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Wie vielen anderen ist auch den Südtirolern ihre Heimat heilig. Aber wer sind wir Südtiroler überhaupt, und wessen Heimat ist Südtirol? Gibt es da nicht mehrere Kulturen, viele Minderheiten, mehrere Sprachgruppen in diesem kleinen Land? Ladiner, Italienisch sprechende, deutsche Südtiroler? Und haben wirklich alle Südtiroler das gleiche Heimatrecht?
Natürlich, alle Südtiroler haben ein ganz eigenes Bild von ihrer Stadt, ihrem Land, ob Bauer oder Fabrikarbeiter, Händler oder Hausfrau. Alle haben ihren unmittelbaren Bezug zu ihrer Geschichte, zu ihrem Haus. Wie zu ihren Vorfahren, Nachbarn und Verwaltern auch. Für jede und jeden ist ein anderer Winkel von besonderem Flair. Diese Südtiroler aber sind nicht immer und überall zu jedermann gleich. Zudem neigen deutschsprachige Südtiroler bei all ihrer Liebe zu Ordnung, Disziplin und Geradlinigkeit zur Unberechenbarkeit. Italienisch sprechende Südtiroler sind in ihrer Kreativität oft sprunghaft, aber sofort in der Defensive, wenn es um ihre Rechte geht. Aus dieser Art Unbehagen heraus sind ihre Klagen um mehr Mitsprache zwar nicht gerechtfertigt, dennoch ist da ein ungutes Gefühl. Der Bevölkerungsteil Südtirols, der einen rätoromanischen Dialekt spricht, die Ladiner - die weitaus kleinste Gruppe zwischen grob einem Drittel »Italienern« und zwei Drittel »Deutschen« im Lande -, sind die Einzigen, die stets in der Minderheit sind. Außer in ihren Tälern, wo sie Gäste aus aller Welt verwöhnen. Sie sind die einzig wahre Minderheit im Lande.
Benachteiligt aber fühlen sich nur Italiener. Wie kommt es denn dazu? Gehören doch jene Südtiroler mit Italienisch als Muttersprache zur Mehrheit in Italien. Nur weil sich die Deutschsprachigen, die zur größten Sprachgruppe im Rahmen der EU zählen und in Italien eine Minderheit darstellen, als die eigentlichen Landesherren fühlen? Wie es umgekehrt bis vor fünfzig Jahren die Italiener im Lande taten. Ja, der Schlüssel zum Verständnis dieser Spannung, der heutigen Südtirol-Problematik also, ist die Tatsache, dass die »Deutschen« die Mehrheit im Lande bilden. Mit ihrer Politik der Sammelpartei - eine Mittepartei, die einst drei Viertel der deutschen Stimmen auf sich vereinte - wurde das Land lange Zeit politisch monopolisiert. Ich will dies weder kritisieren noch gutheißen - jedes freie Volk wählt sich das politische System, das es verdient. Es gilt nur darauf hinzuweisen, dass dieser Zustand beim Italienisch sprechenden Teil der Bevölkerung zu Unbehagen führen musste. Mindestens so lange, bis endlich die Vielfalt als bereichernder Wert über dem gemeinsamen Ganzen stand. Alle Normierung und Nivellierung - für den inneren Ausgleich erdacht - wird zuletzt für alle drei Sprachgruppen Verarmung bedeuten. Auch wenn sie kurzfristig dem sozialen und ethnischen Frieden dienen sollten. Ich stelle in diesem Zusammenhang also die Frage, ob eine starke deutsche Sammelpartei ohne Italiener heute noch gut fürs Land ist.
Über Südtirol gehen schließlich für alle Südtiroler die Globalisierung und alle vier Jahreszeiten hinweg. Wir alle hören dieselben Vögel singen, riechen Mist und Heu, leiden in den Städten an Lärm und Feinstaub. Nur im Wettbewerb der Ideen ist seit Jahrzehnten Stillstand. Viele sehen sich benachteiligt, wenige privilegiert. »Mir sein mir«, sagen die alteingesessenen Südtiroler, »Siamo in Italia«, antworten die italienischen Nationalisten, »Südtirol muss deutsch bleiben«, fordern die Deutschtümler.
Wie es dazu kommen konnte? Das ist eine lange Geschichte: Schon Joseph von Sperges gebraucht auf seiner 1762 erschienenen Karte den Ausdruck »südliches Tirol«. Mit »Südtirol«, die Bedeutung ist zunächst nicht klar, meint Beda Weber 1837 den südlich des Alpenhauptkammes gelegenen Teil des Kronlandes Tirol, also mit Einschluss des heutigen Trentino. Erst im ausgehenden 19. Jahrhundert haben sich dann die Begriffe »Welschtirol« für das Trentino und »Deutschtirol« für das Land zwischen Salurn und Kufstein durchgesetzt.
Die Menschen beider Landesteile waren damals sehr arm. Dafür galten sie als gesund. Heinrich Heine meinte, nur weil sie zu dumm wären, um krank zu sein. Mit der Romantik ist die Vorstellung vom gesunden Tiroler Alpenvolk entstanden. Im Gegensatz zum Bild vom ungesunden Städter. Damit kam eine Art »Tirolomanie« auf. Man hielt sich »Hoftiroler« in der Stadt. Weil diese Bergler eine »Gabe hatten, durch Witzeinfälle zu unterhalten«? Ja, und bereits zur Zeit Maria Theresias hatte es »wandernde, sonnenverbrannte Tiroler« in die Städte verschlagen: »Öfters von dem erbländischen Adel in Sold genommen, um melancholische Damen zur Lustigkeit zu stimmen und die Eingeweide hypochondrischer Herren heilsam zu erschüttern.« Nicht selten wurden die sonderbaren Käuze bei Festen und bei Hofe vorgeführt wie Exoten. Auch Spielleute, Wanderhändlerinnen und reisende Jodlerinnen gehörten dazu. Sie galten als typisch südtirolerisch. Der »Südtiroler« und die »Südtirolerin« wurden damals sogar als Berufsbezeichnung verwendet.
Das Image des »Tirolers« als Hofnarr und der »Tirolerin« als Jodlerin wurde im 19. Jahrhundert abgelöst durch das zum Teil heute noch gängige Bild vom sturen, vaterlandstreuen, gottesfürchtigen und freiheitsliebenden Tiroler auf der einen und des verschlagenen, krämerischen Welschtirolers auf der anderen Seite. Als passten beide nicht zusammen. Männer und Frauen aus armen Verhältnissen, die sich dem fahrenden Volk anschlossen und versuchten, auf Jahrmärkten ihre Kramwaren an die Frau und den Mann zu bringen, galten jetzt als typische »Südtiroler«. Es waren aber großteils Trentiner.
Mit dem Ersten Weltkrieg und dem Faschismus ist aber erst jenes Misstrauen zwischen Welsch- und Südtirolern entstanden, das Außenstehende kaum nachempfinden können. Es hat zuletzt zu zwei autonomen Provinzen in der autonomen Region Trentino-Südtirol geführt. Nein, nicht etwa weil die Menschen in Südtirol seltsam unwirklich an den Berghängen oder in tiefen Tälern leben und einen oft unverständlichen Dialekt, ihre Sprache, sprechen, brauchen sie Feindbilder. Wir Südtiroler bleiben auch als Kriegsbeute eigen. Wir stellen uns nie infrage. Umgekehrt: wer nicht dazugehört zur Mehrheit vor Ort, wer andere Minderheiten in Schutz nimmt oder ein Unbehagen beim Namen nennt, ist schnell ausgegrenzt, als Fremdkörper allenfalls geduldet. Unsere Autonomie ist also ein Glück und trägt doch gleichzeitig ein Dilemma in sich: Misstrauen.
Müssen wir uns denn alle verbiegen, frage ich mich, um jene Sonderrechte in Anspruch zu nehmen, die so mühsam erkämpft worden sind? Warum sonst beengen uns so viele Gesetze, Regeln, Bestimmungen? Die Autonomie, die die Menschen im Land einen und nicht trennen sollte, setzt also viel mehr voraus als Durchführungsbestimmungen und Proporz.
Als Gast müssen Sie sich all diese Gedanken nicht machen. Sie werden in den allermeisten Orten bestens bedient. Nicken Sie verständnisvoll, wenn Sie den »Tölderer« Dialekt oder die Bedienung aus Tschechien nicht verstehen, man will Sie nur verwöhnen. Der Gast ist auch in Südtirol König. Solange er/sie nicht frech wird. Denn wir Südtiroler sind immer im Recht. Schließlich haben wir doch unsere Autonomie. Wo Minderheitenschutz - also Heimatrecht und Wohlstand aller - garantiert ist, müssten doch auch Solidarität und das Miteinander wachsen, denken Sie vielleicht. Leider nicht nur. Auch Neid, Rechthaberei, Feindseligkeit, Missgunst haben um sich gegriffen. Vor allem das Misstrauen. Als ob der Sonderstatus, den wir Südtiroler heute genießen, auch den Egoismus des Einzelnen fördere. Und dies, obwohl Zeit und Geist hier seit Jahrhunderten stehen geblieben sind. In vielerlei Hinsicht jedenfalls.
Vielleicht spüren nur wenige Minderheiten dieses Unbehagen - ein paar Italienisch sprechende Südtiroler, weil sie keine Identifikationsfigur haben wie ihre deutschsprachigen Mitbürger im Landeshauptmann; ein paar Ladiner und die wenigen Unangepassten im Lande, die keine Lobby wollen - jene vor allem, denen ein Heimatrecht öffentlich abgesprochen wird, weil sie es für alle einfordern.
Trotz allem, unsere Südtirol-Autonomie hat sich nicht aufgebraucht. Noch nicht. Denn emotionaler, ideologischer, ja, auch politischer Kern dieser autonomen Volksgemeinschaft bleibt »die Heimat«. Nicht mehr »die Heimat aus Gottes Hand«, wie sie der Filmemacher Luis Trenker gezeigt hat, sondern die Heimat als »Wirgefühl«. Auf diese...
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