Schweitzer Fachinformationen
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Kapitel 1
»Es gibt Tage, die sollte man besser zu Hause verbringen - vorzugsweise, ohne das Bett zu verlassen.«
Dieser Gedanke ging Franziska Morgenstern durch den Kopf, als sie an einem Freitagmittag am Bremer Hauptbahnhof vor den luftleeren Reifen ihres Sportrades stand. Und nicht nur die Luft hatte den Rückzug aus den Fahrradschläuchen angetreten - auch die Pumpe war offenbar in fremde Hände geraten.
Es war für sie nicht die erste Unebenheit dieses Tages. Zunächst hatte ein leichter Kater die erste Stunde nach dem Erwachen begleitet. Er war einem feuchtfröhlichen Umtrunk geschuldet, den es am Abend zuvor in einer Weiterbildungsstätte in Bad Zwischenahn gegeben hatte.
»Dispensierungen im Planungsrecht - neue Erkenntnisse in der Rechtsprechung«, war das wenig aufregende Thema der einwöchigen Fortbildung, die sie als Stadtplanerin der Stadtgemeinde Bremen auf Geheiß ihres Abteilungsleiters belegt hatte. »Nehmen Sie für uns alle teil und lassen Sie uns im Anschluss von Ihren neuen Erkenntnissen profitieren«, hatte er im Kreise der Mitarbeiter entschieden und ihr gönnerhaft auf die Schulter geklopft. Sie hatte Mühe gehabt, ihren Lebensgefährten Torsten von der Notwendigkeit dieser einwöchigen Abwesenheit zu überzeugen.
Unverhofft wurde jedoch die Fortbildung wegen Erkrankung des am Freitag vorgesehenen Referenten gleich nach dem Frühstück beendet. Damit war die Heimfahrt nach Bremen schon einige Stunden früher möglich als geplant. Die Deutsche Bundesbahn zeigte sich dieser unerwarteten Entwicklung nicht gewachsen. Die nächste passende Zugverbindung entfiel. Leider verschwieg die Lautsprecheransage den Grund der Betriebsstörung und verschaffte den Wartenden auf diese Weise Spielraum für die Überlegung, ob der Zugführer unpässlich war, das Bahnpersonal die aktuellen Tarifverhandlungen mit einem Warnstreik begleitete oder irgendwo eine Kuh die Schienen blockierte. So dauerte es trotz einer Fahrzeit von eigentlich nur 50 Minuten den gesamten Vormittag, bis Franziska am Bremer Hauptbahnhof aussteigen und ihre Reisetasche auf den Gepäckhalter ihres wertgeschätzten Fahrrades wuchten konnte, um dann festzustellen, dass es nicht einsatzbereit war.
»In einem Fahrradparkhaus hätte ich unter den Nutzern doch ein Mindestmaß an solidarischem Verhalten erwartet«, grummelte Franziska und löste von einem benachbarten Rad die Luftpumpe.
Es erwies sich, dass die Schläuche noch intakt waren. Lediglich die Ventile waren von irgendeinem Spaßvogel geöffnet worden und dabei erfreulicherweise unbeschädigt geblieben. Franziska schob ihren fahrbaren Untersatz über eine kleine Rampe auf den Willy-Brandt-Platz, stieg mit Schwung auf und wurde schon nach wenigen Metern gebremst.
»Sie wissen, warum ich Sie anhalte?«, fragte ein grauhaariger Polizist, der sich ihr unvermutet in den Weg gestellt hatte und nun den Lenker festhielt.
»Das kann doch wohl nicht wahr sein«, dachte Franziska Morgenstern, die vom Sattel rutschte und beinahe ins Stolpern geriet. Mit einem gereizten Blick musterte sie den engagiert zu Werke gehenden Ordnungshüter, der offenbar zur Bahnhofswache gehörte. »Ich bin sicher, Sie werden es mir gleich sagen!«, antwortete sie mühsam beherrscht.
»In dieser Stadt gibt es über eine halbe Million Einwohner, demzufolge mehrere Hunderttausende Verkehrsteilnehmer. Das Miteinander kann nur gut funktionieren, wenn es allgemeingültige Regeln gibt, die natürlich auch von allen beachtet werden«, dozierte der Uniformierte, der einen guten Kopf größer war als Franziska. Er ließ eine wirkungsvolle Pause eintreten. Franziska schaute ungeduldig auf den mahnend erhobenen Zeigefinger der Ordnungskraft.
»Dieses Regelwerk heißt Straßenverkehrsordnung«, nahm der Freund und Helfer den Faden wieder auf. »Darin ist geregelt, auf welchen Flächen sich die verschiedenen Verkehrsteilnehmer bewegen dürfen. Und erwachsene Radfahrer sind auf Fußwegen nicht zugelassen.«
Franziska schüttelte ihre schulterlange, naturkrause, rote Mähne, die sie mit einem Haargummi gebändigt hatte, und die Zahl ihrer vielen kleinen Sommersprossen schien sich zu verdoppeln. »Na fein, dass Sie im Unterricht so gut aufgepasst haben. Kann ich jetzt bitte weiterfahren?«, erwiderte sie schnippisch. Es waren bereits erste Passanten stehen geblieben. Zweifellos wartete man gespannt, ob es zu einer kostenpflichtigen Verwarnung kommen würde. Im Umfeld des Bahnhofs ist die Chance für solche Szenarien traditionell größer als an anderen Orten.
Der Polizist legte etwas Schärfe in seine Ansprache. »Junges Fräulein, Sie sind hier mit Ihrem Rad auf dem Bürgersteig unterwegs«, informierte er die Delinquentin und wies auf den Boden. »Fahrbahn und Gehweg werden hier zwar auf einer Ebene geführt, aber Sie befinden sich eindeutig auf dem fußläufigen Teil.«
»Das junge Fräulein muss dringend weiter«, schnappte Franziska, die normalerweise über ein ausgeglichenes Gemüt verfügte und als überaus harmoniebedürftig galt.
In diesem Moment näherten sich drei abgerissen gekleidete Jugendliche, zwei von ihnen mit farbenfrohem Irokesenschnitt, der dritte mit kompletter Glatze, jeder von ihnen mit einer Flasche Bier in der Hand. Der Kahlgeschorene war zudem in Begleitung eines Hundes, der zweifellos nicht zu den verschmusten Artgenossen seiner Gattung zählte.
Diese Gestalten, die zur Grundausstattung eines jeden bundesdeutschen Großstadtbahnhofs gehören, zeigten Neigung, sich einzumischen. »Was 'n los, ey, was hat die Kleine denn auf'm Kerbholz?«, begehrte einer der Punks zu wissen. Er zeigte mit seiner bierflaschenbewehrten Hand, die aus einer speckigen Lederjacke herausragte, auf Franziska. Gang und Sprache zeigten, dass der neue Gesprächsteilnehmer heute schon mehr als eine Flasche Billig-Bier erfolgreich bearbeitet hatte.
Für den Ordnungshüter wurde das Szenario etwas unübersichtlich. Er wandte sich den drei Alkohol-Endverbrauchern zu und behielt dabei den Hund im Auge, dessen letzte Nahrungsaufnahme einige Tage zurückzuliegen schien. Während er sich dabei um ein deeskalierendes Auftreten bemühte, ohne dabei seine amtliche Autorität preiszugeben, nutzte Franziska die Gunst der Stunde.
Als der Polizist ihr den Rücken zugedreht hatte, um seine Konzentration auf die neue Front auszurichten, bestieg sie kurz entschlossen ihr Rad und radelte beherzt davon. Hinter sich hörte sie amtliches Rufen und alkoholgetränktes Johlen. Wenn er mir noch etwas sagen will, kann er mich aus dem Sattel schießen, dachte Franziska verärgert, statt schuldbewusst, und bog in die Theodor-Heuss-Allee ein. Flucht vor der Polizei - für sie eine ganz neue Erfahrung.
Damit hatte Franziska zwar den Ort dieser unerfreulichen Begegnung hinter sich gelassen, wurde jedoch mit der nächsten Unbill konfrontiert. Das Abbiegemanöver hatte sie in einen strammen Gegenwind geraten lassen, der entschlossen aus dem Westen daherwehte. Sie stemmte sich dem entgegen und musste feststellen, dass sich das Wetter der Jahreszeit angepasst hatte: Zum Wochenbeginn war es noch spätsommerlich warm gewesen und entsprechend leicht hatte sie sich gekleidet. Aber es war Mitte Oktober und sie hätte viel dafür gegeben, Schal, Stirnband und Handschuhe dabei gehabt zu haben. Sie würde diese Winteraccessoires gleich zu Hause hervorsuchen, um sie für das nächste Halbjahr verfügbar zu haben.
Damit gerieten ihre Gedanken in ruhigeres Fahrwasser. Sie freute sich auf ihre Eigentumswohnung, die sich unter dem Dach eines Mehrfamilienhauses über zwei Ebenen erstreckte. Sie freute sich vor allem auf Torsten, der auf diesen heimeligen 80 Quadratmetern seit fünf Jahren mehr als nur ihr ständiger Gast war. Sie sollten endlich ihre gemeinsame Zukunft in festere Formen gießen, überlegte Franziska, während sie an der Kreuzung zur Findorffstraße auf grünes Licht wartete. Mehrfach hatte sie Gespräche mit ihm bereits in diese Richtung lenken wollen - Hochzeit, ein kleines Häuschen in Bürgerparknähe, vielleicht sogar Nachwuchs, stand auf der Agenda ihrer weiteren Lebensplanung. Franziska war 32 Jahre alt, Torsten würde bald 36 sein und stand als promovierter Oberarzt am städtischen Klinikum in gesicherten finanziellen Verhältnissen.
Er hatte sich in den bisherigen Gesprächen stets interessiert gezeigt, gemeinsame Pläne zu schmieden; gleichwohl es aber stets verstanden, das Thema in der Warteschleife zu halten. Am Wochenende würde sie mit ihm romantisch essen gehen und die Sache auf den Punkt bringen, dachte sie entschlossen.
Sie blickte noch einmal prüfend über ihre Schultern, ob die staatliche Gewalt die Verfolgung aufgenommen hatte. Doch weder Streifenwagen noch Ordnungshüter waren in Sicht, um ihren bürgerlichen Ungehorsam zu ahnden. Franziska fuhr über die Kreuzung in die Admiralstraße. Sie zog die Ärmel ihres Anoraks über die Hände, um die schon klammen Finger warm zu halten, und erreichte wenig später das Sechs-Parteien-Wohnhaus in einer kleinen Straße des Stadtteils Findorff, in dem sie seit mehreren Jahren lebte.
Franziska schloss ihr Rad an einem vor dem Haus installierten Fahrradbügel ab, ergriff die Reisetasche und stieg mit elastischem Schritt die drei Stockwerke zu ihrer Wohnung empor. Da sie nicht wusste, ob Torsten Nachtdienst gehabt hatte und gerade sein Schlafdefizit ausglich, betrat sie ihr Refugium leise und behutsam. Als sie die Tür wieder schloss, bemerkte sie sofort, dass hier etwas nicht stimmte. An der Garderobe hing ein Mantel, den sie kannte, der dort aber eigentlich - zumindest jetzt - nicht hingehörte. Ein Blick in die Küche offenbarte Chaos. Esstisch, Spüle und Arbeitsplatte waren mit Geschirr und...
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