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Verschneite Berglandschaften. Der Geschmack von Kastanienherzen. Und ein verschwundener Polizeichef
Als der Bozener Polizeichef Bruno Visconti im Januar 1963 nicht zum Dienst antritt, ahnt sein alter Freund und Kollege Commissario Tasso Schlimmes. Bei der Untersuchung von Viscontis Wohnung am Obstplatz in Bozen findet Tasso Hinweise auf eine Entführung. Aber wer hätte seinen Chef entführen sollen? Südtiroler Separatisten? Neo-Faschisten? Ein ausländischer Geheimdienst? Bald schon stellt Tasso fest, dass die Gründe für dieses Verbrechen weiter zurückreichen, als er sich je hätte vorstellen können. Und zu allem Unglück ist er erneut auf die Hilfe von Mara Oberhöller angewiesen. Dabei hatte er sich geschworen, die junge Frau nie wieder auf einen Außeneinsatz mitzunehmen ...
Skeptisch betrachtete Commissario Aurelio Tasso den grauen Himmel über Bozen. Das sah ganz nach Neuschnee aus. Es war auch wieder kälter geworden. Die Fahrbahn des Corso della Libertà schimmerte silbrig-weiß vom nächtlichen Frost. Die Luft war feucht und roch nach Kaminfeuern und Abgasen.
Kein Wetter für eine Fahrt mit der Vespa.
Tasso ließ die Haustür hinter sich zufallen, vergrub die Hände tief in die Manteltaschen und machte sich zu Fuß auf den Weg in die Questura. Es wurde gerade hell. Außer ihm waren nicht viele Menschen unterwegs. An diesem Mittwoch, dem 2. Januar 1963, hatten die meisten Menschen noch Urlaub, Schulen und Behörden waren geschlossen.
Da er jede Menge Zeit hatte - er ging ohnehin nicht davon aus, dass in dieser ersten Woche des Jahres allzu viel los sein würde -, bummelte er gemächlich die Straße entlang, stoppte an einer Bar und trank einen Schwarzen an der Theke. Als er wieder durch die Glastür nach draußen trat, hatte es angefangen zu schneien. Grummelnd zog er den Schal enger und stellte den Mantelkragen auf. Solange sein Weg unter den Arkadenbögen auf dem Corso entlangführte, konnte ihm das Wetter gleichgültig sein. Aber spätestens ab dem Siegesdenkmal, diesem Schandmal, das längst nicht nur den Südtirolerinnen und Südtirolern ein Dorn im Auge war, würde er sich dem Schnee ausgesetzt sehen. Warum hatte er vorhin keinen Schirm mitgenommen?
Kurz hielt er inne und überlegte, ob er zurück zu seiner Wohnung gehen sollte. Aber dann schritt er zügig voran. In Wahrheit suchte er vielleicht nur einen Grund, noch etwas später an seinem Arbeitsplatz einzutreffen. Der Ort, an dem er wieder die Probleme anderer Leute lösen und freundlich zu seinen Mitmenschen sein musste. Letzteres war stets der schwierigere Teil. Vor allem, wenn er längere Zeit allein gewesen war. Am Silvesterabend war er mit seiner Tante Hedwig zum Essen ausgegangen, aber davon abgesehen hatte er seit Tagen keinen Kontakt mit seiner Umgebung gehabt, der über ein Buongiorno oder Grazie im Tabakladen hinausging.
Und dann war da noch die Sache mit dieser Mara Oberhöller, die er klären musste. Seiner »Praktikantin«, wie Questore Bruno Visconti sie bezeichnet hatte. Eine Tätigkeit, die bedeutete, dass sie ihm auf Schritt und Tritt folgen und sich sogar in seine Ermittlungen einmischen durfte.
Tasso schickte ein kurzes Stoßgebet an seine Schutzheiligen Santo Pietro e Santo Paolo, dass es in den verbleibenden Wochen von Signorina Oberhöllers Anwesenheit keine großen Vorfälle oder gar gefährliche Einsätze gab. Wenn es nach ihm ginge, sollte diese unerfahrene Frau im Archiv Akten sortieren oder andere Tätigkeiten erledigen, bei denen sie nicht der Gefahr ausgesetzt war, erschossen zu werden. Als sie kurz vor Weihnachten gemeinsam rund um den Mord an dem Maler Carlo Colori ermittelt hatten, war sie dieser Möglichkeit entsetzlich nahegekommen.
Nicht auszudenken, wenn . Nein, einfach nicht weiter darüber nachgrübeln.
Es war alles gut gegangen.
Der Schneefall wurde immer stärker. Als Tasso die Questura erreichte, lag bereits ein Fingerbreit auf den geräumten Wegen und Straßen und schmolz nicht mehr weg. Rasch stieß er die Tür auf und begab sich über die Treppe ins zweite Stockwerk, wo in einem Großraumbüro sein Schreibtisch auf ihn wartete. Um fünf Minuten vor neun klopfte er den Schnee von Mantel und Hut und hängte beides samt Schal an den Garderobenständer. Weitere Kleidungsstücke tropften dort bereits vor sich hin. Jenseits des Ständers winkte sein Schreibtischnachbar Valerio Amirante ihm einen lässigen Gruß zu. Der Nachbar auf der anderen Seite war noch im Weihnachtsurlaub.
Tasso ging in die Küche und stellte den Wasserboiler an. Er wartete, bis der Kaffee durch den Porzellanfilter gelaufen war, und nahm die Kanne sowie zwei Becher mit. In seinen gab er einen großzügigen Schluck Milch.
Er saß bereits wieder an seinem Schreibtisch und wollte gerade die braune Pappmappe aufschlagen, die ihm jemand bereitgelegt hatte, da stürmte Mara Oberhöller außer Atem auf ihn zu.
»Tut mir leid, Scusatemi, Tasso, dieses Mistwetter, der Schnee hat mich auf der Hinfahrt völlig überrascht und .« Wassertropfen sprühten zu allen Seiten, als sie die Mütze abnahm.
Hastig klappte Tasso die Mappe zu, damit die Papiere nicht nass wurden. »Buongiorno, Signorina Oberhöller e buon anno. Haben Sie schön gefeiert?« Sollte noch einmal jemand zu ihm sagen, er wäre unhöflich.
Mara grinste verlegen. Schweigend zog sie den Mantel aus und hängte ihn neben Tassos. Sie trug eine schwarze Stoffhose und einen dicken blassgelben Rollkragenpullover, der farblich mit ihren blonden Haaren harmonierte.
»Kaffee?« Tasso hob die Kanne.
»Sehr gern. Danke.« Falls sie sich wunderte, dass er den Kaffee bereits zubereitet hatte, ließ sie es sich nicht anmerken. Was war schon dabei? Wenn sie erst ihr nutzloses Praktikum beendet hatte, musste er das ohnehin wieder selbst erledigen.
Mara stellte ihre Handtasche neben den Stuhl. Aus den Ausbeulungen schloss Tasso, dass seine Praktikantin auch dieses Mal wieder ihre Kamera mitschleppte.
Tasso füllte beide Becher, stellte seinen neben sich ab und klopfte auf die Pappmappe. »Dass wir uns nicht falsch verstehen, Signorina Oberhöller: Es wird keine weiteren Einsätze wie in Brixen geben. Sie werden nicht mehr auf Verbrecherjagd gehen. Sie sind dafür nicht ausgebildet, und deshalb ist so was viel zu gefährlich. Haben wir uns da verstanden?«
Sie nickte eifrig und zog ihren Becher zu sich heran. »Voll und ganz. Das ist auch in meinem Sinne. Ich mache gern Innendienst. Oder schaue dem Polizeizeichner über die Schultern. Oder gehe einem Handtaschendiebstahl nach. Was immer sich ergibt. Aber nein, mein Bedarf an Mord und Totschlag ist gedeckt.«
»Wie? Heißt das, Sie haben Ihre Pläne für das Jurastudium aufgegeben?«
»Das nicht. Aber das ist ein weites Feld. Zwischen der Jagd auf einen Mörder und der theoretischen Analyse, welches Strafmaß für einen Mord angemessen wäre, besteht doch ein erheblicher Unterschied. Besser gesagt ist es wenig wahrscheinlich, während Letzterer in die Mündung einer Pistole zu schauen.« Sie hielt mit einem erschrockenen Gesichtsausdruck inne. »Ich hoffe, das war nicht zu offen gesprochen. Das sollte kein Vorwurf sein. Es war ja meine Entscheidung, mitzukommen.«
Erstaunt spürte Tasso, dass ein Lächeln seine Mundwinkel hob. »Va bene. Innendienst, Taschendiebstahl - das ist ganz in meinem Sinne. Dann lassen Sie uns nachsehen, ob wir etwas für Sie zu tun finden.«
Er schlug die Mappe auf. »Das hier sind Vorgänge, die in den letzten Tagen eingegangen sind. Hier haben wir zum Beispiel .« Er trank einen Schluck. »Was ist das denn!« Gerade noch rechtzeitig wandte er sich nach links und spuckte den Kaffee in hohem Bogen aus.
Mara nippte an ihrem Kaffee. »So schlimm ist der doch gar nicht.«
Tasso riss ein Stofftuch aus seiner Hosentasche und wischte sich über den Mund. Er betrachtete die hellbraune Flüssigkeit in seinem Becher. Weiße Flocken schwammen darin. Argwöhnisch schnüffelte er. »Die Milch ist sauer.«
»Die hat vermutlich jemand über die Feiertage stehen lassen. Ich hole Ihnen einen neuen Becher.«
»Nicht nötig.« Er stellte den Becher möglichst weit weg an die Schreibtischkante. »Ohne Milch trinke ich dieses gefilterte Zeug nicht.«
Mara nickte mitfühlend.
Er unterdrückte einen Fluch, wandte sich wieder den Unterlagen zu und entnahm der Mappe zwei Protokollbögen, die er seiner Praktikantin zuschob. »Ich hätte zwei Aufgaben für Sie. Besser gesagt ist es ein und dieselbe Aufgabe, nämlich die Befragung der Personen, die diese Anzeige erstattet haben. Nur die Vorgänge sind andere. Zum einen handelt es sich um den Diebstahl eines Kartons Panettone, der aus einer Konditorei verschwunden ist. Und zum Zweiten wurden im Magazin der Stadtreinigung eine Handkarre und zwei Overalls gestohlen. Fahren Sie zu den Tatorten und machen Sie sich ein Bild.«
Mara nahm die Protokolle entgegen. »Panettone? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.«
»Mögen Sie keinen?«
»Nein, ganz und gar nicht.« Sie lachte auf. »Ich meine jedoch eher diese Anzeige. Eine Kiste Kuchen. Wie viele Pakete mögen da drin sein? Fünf? Zehn? Klingt das nicht vielmehr nach einem Lausbubenstreich?«
Tasso verschränkte die Hände und lehnte sich vor. »Wir müssen dem trotzdem nachgehen. Aber ja. Ich vermute sogar, dass der Bäckergeselle oder eine Verkäuferin den Karton im Trubel des Weihnachtsgeschäftes irgendwo hingestellt und vergessen hat. Und da steht er jetzt und wartet auf ihre Wiederentdeckung. Das ist Ihre Gelegenheit, Signorina Oberhöller! Lassen Sie Ihren detektivischen Spürsinn walten.«
»Und dann werde ich in die Annalen der polizia di stato eingehen. Als Die Frau, die den Kuchen wiederfand.«
»Wenn kommende Woche so wenig los ist wie jedes Jahr um diese Zeit, könnten Sie es damit in die Zeitungen schaffen.« Er hob den Zeigefinger. »Und das meine ich jetzt durchaus ernst.«
»Also gut. Sie haben mich überzeugt.« Sie stand auf und faltete die beiden Papierbögen. »Kann ich die mitnehmen?«
»Machen Sie sich besser je eine Kopie.«
»Capito. Ich werde erst in die Stadt gehen und dann zur Stadtreinigung. Das...
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