im Leben der jungen Werwölfin eine wichtige Rolle; selbst in ihrem aufgewühlten Zustand drang der Gedanke daran bis zu ihr durch. Sie schüttelte den Kopf, um klarer zu werden, dann folgte sie Dominil die Gasse entlang. Beide verschwendeten keinen Gedanken an den toten Jäger. Tote Werwolfjäger gehörten für die MacRinnalchs zum Alltag. Beide Seiten zeigten in ihrem endlosen Krieg kein Erbarmen.
Am Ende der langen Gasse wartete eine kleine, schwarze Tür. Dominil klopfte recht heftig an.
»Wer ist da?«, fragte jemand mit einem vertrauten schottischen Akzent.
»Dominil MacRinnalch.«
»Nur herein«, wurde freundlich geantwortet, dann hörte man, wie mehrere Riegel zurückgezogen wurden. Der junge MacDoig stand in der Tür, mit roten Haaren und rotem Gesicht und einem alten, schwarzen Hut, der vom langen Tragen glänzte. Dominil ging rasch hinein, Kalix folgte ihr.
»Wussten Sie, dass in der Gasse Jäger sind?«
Der junge MacDoig schüttelte mit besorgter Miene den Kopf. Wenn man mit Werwölfen Geschäfte machte, hörte man nicht gerne, dass Jäger in der Nähe waren. Dominil musterte ihn misstrauisch. Die MacDoigs handelten mit allerhand esoterischen Dingen. Es hätte Dominil nicht überrascht, wenn sie auch schon mit Werwolfjägern Geschäfte gemacht hätten. Krämer MacDoig war berüchtigt dafür, aus jeder Quelle Profit zu schlagen. Aber sie bezweifelte, dass die MacDoigs tatsächlich einen Werwolf an die Jäger verraten würden. Sie wickelten zu viele Geschäfte mit Burg MacRinnalch ab, um das zu riskieren. In knappen Worten erzählte Dominil dem Sohn des Krämers, was passiert war.
»Sie sollten die Leiche verschwinden lassen.«
»Wir kümmern uns darum«, sagte der junge MacDoig. »Und ich werde Vater erzählen, was passiert ist. Er müsste jeden Tag in London eintreffen. Ich nehme an, Sie kommen wegen Ihres Laudanums, nicht wahr? Möchten Sie etwas trinken, während Sie warten?«
Weder Dominil nach Kalix blieben gern länger im Laden des Krämers als nötig, trotzdem nahmen sie den Whisky an und stürzten ihn schnell herunter, während der junge MacDoig ihr Laudanum holte. Über Dominils Gesicht huschte ein Anflug von Abscheu. Der Whisky, den die MacDoigs ihren Kunden anboten, reichte längst nicht an den privaten Vorrat heran, den die MacRinnalchs für sich selbst destillierten. Kalix trank ihren gierig aus, ihr fiel der Unterschied kaum auf.
»Trotzdem ist es schön, Sie beide zu sehen«, sagte der junge MacDoig so jovial, wie er es von seinem Vater gelernt hatte. »Die MacRinnalchs sind in unserem Geschäft immer...
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