Schweitzer Fachinformationen
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Susan, 54, hat mit der Liebe abgeschlossen. Nach ein paar großen und vielen kleinen Enttäuschungen, ist sie überzeugter Single und gut darin, ihr Herz vor emotionalen Verwirrungen zu bewahren. Glaubt sie. Ein italienisches Restaurant in Hamburg belehrt sie eines Besseren: Dort trifft sie Simon, 56, der seiner zahlreichen emotionsarmen Affären überdrüssig ist, und gerade erst anfängt, nach echter Liebe zu suchen. Simon und Susan kommen bei Rotwein und Seezunge ins Gespräch - und verlieben sich ...
Ich hab einen spannenden Job für dich, bei dem du ganz hübsch verdienen kannst, Spesen inklusive!« – der Anruf ihrer ehemaligen Kollegin kam für Susan gerade richtig. Rettend richtig, um genau zu sein. Sie war mal wieder am oberen Rand ihres Dispo-Limits angekommen und konnte einen neuen Auftrag gut gebrauchen. Wäre es technisch möglich gewesen, hätte sie Anne durch die Leitung umarmt.
Aber warum die Frauenzeitschrift sie – ausgerechnet sie – nach Hamburg schickte, um Leserinnen zu interviewen, die ihre große Liebe erst um die fünfzig getroffen hatten, war ihr ein Rätsel. Denn sie, Susan Knight, die seriöse Journalistin und Sachbuchautorin, glaubte weder an die große Liebe noch daran, dass Männer ernsthaft etwas Sinnvolles dazu beitragen konnten. Nur das Alter stimmte – gerade war sie einundfünfzig geworden.
Sie hatte mal geliebt, sehr geliebt, und einen hohen Preis dafür bezahlt – im wahrsten Sinne des Wortes. Die sogenannte »Liebe ihres Lebens« hatte nicht nur ihre emotionalen Ressourcen aufgebraucht, sondern auch ihre finanziellen. Guido – der bescheuerte Name hätte sie eigentlich schon stutzig machen müssen – hatte exakt so lange an ihre Beziehung geglaubt, bis Susan mit ihrem Journalistengehalt seine gesamte Berufsausbildung mitfinanziert hatte. Den Magister und einen guten Job in der Tasche, ließ Guido Susan mit einem leer geräumten Konto und einem tief verletzten Herzen zurück, dessen Narben zwar verheilt, aber noch deutlich spürbar waren. Auch ihr Konto hatte sich noch nicht vollständig wieder erholt, Ersparnisse gab es jedenfalls keine – nicht zuletzt deshalb saß sie nun an diesem herbstlichen Sonntagnachmittag im Flugzeug von Zürich nach Hamburg.
Und jetzt das: Turbulenzen. Sie mochte keine Turbulenzen, weder im Flugzeug noch im Privatleben. Guidos Abschied war jetzt über zwanzig Jahre her, und seitdem kam sie ganz gut ohne emotionale Turbulenzen aus. Dank eines Jobangebots war sie damals nach Zürich gezogen, einen in jeder Hinsicht neutralen Ort, unbelastet von irgendwelchen Erinnerungen, und hatte das Thema Liebe in dem bombensicheren Panic Room ihres Herzens verschlossen.
In einer halben Stunde würde die Maschine der Swiss, in deren 14. Reihe Susan auf Fensterplatz F saß, in Hamburg landen. Neben ihr las eine Frau Ildikó von Kürthy. »Nur schlafende Frauen sind zufrieden« stand auf der Rückseite des Buches. Stimmt, dachte Susan, aber nur, solange ihnen kein kitschiger Traum in die Quere kommt.
Die Maschine setzte zum Landeanflug auf Hamburg an. In Zürich ließ Susan mittlerweile eine weitere gescheiterte Beziehung und ein paar Liebeleien zurück. Nichts davon war so eng gewesen, dass sie jetzt jemanden vermissen würde. Und das wollte was heißen, wenn man sich an einem regnerischen, trüben Nachmittag Ende Oktober im Anflug auf Hamburg befand, um dort eine Weile zu bleiben. Immerhin wird der Auftrag unterm Strich deutlich besser bezahlt als mein letztes Sachbuch, tröstete sich Susan und ließ den Sicherheitsgurt einrasten.
Die Maschine setzte hart auf und bremste so heftig ab, dass Ildikós Werk von Mittelplatz 14 E unter allen Reihen bis nach vorne durchschlidderte und von einem Herrn in Reihe 1 mit spitzen Fingern und ebensolchem Mund über die Gänge zurückgereicht wurde – und bei Susan landete! »Da denkt tatsächlich jemand, ich lese ›Nur schlafende Frauen sind zufrieden‹«, empörte sie sich. Gut, es stimmte – sie hatte in der Tat auch schon mal Ildikó gelesen, denn Sachbücher trocknen einen auf Dauer emotional aus – aber sah sie nun schon so aus, als würde sie auf Frauenliteratur stehen? Voller Plattitüden über den großen Herzschmerz und das Verliebtsein? Andererseits – was war so verkehrt daran? Wollte sie sich nicht auch verlieben, bis über beide Ohren? Und dasselbe zurückbekommen? – schoss es Susan plötzlich, unvermittelt und unerwünscht durch den Kopf, während die Passagiere unruhig darauf warteten, dass sich endlich die Türen der Maschine öffneten. Und wenn schon, dachte sie und schob gedanklich diese ganze Gefühlsduselei gleich wieder beiseite.
Hamburg empfing Susan mit dem für die Stadt so typischen Dauerregen. Der Himmel hing tief – und Susans Mundwinkel bald auch. Ihre alte Freundin Anne, die ›für das Verlagshaus die Knochen hinhielt‹ (ihre Formulierung) kannte wohl Susans schamhaft verborgene Seite und hatte sie deshalb zu diesem Happy-Couple-Thema im Herbst nach Hamburg geholt. Aber leider nicht vom Flughafen ab – was sie hoch und heilig versprochen hatte. Susans Stimmung verdüsterte sich zusehends. Als sie vor dem Flughafengebäude durch Regen und Sturm zum Taxi rannte, übersah sie sehr zum Leid ihrer neuen Stiefeletten eine gefühlt metertiefe Pfütze und ärgerte sich auf dem Rücksitz nicht nur über das ruinierte Wildleder, sondern vor allem über ihre nassen Füße.
Um das Desaster komplett zu machen, entpuppte sich der Taxifahrer auch noch als Valentino für Arme: Kaum saß sie im Wagen, raunte er auch schon im Barry-White-Timbre: »Ich stehe auf Frauen über vierzig!« Dabei stierte er sie siegessicher über den Rückspiegel an. Typ Robinson-Club-Animateur im Sommer, Skilehrer im Winter. Jetzt war Oktober, also weder noch. »Heiße Chris«, setzte er nach.
»Und richtig?«, versuchte Susan ihm einen verbalen Kinnhaken zu verpassen.
Chris schaute verblüfft aus der Wäsche, an die sie ihm bestimmt nicht wollte.
»Christian.«
»Aha. Aber Chris kommt besser an bei der Akquise im Taxi, oder?«
»Klar. Und das mit den über vierzig auch«, setzte er frech nach.
»Verstehe ich nicht«, sagte Susan.
»Na, Frauen zehn Jahre jünger schätzen. Das kommt extrem gut. Die schönsten zwanzig Jahre im Leben einer Frau sind die zwischen dreißig und vierzig. O-Ton mein Vater.«
»Na vielen Dank auch.« Hamburg, November, Regen, Chris – auf diesem Boden gedeihen Depressionen. Nichts als raus aus diesem Wagen, dachte Susan. An einer Ampel mit nervtötend langer Rotphase wischte sie die beschlagene Scheibe frei, um Chris’ scheelen Rückspiegel-Blicken auszuweichen, und entdeckte das leuchtende Schild eines italienischen Restaurants: »La Bruschetta« stand dort, und das orangerote Licht, das durch die Fenster des Restaurants schien, verhieß Wärme und Gemütlichkeit. Tropfen an den Souterrain-Scheiben, Weinregale, Marcello Mastroianni schwarz-weiß an der Wand. Vor der Tür, die einen Spalt offen stand, unterhielten sich rauchend zwei Kellner.
»Lassen Sie mich hier raus, Chris«, rief Susan plötzlich entschlossen.
»Nicht zum Hotel?«, fragte Chris entgeistert.
»Nein, ich brauche etwas Luft.«
Der Taxifahrer widersprach nicht und unternahm keine weiteren Flirt-Versuche. Entweder hatte ihn Susans herb abweisende Art verschreckt, oder lag es an der mittlerweile eingeschalteten Innenbeleuchtung des Wagens, die ihm eine etwas realistischere Einschätzung ihrer physischen Verfassung ermöglicht hatte?
Die Sachbuchautorin in ihr war erleichtert, Susans andere Hälfte indes ein wenig enttäuscht. Keine Akquise-Bemühungen mehr abwehren zu müssen war schal. »Sparen macht Spaß, wenn du Geld hast«, pflegte ihre Mutter in passenden, bisweilen auch unpassenden Momenten zu sagen. Wie auch immer. Links eine Reisetasche voller Manuskripte, rechts einen Koffer mit Klamotten in gedeckten Farben für eine Woche Hamburg, stolperte Susan direkt in die Arme von »Ich bin Sandro!«, einem gutgelaunten, prallen Glatzkopf mit sympathischen Lachfältchen um die Augen. Schon vor Betreten des spärlich besetzten Restaurants nahm der »Padrone« ihr beide Gepäckstücke ab. »Du kriegst beste Tisch«, sagte der kompakte Südländer, dem die Brusthaare aus dem stramm sitzenden Hemd quollen, und geleitete sie in sein Reich.
Susan strich sich die nassen Haare aus dem Gesicht und beschloss, ihren Ärger über die ruinierte Frisur, die triefende, halbgare Anmache und die nassen Stiefeletten augenblicklich in einer Flasche Rotwein zu ertränken. Bereitwillig ließ sie sich deshalb von Sandro aus dem Mantel helfen.
In protestantisch geprägten Gegenden waren italienische Restaurants wie eine Oase in der Wüste, und so empfand Susan es auch jetzt. Die höhlenartige Souterrain-Trattoria hatte etwa zwanzig Tische, an den weiß gekalkten Wänden hingen großformatige Schwarz-Weiß-Fotos italienischer Ikonen wie Sophia Loren und Adriano Celentano vor einem dampfenden Teller Spaghetti. Paolo Conte sang zu all dem, und Susan entdeckte eine Pinnwand mit Promi-Fotos, von denen sie allerdings keinen erkannte.
»Valerio, die Dame hat Appetit …«, rief Sandro in die Küche.
»Ich hätte lieber eine Flasche Rotwein. Primitivo. Ich esse später«, sagte Susan, setzte sich und atmete einmal tief durch, bevor sie die Manuskripte für ihren Artikel vor sich ausbreitete. Zehn Paare hatte ihre Freundin Anne bereits recherchiert, und alle lebten in oder nahe bei Hamburg. Alle hatten nach eigenen Angaben die große, ja die größte Liebe ihres Lebens erst mit fünfzig oder später getroffen.
Susan sah sich die Fotos und Lebensläufe der Frauen und Männer an, denn sie musste eine Auswahl treffen – alle zehn würde sie sicher nicht schaffen. Die Paare blickten klar und offen in die Kamera. Wie Kinder es taten, wenn sie zeigen wollten, dass sie sehr glücklich sind. Niemand kokettierte. Mag sein, dass sich in ihren Augen Hoffnung oder Dankbarkeit spiegelten, vielleicht auch Melancholie. Susan fiel auf, dass die Männer im Alter der Frauen zu sein schienen, keiner wirkte deutlich älter. Im Gegenteil.
Wie ein Mosaik legte Susan die Fotos vor sich auf dem Tisch aus: So unterschiedlich diese Männer auch waren, sie alle hatten...
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