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Am Anfang war das Rad, immer schon eine runde Sache. Und »am Anfang« meint schon in den Anfängen der Geschichte, vor Tausenden von Jahren. Dann passierte sehr lange eher wenig, was die Erfindung von technischen Hilfsmitteln für die Fortbewegung an Land angeht. Noch zu Goethes Zeiten (1749-1832) war die Postkutsche zu Lande das modernste Verkehrsmittel - sogar das einzige, wenn man das Reitpferd nicht als Verkehrsmittel bezeichnen will.
Als im frühen 19. Jahrhundert jemand auf die Idee kam, die schon um 1700 erstmals erfundene Dampfmaschine2 auf Räder zu setzen und die gesamte Konstruktion auf eisernen Schienen fahren zu lassen, damit das gewaltige Gewicht nicht in den Boden versinkt, war die mit Energie aus Kohle betriebene Eisenbahn geboren, und zwar sehr zum Schrecken der meisten Zeitgenossen (wenn auch nicht Prince Alberts, des fortschrittsverliebten deutschen Mannes von Queen Victoria), denen das monströse, stampfende, rauchende und dampfende Vehikel nicht geheuer war. Ganz gewiss würde man Gesundheitsschäden ernster Natur erleiden bei solchen bisher nicht vorstellbaren Geschwindigkeiten.
Die erste deutsche Strecke wurde zehn Jahre nach dem englischen Vorläufer von 1835 zwischen Nürnberg und Fürth in Betrieb genommen. Wobei am Anfang immer noch weit häufiger Pferde statt Maschinen die Zugarbeit zu leisten hatten!
Erst spät im 19. Jahrhundert kamen Carl Benz3 und Gottfried Daimler4 (getrennt, aber praktisch zeitgleich) auf die Idee, das Prinzip der Eisenbahn - eine Antriebsmaschine auf Rädern, die Wärme aus Verbrennung in eigene Bewegung umwandelt - abzuwandeln und ein Verkehrsmittel zu schaffen, das motorisierte Mobilität in kleinerem Maßstab, mit viel kleineren und leichteren Fahrzeugen darstellen konnte. Statt einer Dampfmaschine, die von einem Kohleofen befeuert wurde, verwendeten beide in ihren Prototypen 1885/86 den noch recht neuen Verbrennungsmotor (ursprünglich patentiert um 1860),[2] in dem durch Zündfunken zur Explosion gebrachtes Benzin-Luft-Gemisch die Antriebsenergie lieferte.
Benz' erstes patentiertes Automobil kam mit drei Rädern aus, Daimler setzte den heutigen Standard mit vier Rädern - und entwickelte nebenbei auch das erste Motorrad und das erste Motorboot! Anstelle eiserner Räder auf ebensolchen Schienen oder ungemütlich hartkantiger Räder wie bei den ersten Autos gab es schon recht bald mit luftgefüllten Gummireifen überzogene Räder (Michelin 1895), die auf normalen befestigten Wegen und Straßen quasi flächendeckend und ohne allzu quälendes Durchrütteln der Insassen unterwegs sein konnten.5 Damit war im Kern das Auto etabliert, das wir heute noch fahren.
Mittlerweile war allerdings das Eisenbahnnetz in Deutschland beeindruckend engmaschig ausgebaut worden, überall gab es Bahnhöfe.6 Die Menschen hatten sich längst an die Eisenbahn gewöhnt. Das Auto war da nur eine merkwürdige Neuheit, ein störrisches und gefährliches Spielzeug für wohlhabende Abenteurer.
Noch in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts war der Gedanke, dass »normale Leute« ein Auto besitzen und ihre Wege damit - anstelle der Eisenbahn - zurücklegen könnten, revolutionär. In Hitlers Deutschland wurde diese Idee zu einem propagandistisch erfolgreichen Konzept in Form des »KdF-Wagens« ausgebaut, auf den man ansparen konnte (wie die Geschichte lehrt: vergeblich), und aus dem später der VW-Käfer wurde, neben Fords »Model T« wohl DAS Privatauto schlechthin, eine Legende.
Dabei war Henry Ford dem späteren deutschen »Volkswagen« (man muss sich den Begriff beziehungsweise Namen, der uns heute so geläufig ist, mal wieder bewusst vor Augen halten!) zeitlich weit voraus und bewies auch eine geradezu geniale unternehmerische Vision, schon um das Jahr 1910:
»I will build a motor car for the great multitude. It will be large enough for the family but small enough for the individual to run and care for. It will be constructed of the best materials, by the best men to be hired, after the simplest designs that modern engineering can devise. But it will be so low in price that no man making a good salary will be unable to own one - and enjoy with his family the blessing of hours of pleasure in God's great open spaces.«7
Zu Deutsch etwa:
»Ich werde einen Motorwagen für breite Kreise bauen. Er wird groß genug sein für die Familie, aber klein genug, damit der Einzelne es betreiben und dafür sorgen kann. Es wird aus den besten Materialien gebaut sein, von den besten Arbeitskräften, nach den einfachsten Entwürfen, die moderne Ingenieurskunst entwickeln kann. Aber er wird so niedrig liegen im Preis, dass niemand mit einem guten Gehalt gehindert sein wird, einen zu besitzen - und mit seiner Familie gesegnete Stunden des Vergnügens in Gottes großartiger freier Natur genießen kann.«
Eine solche Vision war in Europa Jahrzehnte später noch längst nicht verwirklicht. Auch in den 1950er-Jahren konnten die meisten Nachkriegsdeutschen, die gerade wieder anständig zu essen und anzuziehen hatten und einigermaßen ein Dach über dem Kopf, von einem eigenen Auto nur träumen - 1950 waren gerade 540.000 PKW zugelassen,8 also nur wenig mehr als ein Auto je 100 Einwohner.9
Währenddessen war die Eisenbahn immer noch überall das motorisierte Land-Verkehrsmittel schlechthin, in den großen Städten beginnend mit der Wende zum 20. Jahrhundert ergänzt durch Straßenbahnen, die ebenfalls auf Schienen fuhren, aber mit elektrischem Antrieb statt Dampfmaschine. Das war schon unerhört modern.
Noch Anfang der 1960er-Jahre war es wirklich etwas Besonderes, wenn eine Arbeiterfamilie tatsächlich ein Auto besaß. Der Besitzer konnte sich der staunenden Bewunderung der gesamten Verwandtschaft sicher sein. Die Massenmotorisierung schritt aber schnell voran: Der PKW-Bestand (der BRD) lag 1960 bei 4,5 Millionen; 1965 schon bei 9,3 Millionen und 1970 bei fast 14 Millionen.10
Zustände wie in der Nachkriegszeit, mit Autos als Ausnahme und der Eisenbahn als Beinahe-Monopol, hätten manche gern heute wieder, und sie geben sich politisch alle Mühe, sie möglichst weitgehend wiederherzustellen, wenn auch bisher ohne Erfolg und ohne realistische Erfolgsaussichten. Ihnen gilt die Eisenbahn als das unübertreffbare, zu Lande optimale Verkehrsmittel, ergänzt durch die kommunalen Bahnen über- und unterirdisch sowie Omnibusse, die die übrigen Flächen erschließen.
Aber wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass das Auto heute das mit Abstand beherrschende Verkehrsmittel ist?
Diese Frage ist durchaus nicht so abwegig, wie man auf Anhieb meinen könnte, angesichts der heutigen Zustände im motorisierten Verkehr, der so stark überwiegend eben vom Auto abhängt und dadurch dominiert wird. War doch die Eisenbahn zu dem Zeitpunkt, als das Auto erstmals in Massenproduktion kam, nämlich in Amerika auf Fords sagenhaften neuen Fließbändern (1913)11, längst allgegenwärtig und schien zusammen mit den anderen (»öffentlichen«) Verkehrsmitteln alle Mobilitätsbedürfnisse zu erfüllen. Wie konnte also das Auto mit all seinen Macken und seinem für den kleinen Mann noch lange eigentlich unerschwinglichen Preis einen Markt so überwältigend aufrollen, der durch Eisenbahn & Co. längst flächendeckend erschlossen war?
Auf diese Frage gibt es im Kern zwei gegensätzliche Antworten.
Die eine läuft darauf hinaus, dass es mindestens eine Verkettung zahlreicher unglücklicher Umstände und Fehlentscheidungen war, wenn nicht gar Ergebnis einer Art weitreichender Verschwörung dunkler Kräfte,[3] die mit dem Auto das quasi falsche, weil ökologisch, städtebaulich und gesellschaftspolitisch verhängnisvolle Verkehrsmittel so stark hat werden lassen.
Die andere Sichtweise ist, dass das Auto seinem Vorgänger und Konkurrenten Eisenbahn schlicht und einfach technisch überlegen ist, ihm gegenüber einen gewaltigen Fortschritt darstellt und seinen Nutzern ganz andere, qualitativ überlegene Mobilitätsoptionen eröffnet.
Das Auto ist so gesehen im Verhältnis zur Eisenbahn etwa das, was das Fernsehen im heimischen Wohnzimmer gegenüber dem Kino ist, das eigene Telefon gegenüber der öffentlichen Telefonzelle, das eigene Badezimmer gegenüber der öffentlichen Badeanstalt.
Das Auto macht Mobilität wirklich individuell und privat verfügbar, während sie mit der Eisenbahn nur im Kollektiv und als öffentliche Veranstaltung zu nutzen ist.
Für das richtige Verständnis der Entwicklung wichtig ist vor allem diese Tatsache: Das Auto ermöglicht heute gewaltige Umfänge motorisierter Mobilität, die es nicht etwa den öffentlichen Verkehrsmitteln abgenommen hat: Die...
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