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Die Lage, in der sich die SPD Ende 2024 in der Ampel-Regierung befindet, gleicht der, die sie in den vielen Jahren der Großen Koalition unter Angela Merkel für sich durchlitten hat. Obgleich die Partei in den Koalitionsverhandlungen 2021 für sich jeweils sowohl inhaltlich als auch bei den Ressorts klare Erfolge erzielt hatte, konnte sie bei der überwiegend bundespolitisch motivierten Europawahl im Juni 2024 ihr schlechtes Ergebnis von der vorherigen Wahl 2019 lediglich halten - 2019 und 2024 waren es die jeweils historisch schlechtesten Ergebnisse bei einer bei der Bundestagswahl und einer Europawahl, die die SPD bis dato erzielt hatte. Und auch die Umfragen zeigen: Die SPD verharrt in einem schmalen Korridor um mittlerweile nur 15 Prozent.
Wenn wir also eine Analyse über die SPD in der Ampel verfassen wollen, dürfen wir auf einer ersten Ebene nicht außer Acht lassen, dass es sehr wohl strukturelle Eigentümlichkeiten zu geben scheint, die eine langfristige Schwäche der Sozialdemokratie auf den deutschen Wählermärkten erzeugen. Diese Entwicklung steht in einem Kontrast zur regionalen Dominanz der SPD auf der Länderebene, die zeigt, dass die SPD sehr wohl mehrheitsfähig ist. Doch dies lässt den Schluss zu, dass darüber ein strategischer Vormarsch der Sozialdemokratie zu erwarten ist. Auch dafür sind dieser Zustand und die damit bestehende Diskrepanz zwischen den unterschiedlichen Ebenen zu beständig. Die Partei sieht sich dabei unterschiedlichen Ebenen der politischen Auseinandersetzungen gegenüber. Über die Frage des »richtigen« Wegs der inhaltlichen Positionierung der SPD gibt es in der Partei unterschiedliche Auffassungen, die früher durch starke Parteiflügel repräsentiert wurden. Heute kann man eher von unterschiedlichen Faktionen sprechen, auch wenn die unterschiedlichen Flügel organisatorisch weiterbestehen. Sie stellen aktuell aber keine prägenden Kraftzentren mehr dar.
Die zweite Ebene stellen Konflikte innerhalb des Parteiensystems dar. Dabei geht es um die Positionierung der SPD im Vergleich zu ihren aktuellen Koalitionspartnern und gegenüber der Opposition. Auch hier führen neue Player zu einer Drucksituation für die Sozialdemokratie. Durch die Zunahme an internationalen Konflikten und die Rückkehr des Krieges nach Europa kommen die Konflikte innerhalb der außenpolitischen Bündnisse ebenfalls wieder stark zum Tragen - sie bilden die dritte Ebene der politischen Auseinandersetzung.
Abbildung 1: Ebenen der politischen Auseinandersetzung
Quelle: Eigene Darstellung
Der Schlüssel zum Verständnis dieser komplexen Lage für die SPD liegt in einem langen Überwindungsweg der zehn Jahre »Dritter Weg«-Politik, den die SPD nach dem Regierungswechsel von Helmut Kohl zu Gerhard Schröder zwischen 1999 und 2009 gegangen ist. Viele Vorstöße, die die Partei seitdem gemacht hat, um einen Wechsel von der Agenda-2010-Politik zu dokumentieren, liefen und laufen ins Leere, weil sie sich nicht glaubhaft in einen politischen sozialdemokratischen Deutungsrahmen einfügen lassen oder weil der von den Sozialdemokraten während des besagten Jahrzehnts entwickelte neue Deutungsrahmen von vornherein Misstrauen gegen zahlreiche politische Initiativen der SPD erzeugt hat. Dabei gehen wir von der Annahme aus, dass Politik und politische Maßnahmen von Menschen durch die Einrahmung und Einbettung einzelner politischer Botschaften und Vorkommnisse, aber auch bestimmter Akteure in ein umfassendes Bedeutungsumfeld rezipiert werden. Und darin liegt die Krux für die SPD: Obwohl man eine stärkere Volatilität der Wahlentscheidungen der Menschen beobachten kann, nehmen diese ihre Wahl aufgrund recht stabiler Basisvorstellungen über Parteien vor.
Auch wenn Teile der Parteiführung es immer negiert haben: Über zwanzig Jahre nach dem Schwenk zur Agenda-Politik führte dieser Einschnitt dazu, dass sich Stammwählerscherinnen und -wähler von der SPD abwendeten und die SPD ganze Milieus und Klassen verlor, die sie traditionell repräsentiert hat. Wie stark dieser Vertrauensverlust bis heute wirkt, zeigt eine aktuelle Studie der SPD, die die heutige Arbeiterklasse unter die Lupe nimmt. Diese reagiert mit »Unverständnis und Abgrenzung, wenn der Eindruck besteht, dass andere Gruppen bevorzugt behandelt werden und die eigene Arbeitsleistung nicht gesehen oder nicht gewürdigt wird« (Engels et al. 2024: 48). Spannend ist diese Studie auch wegen der zentralen Ergebnisse, welche Menschen sich der Arbeiterklasse zuordnen. »Fast die Hälfte der Befragten ordnet sich der Arbeiter:innenklasse zu. Den Wandel sieht man auch über die Erwerbsklassen hinweg. Es gibt zwar noch Hochburgen unter den Produktionsarbeitenden und Dienstleistenden, aber es gibt auch hohe Anteile bei anderen Berufsgruppen wie den technischen (Semi-)Expert:innen, Bürokräften und soziokulturellen (Semi-)Expert:innen« (ebd.: 24). Und auch hier gilt, dass es - wenn teilweise auch mit einem sehr national orientierten Einstellungsverhalten verbunden - stabile Einstellungsmuster zur sozialen Sicherung durch die Gesellschaft gibt. Es gibt also in der deutschen Gesellschaft das, was wir in diesem Buch als sozialen Grundkonsens beschreiben - die SPD muss ihn breit aktivieren, um alte und neue Wählerkoalitionen bilden zu können.
Die Erkenntnis, dass der veränderte Rahmen der Erzählung der Sozialdemokratie nicht dazu geeignet ist, dafür notwendiges Vertrauen bei den Menschen zu aktivieren, herrschte innerhalb der Partei vor, als sich 2019 in einer dramatischen Urwahl-Entscheidung Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken als Vorsitzende der SPD durchsetzten, genau 20 Jahre nach dem Aufbruch zum »Dritten Weg« (Giddens 1999) durch das so genannte Schröder-Blair-Papier. Von dieser Niederlage des Parteiestablishments bei der Vorsitzendenwahl bis zur Regierungsbildung der Ampel kann man - übrigens auch und gerade in der Corona-Stabilisierungspolitik - den Versuch erkennen, dass das Parteiestablishment diese Niederlage wettzumachen versucht. Dies erfolgt durch inhaltliche Annäherung durch das Respekt-Motiv des Wahlkampfs auf der einen Seite, aber auch einer erneuten inhaltlichen Verengung der politischen Möglichkeiten durch personelle Entscheidungen auf der anderen Seite. So wurden die scheinbar zu »linken« Vorsitzenden schnell eingehegt, wie sich bei der Wahl der von Olaf Scholz allein vorgenommenen Personalentscheidungen bei den Kabinettsmitgliedern zeigte; es wurden programmatisch einige Anpassungen vorgenommen und mit dem Respekt-Motiv ein erneuerter, vorerst schlüssiges Rahmen sozialdemokratischer Politik entwickelt. Doch diese vermeintliche Erfolgsaufstellung hat in ihrer Anlage schon Probleme, die bei der Performance der gesamten Ampel-Regierung dann negativ auf die SPD zurückfielen.
Inhaltlich zeigte sich, dass der Respekt-Rahmen des Bundestagswahlkampf 2021 nicht nachhaltig genug war. Die Analyse der oben genannten Studie, warum Scholz sich über diesen Begriff der Wählerschaft nähert, ist bestechend. »Menschen sind stolz auf ihre Arbeit, gleichzeitig empfinden vor allem diejenigen Berufsgruppen, die eben das Band am Laufen halten, zu wenig Respekt von Politik und Arbeitgeber:innen für ihre Arbeit zu bekommen« (Engels et al. 2024: 47). Für eine Partei der Arbeit ist Respekt also ein wichtiger Wert. Er scheint uns allerdings insofern problematisch, weil er auf derselben programmatischen Linie zur damaligen neuen Liebe der SPD zur Chancengleichheit als Nachfolge- und Ersatzwert zur Verteilungsgerechtigkeit zu liegen. Aus dem Respekt-Versprechen folgen nämlich keine konkreten Schritte gegen materielle Ungleichheiten. Liest man die aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung genau, so ist dies aber exakt die Erwartung der arbeitenden Menschen an die Politik. Sie fordern zudem einen »grundsätzlichen Wandel der politischen Kommunikation« (ebd.: 47). Beides wurde nicht erfüllt und kann als Glaubwürdigkeitshypothek im Wahlkampf für die SPD in schwierigem Umfeld bei der anstehenden Bundestagswahl gelten.
Ein Blick auf die innenpolitischen Auseinandersetzungen des Jahres 2024 zeigt, dass die SPD in einem Umfeld agiert, bei dem sich die politisch erzeugten Restriktionen für die SPD verheerend auswirken kann. Die Haushaltszwänge betreffen vor allem die Politikbereiche, in denen die SPD sich lange Zeit einen guten Ruf erarbeitet hat. Das sind vor allem die...
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