Schweitzer Fachinformationen
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Als Markus Metz und Georg Seeßlen 2011 ihrer Generalinventur der damaligen Gegenwart den Titel Blödmaschinen gaben, leuchtete das furchtbar ein. Sie zeigten eindrücklich, wie Um- und Innenwelten fabriziert werden, in denen kluge Worte oder Taten nicht mehr möglich sind. Und das nicht primär aus Dummheit oder Unbedarftheit, sondern durch das Ineinandergreifen von konzertiertem Blöd-sein-Sollen und geflissentlichem Blöd-sein-Wollen.
Wo aber nur noch unterkomplexe Optionen bestehen, verdichtet sich Verblödung schnell zu Wut und drängt zur Macht. Höchste Zeit, den fortgeschrittenen Stand der Blödmaschinen zu inspizieren und sich dabei auf ihre derzeit destruktivste Produktionsfrontlinie zu konzentrieren: die Politik der Paranoia, wie der Populismus sie als Industrie der Regression global betreibt.
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PROLOG
»Wir leben nicht nur in einem Zeitalter der Kriege, Diktaturen und Covids, sondern werden auch von einer tödlichen Epidemie der Dummheit heimgesucht«, behauptet der russische Schriftsteller und Dissident Viktor Jerofejew.[2] Und jeder verzweifelte Post-Aufklärer, jede verzweifelte Demokratin, jede*r Intellektuelle wird melancholisch zustimmen. Ach ja, die Dummheit. Welcher kluge Mensch erregt oder amüsiert sich nicht über den allfälligen Schwachsinn seiner Mitmenschen? Von zwei Dingen, die unendlich seien, sprach Albert Einstein einst: dem Universum und der menschlichen Dummheit, wobei er sich beim Universum nicht ganz sicher war. Allerdings heißt das nur, etwas Unerfindliches in einem hübschen Allgemeinplatz zu entsorgen. Denn das Universum und die menschliche Dummheit ähneln einander auch in der Dialektik von Erkennbarkeit und Unberechenbarkeit. (Und auch hier könnte man anmerken: Beim Universum sind wir uns da weniger sicher.) Dumm sind erst mal immer nur die anderen. Oder nicht doch auch, unheimlich genug, etwas Anderes in einem selbst? Ja, wir dürfen und müssen es sagen: Wir haben nicht nur Angst vor dem Ressentiment um uns, sondern auch vor dem in uns. Ob von Natur aus oder aus eigener Schuld, ob selbst erzeugt oder durch soziale Maschinen - die Weigerung, Humanität und kritische Vernunft zum 16Leitmotiv für die Beziehung zwischen Person und Welt zu machen, muss, wenn nicht an allem, so doch an ziemlich vielem schuld sein. Die Menschheit muss einfach vom Virus der Blödheit befallen sein, sonst wäre sie nicht da, wo sie augenblicklich steht. Am Abgrund. Wieder einmal.
Die erzeugte Blödheit, wie wir sie in unserem Kompendium »Blödmaschinen« allgemein beschrieben haben, ist, wenn sie politisch wird, nicht automatisch >rechts<. Es gibt auch eine politische Blödheit, die von links kommt. Und es gibt, besonders ausgeprägt, auch eine politische Blödheit im Liberalismus, in dem es sogar ein (wenn auch nicht grenzenloses) Recht auf Dummheit gibt. Mark Twain hat es einst postuliert: »Das Recht auf Dummheit gehört zur Garantie der freien Entfaltung der Persönlichkeit«, und der deutsche Ex-Bundespräsident Roman Herzog verlangte sogar ein »Grundrecht auf Dummheit«.[3] Wir vermuten: Die Dummheit wird dann zum Problem, wenn sie vom tolerierten Störfall zum systemischen Prozess gerät; und sie wird zur tödlichen Gefahr, wo sie selber zum System wird. Es gibt, nicht nur bei Bergwanderungen und in Atomkraftwerken, Situationen, in denen das Recht auf Dummheit und das Recht auf Überleben sich tödlich duellieren.
Doch ob sie von rechts oder links oder >aus der Mitte< kommt, am Ende führt die politische Dummheit zu den immer gleichen Vorstellungen und Mechaniken in den Köpfen und im Rest der Welt. Politische Dummheit ist die Strafe dafür, dass nicht jedes Sehen auch zur Klarheit führt. Nicht-dumm-sein-Wollen ist nicht nur recht anstrengend, sondern auch mit großem Verzicht verbunden: Es gibt keine endgültige und umfassende Wahrheit. Die äußere wie die innere Welt bleibt rätselhaft - was durchaus interessant und produktiv wäre, wenn, ja wenn man in einer Kultur leben könnte, die einen entspannten und freundlichen Umgang mit der Widersprüchlichkeit und Offenheit des Weltganzen pflegte, anstatt unentwegt nach Status und Identität zu 17fragen. Was zum Wesen einer aufgeklärten, humanistischen und liberalen Gesellschaft gehört, ist eine persönliche wie kollektive Instanz, die am Ende so wenig >handfest< ist wie, sagen wir, die seelischen Instanzen der Psychoanalyse. Man nennt es das Bewusstsein, und vielleicht kann man es sich vorstellen als ein Instrument des Menschen, das ihm über sich selbst, seine Bedürfnisse, Anschauungen und Traditionen hinauszusehen erlaubt. Etwas, das neben einem steht und so viele schlaue Bemerkungen über das Große und Ganze macht, dass es einem bisweilen auf die Nerven gehen kann. Meistens hilft es dabei, sich in einer komplexen, das heißt nicht restlos erklär-, berechen- und kontrollierbaren Welt zurechtzufinden. Bewusstsein ist jene Instanz, die persönliche Freiheit und Verantwortung für das Ganze zusammendenkt. Bewusstsein >gibt< es nicht, es wird erzeugt, und zwar durch eine weitere, nicht weniger komplexe Instanz. Diese nennen wir >Kultur<. Defekte Kultur führt zu mangelndem Bewusstsein, wie auch umgekehrt. Und was geschieht, wenn diese dialektische Beziehung von der einen oder der anderen Seite her in Frage gestellt oder gar abgebrochen wird? Es ist exakt das, was wir gerade erleben müssen. Kulturkampf und Bewusst?(?seins)?losigkeit.
Überzeugung muss her, wo die Grenzen der Erkenntnis eng geworden sind. Denn ein Kopf kann nur ein bestimmtes Maß an Chaos aushalten. Wenn es zu viel wird, muss er in sich aufräumen. Oder es wird in ihm aufgeräumt. Ein Recht auf Dummheit wäre da vielleicht nichts anderes als das Recht auf Fortbestehen in der endlos suggestiven und chaotischen Welt; ein Recht auf Blödheit ist damit indes nicht gegeben, denn die Blödheit (die sich nur allzu gern mit Schlauheit paart) spricht beidem, dem Klugen wie dem Dummen, das Recht ab, die Welt >richtig< zu sehen: Politische Blödheit will sich die Welt untertan machen im Namen von etwas oder jemand Großem Anderen; sie schafft die Kultur als Medium des Bewusstseins ab und ersetzt es durch Riten der Identitätsfixierung. In der Blödheit wird das Dumme nicht bloß zum Dogma, sondern strebt auch nach terroristischer Macht. Ist in einer blöden Welt der Blödeste König? Oder ist es 18der, der dem selbstverzapften Blödsinn selbst nicht auf den Leim geht? Wie dem auch sei: Es geht hier nicht nur um die Machenschaften von ein paar rechten Scharlatanen nebst der Dummheit derer, die ihren falschen Versprechungen aufsitzen und ihre falschen Anschuldigungen übernehmen. Wie die Knotenpunkte der rechten Propaganda-Netzwerke - das Casa Pound in Italien, das Institut für Staatskunde in Deutschland, Les Identitaires in Frankreich - funktionieren, wie bestimmte Organisationen, etwa die rechten Burschenschaften hierzulande, >konservative< und rechtsextreme Impulse zusammendenken und zu einem >Lebensbund< mit Karriere-Unterstützungen werden, wie Parteien von der AfD bis zu den Fratelli d'Italia hinter der offiziellen Fassade mit dem rechten Untergrund paktieren, all das ist für alle, die es wissen wollen, gut dokumentiert. Aber warum kann es so reibungslos geschehen, warum ist es gerade für junge Menschen so attraktiv? Mit der Cleverness der anti-demokratischen Netzwerke und der Blödheit, die sich der (neo-)liberale Kapitalismus selbst gern einschenkt, ist das allein nicht zu erklären.
Die rechte Erzählung, die wir uns im Folgenden näher ansehen wollen, erfasst nicht nur den harten Kern der ideologisch verblendeten Bösewichte und die Entourage von >Verführten< und >Mitläufern< (wie sie >hinterher< gern heißen), sondern alle Gesellschaften, alle Staaten, alle Sinn- und Wissenssysteme hier und anderswo - und damit stets auch die, die sich dagegen wenden. Wie viel kulturelle, ästhetische und wissenschaftliche Arbeit muss liegenbleiben, weil sich Menschen, die sich der Zivilisation, ihrem Erhalt und ihrer Humanisierung verpflichtet fühlen, auf den Kampf gegen eine Rechte konzentrieren müssen, die keinen Hehl daraus macht, dass sie sich um Humanität, Toleranz und Mitmenschlichkeit einen Dreck scheren wird, wenn sie ihr Machtziel erst einmal erreicht hat. Und wie allein gelassen ist eine antifaschistische Kultur, wenn Staat, Wirtschaft und Medien beharrlich weiter um Mandate, Boni, Posten und Renditen kämpfen. An die Wurzeln dessen zu gehen, was da geschieht, scheint allzu geschäftsschädigend und ruhestörend.
Auf die Verblödung folgen hier wie dort Rohheit und Igno19ranz, und alsbald sind die Grundlagen gelegt, die Alarmglocken abgestellt, die Wege frei für zuerst populistische, dann autokratische, schließlich diktatorische und am Ende terroristische Regimes. Und überall war es >das Volk<, das es...
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