Schweitzer Fachinformationen
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"Halt! Stehen bleiben! Gewehr weg! Hände hoch!"
Dieser Ausruf gehört einfach in eine richtige Wilderergeschichte. In meinem Fall hätte es aber heißen müssen: "Hände hoch! Steinschleuder weg!" Das war mein Werkzeug, bis später das Luftgewehr dazukam.
Doch nun der Reihe nach. In den ersten Nachkriegsjahren war ich mit knapp elf Jahren ein Meister der Steinschleuder. Die war nicht so einfach herzustellen, denn der Gummi dazu musste wegen seiner Zugkraft aus Schläuchen von Autoreifen stammen. Heutzutage haben Autos schlauchlose Reifen, die waren damals noch nicht einmal Zukunftsmusik. Neue Autoreifenschläuche waren kaum zu bekommen, die alten wurden deshalb geflickt und geflickt, bis sie regelrecht bunt vor lauter Flickstellen waren. Solche Schlauchfragmente wurden unter uns Buben hoch gehandelt und wir, das heißt mein Bruder und ich, hatten einen Freund, dessen Eltern ein Fuhrunternehmen besaßen. Ein Fuhrunternehmen zwar ohne Autos, doch es fanden sich in der Garage Gummireste einstiger Herrlichkeit.
Man brauchte obendrein für die Schleuder eine hölzerne Gabel, die im richtigen Wuchs vornehmlich in Fliedersträuchern zu finden ist. Das Lederstück für die Geschoße zwischen den beiden Gummienden war zwar auch Mangelware, doch nicht ganz so rar wie der Gummi.
Mit der Zeit gewann ich an Treffsicherheit. Geübt wurde ja genug in der reichlichen Freizeit. Die oft taumelnde Flugbahn der geschleuderten Steine lag an deren unregelmäßiger Oberfläche. Rund waren die Steine nie, und so wurde die Ballistik mit wachsender Entfernung unberechenbar.
Spatzen oder Amseln konnte man nur auf nahe Entfernung beschießen und treffen. Eichkatzeln, Ringeltauben oder gar Häher und Krähen - kein Gedanke, die waren zu weit weg, und die Durchschlagskraft hätte auch nicht ausgereicht.
Ich jagte nach meiner Ansicht streng weidgerecht. Mein Wissen darüber hatte ich aus einem uralten Buch von Ludwig Ernst Hartig: "Lehrbuch für Jäger und die es werden wollen". Da wurde noch klar unterschieden zwischen "schädlichem" und "nützlichem" Jagdwild. So rangierten Meisen, Spechte, Rotkehlchen und andere Singvögel unter "nützlich" und wurden geschont. Dieses über zweihundert Jahre alte Buch bereichert meine Jagdbibliothek und trägt immer noch die verschandelnden Vermerke, die ich als Bub damals zu den einzelnen Kapiteln glaubte hineinschmieren zu müssen.
Da kam mir zur Perfektionierung meiner Treffsicherheit das Kriegsende zur Hilfe. In der Nähe unseres Wohnorts führte eine, nun stillgelegte, Bahnstrecke vorbei. Auf den leise vor sich hin rostenden Gleisen standen von Tieffliegern der Amerikaner zerschossene, ausgebrannte Waggons. In einer dieser brandgeschwärzten Ruinen fand ich, was ich dringend brauchte. Es muss wohl seinerzeit ein Munitionszug gewesen sein, denn ich fand eine Unmenge von Projektilen für die 08-Wehrmachtspistole. Diese Stahlmantelgeschoße hatten einen Bleikern. Das war's! Obwohl auch die Bleikerne nicht rund waren, war ihre Flugbahn durch das hohe Gewicht bei geringem Volumen gestreckt wie bei einer Hochrasanzpatrone. Natürlich immer in den Grenzen der Schleuder-Reichweite. Das eröffnete mir neue, in jener jagdgesetzlosen Zeit nun nicht mehr ganz so harmlose Jagd-(sprich: Wilderer)möglichkeiten.
Die Treffsicherheit war so hoch, dass "fast" jeder Spatz, der auf der Strom- oder Telegrafenleitung saß, steintot herunterfiel. Wobei "steintot" mit der neuen Munition besser "bleitot" hätte heißen müssen. Jetzt ging's auf die Tauben und Eichkatzeln los.
Gleich das erste Opfer, ein schönes rotbraunes Eichkatzel, fiel voll getroffen aus einer Kiefer vor meine Füße. Mit einem Triumphschrei packte ich meine Beute. Doch der Triumphschrei wurde zum Schmerzensschrei, denn das Tier biss mich im Verenden in die linke Hand. Voll in das Dreieck zwischen Daumen und Zeigefinger. Und zwar absolut durch, mit allen vier Nagezähnen. Es schweißte höllisch, das war mein Glück. Denn nachdem ich die Bissstelle ausgesaugt, das Blut ausgespuckt und die Hand eine Zeit lang hochgehalten hatte, kam auch die Blutung zum Stillstand. Von Tetanus und Wundinfektion hatte ich keine Ahnung. Kinder und Narren haben Glück, es geschah nichts dergleichen, nur die Narbe ist mir bis heute geblieben.
Beute zu machen und sie nicht zu verwerten war absurd. So balgte ich das Tierlein ab und es wurde, wie schon die Amseln und Spatzen vorher, in unserem Garten am offenen Feuer gebraten. Sicher schmeckte es ein wenig bitter, denn wie unsere "Brathühner" war auch das Nagetier schwarz verbrannt. Wir Buben kamen uns vor wie Indianer oder Urmenschen, die waren auch nicht so zimperlich. Und wir fanden, dass es toll schmeckte.
Nach diesem Anfangserfolg wollte ich etwas für die "echte" Küche beitragen. Das waren vorerst Ringeltauben. Doch die waren in unserem Garten selten, bis auf eine, die dann, stolz erlegt, den Geschmack der Familie geweckt und die Nachfrage angekurbelt hatte.
Bei meinen Streifzügen ins nahe Dachauer Moos und in die Amper Auen (die Gegend heißt heute - noch nicht zu Unrecht - "Himmelreich") war mir ein einsam im weiten Moos stehender kleiner Fichtenhain aufgefallen. Nur einzelne Birken und neben Torfstichen stehende windschiefe Hütten unterbrachen das eintönige Landschaftsbild. Dorthin strichen am Abend die Tauben auf ihre Schlafbäume. Bei uns hieß es darum das "Taubenhölzl". Dort wollte ich mein Weidmannsheil probieren. Mit meinem abenteuerlichen, aus lauter Schrottteilen zusammengebastelten Fahrrad schob ich mich dort in den Schatten ein.
Bei all meinen meist erfolglosen Beutezügen war unser Dackel "Strolchi" dabei. Da die Entfernung bis zu den Amper Auen für die kleinen Dackelbeine zu groß war, um neben dem Radl herzulaufen, kam er in einen Rucksack. Dies war ein khakifarbener Beuterucksack eines fremden Heeres in Form eines Schulranzens. Der war ideal für den kleinen Insassen, da konnte er aus einer Seitenklappe den Kopf rausstrecken und schauen, wohin es ging.
Zuvor möchte ich Ihnen erzählen, wie er zu mir kam. Mein Mathe-Nachhilfelehrer (leider mussten meine lieben Eltern wegen meiner Lernfaulheit immer neue "Pädagogen" finanzieren) hatte einen Wurf garantiert rassereiner Rauhaardackel. Da blieb es nicht aus, dass ich die geplagten Eltern, die in dieser Zeit ganz andere Sorgen hatten, so lange quälte, bis sie 50 nigelnagelneue D-Mark für den Welpen locker machten. Bald stellte sich heraus, dass es ein "mopsgedackelter Windhund" mit einem prachtvoll geringelten Posthornschwanz - oder richtiger "Jagdhornschwanz" - werden würde. Alle Versuche, die Rute mit einer Schiene gerade zu kriegen, scheiterten kläglich. Das tat jedoch meiner Liebe keinen Abbruch, und so wurde der Kleine zum Jagdhund ausgebildet - was das genau war, davon hatte ich allerdings noch wenig Ahnung. Fährten- oder besser Schleppenarbeit und Apportieren meisterte er bald vortrefflich.
So war er auch auf dieser Jagdfahrt mit dabei. Schon am Mittag fielen einige Tauben auf den Randbäumen ein. Aber selbst wenn ich mich auf Schussentfernung hätte anpirschen können, waren die vielen hinderlichen Äste vor dem Ziel ein Problem. Für einen Schrotschuss wären sie kein Hindernis gewesen, doch so eine Pistolenkugel, von der Schleuder abgeschnalzt, käme niemals durch das Gitterwerk.
Ich setzte mich dennoch an. Klatschenden Flügelschlags fielen immer wieder einige der rosenbrüstigen, zartblau gefiederten Köstlichkeiten ein. Für mich jedoch immer unerreichbar. Ich hörte, wie sie sich mit dem typischen, leise wiehernden Laut des Taubenflügelschlags immer wieder im Geäst umstellten. Dann aber zahlte sich meine Geduld - des Jägers wichtigste Eigenschaft, an der es mir oft mangelt - aus. Ein balzendes Taubenpaar flatterte plötzlich bis auf eine kaum beastete Stelle knapp vor mir herab. Dumpf schlug die Kugel auf und getroffen taumelte mein Opfer zu Boden. Schnell sauste mein kleiner Helfer los, und bevor der benommene Vogel wieder zu sich kommen konnte, war er unser.
Doch leider blieb dies ein Einzelfall. Sooft ich es probierte, diese Chance wiederholte sich nie mehr. Aber etwas anderes erweckte meine Neugier. Es waren nämlich mehrere Schüsse zu hören.
Dem Schall nach musste in etwa fünfhundert Meter Entfernung an der Amper jemand geschossen haben. Ich radelte hin. Da stand ein offener Ami-Militärjeep. Wo war der Jäger? Ein deutscher Jäger konnte es in diesen Endvierzigerjahren niemals sein, denn es herrschte durch das Jagdverbot jagdliche Anarchie. Amerikaner und auch manchmal sogenannte "DPs" (Displaced Persons, also entlassene Gefangene, die sich das holten, was, wie sie glaubten, ihnen zustand) machten die Wälder unsicher. Wer da in "meinen Jagdgründen" damals wirklicher Jagdberechtigter war, interessierte nicht, denn der konnte und durfte ja nicht jagen, geschweige denn...
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