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Am folgenden Morgen traf der kleine Buddha die üblichen Reisevorbereitungen. Er wusch seine alte Umhängetasche, füllte seine Trinkflasche mit frischem Wasser und kehrte gründlich unter seinem Baum, damit er alles sauber zurücklassen konnte. Als er fertig war, setzte er sich auf den flachen Stein und überlegte, in welche Richtung er gehen sollte. Insgeheim hoffte er auf irgendein Zeichen, das ihm den Weg weisen würde - ein Windstoß, ein vorbeigleitender Vogel, das Funkeln eines Sonnenstrahls. Eine plötzliche Eingebung, die sagte: "Dort entlang!" Doch ein klares Zeichen blieb vorerst aus. Also schloss der kleine Buddha die Augen, beobachtete gleichmütig seinen Atem und wartete.
Bald schlichen sich zahlreiche Gedanken ein. Er fragte sich, an welchen Orten er wohl am ehesten Menschen treffen würde, die etwas über Frieden zu sagen hätten? Vielleicht sollte er wieder in die Berge gehen, denn umgeben von den hohen Gipfeln hatte er eine unglaubliche Ruhe erlebt. Aber wenn er in die Berge reisen würde, käme er näher an den Krieg heran. Also vielleicht doch besser wieder ans Meer? Kurz darauf fiel ihm ein, dass er zuvor noch etwas Proviant bei seinem Freund, dem Bauern, besorgen musste. Dann, wie aus dem Nichts, eine Stimme:
"Hallo?"
Der kleine Buddha zuckte zusammen und riss die Augen auf.
"Entschuldigung, wo geht es zur großen Stadt?"
Vor ihm stand ein Mann mittleren Alters mit wilden, extrem buschigen Augenbrauen und einem großen, grünen Koffer, den er neben sich abstellte.
"Wie bitte?"
"Zur großen Stadt! In welche Richtung?"
Der kleine Buddha wandte sich nach links und zeigte auf den Weg.
"Immer geradeaus."
"Danke", sagte der Mann und griff entschlossen nach seinem Koffer.
"Warum willst du denn in die große Stadt?", hakte der kleine Buddha nach. Er war wie immer neugierig.
Der Mann zögerte, dann ließ er den Koffer wieder los, setzte sich auf dessen Kante und verkündete stolz:
"Weil ich auf der Suche bin."
"Auf der Suche?"
"Ja. Ich suche den perfekten Ort!"
Einen Moment lang sahen sich die beiden schweigend an. Dann sah der Mann in die Richtung, in die der kleine Buddha kurz zuvor gezeigt hatte. Sein suchender Blick strahlte Nervosität und Ruhelosigkeit aus.
"Und du glaubst, die große Stadt könnte der perfekte Ort sein?"
"Das weiß ich nicht", sagte der Mann mit einem Schulterzucken. "Deswegen muss ich hin - um es herauszufinden."
Der kleine Buddha nickte. Er fand, dass es eine gute Idee war, den eigenen Fragen nachzugehen und zu erkunden, welche Antworten es darauf gab. Aus demselben Grund wollte er seine Friedensreise machen.
"Warst du schon mal in der großen Stadt?", erkundigte sich der Mann.
"Ja."
"Und?"
Der kleine Buddha schloss die Augen und wühlte in seinen Erinnerungen.
"Ich mag die Stadt. Sie ist bunt und aufregend und steckt voller Möglichkeiten." Dann öffnete er die Augen wieder. "Aber sie ist auch laut und anstrengend."
Der Besucher rümpfte die Nase.
"Laut und anstrengend ...", flüsterte er zu sich selbst. "Das hört sich nicht sehr vielversprechend an."
"Oh, das tut mir leid", sagte der kleine Buddha sogleich, "ich wollte dir nicht die Hoffnung rauben."
"Ach", seufzte der Mann, "die Hoffnung habe ich sowieso schon längst verloren."
"Wirklich? Und warum suchst du trotzdem weiter?"
Der Mann ließ den Kopf hängen, doch schon im nächsten Augenblick nahm er wieder eine aufrechte, sich selbst ermutigende Haltung ein.
"Es stimmt, dass ich nicht mehr viel Hoffnung habe, aber ich bin weiterhin felsenfest davon überzeugt, dass es den perfekten Ort geben muss!" Er atmete tief ein, als würde ihn die frische Luft vor weiteren Zweifeln schützen, aber kaum hatte er ausgeatmet, sackte er schon wieder kraftlos in sich zusammen. "Ich weiß nur nicht, wo ich diesen Ort finden soll", klagte er und fügte hinzu: "Ich werde nicht aufgeben, aber die Suche gestaltet sich äußerst mühselig."
Der kleine Buddha wusste nicht so recht, was er von den Worten seines Gegenübers halten sollte. War es gesund, trotz Misserfolgen ewig an einer Überzeugung festzuhalten? Gleichzeitig bewunderte er die Hartnäckigkeit des Mannes. Er überlegte, ob er ihm vielleicht irgendwie helfen konnte.
In seinem bisherigen Leben hatte der kleine Buddha schon oft anderen Menschen helfen können. Meistens passierte das, indem er zuhörte oder mitanpackte. Manchmal fand sich die Lösung auch anhand einer passenden Geschichte, die er zu erzählen wusste, denn in Geschichten steckte eine ganz besondere Heilkraft, die direkt die Herzen der Menschen erreichte. Dieses Mal entschied sich der kleine Buddha jedoch für eine ganz andere, von ihm aber mindestens genauso geschätzte Art der Hilfe: dem Fragenstellen!
"Was glaubst du, wieso du den perfekten Ort bisher nicht gefunden hast?"
"Ich hatte einfach noch kein Glück", kam die rasche Antwort.
"Aha", erwiderte der kleine Buddha skeptisch. "Also ist nur das fehlende Glück schuld?"
Der Mann wollte erneut schnell antworten, hielt dann aber inne und zupfte nachdenklich an seinen Augenbrauen herum. Es waren die buschigsten Augenbrauen, die der kleine Buddha je gesehen hatte.
"Vielleicht liegt es auch an meinen Erwartungen", sagte der Mann nach einer Weile. "Für mich muss immer alles perfekt sein, sonst bin ich nicht zufrieden."
"Und woher weißt du, wann ein Ort perfekt ist?"
"Das ist doch klar", sagte der Perfektionist. "Ein Ort ist dann perfekt, wenn ich mich an ihm immer wohlfühle."
Der kleine Buddha schaute ihn verwundert an. Er wollte ihn eigentlich fragen, ob er glaubte, dass es überhaupt möglich war, sich an einem Ort immer wohlzufühlen. Stets glücklich sein - ging das überhaupt? Und war das wirklich nötig? Aber er wollte den armen Mann nicht schon wieder verunsichern.
"Was war denn mit den Orten, an denen du bisher warst, nicht in Ordnung?"
Der Mann reagierte mit einem weiteren Seufzer.
"Zu Beginn ist immer alles gut, dann sehe ich nur die schönen Seiten des neuen Ortes und empfinde ein Gefühl der Erfüllung, so, als wäre ich endlich angekommen. Doch nach einer gewissen Zeit komme ich immer an diesen Punkt ." Er rutschte unruhig auf seinem Koffer hin und her. ". an dem ich merke, dass mich etwas stört."
"Und was?"
"Häuser, die zu klein oder zu groß sind, zu wenige Straßen oder fehlendes Grün, eine Landschaft, die zu bergig oder zu flach ist. Das Wetter ist auch oft ein Problem, es ist zu kalt oder zu warm, zu feucht oder zu trocken. Und dann natürlich die Menschen! Entweder gibt es zu viele oder zu wenige, entweder sind sie zu ruhig oder zu laut, zu brav oder zu aufsässig. Kurzum: Irgendein Problem taucht leider immer auf."
Nun war es der kleine Buddha, der einen Seufzer ausstieß. Vielleicht war es doch nicht möglich, dem Mann zu helfen.
"Glaubst du denn wirklich", fragte er vorsichtig, "dass es einen Ort gibt, an dem dich rein gar nichts stört?"
Der Perfektionist sah ihn mit ernster Miene an. Wie vermutet, war das nicht die Frage, die er hatte hören wollen.
"Und selbst wenn ein solcher Ort existieren würde", fuhr der kleine Buddha fort, "ist die Welt doch viel zu groß. Du könntest dein ganzes Leben lang suchen, ohne diesen Ort je zu finden."
Aber der Mann dachte gar nicht daran, von seiner Idee abzulassen.
"Und wenn ich in jeden Winkel dieser Welt reisen muss, ich werde es schaffen", zischte er leise. "Ich werde es schaffen ..."
Es war vergebens, dachte der kleine Buddha. Der Mann war besessen von der Suche nach dem perfekten Ort - einer Suche, die von vorneherein zum Scheitern verurteilt war. Denn war es nicht völlig absurd, anzunehmen, es könnte einen perfekten Ort geben? Sowohl Menschen als auch Orte änderten sich ständig. Situationen, Gefühle, Gedanken, alles war in konstanter Bewegung. Wenn überhaupt irgendetwas perfekt sein konnte, dann nur ein einzelner Moment. Oder mehrere perfekte Momente hintereinander. Aber immer alles wunderbar? Nie ein Konflikt, nie ein schlechter Tag? Das war schlicht unmöglich. Es gab keinen perfekten Ort, genauso wie es keine perfekte Arbeit und keinen perfekten Partner gab.
Der kleine Buddha wusste jedoch, dass es zwecklos war, zu versuchen, den Perfektionisten mit Worten zu überzeugen. Solange dieser glaubte, ein Ort ohne Probleme würde wirklich irgendwo existieren, solange waren seine Worte machtlos. Einzig das Leben konnte ihn eines Besseren belehren.
"Wer weiß", sagte der kleine Buddha schließlich, "vielleicht hast du ja tatsächlich Glück und wirst in der großen Stadt das finden, was du suchst."
Der Mann hörte allerdings schon gar nicht mehr richtig zu und ließ stattdessen seinen Blick prüfend umherwandern.
"Ich muss stets achtsam sein ..."
Er zögerte, dann schaute er dem kleinen Buddha direkt in die Augen.
"Der perfekte Ort könnte überall sein", sagte er, die Stirn von Sorgenfalten überzogen. "Stell dir vor, er läge direkt vor mir und ich würde ihn nicht bemerken!"
Der kleine Buddha begann zu lächeln.
"Ja, vielleicht ist er genau hier, wo wir jetzt gerade sitzen."
Wenig später war der Mann weitergezogen. Der kleine Buddha saß alleine unter dem Bodhi-Baum und dachte über das seltsame Leben des Perfektionisten nach. Wie frustrierend und kräftezehrend es sein musste, sich immer auf der Suche zu...
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