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Ja, er bewunderte den Mann, der den Stein ins Rollen gebracht hatte. Einen Offizier des britischen Empire in Germanien, der hier in der Gegend von Kalkriese Tausende von römischen Münzen mit seinem Metalldetektor aufgespürt hatte: Spuren vom katastrophalen und mysteriösen Untergang von mehr als drei Legionen eines noch älteren Imperiums. Zweitausend Jahre war das her, fast auf den Tag genau zweitausend Jahre.
Ebi Hopmann fühlte sich nicht wie ein Eindringling im Museum Kalkriese, eher schon wie ein Rammsporn der Wahrheit. Ein graumelierter, kurzgelockter Pensionär von der Porta Westfalica, vom Leben und dem ständigen Kampf um ganze Schiffsladungen von altem Eisen, geschmiedet wie ein römischer Centurio nach zwanzig Dienstjahren - nicht aufzuhalten, wenn der Weg klar war.
Trotzdem fühlte er sich unbehaglich, als er die einst versilberte Eisenmaske hinter Glas im Schimmer des Notlichts betrachtete. Sie hatte seltsam abweisende, fast schon verächtliche Züge. Ein Offizier hatte sie vor gut zweitausend Jahren getragen, einer der vielen Toten vielleicht, aber wahrscheinlich kein einfacher Centurio, sondern ein Präfekt, Tribun, wenn nicht sogar ein Legat von Kaiser Augustus. Und ein anderer Besatzungsoffizier hatte sie zweitausend Jahre später wiedergefunden.
Als die letzten Besuchergruppen den hohen und inzwischen fast dunklen Ausstellungsraum verließen, hatte Hopmann sich wie vereinbart hinter den Stellwänden verborgen. Hier wollte er den Mann treffen, von dem er nur wusste, dass er etwas sehr Großes zum Höhepunkt der Zweitausendjahrfeiern um die Varus-Schlacht plante.
»Ich will gar nicht wissen, was Sie wissen«, hatte Gary H. Waldeck am Telefon mit seinem schweren Akzent gesagt. »Als PR-Manager und vice president bin ich für das Image der Sons of Hermann aus Texas zuständig. Ich zahle Ihnen hunderttausend auf ein Nummernkonto, damit Sie für den Rest des Jubiläumsjahres den Mund halten. Bucks oder Euro, wie Sie wollen. Dafür kein Wort mehr über den unseligen römischen Statthalter Varus, keine E-Mails und keine Interviews mit Zeitungen oder Fernsehsendern zum Thema Varus-Schatz.«
Hopmann kannte den Mann nicht, hatte ihn nie gesehen. Er wusste nur, dass er als Erkennungszeichen ein Büschel blonder Haare am Handgelenk tragen wollte. Und dass er ebenfalls das Buch des englischen Majors Tony Clunn über die Münzfunde nördlich von Osnabrück gelesen hatte.
»Ich glaube, ich weiß jetzt, was mit Varus' Schatztruhen geschehen ist«, hieß es auf Seite 245, »und ich denke, ich weiß, wo sich einige von ihnen zu diesem Zeitpunkt befinden und wie sie dort hingekommen sind.«
Die Klimaanlage war längst abgestellt und es war schwül im großen Ausstellungssaal. Dennoch fröstelte Hopmann im unwirklichen Schimmer der Notbeleuchtung.
Er starrte auf die wenige Schritte entfernte Maske mit der strengen Mundöffnung und den herablassend wirkenden Augenschlitzen. Wenn diese Maske typisch für die römischen Kulturbringer gewesen war, hätten die Verehrer von Arminius sogar recht mit ihrem Loblied auf die heldenhafte Strategie und den Todesmut der damaligen Germanen.
Aber es stimmte nicht.
Das für Germanen wunderbare Märchen vom ahnungslos durch die Wälder Germaniens tappenden Dummkopf Varus und einem genialen, alle Stämme vereinigenden Cheruskerfürsten Arminius stimmte nicht. Die Katastrophe im Teutoburger Wald musste völlig anders verlaufen sein, als sie von der römischen Propaganda gleich nach dem Schock und auch noch Jahrzehnte später immer weiter ausgemalt worden war. Aber noch immer stritten sich die Wissenschaftler und Lokalpatrioten nur um den Ort der rätselhaften Schlacht. Und nur ein einziges Mal hatte der Chefreporter eines Boulevardblattes ebenfalls den Hinweis aus dem Buch von Major Tony Clunn aufgegriffen. Das war vor genau vier Wochen gewesen.
»Wo ist der Varus-Schatz?«, hatte die in Köln erscheinende CENT reißerisch getitelt. »Was weiß die Kanzlerin als Schirmherrin der Jubiläums-Veranstaltungen?«
Hopmann hatte ein Gespür für Geschäfte und Projekte, die aus dem Ruder liefen. Und er besaß etwas, von dem bisher kaum jemand sonst etwas wissen konnte. Er tastete nach dem großen Kieselstein in seiner Jackentasche. Er war wie vom Bachwasser glattgeschliffen und auf der gewölbten Seite ein wenig geriffelt. Es war dieser Stein, den er in einem verwilderten Hangwald bei Detmold gefunden hatte und der ihm längst den Schlaf raubte. Er hatte herausgefunden, von wem das alte, in Öl gemalte Bild der Villa mit dem quadratischen Turm und den paar Großbuchstaben darunter stammten. Die Spur führte von Rom nach Detmold.
Er hatte lange nachgedacht, viele Nächte recherchiert, ein Foto seines Steins verschickt und sogar in Berlin nachgefragt. Das Kanzleramt hatte ihn an das Bundespresseamt verwiesen. Dort hatte ihn keiner so recht ernst genommen. Ein Spinner, Römerfreund, einer der üblichen Verschwörungstheoretiker.
Trotzdem hatte ihm kurz darauf ein Oberst aus dem Pressestab per E-Mail mitgeteilt, dass man die Kanzlerin über seine Bedenken bezüglich der bevorstehenden Jubiläumsfeiern informiert habe. Jetzt wusste er, dass auch dort irgendetwas »klick« gemacht hatte.
Hopmann war nie in seinem Leben ein hitziger Fanatiker gewesen. Geduldig hatte er versucht, den Journalisten in Köln anzusprechen, von dem der CENT-Artikel stammte. Aber er war nicht an Dr.Thomas Vesting herangekommen. Schließlich hatte ihn eine fröhliche, stets etwas angeheiterte Assistentin namens Lara nicht länger abgewimmelt, sondern kichernd mit dem Chefredakteur verbunden. Aus irgendeinem Grund hatte ihm Jean Lammers nicht nur zugehört, sondern geduldig nachgefragt, was genau Hopmann herausgefunden hatte. Es schien, als hätte er eine Nase für mögliche Skandale. Doch dann, als alles abgeschöpft war, hatte Lammers von einem Moment auf den anderen geblockt.
»Also schön«, hatte er gesagt. »Klingt süffig, was Sie da über den Varus-Schatz, das Hermannsdenkmal und Gerüchte aus Rom, Berlin oder auch Texas herausgefunden haben. Aber zu politisch und zu heiß ... sogar für uns! Wollen Sie wissen, wie oft uns hier beim CENT tolle Verschwörungstheorien für eine Handvoll Euro angeboten werden? Versuchen Sie's doch lieber bei einem Privatsender. Aber ich sage Ihnen gleich - ohne Beweise, action und scharfe Bilder können Sie auch da keinen Blumentopf gewinnen.«
All das besaß Ebi Hopmann nicht. Natürlich hatte er dem Zeitungsmann nicht alles erzählt. Aber wenn zutraf, was er immer mehr vermutete, dann gab es außer dem ehrenwerten und korrekten Schatzsucher Tony Clunn inzwischen andere, die schon viel weiter waren und sich gegenseitig tödliche Fallen stellten.
Der Brief, den er etwas später in seinem Briefkasten fand, trug keine Marke und keinen Poststempel. Der Umschlag enthielt mehrere Eintrittskarten für die letzten Jubiläumsveranstaltungen in den Museen von Kalkriese, Haltern und Detmold und eine Ansichtskarte des Hermannsdenkmals. Auf der Rückseite stand eine mit Füller geschriebene Aufforderung. Sie klang fast wie ein Befehl: »Donnerstag, letzte Führung Kalkriese: Bleiben Sie an der silbernen Maske hinter den Stellwänden zurück. Bringen Sie den Stein mit. Es geht um den Lohn für Ihr Schweigen.«
Noch am selben Tag hatte Ebi Hopmann herauszufinden versucht, welche Verbindung zwischen dem Texaner und der Organisation der Jubiläumsfeierlichkeiten bestand. Er rief ein Dutzend Leute an, doch niemand wollte ihm Auskunft geben - weder Museen noch Landesverbände, Landräte, Politiker.
»Ja, es stimmt«, war alles, was er von einer Sekretärin erfuhr. »Die Sons of Hermann aus Amerika sind gerngesehene und großzügige Sponsoren.«
Aber sie wussten etwas! Sie alle wussten viel mehr!
Drei Tage danach waren Gestalten in Lederkluft auf Motorräder gesprungen, sobald er sein Haus am Schnakenborn in Porta verließ. Sie hatten jede seiner Fahrten nach Haltern, Kalkriese und Detmold verfolgt. Ein paar Tage später steckte auf dem Parkplatz des Ausflugslokals »Obere Mühle« zwischen Detmold und dem Hermannsdenkmal eine Warnung an der Windschutzscheibe seines Wagens.
»STOP!«, stand in Großbuchstaben auf dem abgerissenen Quittungszettel eines Hotels. »Es gibt keinen Varus-Schatz in Kalkriese oder beim Hermann. Kein Geheimnis. Keine Legende.«
Hopmann hätte den Zettel weggeworfen, wenn er nicht über den Aufdruck gestolpert wäre.
»Varus-Restaurant im Hotel Römerhof« stand auf dem antik aussehenden Papier. Er selbst hatte die leerstehende Immobilie an der Auffahrtsstraße zum Denkmal mit Schäden am Dach vom Sturm Kyrill günstig erworben - zusammen mit einem verwahrlosten Stück des Waldhangs drei Kilometer entfernt in Richtung Detmold. Das Hotel hatte er längst weiterverkauft. Es war vor drei Wochen neu eröffnet worden.
Viel interessanter war für ihn inzwischen der wilde Waldhang oberhalb des Ausflugslokals. Dort hatte früher eine Villa mit einem hohen Turm als Bergfried gestanden. Nur noch die Stützmauer aus Felssteinen am Hang mit großen Brunnennischen existierte. Und genau dort, in einer halb durch Efeu zugewachsenen Mauernische, hatte er den Stein gefunden, der inzwischen sein ganzes Leben durcheinanderbrachte.
Ebi Hopmann lauschte den knackenden und leise säuselnden Geräuschen innerhalb des neuen Museumsbaus, dann verließ er sein Versteck und ging direkt auf die Vitrine mit der silbernen Gesichtsmaske zu. Erst jetzt sah er, dass die Maske nur ein geschickt ausgeschnittenes und gebogenes Foto war.
Irgendwo schnaubte jemand. Hopmann legte den Kopf...
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