Schweitzer Fachinformationen
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Bernhard Behrendsen Mahlows letzter Fall
Irgendwo im Kreis Stormarn, Schleswig-Holstein
Der Mord in der Cottage Sauna im letzten Herbst hatte mich mit einem Mal zurück in die Gegenwart katapultiert.
Ahrensburg war über Nacht nicht mehr die unschuldige Kleinstadt mit freundlichen Menschen in freundlichen Vorgärten, ruhigen Wohnvierteln und ausgedehnten Grünflächen vor den Toren Hamburgs.
Die Großstadt an der Elbe, in die viele der unbescholtenen Ahrensburger täglich pendelten, hatte mich offensichtlich vermisst, ihre kriminellen Krakenarme über die Stadtgrenzen hinaus ausgestreckt und mich ganz plötzlich wieder in ihren Fängen.
Das Gefühl, dass die echte Kriminalität nunmehr endgültig auch hier angekommen war, ließ mich nicht mehr los und noch weniger gut schlafen.
Die Boulevardpresse hatte ihr Übriges dazu beigetragen und sich nach der schnellen Aufklärung des Falls mit reißerischen Schlagzeilen auf den Titelseiten überschlagen.
"Spezialist aus Hamburg klärt Mordfall im Alleingang!", "Kübelmörder gefasst!" und schlimmer noch: "Alles klar, Herr Kommissar?", lauteten die Headlines der Tageszeitungen, mit denen meine Kollegen mich auf den Fluren der Dienststelle die Tage danach aufgezogen hatten.
Mein Gott, wie ich dieses ganze Theater hasste.
Kollege Klein, mit dem mich vorher schon keine Männerfreundschaft verbunden hatte, strafte mich seitdem mit eisiger Verachtung und schnitt mich, wo er konnte. Und das nur, weil er einfach nicht darüber hinwegkam, dass ich, statt ihm, den ersten Mordfall in Ahrensburg seit mehr als einem Jahrzehnt aufgeklärt und ihn gleichzeitig zum Gespött seiner Kollegen gemacht hatte.
Sollte er doch, das war es mir wert gewesen, und ich kam gut damit zurecht.
Womit ich jedoch überhaupt nicht zurechtkam, war der plötzliche Rummel um meine Person.
Egal ob an der Kasse im Supermarkt, an meiner Lieblingstanke oder auf der Straße, überall wurde ich jetzt von wildfremden Menschen angesprochen. Alle Welt erkannte mich nur anhand eines schlechten Fotos auf der Titelseite dieses Boulevardblattes mit den vier Buchstaben.
Schuld daran war diese sensationslüsterne Polizeireporterin, die mir seitdem an den Hacken klebte. Stella Claussen!
Ausgestattet mit einer Penetranz, die jeden Klinkenputzer vor Neid erblassen ließ, schnüffelte sie mir hinterher, nirgendwo war ich mehr vor ihr sicher. Woher sie das verdammte Foto hatte, blieb ihr Geheimnis. Ich erinnerte mich nur, dass ich mich vor Jahren mal bereit erklärt hatte, zwecks einer Gegenüberstellung ein Foto von mir machen zu lassen, auf dem ich aussah, wie ein Knastbruder aus Santa Fu.
Ich schwor mir, dem Mistkerl von Polizeifotograf eine ganz persönliche Nachhilfestunde in Sachen Privatsphäre zu erteilen, sollte ich ihn in die Finger bekommen.
Und zu allem Übel stand jetzt auch noch das turnusmäßige PE, das polizeiliche Einsatztraining, an.
Gemeinschaftliches Schießen mit den Kollegen der Wache auf der Schießanlage in Lübeck.
Wichtig, sicher. Notwendig, ganz bestimmt, aber bei einigen Kollegen beschlich mich eher das Gefühl, ich wäre bei Police Academy als bei einer Einheit der Schleswig-Holsteinischen Polizei.
Zum Glück hatte ich wenigstens die gemeinschaftliche Fahrt im Mannschaftsbus abbiegen können und war nun schlecht gelaunt mit meinem geliebten Ford Granada auf dem Ostring in Richtung A 1 unterwegs, als mir dieses aufgemotzte Mercedes Coupé mit getönten Scheiben und Hamburger Kennzeichen im Rückspiegel auffiel. Mattmetallic lackiert und mit einer ganz bestimmt nicht zugelassenen Sportauspuffanlage ausgestattet, war es der Inbegriff eines Ludenfahrzeugs. Und es schien mich zu verfolgen. Es beschlich mich das ungute Gefühl, ich könnte geradewegs in eine brenzlige Situation geraten, und meinem Instinkt folgend gab ich Gas.
Okay, mein alter Ford war zwar mit einem Sechszylinder ausgestattet, aber dem merkte man seine fast zweihunderttausend gefahrenen Kilometer mittlerweile auch an. Beim schnellen Gasgeben entwickelte die Maschine eine Qualmwolke, die James Bonds Aston Martin zur Ehre gereicht hätte.
Leider gab es beim TÜV keine Cineasten, und die Prüfer waren da ganz anderer Meinung. Ich hatte deshalb schon ein halbes Vermögen in die notwendigen Reparaturen stecken müssen.
Eine Vertragswerkstatt konnte ich mir nicht leisten, deswegen war mein Wagen regelmäßiger Gast in "Kalle's & Thommy's Schrauberbude", einer kleinen privaten Autowerkstatt im Gewerbegebiet Beimoor Süd.
Kalle und Thommy Borchers, zwei Brüder aus der Siedlung Am Hagen, waren begnadete Kfz-Schlosser und verstanden ihr Handwerk, aber mit dem Finanziellen hatten sie es nicht so. Rechnungen waren verpönt, und selbst eine einfache Zweckform-Quittung von den beiden zu bekommen war jedes Mal ein Kraftakt. Irgendwann hatte ich es dann schließlich aufgegeben, danach zu fragen. Der Wagen wurde gemacht, das Ergebnis vorgeführt, die Kohle in bar bezahlt, fertig!
Das war ja noch okay, aber die beiden ließen dort auch alle möglichen Leute an ihren eigenen Karren 'rumschrauben.
Oh Mann, hingen da Typen ab!
Die meisten waren verpeilte Möchtegern-Rennfahrer, bei denen PS und Potenz nicht nur zufällig mit P anfing, sondern unverrückbar miteinander verbunden zu sein schienen, und die ihre tiefergelegten, verbreiterten Blechdosen so verunstaltet hatten, das man ihnen zum Teil die Marke gar nicht mehr ansehen konnte. Ich fragte mich immer, was der TÜV wohl alles an solchen Karren zu beanstanden hatte, wenn den Prüfern schon die leicht bläuliche Abgasfahne meines Granadas nicht passte.
Aber auch Typen ganz anderen Kalibers lümmelten immer wieder in der Werkstatt herum. Solche, die mit ehrlicher Arbeit ganz bestimmt nix am Hut hatten. Lichtscheues Gesindel, wie ich immer zu sagen pflegte. Okay, vielleicht nicht die Art, die berufsmäßig schwerkriminell war, das nicht, aber schon welche, die es mit Recht und Ordnung nicht immer so genau nahmen. Egal, ich war ja nicht im Dezernat Wirtschaftsdelikte beschäftigt, mischte mich also nicht ein und hielt meine Klappe, wenn ich mal wieder einen Termin bei den Jungs hatte.
Auf dem verlängerten Ostring angekommen, stand die Tachonadel auf 140 km/h, die Kollegen der Verkehrsdirektion hätten sich gefreut, wenn ich jetzt in eine ihrer mobilen Gelddruckmaschinen gerast wäre. Die Ludenkarre hatte aufgeschlossen und klebte nun an meiner Stoßstange, mir war klar, dass ich die allein mit Geschwindigkeit nicht loswerden würde.
Kurz vor der Autobahn bremste ich meinen Wagen scharf herunter und zog nach rechts auf den Grünstreifen, zwei tiefe Furchen in der weichen Rabatte hinterlassend. Der Mercedes schoss an mir vorbei und verschwand röhrend über die Auffahrt zur A 1 in Richtung Hamburg.
"Verdammt", fluchte ich vor mich hin. "Was war das denn jetzt?"
Ich nestelte eine Zigarette aus der Verpackung und steckte sie mir an.
Rauchend versuchte ich, meine Gedanken zu sortieren.
Es gab in meiner Hamburger Vergangenheit eine ganze Reihe von schweren Jungs, die mit mir noch ein Hühnchen zu rupfen hatten. Das hatte ich in den letzten Jahren fast verdrängt, aber dank der Presse war ich jetzt plötzlich bekannt wie ein bunter Hund, und der eine oder andere aus der Ahnengalerie der Hamburger Unterwelt schien mit mir jetzt "12 Uhr mittags" spielen zu wollen.
Ich war aber nicht Gary Cooper, und an das Ende dieses Klassikers konnte ich mich auch nicht erinnern.
Die noch verbliebene Motivation, auf die Pappkameraden mit den Ringen auf Brust und Kopf zu schießen, war mir jetzt endgültig vergangen, und deshalb meldete ich mich über mein Diensthandy mit einer Ausrede bei dem verantwortlichen PE-Koordinator ab.
"Mahlow", hörte ich ihn fluchen. "Das ist jetzt bereits das dritte Mal in Folge, dass Sie mit fadenscheinigen Ausreden eine Dienstanweisung missachten. Hören Sie, ich hab' die Schnauze voll von Ihnen und werde eine Beschwerde über Sie an Ihre Dienststelle aufsetzen, ich lasse mich doch von Ihnen nicht verar ..."
Ich drückte den roten Hörer im Display des Telefons und beendete damit das Gespräch.
Sollte er doch!
Auf ein Disziplinarverfahren mehr oder weniger kam es schon lange nicht mehr an.
Durch mein Auftreten hatte ich zwar keinen leichten Stand auf der Dienststelle und eckte ständig bei meinem Vorgesetzten an, aber durch meine unorthodoxe Ermittlungsarbeit war ich gleichzeitig auch erfolgreich, und deshalb nahm ich mir manchmal einfach etwas mehr heraus als andere.
Auch das war dem Kollegen Klein schon lange ein Dorn im Auge.
Der hielt sich, im Gegensatz zu mir, grundsätzlich an sämtliche Dienstanweisungen, ob nun sinnig oder unsinnig. Noch etwas, was unsere Zusammenarbeit nicht gerade erleichterte.
*
Ahrensburg, Kreis Stormarn
Ich wendete den Wagen unerlaubterweise auf dem Zubringer zur Autobahn und fuhr zurück aufs Revier nach Ahrensburg.
Von dort aus rief ich meine ehemaligen Kollegen in Hamburg an, die sollten für mich eine Fahrzeughalterprüfung durchführen. Das hätte ich zwar auch selbst machen können, aber erstens waren der Polizeirechner und ich keine Freunde, und zweitens wollte ich erst einmal in Ruhe sondieren, wer es da auf mich abgesehen hatte, ohne das gleich an die große Glocke zu hängen.
Alle Halterabfragen mussten genehmigt werden, und ich hielt es im Moment für besser, dass nicht ich die Abfrage...
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