Schweitzer Fachinformationen
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Seelen sehn sich an und gehn vorbei
Und gehn vorbei und sehn sich niemals wieder
Wer einen romantischen Blick auf London in seinen ärmsten Vierteln bisher verpasst hat - denn auch dort findet man Romantik -, sollte auf einen Sonnenuntergang im frühen Winter warten. Man kann sich nach Norden oder Süden, nach Islington oder Westminster wenden und dabei auf prächtige Bilder und mehr als einen einzigartig schönen Anblick stoßen. Die Stunde der rosenfarbenen Dämmerung besitzt ein Monopol auf Effekte. Einige unter ihnen werden vielleicht nie wieder erreicht.
An einem solchen Abend Mitte Dezember legte ich meine Näharbeit beiseite und ließ die harmlosen Herrlichkeiten des Feuerscheins (Enthüller eines falschen Zaubers) hinter mir, um, wie die Jugend das wohl tun mag, den Gegensatz zwischen der schneidenden Luft draußen und der Glut drinnen zu genießen.
Meine Absicht bestand in der Erfüllung eines latenten Appetits, denn mir stand nicht der Sinn danach, mich mit einer Rechtfertigung des Hungers zu begnügen, wie er auf einen warmen und trägen Nachmittag folgt.
Die herrliche Kälte des strengen Frosts ließ meinen Geist tanzen. Die Straße klang hart unter meinen Füßen, und über den einsamen Plätzen erwachten hinter mir scharfe Echos. Die beißende Luft stürmte mit kraftvoller Heftigkeit gegen meine Wangen. Sie brachte mein Blut mächtig in Wallung und holte den Gedanken an die warme, gerade verlassene Glut mit einem unermesslichen Gefühl der Bereicherung zurück.
Aber nach dem ersten Entzücken über das berückende Gefühl stellte sich die Frage nach dem Ziel. Die dunklen Bäume hinter den schäbigen Anlagen wichen allmählich Reihen flackernder Gaslampen, die Läden mit einem anderen Aussehen und einem üblen Geruch in den Blick rückten. Dann ragten die dicken Mauern eines teilweise niedergerissenen Gefängnisses dunkel vor dem blassen Himmel empor.
Das Gebäude erinnerte mich - ach, dass das möglich war - an eine in diesem Bezirk erst kürzlich durch einen über jeden Zweifel erhabenen Architekten errichtete Kirche, die ich, so hatte man mir empfohlen, bei passender Gelegenheit aufsuchen sollte. Das tat ich jetzt. Eine Reihe eng gedrängter Häuser mit den unverzeihlichen Erkerfenstern, die die erbärmlichen Verhältnisse nach außen kehren, wurde sichtbar. Die unheilverkündenden Mauern raubten ihnen jedes Licht und standen wie ein stummer Fluch vor ihnen. Ich glaube, sie zersprengten alle Hoffnungen der traurigen Bewohner unter ihnen - wenn sie denn Hoffnungen hatten - in Verzweiflung. Durch besudelte Fensterscheiben grinsten Gesichter kranker und schmutziger Kinder anzüglich auf die Straße. Ein Zimmer, an dem ich vorbeiging, schien voll von ihnen zu sein. Das Fenster war offen; ihr Gejammer und ihre unsinnigen Forderungen brachten die Mutter zum Weinen. Mit dem Geschrei der Kinder wurde es ihr von den mitleidlosen Gefängnismauern zurückgeworfen.
Die Unterkünfte kamen mir vor wie Travestien - vielleicht waren sie es nicht - des wunderbaren Ortes, den man Heim nennt.
Als ich wegging, suchte ich nach dem Wichtigsten, das man ihnen geraubt hatte. Was verweigerte ihnen, wie Armut und Sünde es nicht vermochten, das Recht auf den heiligen Namen?
Eine Antwort kam, aber die Deutung verzögerte sich. Ihr Teil war nicht die Trostlosigkeit von etwas Verlorenem, sondern von etwas, das nie gewesen war. An dieser Stelle schob ich freudig jede weitere Spekulation von mir weg und trat der Natur frei gegenüber.
Plötzlich tauchte ich aus dem unerträglichen Schatten des Mauerwerks auf und atmete wieder leichter. Vor mir lag ein geräumiger Platz, fast quadratisch, von dreistöckigen Wohngebäuden gesäumt und wie mit einem schnellen Mechanismus durch die Farben des Sonnenuntergangs verwandelt. Rote und goldene Flecken wogten in den Scheiben der niedrigen, rund um den verblüffend weiten Raum verteilten Häuser. Darüber hing ein schwach purpurfarbener Himmel mit violetten Wolken, verdunkelt durch Rauch und die nahende Dämmerung.
Im Zentrum, aber weiter links, befand sich eine alte Steinpumpe, und aus der Höhe, einige Fuß darüber, blickten ungleiche Lampen herab. Sie standen auf einem gepflasterten Platz, eingefasst von zerbrochenen Eisenzäunen in einer Farbe, die, jetzt verwaschen, einmal weiß gewesen war. Schmale Straßen führten in fünf Richtungen vom offenen Fahrdamm weg. Ihre Lichterreihen versanken undeutlich in der Ferne und spotteten der in den verblassenden Himmel aufsteigenden Sterne. In der leuchtenden Dämmerung war alles verklärt. Während ich dastand, fing die sinkende Sonne die spröden Enden der unbedeckten Haare eines Mädchens ein und legte einen schwachen Nimbus um das arme entheiligte Gesicht. Der sanfte Kreis verlieh ihm, als sie mich ansah, Ähnlichkeit mit einem der mystischen Gesichter in mittelalterlichen Heiligendarstellungen.
Stille stahl sich herein, und über den Platz huschten dunkle Gestalten, ließen mich im Dasein erstarren (ich dachte unwirklich), als meine mittelalterliche Heilige fragte, , und mich, nicht unfreundlich, auf meinem Weg weitergehen ließ. In einer benachbarten Gasse riefen Höker, und das monotone Kling-kling der Muffinglocke bildete den akustischen Hintergrund des Bildes. Ich ging weiter, und dann wurde der Glanz auch schon schwächer. Als kurze Zeit später Dunkelheit den Ort beherrschte, bestimmte schäbige Düsternis erneut sein Erscheinungsbild.
Nicht weit von hier gibt es eine Straße mit einem Namen, der das Leben in einem durch die Vorstellung beflügelt, die es von einem ungemein friedlichen Land wachruft, wo breite Straßen nur Pfade durch grüne Wiesen sind und der Schritt im Gleichklang mit der sanften Musik reiner Ströme ist. Dort markieren der Duft von Rosen und die ersten hervorbrechenden Knospen des Frühlings die Jahreszeiten, und die Vögel rufen gewissenhaft Zeit und Art des Tages aus. Hier wird Ostern durch die Ankunft eines schäbigen Luftballonmarkts am Karfreitag verkündet; Früh- und Spätsommer kann man erkennen, wenn man den unromantischen, doch authentischen Kalender beobachtet, in dem Murmeln, Spatzeck, Peitschen- und Drehkreisel, Reifen und Lutscher jeweils den Flug der Zeit markieren.
Vielleicht von der Unvereinbarkeit angezogen, schlug ich diesen Weg ein. Das Bemerkenswerte an einer solchen Hauptverkehrsstraße ist, dass ihr Publikum, egal wie zufrieden es mit den vergänglichen Ersatzstoffen für Literatur auch ist, trotzdem nach dauerhaften Formen von Kunst (der Begriff ist so häufig missbraucht worden, dass man sich kaum noch an ihm vergehen kann) verlangt. Sogenannte Bilder sind das einzige, was unter den prominent zur Schau gestellten Waren vom Lebensnotwendigen und dem beliebten Putz abweicht. Das Fenster, das die Sehnsüchte ausstellte, war kaum einladender als das des Fischhändlers nebenan, aber weniger übelriechend, und ich blieb stehen, um zu sehen, was die schlecht reflektierenden Lampen zeigten. Die Auswahl war typisch. Am prominentesten eine große Chromotypie mit einem Mädchen im Gebet. Ihre nach oben, vermutlich zum Himmel, gerichteten Augen ließen dem Betrachter keine Möglichkeit, auf den kunstvoll entkleideten Brüsten darunter zu verweilen. Würden Wachsarbeiten sich an solchen Schönheiten versuchen, könnten sie es mit jeder vergleichbaren Attraktion der ausgedehnten Ausstellung in Marylebone aufnehmen. Diese Personifikation von Pseudoreinheit war sinnlich unterhaltsam und folglich verkäuflich.
In meiner Vorstellung entstand das Ideal eines solchen Bildes, und von dieser Prostitution wandte ich mich angewidert ab. Eilig ging ich weiter und blieb nicht wieder stehen, ehe ich das niedrige Tor zu dem Ort, den ich suchte, durchquert hatte.
Sein abweisendes Äußeres war in tiefem Zwielicht verborgen und lud nicht zur Betrachtung ein. Ich trat ein und stieß das innere Tor auf. Es war mit Trauerkarten beklebt, auf denen die nicht protestierenden Geister der Toten der Gnade anempfohlen wurden. Man verlangte meine Gebete für die . Ich akzeptierte diese Behauptung, hielt ihn für darüber erhaben und vertraute meine eigene im Geist dem Priester für diejenigen an, die noch immer in der Düsternis danach suchten.
Innerhalb des Gebäudes verwehrte Dunkelheit erneut eine...
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