Murphy's Law
Dass wir mit Ben einen guten Fang gemacht hatten, war mir klar. Schließlich hatte ich ihn gründlich durchleuchtet, bevor er in mein Revier eindringen und meinem Frauchen den Kopf verdrehen durfte. Bei seinem Anblick schnurrte Joline vor Glück, und auch die hochnäsige Bluebell hatte nichts gegen unseren Biker einzuwenden. Nein, Ben war in Ordnung. Allerdings musste ich feststellen, dass das nicht zwingend für seine nächsten Angehörigen galt. Seine Familie war nicht nur sehr groß, sondern auch sehr nervig, wie ich zu meinem Leidwesen feststellen musste.
Der Tag der Tage war gekommen. Am Sonntag lag eine knisternde Spannung in der Luft. Auch wenn Anja am vergangenen Samstag unser Haus vom Keller bis zum Boden auf Hochglanz getuned hatte, war Joline direkt nach dem Frühstück mit einem Staubwedel durch das Haus gewuselt und hatte nach imaginären Staubflöckchen gesucht. Ben war normalerweise nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. Aber er hatte sich von ihrer Nervosität anstecken lassen und sich mit einem Staubsauger bewaffnet. Er war wild entschlossen, alle losen Katzenhaare aufzuspüren, die wir in den wenigen Stunden in unseren vier Wänden hinterlassen haben konnten. Mit ihrem blinden Aktionismus hatten Ben und Joline Bluebell und mich verrückt gemacht. Wir hatten uns ins Schlafzimmer verkrümelt, auf die seidenweiche blaue Tagesdecke gelegt und in trauter Harmonie ein Schönheitsschläfchen gehalten.
Als es einige Stunden später klingelte, waren wir ausgeschlafen und gut gelaunt, während Joline und Ben auf dem Zahnfleisch gingen und einen erschöpften Eindruck machten. Unser Liebespaar begutachtete seine sorgfältig ausgewählte Kleidung im Spiegel, warf sich einen aufmunternden Blick zu, atmete tief durch, setzte ein bezauberndes Lächeln auf und öffnete schwungvoll die Haustür. »Willkommen in der Villa Katzenglück!«
Es war Showtime! Bluebell und ich krabbelten aus dem Bett und bezogen neugierig Position auf der Treppe zum ersten Stock. Von dort aus hatten wir einen guten Blick auf die Familienangehörigen von Ben, ohne selbst gesehen zu werden.
»Hallo Ben, mein Schatz.«
Eine zierliche weißhaarige Dame hauchte ihrem Sprössling einen Kuss auf die Wange und reichte meinem Frauchen höflich die Hand. »Guten Tag, Frau Degenhardt. Ich freue mich, Sie endlich kennenzulernen. Ben hat mir sehr viel von Ihnen erzählt.«
»Guten Tag, Frau Breitenbach.« Mein Frauchen erwiderte den Gruß, machte aber einen sehr nervösen Eindruck, als sie der Mutter von Ben die Hand schüttelte. »Ich freue mich über Ihren Besuch.«
»Das sieht nicht gut aus.« Bluebell war voller Mitleid. »Hast du die alte Lady gesehen? Das ist eine sehr dominante Person. Ihre Kitten haben garantiert nichts zu lachen.«
»Du musst dich irren. Sie sieht sehr freundlich aus.«
»Du hast keine Menschenkenntnis, Belly.«
Missbilligend schüttelte Bluebell den Kopf. »Man kann eine erwachsene Brut mit sanftem Lächeln, aber eisernem Willen beherrschen. Frau Breitenbach hat ihre Familie im Griff, das sag ich dir. Ihre Kitten haben nichts zu lachen.«
Ich kniff die Augen zusammen und unterzog die Eindringlinge einer genauen Betrachtung. Die Söhne der alten Lady schienen vom gleichen Erzeuger zu stammen wie Ben. Eine gewisse Ähnlichkeit in der äußeren Erscheinung war nicht zu leugnen. Alle drei Männer waren hochgewachsen, sonnengebräunt und dunkelhaarig. Allerdings war ich mir sicher, dass Ben der beste Deckkater aus dem Wurf war. Seine Brüder sahen bereits vom Leben gezeichnet aus. Es mochte an ihren Frauen liegen, die auf mich einen ziemlich herrschsüchtigen Eindruck machten. Irgendwie erinnerten sie mich fatal an meine Lebensgefährtin, die mich bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit in der Villa Katzenglück unterbutterte. Sie waren wesentlich kleiner als ihre Männer und hatten einige Kilos zu viel auf den Hüften. Wahrscheinlich hockten sie ständig in der Küche und fraßen ihren Männern alles vor der Nase weg. Das machte Bluebell auch immer mit mir, wenn ich nicht schnell genug am Näpfchen war.
»Herzlich willkommen.«
Mein Frauchen schüttelte weiter fleißig die Hände von fremden Menschen, die sie ungeniert anstarrten und kritisch beäugten. Mein Schnurrbart zuckte vor Aufregung. Andere Menschen aus einer sicheren Entfernung zu betrachten, machte mir viel Spaß. Auf den ersten Blick wirkten die Schwägerinnen von Ben sehr farblos. Offensichtlich schien die Lust am Anmalen mit der Anzahl von Kindern dramatisch zu schwinden. Geworfen hatten sie auf jeden Fall, denn zahllose Ableger hopsten in unserem Flur herum. Die schlichte Kleidung der fremden Frauen gefiel mir überhaupt nicht. Ging das Gefühl für Mode im Laufe einer Ehe verloren? War es gleichgültig, wie man sich kleidete, wenn man einen Ring am Finger hatte?
»Was haben diese Miezen für seltsame Fummel an?«, fragte ich leise meine kluge Lebensgefährtin. »Die Kleider hängen wie ein nasser Sack an ihnen herunter. Jolines Freundinnen sind viel schicker.«
Bluebell konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. »Das sind Etuikleider, du Dummkopf.«
»Ein Etui ist für Stifte. Das weiß ich genau. Schließlich verbringe ich viel Zeit in Jolines Arbeitszimmer und gucke immer zu, wenn sie ihre Tasche für die Schule packt«, widersprach ich entrüstet. »Warum soll man eine Frau in ein Etui einpacken? Gibt's in einem bestimmten Alter nichts mehr zu gucken?«
»Frag den niedlichen Modeschöpfer, der im Fernsehen ständig geistig unterbelichtete Stöckelhennen durch die Stadt jagt. Die Sendung heißt >Shop till you drop< - oder so ähnlich.« Bluebell leckte sich ihre Pfötchen. »Glücklicherweise haben wir Katzen diesen albernen Zirkus nicht nötig. Wir sind immer passend gekleidet.«
Nachdem ich die Familienbande einer gründlichen Inspektion unterzogen hatte, war ich mir sicher, dass Bluebell das richtige Gespür bewiesen hatte. Die großgewachsenen Söhne hatten gegenüber der zierlichen alten Dame nichts zu melden. Sie rahmten sie wie zwei Leibwächter ein, während die langweiligen Schwiegertöchter auf verlorenem Posten standen. Sie hatten ein stoisches Gesicht aufgesetzt und hielten sich respektvoll im Hintergrund. Die einzigen Lebewesen, die konsequent alle Anweisungen von ihrer Oma ignorierten, waren die Kinder, die in unserem Flur herumhopsten. Davon gab es in dieser Familie reichlich, wie ich zu meinem Entsetzen feststellte. Eins, zwei, drei, vier, fünf - eine richtige Invasion. Sollten wir sie wirklich reinlassen oder lieber wieder rausjagen und ihnen die Tür vor der Nase zuschlagen?
Zugegeben: Bens ältester Neffe war ein ausgewachsener Kater, der den Absprung aus dem Nest verpasst hatte. Er musste etwa 20 Jahre alt sein. In seinem Alter hätte er längst auf eigenen Pfoten stehen müssen, statt in seinem Elternhaus zu leben und sich von seiner dienstbeflissenen Mutter versorgen zu lassen. Wie hatte Anja in der vergangenen Woche so treffend bemerkt? Er war eine »Pussy«, die sich ihre schneeweißen Füßchen nicht schmutzig machen wollte und auf eine perfekte Außenwirkung bedacht war. Tatsächlich sah er in seinem dunklen Designer-Anzug wie aus dem Ei gepellt aus. Ein richtiger gelackter Dressman, der eine Karriere im Show-Business anstrebte. Unsere Antipathie war gegenseitig. Er entdeckte Bluebell und mich und warf einen scheelen Blick auf uns: »Niedliche Wollknäuel habt ihr. Ich stehe ja eher auf Hunde, die machen optisch auf Fotos mehr her.«
»Guck mal, wie süß!«
Die kleinen Mädchen hatten Bluebell und mich gesehen. Mist! Hätte die Pussy nicht den Mund halten können? Die Zwerge stürmten die Treppe zum 1. Stock hinauf und kreisten uns wie bei der Großwildjagd ein. Auf einen strengen Blick der alten Dame hin setzten sich die Pubertiere ebenfalls in Bewegung, machten aber keine Anstalten, uns vor den kreischenden Kleinkindern zu retten. Ehe wir mau sagen konnten, waren wir von einer wilden Horde Halbwüchsiger gefangen genommen worden. Bluebell wurde in einen altmodischen Puppenwagen gesteckt, den Joline als Dekoration im Flur stehen hatte, und wie ein lebendiges Stofftier hin- und hergefahren. Sie verdrehte die Augen und schlug ärgerlich um sich, erwischte aber nur die weißen Seidenkissen, die unschöne Zugfäden bekamen. Nach einem harten Kampf gelang es ihr, die kleinen Biester auszutricksen, in einem Affenzahn über den Flur zu hetzen und sich mit einem kühnen Satz unter das Gästebett in Sicherheit zu bringen.
Mir ging es noch schlimmer. Ein dicker Brummer hatte gehört, dass Katzen scharf auf lustige Spielzeuge waren und pausenlos animiert werden wollten. Deshalb fuchtelte er ununterbrochen mit Federbüscheln unter meiner Nase herum und kreischte: »Fang das Stöckchen, los!«
Seine Allgemeinbildung ließ schwer zu wünschen übrig. Er verwechselte mich mit einem geistesschwachen Kläffer. Als ich seine Anweisungen hartnäckig ignorierte, packte er mich um die Taille, schwenkte mich wie einen Ballon durch die Luft und schleppte mich wie eine Trophäe die Treppe hinunter. »Boah, ist der weich und knuffig!«
Vor lauter Aufregung wurde ich seekrank. Als ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, musste ich mich übergeben. Direkt vor die Schuhe der vornehmen Frau Breitenbach, die mich entrüstet anstarrte. »Das ist ja ekelhaft.«
»Bitte nicht stehen bleiben, hier gibt es nichts zu gaffen. Ich kümmere mich um den kleinen Betriebsunfall. Kinder, wascht euch bitte die Hände, bevor wir zu Tisch gehen. Das Gäste-WC verbirgt sich hinter der ersten Tür links.«
Ben scheuchte seine Familie entschlossen aus dem Flur und beseitigte schweigend die Spuren...