Jetzt antwortete Paul für Julia. »Die Veganer-Phase liegt hinter ihr. Sie ernährt sich jetzt wieder aus der vollen Bandbreite unserer hiesigen Nahrungskette.«
»Ein typischer Zickzack-Kurs, aber sollte diese erfreuliche Entwicklung auf deinen Einfluss zurückzuführen sein, Paul, dann wären wir dir zu Dank verpflichtet!« Andreas klopfte ihm anerkennend auf die Schulter.
Paul nickte, und Julia enthielt sich eines Kommentars.
Das war die Gelegenheit für Johannes, den Sportbericht fortzusetzen.
Julia kam ihm jedoch zuvor. »Tu uns allen einen Gefallen und schieb dir dieses blöde Spiel .«
»Julia!«
». in eine Körperöffnung deiner Wahl!«
Franziska versuchte einen Themenwechsel. »Julia, beginnst du nicht morgen dein Praktikum bei unserer Kinder- und Jugendfarm?«
»Na, toll«, bemerkte Johannes, »dann gibt es eine Ziege mehr im Gehege.«
»Na und?«, gab Julia trocken zurück. »Mich kann man wenigstens noch vom Hängebauchschwein unterscheiden!«
Kapitel 30
Am Montagmorgen blieb Konstanze Kannengießers Schreibtisch leer. Ihr Hausarzt hatte eine Grippe diagnostiziert und die Gefahr einer Lungenentzündung prognostiziert für den Fall, dass sich die Patientin nicht schonte.
Kriminalrat Strelitz besprach sich zunächst mit dem Kollegen Bertrand zur Situation des Drogendezernats. Dort herrschte zurzeit vergleichsweise Ruhe.
»Alltagsgeschäft - >business as usual<. Entweder hat Christian Schwalbach die Probleme mit nach Marseille
genommen, oder wir haben die Ruhe vor dem Sturm«, versuchte sich der Kriminalrat mit einer Lageeinschätzung.
Im Anschluss führte Strelitz ein Gespräch mit Knispel.
»Olaf, Konstanze dürfte uns diese Woche noch fehlen. Deshalb müssen wir uns die Arbeit aufteilen: Ich werde bei der Behördenspitze auf eine Fernsehfahndung drängen. Es kann doch nicht angehen, dass Frau Theuerkauf und ihr Lebenspartner aus dem Nichts hier auftauchen und gleich nach ihrer Ankunft erschossen werden.«
»Vielleicht waren sie schon auf der Flucht, und ihr Mörder hat sie hier in Empfang genommen?«
Strelitz nickte. »Auch das ist eine Option, zumal sich damit auch das knappe Gepäck erklären würde. Zunächst hatte ich vermutet, dass sie nur kurz nach Bremen gekommen waren, weil sie irgendein Geschäft abwickeln wollten.«
»Und welche Aufgaben haben Sie für mich?«, erkundigte sich der junge Kommissar.
»Ich werde mit dem Polizeipräsidenten darüber sprechen, dass wir Herrn Schiefelbein auf freien Fuß setzen. Natürlich gegen Meldeauflagen.«
Olaf schaute ihn etwas ratlos an. »Verstehen muss ich das nicht, oder? Ich meine, Schiefelbein ist verdächtig, oder haben Sie neue Erkenntnisse?«
»Ja, er bleibt verdächtig, und nein, ich habe keine neuen Erkenntnisse«, informierte Strelitz seinen Mitarbeiter.
»Verraten Sie mir, welche Pläne Sie haben?«
»Aber ja«, strahlte der Kriminalrat, »zumal Sie darin eine wichtige Rolle spielen.«
»Ich?«, fragte Olaf Knispel misstrauisch. Dann dämmerte es ihm. »Natürlich - Observierung!«Er schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn.»Darauf hätte ich aber auch von selbst kommen können«, stellte er fest.
»Sie sagen es«, bestätigte Strelitz gemütlich. Er wusste um Knispels Aversion gegen Einsätze dieser Art. »Sie werden frische Luft und jede Menge Bewegung haben. Da werden Sie mal wieder neue Eindrücke mitnehmen können.«
»Ärgerlich, dass uns jetzt die Oberkommissarin fehlt«, bemerkte Knispel. Er versuchte vorsichtig, die zeitliche Erwartungshaltung seines Chefs auszuloten. Hoffentlich nicht auch durch die Nacht, dachte er.
»Olaf, ich denke, Sie werden nebenbei einige Sudokus lösen können. Nehmen Sie ein Schreibgerät mit.« Als Strelitz das entsetzte Gesicht seines Mitarbeiters sah, nahm er sich vor, die Gemütslage seines Teams künftig nicht unnötig zu strapazieren. »Ich werde versuchen, zu ihrer Unterstützung Kräfte aus dem Drogendezernat abzuziehen. Bevor ich aber Schiefelbein freisetze, befragen Sie bitte seinen engeren Kollegenkreis, ob man dort Auffälligkeiten in seinem Verhalten festgestellt hat. Machen Sie sich bei der Gelegenheit auch ein Bild über seine Persönlichkeit. War er zum Beispiel beliebt oder eher unangenehm im Umgang? Hatte er Marotten, gab es Auffälligkeiten - Sie wissen schon, das ganze Programm. Anschließend begeben Sie sich zur Behörde des Bausenators und ziehen das Gleiche für das Umfeld von Frau Schiefelbein durch, einschließlich einer Motivsuche im direkten Kollegenumkreis. Irgendwo muss es doch einen Ansatzpunkt geben. Ich werde in der Zwischenzeit die Fernsehfahndung anschieben - drücken Sie mir die Daumen, dass der PP uns unterstützt.«
Zur gleichen Zeit wurde Julia in ihre neuen Arbeitsfelder eingewiesen. Dietmar Duntze und Liliane Kramer hatten sie herzlich begrüßt und mit ihr erst einmal einen Rundgang gemacht. Dann richtete Liliane einen besorgten Blick auf einige Schleierwolken, die das Sonnenlicht etwas dämpften. »Wir werden heute noch einige Regengüsse abbekommen. Vielleicht ist sogar das eine oder andere Gewitter darin eingebettet«, orakelte sie.
»Ach, hör nicht auf sie«, warnte Duntze die neue Praktikantin. »Liliane geht immer vom Schlimmsten aus. Wenn du sie in Ruhe lässt, wird sie für morgen früh die ersten Schneeverwehungen vorhersagen.«
»Ich halte mich nur an die Wetterprognosen von Radio Bremen. Dort wurde vorhergesagt, dass es um die Mittagsstunde regnen werde.«
»Ja, sicher«, seufzte Duntze und zwinkerte Julia zu. Die bekam als Nächstes Gelegenheit, die Arbeitskräfte der Farm kennen zu lernen - einige Personen aus Arbeitsförderprogrammen, außerdem zwei Gleichaltrige, die ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvierten.
Auch die Tiere lernte sie kennen. Als sie hörte, dass das vietnamesische Hängebauchschwein auf den Namen Johannes hörte, konnte sie vor Heiterkeit kaum an sich halten.
Duntze blinzelte irritiert.
»Mein Bruder heißt genauso«, sorgte Julia für Aufklärung.
»Ach so. Ja, und dann noch ein paar Worte zu unserer Organisation: Ausgangspunkt ist der Westernverein >Bonanza<. Der Erste Vorsitzende ist Christian Schwalbach .«
». den kenn ich. Der ist bei der Kripo und außerdem der Lebensgefährte von Frau Kannengießer. Im Moment ist er aber in Frankreich«, fiel Julia ihm ins Wort.
»Richtig, und ich bin der Zweite Vorsitzende. Das alles läuft ehrenamtlich. Und wo war ich stehengeblieben? . Richtig, ja, der Westernverein ist wiederum der Träger der Kinder- und Jugendfarm. Das ist zum einen ein offenes Angebot für alle Kinder und Jugendliche, die sich für Tiere interessieren. Zum anderen gibt es verbindliche Angebote wie das therapeutische Reiten, Hausaufgabenhilfe und Nachmittagsbetreuung. Du stehst doch vor dem Wechsel in die Oberstufe. Da könntest du dich nicht nur in der Tierbetreuung nützlich machen, sondern auch in der Hausaufgabenbetreuung. Ich sehe schon, das wird der Beginn einer wunderbaren Freundschaft!«
»Schade, dass Julia uns schon in drei Wochen wieder verlassen muss.«, Liliane konnte es nicht lassen, mit Wermutstropfen zu hantieren.
»Vielleicht können wir tauschen - du gehst wieder zur Schule, und Julia bleibt hier!«, schlug Dietmar Duntze vor. Es war sicher lustig gemeint, aber Julia meinte, eine Spur Bitterkeit herauszuhören.
»Sie haben eine Bürogemeinschaft mit Franziska und deren Schwester Johanna, nicht wahr?«, erkundigte sich Julia.
»Das ist richtig - wir haben dort gerade frisch tapeziert. Jetzt fehlen nur noch Aufträge«, zeigte sich Duntze optimistisch.
»Keine Sorge, das rüttelt sich«, erklärte Julia altklug.
In diesem Moment schob sich eine weitere Schleierwolke vor die Sonne.
»Ich sag's doch, es trübt sich ein«, lächelte Liliane Kramer zufrieden.
Kapitel 31
Der Vormittag war geeignet, dem jungen Kommissar Knispel die Freude an seinem Traumberuf zu nehmen. Zähflüssig verlaufende, schwergängige Gespräche ließen ihn nicht klüger werden, und im Hinterkopf gewann der Rest des Tages mit seinem Observierungsprogramm allmählich Konturen. Irgendwann musste er diese Perspektive noch seiner Frau beichten - sie würde wieder einmal einen Abend ohne ihren Angetrauten verbringen müssen. Es wunderte ihn nicht, dass überdurchschnittlich viele Kollegen seines Berufsstandes ihre Ehe irgendwann an den Haken hängen mussten. Das sind die, die fortan als einsame Wölfe 24 Stunden am Tag ermitteln und sich mit 80 Zigaretten am Tag einen Lungenkrebs heranzüchten, dachte er.
»Hören Sie mir überhaupt zu, Herr Kommissar? Kommissar war doch richtig, oder?«
Olaf Knispel kehrte in die Realität zurück. »Doch, ich lausche Ihnen. Sie haben mir gerade Herrn Schiefelbein als unauffälligen, angenehmen Kollegen beschrieben, der noch Pläne für seine Karriere hatte.«
Die Dame vor ihm schaute ihn gereizt an. »Es mag sein, dass Ihnen eine solche Beschreibung zu Ohren gekommen ist. Zumal von jüngeren Damen unserer Belegschaft. Ich habe Schiefelbein aber gerade als Karrieristen bezeichnet, der arrogant sein konnte und in der Wahl seiner Bettgespielinnen ziemlich wahllos war.«
»Oh«, sagte Olaf und dachte bei sich, dass die Dame, die vor ihm saß, vermutlich ebenfalls gern mit Schiefelbein die Ehe gebrochen hätte, aber wohl altersbedingt nicht bevorzugt angesprochen...