Und plötzlich ist man Häuptling
Ghana und Togo - 29.05.-11.06.2013
Wer meint, nach mehreren Reisen oder längeren Aufenthalten Afrika zu kennen und Bescheid zu wissen, wie es "dort unten" so funktioniert, ist ein Schwätzer und Wichtigtuer. Afrika hat viele Gesichter und offenbart sich einem jedes Mal wieder neu. Mir geht es jedenfalls immer noch so - auch beim 50. Besuch! Mit den Jahren habe ich meine eigene Strategie entwickelt, um Afrika wenigstens ansatzweise verstehen zu lernen. Und die heißt: Zuhören, beobachten, erst einmal die Schnauze halten, sich auf die Menschen und ihre Kultur einlassen und vor allem nicht sofort den besserwisserischen Europäer raushängen lassen.
Mittwoch, 29. Mai 2013
Beim Hinflug sitze ich dieses Mal direkt neben der "Zukunft Afrikas". Es handelt sich dabei übrigens um drei schwarze Babys. Alle total süß und nett bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie müde werden, Hunger bekommen und die Windeln voll haben. Aufgrund der Beengtheit im Flieger bin ich gezwungen, die Mütter bei den dann anstehenden Aufgaben - außer dem Stillen - zu unterstützen. Danach stecke ich mir sofort meine Kopfhörer in die Ohren. Ich höre mir die Brandenburgischen Konzerte an und zwar in einer enormen Lautstärke, um von der weiteren Kleinkinderbetreuung nichts mehr mitzubekommen!
Nach sechseinhalb Stunden Flug neben der "Zukunft Afrikas" nehme ich meine Ohrenstöpsel heraus und betrete zum 50. Mal afrikanischen Boden. Die Einreise nach Ghana gestaltet sich absolut professionell. Ich werde freundlich begrüßt, man fotografiert mich und scannt meine Fingerabdrücke! Ich fühle mich an meine Einreise in die USA erinnert. Nach wenigen Minuten habe ich die Einreiseformalitäten hinter mir.
Bitte, bitte nicht schon wieder
Mit dem Gepäck klappt es allerdings nicht so schnell. Ich gebe fast schon die Hoffnung auf, dass mein Gepäck ankommt. Nur noch zwei, ebenfalls recht beunruhigt wirkende Ghanaer stehen mit mir am Gepäckband. Bitte, bitte nicht schon wieder eine Woche mit zwei T-Shirts, zwei Unterhosen, zwei Paar Socken und einer Hose auskommen müssen!! Als vorletztes Gepäckstück taucht mein Trolley auf - recht ramponiert, aber Hauptsache er ist da!
Mein Empfangskomitee macht sich bereits Sorgen. Man will gerade Peter Bakufan, Mitglied des RESEP-Teams in Damongo und ein "hohes Tier" beim ghanaischen Zoll, in Marsch setzen, um mich aus den Klauen der Einreisebehörden zu befreien. Als ich dann doch in der Ankunftshalle auftauche, gibt's ein großes Hallo, viele Umarmungen und die sofortige Einladung ins "Aerostar". Nach zwei Star, so heißt eine der lokalen, durchaus trinkbaren Biermarken, komme ich so allmählich in Ghana an.
Stefan Marx, langjähriger Projektpartner und Freund, ist extra von Nairobi herüberkommen. Gemeinsam mit Greg Iddi, unserem lokalen Koordinator für Wasser- und Solarprojekte, wird er mich die nächsten zwei Wochen in Ghana und Togo begleiten. Wir wollen unsere Projekte einmal genauer unter die Lupe zu nehmen, was sie bisher geleistet und verändert haben? Neudeutsch nennt man das in der Entwicklungsszene Wirkungsbeobachtung. Ein drittes Star kredenzt mir Yimah, der Leiter des Good-Shepherd´s-Home, dem guesthouse (Gästehaus) der katholischen Diözesen in Nordghana. Aber dann ist es genug! Ich falle in einen traumlosen Schlaf. Die Musik dazu liefert ein tropischer Regenguss, der unserem Begriff von Starkregen eine ganz neue Bedeutung gibt. Die Regenzeit hat anfangen. Eine Freude für alle Ghanaer, für mich weniger! Ich hatte bereits zuhause eine recht ergiebige Regenzeit!
Donnerstag, 30. Mai 2013
Stefan und ich sind zwar jetzt in Ghana, aber in Gedanken stecken wir beide noch voll in unserem normalen NRO-Alltag. Stefan noch viel, viel mehr als ich, da er tagtäglich mit der Kriegssituation im Sudan, speziell in den Nuba Mountains, zu tun hat. Diese Erlebnisse und Bilder lassen einen nicht so einfach los, nur weil man das Land wechselt. Von seiner sprichwörtlichen Gelassenheit und seinem Humor ist derzeit nicht viel zu merken!
Wir beschließen ins Paloma zu fahren - seit vielen Jahren unser Stammlokal in Accra! Dort wollen wir lecker essen und dabei unsere Projektbesuche vorbereiten. Doch das Paloma ist nicht mehr das, was es einmal war. Der Service ist nicht sonderlich motiviert. Stefan vermutet eine besondere Form der Schlafkrankheit. Der für uns zuständigen Kellnerin könnte man mühelos im Laufen die Schuhe besohlen. Unser Essen kommt sehr zeitversetzt an. Als Stefan seines bekommt, habe ich schon wieder Hunger.
Kulinarische Pleite
In unserem geliebten Good Shepherd's Home erleben wir abends eine weitere kulinarische Pleite. Hier ist es üblich, bereits morgens beim Frühstück zu sagen, ob und was man abends essen möchte! Nun die Auswahl ist nicht besonders groß. Entweder man bestellt Huhn mit Spaghetti, Fisch mit Reis oder gebratenen Gemüsereis. Fisch ist heute allerdings aus und mit Blick auf die vielen Hühner, die in den kommenden Tagen ihr Leben für uns lassen müssen, entscheiden wir uns für den gebratenen Reis. Zusammen mit einer scharfen Pili-Pili-Sauce ist der durchaus schmackhaft.
Nicht unsere Baustelle
Pünktlich um 18:30 Uhr laufen wir vereinbarungsgemäß im Dining-Room ein. Wir ordern bei der ausgebildeten Restaurantfachkraft, was wir morgens bestellt haben. Die scheint wie ihre Kollegin im Paloma an der gleichen Schlafkrankheit zu leiden. Sie schaut uns ungläubig an und verschwindet in der Küche. Als sie wieder auftaucht, informiert sie uns, dass man keinen gebratenen Gemüsereis habe. Sie könnte uns plain rice (gekochten Reis ohne alles) servieren! Also, an der Verbesserung der Ausbildung im Gastronomiebereich besteht in Ghana wirklich noch dringender Handlungsbedarf.
Da dies entwicklungspolitisch aber nicht unsere Baustelle ist, belassen wir es bei einigen bissigen Kommentaren, die ich hier nicht wiedergeben möchte. Wir bitten Yimah noch, künftig etwas mehr Wert auf die Breite des gastronomischen Angebotes in seinem Guesthouse zu legen und ziehen uns nach zwei Flaschen Star zum Schlafen zurück. Kaum sind wir in unseren Zimmern verschwunden, setzt ein tropischer Regenguss ein. Der Regen prasselt derart heftig auf die Wellblechdächer, dass man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen kann. Na, wenigstens ist der Regen schön warm!
Freitag, 31. Mai 2013
Um 05:30 Uhr geht's heute ohne Frühstück in Richtung Flughafen. Und wenn man meint, dass sei eine tolle Zeit, um Staus zu vermeiden, der irrt. Selbst um diese nachtschlafende Zeit ist jetzt schon rush hour. Aber Yimah kennt alle short cuts (Abkürzungen) und Schleichwege in Accra. So kommen wir in den Genuss einer alternativen und kostenlosen Stadtrundfahrt. Der Straßenzustand auf den Hauptstraßen ist fast überall deutlich besser als bei mir zuhause in Bochum. Wer ist da eigentlich das Entwicklungsland?
Gab es vor einigen Jahren kaum oder gar keine Flüge in den Norden, ist der Markt der Inlandsflüge mittlerweile heiß umkämpft. Mehrere Airlines bemühen sich mit Dumpingangeboten um Passagiere. Wie im Vorjahr fliegen wir mit Starbow. Deren Maschine macht noch immer einen recht vertrauenserweckenden Eindruck. Dass in Ghana ökonomisch so allmählich die Post abgeht, merken wir auch daran, dass der Airport zu klein wird, um die sprunghaft steigende Zahl an Flügen und Fluggästen verkraften zu können. Für Inlandsflüge hat man deshalb ein großes Zelt als Wartebereich - mit Aircondition - aufgebaut. Die ist allerdings saukalt und hochgradig gesundheitsgefährdend.
Der Flug dauert nur 50 Minuten. In Tamale erwartet uns Adam, der uns in den nächsten Tagen mit seinem Pick-up durchs Land fahren soll. Zunächst steht der 130 km lange Ritt nach Damongo an. Die ersten 60 km bis zur Junction to Nowhere (Kreuzung ins Nirgendwo) sind kein Problem, da asphaltiert. Danach folgen weitere 70 km, auf die sich meine Wirbelsäule besonders freut. Seit 1997, als ich erstmals in Damongo gewesen bin, hat sich am Straßenzustand nichts geändert. Vor jeder Wahl wird den Menschen versprochen, dass man die Straße asphaltieren wird, passiert ist nie etwas.
Wer macht's? Die Chinesen!
Doch jetzt könnte es bald anders werden! Der im letzten Jahr neugewählte Präsident Ghanas, John Dramani Mahama, stammt aus Damongo. Wenn das kein Zeichen für bessere Entwicklungschancen ist? Und tatsächlich, kurz vor Damongo hat man begonnen, die neue Straße zu trassieren. Und wer macht's? Die Chinesen! Die sind mittlerweile überall in Afrika und sichern sich die Aufträge auf dem Zukunftsmarkt Afrika. Da haben wir Europäer echt etwas verpennt und sind dabei, den Anschluss zu verlieren.
Bei den Menschen in der Region sind die Chinesen nicht besonders beliebt! Sie gelten als arrogant und überheblich und wollen meist nichts mit der lokalen Bevölkerung zu tun haben - außer Geschäfte zu machen! Aber sie bauen Straßen, Hospitäler und schaffen Arbeitsplätze! Das ist auch abends Thema, als wir uns mit John Kipo Kaara und dem Team unseres Projektpartners RESEP (Rural Education Shelter and Environmental Programme) zu einer ersten Besprechung treffen.
Bauen und klauen
Die Präsenz der Chinesen scheint derzeit zu den Topthemen im West Gonja District zu gehören. Besonders seit sie sich für den Straßenbau das Recht gesichert haben, eine besondere Baumsorte entlang der Trasse...