Man findet im armen Hellas sehr häufig Spuren, die beweisen, wie furchtbar die Hand der Moslim über den christlichen Ländern gelegen hat, und wie schwer sie im Unterliegen noch Rache an den Kämpfern geübt haben; noch lange wird das Land an seinen Wunden bluten, und es wird einer festen Hand bedürfen, um es auf jenen Standpunkt zu bringen, auf dem es den blutig erkämpften Sieg benutzen kann. Von diesem Felsen herab, der wie ein Sockel im Wasser steht, gelangten wir wieder durch Buschwerk und Reben reitend an das Gestade, das wir nicht mehr verließen, bis wir um fünf Uhr in den kleinen Ort Sakoly kamen, der zur Nachtstation bestimmt war. Er ist auch im Ufersande erbaut und hat eher ein türkisches als ein griechisches Ansehen; die Rauchfänge blinkten uns wie Minarets entgegen; außer diesem kleinen Schmucke ist in diesem Dorfe alles ärmlich und auf der untersten Kulturstufe. Wieder wurde uns in der Mitte des Dorfes ein Kani angewiesen, in welchem sich ein kleines Zimmer mit zwei hölzernen Ruhebetten befand; bis das Mal bereitet war, gingen wir am Strande spazieren, und die Kühle des Abends war im Vergleiche mit der vorangegangenen Hitze des Tages so fühlbar, daß wir uns nicht lange an der immer stärker werdenden Brandung ergötzen konnten; die Sonne war herrlich untergegangen und mit dem in Griechenland so gefährlichen Temperaturwechsel trat auch die Dunkelheit ein; noch vor der Malzeit schrieb ich an meinem Tagebuche. Das unbequeme Lager und die Insekten waren schuld, daß wir erst spät einschliefen; wir waren wie die Häringe zusammengepackt, was Anlaß zu manchem Streit und manchem Scherz gab. Kaum hatte ich einige Stunden geruht, als Archivarius K. mich weckte, weil er selbst nicht schlafen konnte und sich daher langweilte; natürlich ließen wir nun auch den Andern keine Ruhe mehr; man brachte das Frühstück und eine ziemliche Zeit vor Sonnenaufgang verließen wir unser Nachtquartier.
Mir war sehr unwohl und nur aus Rücksicht für die übrige Gesellschaft zwang ich mich mitzureiten; mit Sehnsucht erwartete ich die warmen Strahlen der Sonne. Die kahlen Bergspitzen entzündeten sich in reinster Gluth; gegen Korinth wurde das Purpurband der Dämmerung immer klarer und wärmer, bis es sich endlich in dem Augenblick, als die Sonne erschien, in ein goldenes Strahlenmeer verwandelte; die See schickte im Augenblicke, als der Tag erschien, goldene Schäume an das Ufer, die Weinberge glänzten im lichtesten Grün und die Pinie schwang sich leichter in der neu belebten Luft. Doch mein Unwohlsein nahm immer zu, und eine Stunde nach Sonnenaufgang mußte ich mich im freien Felde am Strande lagern. Der liebe Dr. F. hüllte mich in Mäntel und Marinaros ein, und stellte mich so weit her, daß die Caravane nach einer Stunde ihren Weg fortsetzen konnte. Er führte längs dem immer schöner werdenden Golfe hin, zwar eben, aber durch mannigfaltiges Gestrüpp behindert; wir stießen heut öfter auf Häuser, die aber meist verlassen waren, auch biblische Brunnen sahen wir häufig nahe dem Meere. An dem Kani, wo wir frühstücken sollten, standen eine Menge Maulthiere mit Trauben beladen; meine Begleiter stürzten sogleich auf dieselben los, ich aber ging, des Reitens müde zu Fuße voraus. Gegen Mittag erreichten wir Sizia, einen kleinen Ort am Gestade, wo uns Demetry ein für diese Gegend recht nettes, bunt angestrichenes Haus anwies; eine Terrasse hatte die Aussicht auf das Meer; und das Zimmer schien ein Gemisch von orientalischem Geschmack und europäischer Civilisation; es fanden sich darin Divans, goldberahmte Spiegel, etruskische Vasen und Steh-Uhren; doch das Schönste und anregendste war die liebenswürdige Cousine des jungen Hausherrn; sie mochte wohl eine Ahnung von unserer Ankunft gehabt haben, denn ihr Feß saß zu nett auf den braunen Haaren, und der Stoff des mit Pelz verbrämten Kleides war zu prachtvoll für den alltäglichen Gebrauch. Sie schien es gern zu sehen, daß man ihre schöne Erscheinung bewunderte. Wir begaben uns in den Salon und konnten hier die Einrichtung eines wohlhabenderen griechischen Hauses betrachten. Im Orient ist Alles auf glänzende Farben und Pracht berechnet; so gab man uns goldgestickte Handtücher; doch fehlt neben dem verschwenderischen Luxus die gewöhnlichste Bequemlichkeit, während es bei uns eher umgekehrt ist. Fast in allen hellenischen Zimmern hingen die Porträts des Königspaares und der Freiheitskämpfer in einfachen hölzernen Rahmen, wie auch Scenen aus dem Kampfe gegen die Türken; die Bilder aber sind der Männer und ihrer Thaten nicht würdig, und zeugen von geringer Kunstfertigkeit.
Nach kurzer Rast setzten wir unseren Weg gegen Korinth fort, der wieder durch eine reich mit Weingärten bebaute Ebene am Meere hinführt; gegen Abend lag das stolze Akrokorinth mit der Stadt Korinth an der äußersten Spitze des Golfs vor uns. Je näher das Meer ans Ufer tritt, desto dunkelblauer wird seine Farbe und desto ruhiger seine Oberfläche. Die Bauart der Häuser, wie der Schlag und die Tracht der Menschen änderte sich in dieser breiten Ebene; Gesichtsfarbe und Züge nehmen etwas Zigeunerhaftes an, und die Bekleidung ist leicht und von genialster Unordnung; man zieht Stunden dahin, ohne daß man sich der Stadt merklich nähert. Beim Untergang der Sonne erglühte Akrokorinth und einige der höchsten Spitzen in unaussprechlicher Schönheit; andere Berge waren orangenfarb und violett, und nur die entferntesten Höhen hüllten sich in jenes mystische Schwarzblau, das die Sehnsucht und Phantasie über sie hinaus trägt. Die Farbe des Meeres war von einem Blau, wie ich es in der Natur noch niemals gesehen habe; wir ritten still und bewundernd durch die frischgrüne Farbenpracht der Ebene, zwischen der die gelbe Erde an vielen Stellen hervorleuchtete. Unterhalb Korinth flammten die äußersten Spitzen des Oelbaumes zum letzten Male in rosiger Gluth, worauf die Sonne hinter den Bergen von Patras verschwand und der stille Duft der kurzen Dämmerung über die Gegend zog.
Nachdem wir schon glaubten, Korinth sehr nahe zu sein, floh es vor uns wie ein zauberhaftes Trugbild; wir ritten und ritten und konnten es nicht erreichen; die Luft nach dem Sonnenuntergang auf der Ebene war beängstigend, und es bemächtigte sich unser wirklich ein unheimliches Gefühl. Als gerade der Uebergang zur Nacht eingetreten war, nahten wir uns endlich unserem Ziele. Schauerlich, ja entsetzlich erschienen die Ruinen und tiefen Schlünde unterirdischer Gewölbe auf dem fahlen, wüsten, gelben Boden; wir ritten in einem Meer von Steinen; aus den schwarzen Tiefen schien ein giftiger Hauch hervorzuquellen; einzelne Gestalten krochen wie böse Schatten von Trümmer zu Trümmer; es war ein Bild der Zerstörung und des Fluches - wir glaubten durch eine Stadt des Todes zu gehen; endlich kamen wir in einen etwas gesitteteren Stadttheil, wo wieder Leben zu herrschen schien. Wir hielten auf einem kleinen Plätzchen vor einem hellerleuchteten, recht gut aussehenden Hause, das uns wie ein Stern aus trüber Nacht entgegen leuchtete. Es gehörte der Familie N., bei welcher uns unser Wirth ohne unser Wissen angekündigt hatte. Wir wußten uns anfangs nicht recht in unsere Lage zu finden, bis wir zu unserem Entzücken deutsche Laute hörten. Im selben Augenblick kam durch die dunkle Nacht eine große Gestalt auf uns zu und lud uns in deutscher Sprache ein abzusitzen und bei der Familie N. die Nacht zuzubringen. Wir folgten dieser Stimme in der Wüste, die uns in diesem Augenblicke wirklich wie die eines Propheten erschien, und traten unter die Thür des Hauses; hier waren Männer und Frauen in Nationaltracht, offenbar von unserer Ankunft benachrichtigt, versammelt. Der Deutsche war ein seit mehreren Jahren hier wohnender Arzt, Namens H. Er führte uns in einen reinlichen, hübsch eingerichteten Saal im ersten Stock, und stellte uns hier der Tochter des Hauses vor. Eulalia, so hieß die Holde, erschien in einem prachtvollen Kostüme, das ihre blendende Schönheit noch hob - und Helena selbst möchte, wenn sie hätte wiedererscheinen können, die Schönheit der griechischen Frauen nicht würdiger vertreten haben. Sie war eine Glanz-Erscheinung in der ersten Jugendblüthe, ihre schlanke, hohe Gestalt im vollsten Ebenmaße zeigte das herrliche Bild südlicher Vollendung. Die Züge waren die einer antiken Kamee; auf der elfenbeinartigen Haut des Gesichts zeichneten sich mit stolzer Schärfe die dunklen Brauen über den großen, langgeschnittenen Augen, ab. Ihr prachtvolles Haar trug sie in Wellen um die blendenden Schläfe, und auf dem Haupte saß der dunkle Feß mit der langen Quaste, die um ihre Schultern spielte. Leider sprach sie nur griechisch und Dr. H. mußte den Dolmetscher machen. Ihr Vater ist Minister des Innern in Athen, und bald wird auch sie dorthin ziehen, um einen Doctor zu heirathen. In ihrer Begleitung waren noch mehrere Hausgenossen und ein Bruder ihres Vaters, der einige Monate nach unserer Anwesenheit, in einem Parteistreite, von den Bauern umgebracht wurde. Nachdem wir wieder allein waren, setzten wir uns, ziemlich ermüdet von unserem Ritte, um den Theetisch. Archivarius K. war unwohl, und Dr. H., den wir zur Tafel gebeten hatten, lohnte uns die Höflichkeit mit sehr interessanten Erzählungen über die Zustände von Hellas. Diese Erzählungen fielen nicht zum Besten der Einheimischen aus; übrigens übte er nur Wiedervergeltung; denn der Haß der Griechen gegen die Fremden ist so groß, daß sie für dieses Gefühl ein eigenes Wort in ihre Sprache eingebürgert haben; nur vor den Aerzten haben sie einen ängstlichen Respekt, weil sie von ihnen Schutz vor den fürchterlichen Fiebern erwarten, die gerade jetzt in Korinth sehr stark herrschten. Das Baden im Meere und die Luft während der Dämmerung sind gefährlich; bei der Mäßigkeit der Einwohner, und dem sonst guten Klima sind andere Uebel selten....