Schweitzer Fachinformationen
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Das Paradies
Und Gott, der Herr, ließ aus dem Boden allerlei Bäume emporwachsen, die lieblich anzuschauen und wohlschmeckend waren;
Auch den Baum des Lebens in der Mitte des Gartens, und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.
Genesis, 2,9
Niko hielt den Atem an und horchte in den Wald. Ein Knacken im Unterholz. Sie lauschte. Das Adrenalin schärfte ihre Sinne, aber im fahlen Licht der Morgendämmerung konnte sie nur Schemen ausmachen. Ein Rascheln im Gebüsch. Sie wandte sich um. Ein Vogel hüpfte aus einer Hecke auf die Lichtung. Sie atmete aus, die Anspannung ließ nach und der Zorn kam zurück. Wie sie ihre Angst hasste! Diese Angst, von der sie längst nicht mehr wusste, wann sie in ihr Leben getreten war. Die Angst, die sie zu einem Opfer machte. Sie blickte auf Stefan. Er lag zu ihren Füßen, aufgebahrt im weichen Gras, das blonde Haar schon feucht vom Tau. Niko beugte sich über ihn und streichelte seine Hand, die noch immer die kleine Figur umklammerte. Dann zog sie eine Papiertüte aus ihrer Jackentasche und streute einen weiten Kreis aus Mehl um seinen Körper.
»Lieber sterben, als in Schande zu leben«, flüsterte sie.
»Das soll nichts sein?«, Anna knallte die Schachtel mit den Pfeilspitzen auf den Tisch. Kleine Sandwolken stiegen auf und glitzerten im Lichtkegel, der durch das Fenster des Baucontainers fiel. Breitbeinig, die Hände in den Hüften, stand sie vor dem Professor und schnaubte eine blonde Strähne aus der Stirn. Er zog ein Sackerl mit einer Knochenspitze aus der Fundschachtel, ging damit zum Fenster und setzte seine Brille auf.
»Und?«, fragte sie ungeduldig.
»Ein schönes Stück«, sagte er, das Artefakt in der Hand wendend. »Wunderbar gearbeitet.«
Er legte den Fund zurück.
Anna wischte die Haarsträhne wie ein lästiges Insekt aus ihrem Gesicht.
»Soll das ein Witz sein?« Sie konnte ihre Stimme kaum unter Kontrolle halten. »Wir graben eine der wichtigsten altsteinzeitlichen Fundstellen in Europa aus!«
»Werden Sie mir nicht emotional, Frau Kollegin.« Er sah sie über den Rand der Brille hinweg an. »Glauben's Sie sind die Einzige, die kein Budget hat? Die paar Feuersteine, die Sie in der Wachau rauskratzen, sind nicht grad spannend.«
»Ohne mein Netzwerk hätten wir null Budget«, schnappte sie.
Er setzte sich auf ihren staubigen Schreibtisch.
»Und deshalb sind Sie der Meinung, dass es sich bei dieser Forschungsgrabung um Ihre Privatveranstaltung handelt?«
Anna schnappte nach Luft. Sie durfte ihn nicht provozieren. Was, wenn er die Grabung strich? Sie brauchte das Projekt wie einen Bissen Brot. Ihren Mitarbeitern hatte sie für den kommenden Sommer bereits fix zugesagt. Wie sollten die so schnell einen neuen Job finden? Wie sollte sie selbst ihre Miete zahlen?
Die Metalltür des Containers wurde aufgerissen und einer ihrer Studenten stand im Raum. Hochrot unter dem verschwitzten Haarschopf rang er nach Luft.
»Können Sie nicht anklopfen?«, fuhr ihn der Professor an, und Anna warf ihm einen wilden Blick zu.
»Ist was Dringendes?«, fragte sie scharf.
»Du wirst nicht glauben, was wir gefunden haben!«, rief der junge Mann.
»Na, was kann das schon sein?«, spöttelte der Professor. »Ihr werd's ja keine Venus gefunden haben!«
Wien war sauber. Nach dem Regen roch die Luft wie frisch gewaschen. Anna stand am Fuß der Treppe, die zur alten Universitätskirche hinauf führte, und wühlte in ihrem ledernen Rucksack. Endlich fand sie das klingelnde Telefon, erkannte die Nummer am Display und setzte sich mit tiefem Seufzen auf eine der regennassen Stufen.
»Hast du eigentlich die geringste Vorstellung davon, wie es ist, wenn die Kassiererin in deinem Supermarkt mehr über die eigene Tochter weiß als du selbst?«, fragte ihre Mutter.
»Ich hab keinen Supermarkt.« Anna rückte ein Stück zur Seite, um eine Gruppe japanischer Touristen vorbeizulassen, die prompt die nassen Regenschirme hinter ihrem Rücken ausschüttelten.
»Dein Vater und ich waren gut genug, dein Studium zu finanzieren. Wir erwarten von dir auch keine Dankbarkeit, aber wenigstens Respekt!«
»Ich kann euch eine DVD von der Sendung besorgen.«
Anna sah zu, wie einer ihrer neuen Kollegen seinen Motorroller im Halteverbot neben dem barocken Brunnen vor dem Institut parkte. Ein steinerner Putto saß auf einem Felsen und bedrohte einen Delfin mit einem Dreizack. Oder war das ein Drache? Eine Mischung aus Drache und Delfin? Eine Chimäre? In Nizza, am Fischmarkt, stand ein Brunnen mit ähnlichen Delfinen.
Die scharfe Stimme der Mutter riss Anna aus ihren kunsthistorischen Betrachtungen.
»Dein Vater hat schon beim Kundendienst des Fernsehens angerufen. Er hat denen natürlich erzählt, dass du unsere Tochter bist, und die haben sich auch sehr gewundert, dass wir von der Sendung nicht schon vorher gewusst haben. Kannst du den Monat eigentlich deine Miete zahlen?«
Annas Magen verkrampfte sich. Ihre Unterlippe zitterte.
»Ich habe heute meinen Dienstvertrag unterschrieben.«
»Und?«, fragte die Mutter. »Wie lang dauert das Projekt diesmal?«
Anna verspannte sich. Es kostete sie Überwindung nicht aufzulegen.
»Drei Jahre«, sagte sie endlich.
»In drei Jahren bist du 30. Glaubst du, dass mit 30 irgendwer auf dich wartet?«
Das war's. Schluss mit der Selbstkontrolle.
»Andere Eltern wären stolz auf mich!«, rief sie. »Ich habe immerhin das älteste Kunstwerk der Welt gefunden.«
Die Japaner hatten zwischenzeitlich eine Traube um Anna gebildet und diskutierten lautstark das kaiserliche Wappen über dem Kirchenportal.
»Sei nicht so hysterisch«, sagte die Mutter. »Selbstverständlich sind wir stolz auf dich, du bist ja unser Kind. Wo bist du überhaupt? Was ist das für eine Sprache, die die Leute da reden?«
»Ich kann mich sehr gut um mich selbst kümmern!«
»Solange du keinen Zuschuss für die Miete brauchst.«
Anna legte auf. Sie hatte gute Lust, das Telefon quer über den Kirchenplatz zu schleudern. Sie würde ihrer Mutter nie genügen können. Und dem Professor auch nicht. Sie ließ das Handy in ihren Rucksack fallen, quetschte sich zwischen den nassen Japanern durch und betrat die Kirche. Die Profilsohlen ihrer Bergschuhe quietschten auf dem Marmorboden, als sie durch den Hauptgang Richtung Apsis ging. Vorn links, knapp vor dem ersten Seitenaltar, setzte sie sich und rutschte in die Mitte der Kirchenbank. Sie strich mit der flachen Hand über das dunkle Nussholz mit den barocken Intarsien. Kühl war es hier. Sie atmete die Stille und den Weihrauch, sah sich um. Die grünen, gedrehten Säulen aus Stuckmarmor faszinierten sie seit ihrer Kindheit. Sie erinnerten an riesige Reptilien - oder Drachenschwänze. Die Ruhe der Kirche griff auf Anna über. Den Kopf in den Nacken gelegt blickte sie hinauf zur Scheinkuppel und entspannte sich. Heute war ihr Tag. Sie hatte etwas zu feiern. Jetzt, genau jetzt, hatte sie den größten Erfolg ihres Lebens. Ich darf mir den Moment nicht vermiesen lassen, dachte sie. Es ist wichtig Dinge zu tun, die man gern tut. Viel wichtiger als das, was am Ende dabei herauskommt. Aber wenn's eine Venus ist, umso besser.
Sie stieg aus der Bank, machte einen schlampigen Knicks mit einem flüchtigen Kreuzzeichen in Richtung Altar, hängte den Rucksack über die Schulter und brach auf zur Jagd nach einer Belohnung. Sie würde sich was Schönes kaufen, um ihren Erfolg zu feiern. Vielleicht ein Schmuckstück? Und am Abend würde sie mit Barbara in die Bar gehen. Ein bisserl feiern schadete nie.
Anna rutschte in der Badewanne ein Stück nach vorn, und ihr Po schrammte über das gesprungene Email. Der Rost unter den abgeplatzten Stellen fühlte sich rau an. Mit den Zehen drehte sie den Warmwasserhahn auf, ließ heißes Wasser nachlaufen und tauchte ab. Den Kopf unter Wasser sah sie nach oben. Die Sonne fiel durch das Milchglas des Lichtschwerts, das Bad und Schlafzimmer miteinander verband. Die schwarzen Spinnweben in den Ecken an der Decke waren sicher schon da gewesen, als noch ihre Großtante in dieser Badewanne gelegen hatte. Anna drehte den Hahn mit dem Fuß zu, bemüht, sich nicht zu verbrühen. Sauheiß, das Wasser. Sie sollte die Gastherme überprüfen lassen. Aber was war mit dem Auto? Das Fetzendach ihres Jeeps machte seinem Namen alle Ehre, und die Beifahrertür fiel auch bald aus dem Rahmen. Ihre Belohnung in Form eines silbernen Anhängers hatte die Lage nicht verbessert. Sie brauchte Geld. Es war ruhig in der Wohnung, nur das Fenster im Erker klirrte leise, als tief unten die Straßenbahn um die Kurve ächzte. Die Wohnung in dem Gründerzeithaus hatte Anna von ihrer Erbtante übernommen. Bestlage im siebten Bezirk, gleich hinter dem Museumsquartier. Abgesehen vom täglichen Parkplatzdesaster war das eine Traumadresse, und bezahlbar. Außer manchmal.
»Pling.«
Mail im Posteingang. Sie sah auf den alten Wecker, der am Rand des Waschbeckens stand. Es war noch Zeit bis zu ihrer Verabredung mit Barbara. Das Mail war sicher von ihr:
>Schätzchen, tut mir leid. Es wird zehn Minuten später werden. Verzeih. Bin gleich da. Lg B.< Standardtext, musste sie nicht lesen.
Anna schlang die Kette mit dem Stöpsel um ihre große Zehe, öffnete mit einem Ruck den Abfluss und stieg dampfend aus der Wanne. Die Fliesen auf...
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