Schweitzer Fachinformationen
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1. Kapitel
Die zierliche Uhr im Regency-Stil auf dem Kaminsims schlug halb drei, als sich Mabel Clarence den Hut aufsetzte und auf ihrem kurzen Haar zurechtrückte. Sie zupfte sich ein paar Ponyfransen in die Stirn, dann betrachtete sie sich im Spiegel. Das taubenblaue, zweiteilige Kostüm mit dem farblich passenden kleinen Hut harmonierte gut mit der zartrosa Bluse. Zufrieden nickte sie ihrem Spiegelbild zu.
"Für den Anlass hoffentlich angemessen", murmelte sie. In diesem Augenblick klopfte es an die Tür ihres Cottages. "Kommen Sie rein, die Tür ist offen", rief Mabel und wandte sich um.
Ein großer, breitschultriger Mann trat ein. Sein graues Haar, das sich am Oberkopf bereits lichtete, trug er im Nacken so lang, dass es ihm auf den Hemdkragen fiel. Er musste sich bücken, denn die Türen in dem über zweihundert Jahre alten Cottage waren sehr niedrig.
Früher waren die Menschen eben kleiner gewesen, dachte Mabel, doch sie liebte das Haus. Außerdem stand es unter Denkmalschutz, sie hätte gar nichts verändern dürfen.
Hinter dem Mann schoss ein Hund bellend auf Mabel zu, stellte sich auf die Hinterpfoten und versuchte, ihr Gesicht abzulecken.
"Langsam, Debbie, heute nicht." Mabel kraulte die Mischlingshündin zwischen den Ohren und schob sie sanft von sich. "Du darfst mein Kostüm nicht schmutzig machen."
"Du meine Güte, was haben Sie denn vor?" Der Mann musterte Mabel erstaunt. "Ich wusste gar nicht, dass Sie so ein ... Ding besitzen."
Mabel erwiderte seinen skeptischen Blick mit einem Augenzwinkern und griff sich an den Kopf.
"Wenn Sie mit Ding den Hut meinen, Victor, dann sehen Sie mal, wie Sie mich bisher verkannt haben. Jede Frau hat manchmal Freude daran, sich schick zu machen, besonders wenn es einen Anlass dafür gibt."
"Na ja, steht Ihnen jedenfalls gut." Er zwinkerte ihr zu und sah sich dann in Mabels kleinem, gemütlichem Wohnzimmer mit der niedrigen Balkendecke und den weißgetünchten Wänden suchend um. Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit, als er fragte: "Dann darf ich wohl nicht auf eine Einladung zum Tee hoffen?"
"Tut mir leid, Victor, aber ich bin verabredet."
Mabel Clarence bedauerte es wirklich, heute keine Zeit für einen Tee und einen gemütlichen Plausch mit Victor Daniels zu haben. Der Tierarzt des kleinen Ortes Lower Barton, in dem sie nun schon seit einem knappen Jahr lebte, war ihr ein guter Freund geworden, mit dem zusammen sie schon einige Abenteuer erlebt hatte. Wochentags führte Mabel ihm den Haushalt, denn Victor war ein alter Hagestolz, der nur schwer mit weiblichen Wesen auskam. Im Umgang mit Tieren war er ein Perfektionist und liebte alles, was vier, sechs oder auch acht Beine hatte, eine Frau gab es jedoch keine in seinem Leben. Victor war nie verheiratet gewesen, und alles, was mit Kochen, Backen, Wäschewaschen und überhaupt mit dem Haushalt zu tun hatte, war ihm ein Graus. Bevor Mabel in sein Haus gekommen war, hatte er durch seine harsche, oft ablehnende Art schon mehrere Haushälterinnen vergrault, doch Mabel arbeitete gern bei ihm. Inzwischen wusste sie, dass sich unter seiner rauen Schale ein weicher Kern verbarg, außerdem waren sie und Victor sich in vielen Dingen sehr ähnlich.
Heute, an einem Sonntag, war Mabels freier Tag. Victor aß dann immer im einzigen Hotel des Ortes, dem Three Feathers, das eine ausgezeichnete Küche hatte, zu Mittag. Danach ging er mit seiner Hündin Debbie spazieren, stattete Mabel dabei häufig einen Besuch ab, und sie tranken zusammen Tee. Victor wusste genau, dass Mabel am Sonntagvormittag immer entweder süße Scones, einen Victoria Sponge Cake oder auch kleine Apple Pies buk, und für diese köstlichen Backwaren war der Tierarzt zu fast jeder Sünde bereit.
"Na los, fragen Sie schon!", forderte Mabel Victor auf, der abwartend in der Tür stehen geblieben war.
"Fragen? Was?"
"Was ich vorhabe und warum ich Kostüm und Hut trage. Die Frage brennt Ihnen unter den Nägeln, das sehe ich Ihnen an, Victor."
"Es geht mich doch nichts an, was Sie am Sonntag machen, Mabel", gab er in seiner gewohnt brummigen Art zurück. "Solange Sie rechtzeitig ins Bett kommen und morgen früh pünktlich mein Frühstück auf dem Tisch steht."
Manch andere Frau wäre jetzt nicht nur beleidigt gewesen, sondern vielleicht sogar zornig geworden, aber Mabel entlockten Victors Worte nur ein lautes Lachen.
"Trotzdem sind Sie neugierig zu erfahren, warum ich mich heute so schick gemacht habe", sagte sie leichthin. "Es gibt auch keinen Grund, ein Geheimnis daraus zu machen: Ich bin zum Tee eingeladen."
"Aha." Victor tat immer noch so, als würde ihn das überhaupt nicht interessieren, hakte dann aber nach: "Doch nicht etwa bei Trevor Cavendish?"
Mabel schüttelte den Kopf. "Falsch, mein Freund. Sie wissen genau, dass Sir Trevor gewisse Gefühle für meine Cousine Abigail hegt und an mir kein Interesse zeigt, was übrigens auf Gegenseitigkeit beruht. Ich werde es Ihnen sagen, denn ich weiß, Sie mögen keine Ratespiele: Lady Carter-Jones hat mich zum Tee gebeten."
"Lady Carter-Jones?", wiederholte Victor erstaunt. "Etwa die Carter-Jones von Allerby House?"
"Eben diese." Mabel nickte. "Kennen Sie die Dame?"
"Kennen wäre zu viel gesagt, denn ich bin ihr nie begegnet. Vor ein paar Jahren wurde jedoch viel über die Familie getratscht." Er musterte Mabel erneut von oben bis unten und bemerkte schmunzelnd: "Für diese Einladung hätten Sie sich aber nicht derart verkleiden müssen."
"Was wurde denn geredet?"
Mabels Interesse war geweckt. Als Lady Carter-Jones sie vor zwei Tagen angerufen und gebeten hatte, am Sonntagnachmittag mit ihr zusammen Tee zu trinken, hatte sie sich über die Einladung gewundert. Sie hatte den Namen Carter-Jones zuvor zwar schon gehört, auch war ihr bekannt, dass der Familienstammsitz Allerby House in der Nähe des Fischerstädtchens Fowey lag, einen persönlichen Kontakt hatte es bisher aber nie gegeben. Mabel vermutete, die Dame wolle sie kennenlernen, da sie, Mabel, als Eigentümerin von Higher Barton zwar nicht zum cornischen Landadel, aber immerhin zu den vermögendsten Frauen der Grafschaft gehörte. Abigail Tremaine, die frühere Eigentümerin von Higher Barton, hatte mit der Familie Carter-Jones sicher gesellschaftlich verkehrt, Mabel gegenüber den Namen aber nie erwähnt.
Mabels Cousine lebte nun schon seit längerer Zeit in Südfrankreich. Sie hatte Mabel das herrschaftliche Anwesen vor rund einem Jahr überlassen. Mabel, die aus ihrer früheren Tätigkeit als Krankenschwester eine kleine Rente und auch aus Higher Barton regelmäßige Einkünfte bezog, mochte keine Langeweile und liebte es, immer aktiv und in Bewegung zu sein. Deshalb arbeitete sie als Wirtschafterin bei Victor Daniels, dem Tierarzt. Er war manchmal etwas chaotisch - zumindest, was seine Haushaltsführung anging.
"Ich denke, Sie interessieren sich nicht für allgemeinen Tratsch?", riss Victor sie aus ihren Überlegungen.
"Das tue ich auch nicht, ich mache mir lieber selbst ein Bild von den Menschen, mit denen ich es zu tun habe." Mabel sah auf die Uhr. "Es tut mir wirklich leid - wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden ."
Victor rief Debbie, die es sich gerade auf Mabels gemütlichem Sofa bequem machen wollte, zu sich. "Tut mir leid, meine Kleine, aber dein Mittagsschläfchen wirst du heute auf meiner Couch machen müssen." Er wandte sich wieder an Mabel. "Sie wissen, wie Sie nach Allerby House kommen?", fragte er. "Die Straßen sind sehr verwinkelt, und da Sie ja immer noch kein Navigationsgerät haben ."
"Danke, das ist sehr freundlich von Ihnen, aber ich werde abgeholt", unterbrach Mabel ihn. "Der Wagen müsste gleich hier sein."
Victor pfiff durch die Zähne. "Oh, die Dame schickt Ihnen ihren Wagen? Respekt, Mabel, Lady Carter-Jones scheint etwas wirklich Wichtiges auf dem Herzen zu haben."
"Vielleicht braucht sie meine Hilfe bei einem ungeklärten Verbrechen?" Als Victors Augen sich entsetzt weiteten, fuhr Mabel rasch fort: "Das war ein Scherz, Victor! Ich glaube, sie möchte mich ganz einfach nur kennenlernen, wegen Higher Barton wahrscheinlich."
In diesem Moment sah Mabel durch das Fenster jemanden auf das Cottage zukommen. Kurz darauf spähte ein in Uniform gekleideter Mann durch die immer noch offene Tür.
"Miss Clarence?", fragte er mit sonorer Stimme. "Lady Carter-Jones schickt mich, ich soll Sie abholen."
"Ich bin fertig", antwortete Mabel und griff nach ihrer Handtasche.
Victor trat vor ihr aus der Tür, und Mabel schloss hinter ihnen ab. Das Cottage lag nicht weit von der Ortsmitte Lower Bartons entfernt. Die Nachbarhäuser, alle Ende des 18. Jahrhunderts als Katen für die damaligen Minenarbeiter erbaut, reihten sich aneinander und waren über einen schmalen Fußweg von der Straße aus zu erreichen. Somit hatte der Chauffeur nicht direkt vor Mabels Haus parken können, und Victor begleitete sie nun die wenigen Schritte bis zur Straße.
"Ein Rolls, klar", murmelte er, als der Chauffeur Mabel beim Einsteigen behilflich war. "Vornehm geht die Welt zugrunde."
Dann pfiff er die Hündin heran. Debbie gehorchte sofort, sah ihr Herrchen aus großen, dunklen Augen an und wedelte erwartungsvoll mit dem Schwanz.
"Also heute keinen Tee", sagte Victor und kraulte Debbies Kopf. "Was...
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