Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
"Willst du mit?" Wenn dieser Ruf durch das Haus oder den Garten zu hören war, dann fühlte ich mich wie elektrisiert. So schnell meine sechsjährigen Füße konnten, rannte ich zum Rufer, meinem Onkel Carl. Er war mir der Allerliebste aus meiner nicht gerade kleinen Verwandtschaft, denn er war etwas Besonderes für mich, er war Berufsjäger. Da konnte in meinen Augen niemand von allen Onkeln und Vettern an Attraktivität mithalten. Onkel Carl kannte die Natur, ihre Geheimnisse und Besonderheiten wie niemand in meiner Familie. Und er liebte die Tiere, besonders das Wild - und ganz besonders das Rotwild.
Aquarell: Eichelhäher
Mein Onkel war eine imponierende Erscheinung. Sehr groß und kräftig gebaut. Mit seinem markanten Kopf und seinen ausnehmend grünen, immer wachsam blickenden Augen erregte er überall sofort Aufmerksamkeit. Er hatte eine volltönende, warme Stimme, ruhige Bewegungen und in seinem Blick lag etwas Schelmisches. Wen er nicht mochte, weil er mit Tieren unfreundlich umging oder wer arrogant und kaltherzig war, der bekam seinen Schalk in kleinen, zwar harmlosen, aber unangenehmen Streichen zu spüren. Das konnte eine versteckte Brille sein, die nach zwei Tagen unerwartet wieder auftauchte, oder ein Autoschlüssel, der sich Gott sei Dank im Flaschenfach des Kühlschranks fand. Um Ideen war Onkel Carl nie verlegen, wenn es darum ging, engherzige Zeitgenossen ein bisschen zu ärgern.
Mein Onkel stammte aus einer Familie, aus der seit mehreren Generationen die Berufsjäger der Wittelsbacher kamen. Auch seine Vettern und Onkel standen im Dienst dieses adligen Hauses. Sie alle wurden von ihren Chefs sehr geschätzt wegen ihrer hervorragenden Kenntnisse von Wald und Wild. Jedes Mitglied dieser Jägerfamilie hatte ein untrügliches Gespür für Wetterstürze oder nicht vorhersehbare Veränderungen im Verhalten der Wildtiere.
Mein Onkel Carl, dieser Kenner und Könner der weidgerechten Jagd, führte mich also von Kindesbeinen an in die Pflichten und Geheimnisse des Weidwerkens ein. Es gab im Laufe der Jahre viele Situationen, in denen ich immer wieder an "meinen Lehrprinzen" erinnert wurde:
So zum Beispiel an einem Tag, an dem ich meinem Mann beim Versorgen der Fütterung half, die im mittleren Teil unseres Allgäuer Bergreviers lag. Wir waren hier Mitpächter und unterstützten unseren Berufsjäger Josef-Anton gerne, wenn er arbeitsmäßig viel zu stemmen hatte. Eines Tages war das so, denn er sollte Gäste führen und abends war er zu einem Junggesellenabschied eingeladen. Da wollte er sich verständlicherweise fein machen. Und mit dem Feinmachen musste er rechtzeitig anfangen, wenn es gelingen sollte.
Im beginnenden Herbst ist es wichtig, das Wild durch regelmäßiges Füttern an den Futterplatz zu gewöhnen, obgleich in der Natur noch kein Futtermangel herrscht. Darum fingen wir rechtzeitig mit dem Auslegen von Futter an. Vor der Ausgabe von Pellets, Heu und Rüben kam das große Saubermachen.
Schaufel und Kübel brauchte ich als Erstes. Der Bereich um Raufen, Tröge und Kälberstall musste von Losung frei sein, bevor die eigentliche Fütterung begann. Hätte mich ein jagdlicher Kollege bei meinem Tun beobachten können, hätte er vermutlich gedacht: "Das ist doch übertrieben, nicht der kleinste Rest von Verunreinigung bleibt liegen. Die Frau hat einen ganz schönen Vogel." Ich hätte ihm geantwortet: "Ich habe keinen schönen Vogel und keinen hässlichen Vogel, ich habe gar keinen Vogel, sondern ich arbeite so, wie ich es von meinem Onkel in jungen Jahren gelehrt bekam."
Die Anordnungen, die ich dazu seinerzeit vom Onkel empfing, kontrollierte er genau und gab mir dazu die Erklärung, warum er diese Arbeit für notwendig hielt und von mir forderte. Durch penibles Sauberhalten des Futterplatzes, sagte er, habe das Wild im Frühjahr viel weniger Darmprobleme als allgemein beobachtet werde. Er war der Meinung, dass sich im Frühling, bei steigenden Temperaturen, die Bakterien auf einem schmutzigen Platz stark vermehren würden. Die Tiere nähmen mit heruntergefallenem, verschmutztem Futter vieles auf, was ihnen im Verdauungstrakt schaden könnte. Als ich meinen Lehrprinzen ungläubig anschaute, wischte er meine Zweifel mit dem drastischen Satz beiseite: "Kein Lebewesen will in einem verschissenen Salon Leckerbissen speisen! Das kannst du doch leicht verstehen?"
Wenn Onkel Carl und ich mit der Arbeit am Futterstadel fertig waren, versprach er mir immer: "Jetzt kommt die Belohnung für uns. Wir schieben das Stadeltor zweimal mit einem kräftigen Ruck zu. Das Wild weiß dann, dass wir fertig sind und kommt sofort bis zum Waldrand. Es wartet an der Kante, bis wir im Auto sind, dann traut es sich aus der Deckung."
Und es war wirklich so. Kaum saßen wir im Wagen, kamen die Tiere eilig unter den Fichten hervor. Mein Onkel erklärte mir jeden Hirsch, der zu sehen war, sagte mir seinen Namen und sein Alter und seine Veranlagung für das Geweih. Er kannte auch die "Stuck" (das Kahlwild) genau und freute sich über die Jungtiere, die in den Kälberstall schlüpften.
Auch für mich gab es etwas zum Schnabulieren nach getaner Arbeit. Ich bekam ein Eukalyptus-Hustenbonbon. Eigentlich mochte ich diese Bonbons nicht, aber meinem lieben Onkel Carl hätte ich das nie gesagt, denn ich wusste, Besseres konnte er mir nicht anbieten. Schließlich war es die Zeit nach dem Krieg, in welcher es so etwas Luxuriöses wie Schokolade oder einen Lutscher nicht an jeder Ecke gab.
Eines Abends in der Hütte bei der Brotzeit mit Gerd dachte ich laut darüber nach, wie viel Wichtiges und Nützliches ich für den Jagdbetrieb von meinem Berufsjäger-Onkel gelernt habe. Vor dem Fenster leuchteten die Beeren der Eberesche. Bei ihrem Anblick fiel mir Onkel Carls Spruch ein: "Glüht die Eberesche rot wie die Korallen, ist der Feisthirsch reif und er kann fallen." Und dann ergänzte er: "Jetzt ist die richtige Zeit, um im Waffenschrank ein wenig aufzuräumen, die Patronenzahl zu überprüfen und alle Waffen probezuschießen." Das war in meiner Jugend der Tag, an dem vom Onkel das von mir heiß erwartete Telefonat kam mit der Frage: "Willst du mit? Morgen mache ich im Kasten so was Ähnliches wie Ordnung. Anschließend fahre ich in die Kiesgrube beim 'Kätzles Tobel' und probiere alle Waffen, auch die, welche ich selten führe. Komm so gegen 14 Uhr zu mir ins Jagdkämmerle, wenn du mitwillst." Und ob ich mitwollte! Das Mittagessen habe ich hinuntergeschlungen, als wäre ich auf der Flucht, damit ich ja pünktlich sein konnte.
Das Jagdkämmerle war eine kleine Stube hinter dem Empfangstresen für die Hotelgäste. Das Hotel gehörte seiner Frau, meiner Tante. Sie führte und verwaltete es völlig ohne ihren Mann, was zu einer sehr harmonischen Ehe der beiden führte. Nach bravem "Grüß Gott-Sagen" bei der Tante schlüpfte ich hinter die Theke und klopfte an die Tür vom Kämmerle. Kein "Herein" ertönte. Noch einmal versuchte ich mit einem vorsichtigen Klopfzeichen mein Dasein kundzutun. Wieder keine Antwort. Vorsichtig machte ich die Tür einen Spalt auf, zog sie aber augenblicklich wieder zu. Es war, als hätte ich ein Krokodil vor meinem Gesicht gehabt. Es war aber kein gefährliches Wassertier, das mich angefletscht hatte, sondern Schweißhündin Luna, die den Mittagsschlaf ihres Herrn bewachte. Die vierbeinige Wächterin duldete keine Störung ihres Chefs. Sie war eine liebenswürdige, gutmütige Hündin, aber die Ruhestunde von Herrchen war ihr heilig. Dabei wäre der Anblick, der sich dem Betrachter im Kämmerle geboten hätte, ein Grund zum Lachen gewesen und ich hätte ihn gern jedem gegönnt, der Sinn für Komik hat. Auf einer uralten, speckigen Ledercouch lag Onkel Carl mit geöffnetem Hosenbund und heraushängendem Hemd und schnarchte, dass sich die Balken bogen. Auf seiner Brust lag Luna in Habtacht-Stellung, bereit jeden anzuspringen, der hier eindringen wollte. Die Grimasse und das Zähnefletschen der Hündin und ihre rollenden Augen waren perfektes Hundetheater.
Ich setzte mich in die Hotel-Lobby und wartete geduldig. Die liebe Tante brachte mir ein Eis, um mir die Wartezeit zu versüßen. Endlich ging die Kammertür auf und unter dem Türrahmen erschien erfrischt der Schläfer, neben ihm Luna, lieb und gutmütig wie immer. "Komm rein", rief er. "Wir fangen gleich an! Ich leg' die Waffen auf den Tisch und du suchst aus dem Kasten die richtige Munition für jedes Gewehr. Für die Flinte eine Patrone, für die anderen zwei, falls ich korrigieren muss, für das Kleinkaliber vier Schuss. Die Gewehre stecken wir in die Lederfutterale, die unten in der Schublade sind, die Kugeln in die Patronentasche, die auch ganz unten liegt. Richte ja keine falsche Munition her, denn sonst sind wir umsonst in die Kiesgrube gefahren."
"Und warum fürs Kleinkaliber vier Patronen und für die anderen nur zwei?", wagte ich zu fragen. "Das wirst du dann schon sehen!", antwortete Onkel Carl und lachte.
Am Schießplatz hatte der Onkel schon vor Jahren eine Auflage fest installiert. Ein Brett war vor der mächtigen Kieswand an einen Pfahl geschraubt für die Zielscheibe. Mir wurde ein Gehörschutz aufgesetzt und dann wurde mit jeder Waffe probegeschossen. Jede schoss perfekt, genau wie vom Schützen gewünscht. Dann war das Kleinkaliber an der Reihe. Onkel Carl legte es mir gekippt in die Hände und sagte: "Jetzt pass gut auf! Heute darfst du auch...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.