Schweitzer Fachinformationen
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Verschneite Berghänge. Dampfende Knödel. Holzskier an der Wand. Und eine Leiche im Hotel
Südtirol, 1962: Eigentlich hat Commissario Aurelio Tasso sich nur nach Bozen versetzen lassen, um einem alten Kollegen einen Gefallen zu tun. Obwohl er keinen Schnee mag. Aber wenigstens gibt es in Südtirol ausgezeichnetes Essen, vor allem Knödel. Dagegen wenige Verbrechen. Dachte er. Denn dass der Maler Carlo Colori erschlagen im Hotel Bellevue in Meran liegt, sieht nicht nach einem Unfall aus. Seine Ermittlungen führen Tasso weiter ins mondäne Cortina d'Ampezzo. Dort wird eine zweite Leiche aus dem nahen Misurinasee gefischt. Gibt es eine Verbindung zwischen den Toten?
»Buongiorno, Signor Commissario!«
»Buongiorno!«
»Buongiorno, Aurelio.«
»Grüß Gott, Herr Kommissar.«
»Guten Morgen!«
»Buongiorno, buongiorno.«
Commissario Aurelio Tasso durchquerte die Büroetage mit langen Schritten, nickte dabei freundlich in alle Richtungen und erwiderte die Grüße jeweils auf Italienisch oder Deutsch. Wenn die Anzahl der Menschen, die ihn an diesem sonnigen Wintermorgen grüßten, ein Indikator dafür war, wie beliebt er war, dann mussten seine Kollegen ihn wirklich sehr mögen. Er hatte allerdings den starken Verdacht, dass die ihm entgegenbrachte Aufmerksamkeit vielmehr mit seiner Suche nach einem neuen Mitarbeiter zu tun hatte. Sein langjähriger treuer Begleiter Ispettore Johann Vierweger hatte sich im Oktober in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet. Seither hatte Tasso sich immer noch nicht für einen Nachfolger entscheiden können.
An seinem Schreibtisch angelangt, zog er sich gemächlich Mantel und Hut aus und versuchte, mit beiden Händen die dunklen Locken zu glätten - wie immer vergeblich. Kaum hatte er das Pistolenholster über die Stuhllehne gehängt und sich gesetzt, als das Telefon klingelte.
»Buongiorno, Signor Commissario. Der Questore wünscht Sie augenblicklich zu sprechen.«
»Ich komme sofort. Danke, Signorina Rosso.«
Seufzend stemmte er sich wieder aus dem viel zu bequemen Drehstuhl und nahm die hintere Treppe, die vom zweiten Stock hoch ins dritte Geschoss führte. Dort erwartete ihn ein langer grauer Gang, den Neonröhren in ein fahlgelbes Licht tauchten. Das Brummen der Lampen war das einzige Geräusch, Tassos Schritte wurden vom nagelneuen federnden Linoleumboden gänzlich verschluckt.
Er passierte einige Türen und klopfte an einer mit der Aufschrift:
Dottore Bruno Visconti, Questore
Vorzimmer Alessia Rosso, Segretaria
Er betrat den Raum, ohne auf eine Antwort zu warten, schließlich war er einbestellt.
Signorina Rosso saß hinter ihrem Schreibtisch, tippte in atemberaubender Geschwindigkeit auf einer schwarzen Schreibmaschine und schaute nur mit einem kurzen Lächeln auf. »Gehen Sie durch, Signor Commissario.«
Er richtete seinen Hemdkragen und den Krawattenknoten, bevor er sich zu einer weiteren Tür rechts wandte, klopfte und abermals sofort eintrat. Strahlender Sonnenschein empfing ihn, der durch ein großes Fenster zu seiner Linken fiel. Questore Bruno Visconti war ein Mann in den Fünfzigern mit vollem grauen Haar und einem gewaltigen Schnurrbart. Er saß hinter einem mächtigen Schreibtisch aus Mahagoniholz, blätterte eine Unterschriftenmappe durch und zeichnete in einem Tempo, das dem seiner Sekretärin in nichts nachstand, Dokumente ab.
»Buongiorno, Bruno. Du wolltest mich sprechen.« Tasso trat heran und streckte seinem Gegenüber die Hand entgegen.
Bruno Visconti klappte die Mappe zu, schloss seinen Füller und legte ihn auf eine lederne Ablage. Dann schüttelten sie einander herzlich die Hände.
»So ist es. Setz dich, Aurelio.« Er beugte sich vor und legte die Handflächen aneinander.
Tasso ließ sich Zeit damit, den chromfarbenen Schwingstuhl heranzuziehen und sich niederzulassen. Beiläufig glitt sein Blick über die italienische Flagge links neben dem Questore. Oberhalb seines Kopfs prangte goldgerahmt die Doktorurkunde. Rechts stand eine Garderobe mit Mantel, Hut und Krücken. Dem aufmerksamen Betrachter fielen außerdem zwei Ledermanschetten für die Hände ins Auge, die an einem Kleiderhaken baumelten.
Da Bruno immer noch nichts sagte, wusste Tasso, dass es unangenehm werden würde. Besser, sie brachten es hinter sich. »Um was geht es, wenn ich fragen darf?«
»Dein Assistent Vierweger ist seit Oktober im Ruhestand, wenn ich mich nicht irre?«
»Das ist korrekt.«
»Hast du dich schon für einen neuen Kollegen entschieden? Wir haben einige tüchtige Anwärter da unten sitzen.« Mit unten meinte er die Büroetage ein Stockwerk unter ihnen.
»Das stimmt. Nein, noch nicht. Diese Wahl fällt mir nicht leicht.« So etwas wollte sorgsam abgewogen werden. Schließlich würde er es mit dem Mann, für den er sich entschied, einige Jahre aushalten müssen. Oder der mit ihm. Das war eine Frage des Standpunkts. Tasso machte sich da nichts vor. Bis er mit Vierweger klargekommen war, hatte es beinahe ein Jahr gebraucht, was allerdings auch dem Umstand geschuldet war, dass der Ispettore ein breitschultriger Riese war und bei manchen Gelegenheiten für den Ranghöheren gehalten wurde. Tasso war keineswegs schmächtig, aber wie viele Süditaliener etwas kleiner als die Menschen im Norden des Landes. In Begleitung von Vierweger nahm er sich jedenfalls wie David neben Goliath aus. Mit der Zeit hatte er gelernt, fehlende Körpergröße durch forsches und resolutes Auftreten wettzumachen. Das entsprach nicht ganz seinem Naturell, war aber häufig sinnvoll, um bei seinen Gegenübern und gerade in Verhören den nötigen Respekt zu erzeugen. Und es funktionierte.
Bruno lächelte, als könne er Gedanken lesen. »Die Position ist begehrt, weil du einer der erfolgreichsten Ermittler bist. Und das, obwohl du nicht gerade den Ruf hast, umgänglich zu sein.«
Tasso brummte argwöhnisch. So ließ sich seine Wirkung auf andere auch umschreiben.
»Nun, ich werde dir - zumindest vorläufig - die Entscheidung abnehmen. Der Bürgermeister von Meran hat mich gebeten, seinen Nachwuchs unter die Fittiche zu nehmen. Für ein Praktikum, wie er es nennt. Es geht darum, Erfahrungen zu sammeln und einen Einblick in die tägliche Polizeiarbeit zu bekommen. Und da dachte ich an dich. Die Weihnachtszeit und der Januar sind in der Regel eher beschaulich, da kann nicht viel passieren.«
»Ich soll also ein . ein Kind mit zum Dienst nehmen?«
»Es ist ja nur für sechs Wochen.«
Tasso lehnte sich zurück und verschränkte abwehrend die Arme. »Das ist nicht dein Ernst!«
Bruno warf ungehalten die Hände in die Höhe. »Wenn du es nicht freiwillig machst, werde ich es anordnen. Eigentlich haben wir in dieser Sache keine Wahl, weißt du?«
»Du meinst, ich habe keine Wahl. Du musst ja nicht mit dem Balg herumlaufen.« Tasso verstummte erschrocken und senkte reumütig den Kopf.
Dennoch hatte er gesehen, dass sich die Miene seines alten Weggefährten für einen Sekundenbruchteil verzogen hatte. Bruno Visconti war gekränkt. Sehnsucht wallte soeben in ihm auf, das wusste Tasso. Er hätte das nicht so sagen dürfen, denn der Questore würde nichts lieber tun als das: herumzulaufen, wenn es sein musste, sogar mit einem vorlauten Bürgermeisterspross an den Hacken. Leicht gesagt, denn mit nur einem Bein lief es sich auf Dauer nicht so gut. Das machte ihn zu einem ausgezeichneten Innendienstmitarbeiter, vermutlich einem der besten, den die Polizia di Stato seit dem Krieg vorzuweisen hatte. Nur dass es eben nicht Brunos freiwillige Entscheidung gewesen war, sondern den Umständen geschuldet.
»Scusi, caro amico. Ich hab's nicht so gemeint. Ich mach das natürlich. Wann und wo soll ich den Bengel einsammeln?«
Versöhnt strahlte Bruno über das ganze Gesicht. »Ich habe gewusst, dass du Ja sagst. Mara Oberhöller sollte inzwischen bei Alessia im Vorzimmer warten. Du kannst sie sofort mitnehmen und ihr deine heutigen Aufgaben erklären.«
Tasso riss die Augen auf. »Mara? Das ist ein Mädchen!«
»Sie ist zweiundzwanzig, also großjährig. Aber ja, eine fesche Signorina.« Er zwinkerte. »Die wird deine grantige Erscheinung gehörig aufwerten.«
Tasso war zu entsetzt, um darauf etwas zu erwidern. Er hatte bisher keine guten Erfahrungen mit Anwärtern gemacht. Die waren so unselbständig, andauernd musste er ihnen sagen, was sie tun sollten. Und jetzt auch noch so eine verwöhnte junge Frau aus gehobenem Haus? Dazu ein halbes Kind? Großjährig mochte sie sein, aber nur knapp. Er räusperte sich mehrfach, brachte aber kein Wort hervor.
Bruno erlöste ihn. »Bevor du gehst, verrat mir noch, wie der Einsatz in Lana gelaufen ist. Ihr habt gestern Abend eine Razzia auf einem Bauernhof durchgeführt, richtig? Ich warte noch auf den offiziellen Bericht.«
Der in diesem Fall nicht von dem abweichen würde, was Tasso zu sagen hatte: »Wir waren erfolgreich. Nach der Anzeige einer Gastwirtin aus Meran haben wir gestern insgesamt sechs junge Männer verhaftet, die sich auf dem Hof konspirativ versammelt hatten. Sie werden aufrührerischer Straftaten verdächtigt. Wir hatten nach der Aussage der Wirtin vermutet, dass ein Anschlag mit Farbe geplant war, und es sieht ganz danach aus, dass wir damit richtig lagen. Die Gruppe wollte vermutlich Heldendenkmäler beschmieren und verunglimpfen, um damit das Gedenken Italiens in den Schmutz zu ziehen. Sie werden zurzeit vernommen.«
Was Tasso dabei verschwieg, war sein Bauchgefühl, und das würde auch in keinem Bericht auftauchen. Irgendetwas stimmte bei dieser Angelegenheit nicht, es fiel ihm nur schwer, den Finger darauf zu legen. Diese Männer hätten, so die Wirtin, beim Essen mehrfach von Farbe gesprochen und dass sie etwas Verbotenes planten, von dem die Polizei nichts wissen durfte. Und da wäre es schon ein außerordentlicher Zufall, wenn zum gleichen Zeitpunkt bei einer Gruppe, die die Behörden bereits im Visier hatten, eimerweise Farbe auftauchte. Angeblich, um eine Scheune zu streichen....
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