Schweitzer Fachinformationen
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»Sie haben den Professor umgebracht!«
Mit einem Schlag erstarb das Stimmengewirr im Blumenladen. Die Eröffnungsgäste blickten gebannt zum Eingang. Eine ältere Frau mit flotter Kurzhaarfrisur stieg die Stufen in das Verkaufslokal hinunter. Totenstille machte sich in dem alten Gewölbe breit. Barbara Aubert stand hinter der Theke. Sie legte den Blumenstrauß, den sie eben in Papier gepackt hatte, zur Seite und sah sich nach ihrer Geschäftspartnerin um. Sicher kannte Leonie diese Frau, die an den Stehtisch beim Schaufenster getreten war und sich von einem Kunden ein Glas Prosecco reichen ließ. Leonie kannte jeden in der Stadt.
»Die Einbruchserie ist endgültig eskaliert.« Die Frau trank einen Schluck und tupfte sich mit dem Handrücken über die Oberlippe. »Jetzt haben wir einen Raubmord«, sagte sie.
Ein Raunen ging durch den Laden.
»Wer ist das Opfer?«, fragte ein junger Mann.
»Der Professor Hickel«, antwortete die Frau. »Das habe ich doch schon gesagt. Sie haben den Professor Hickel ermordet.«
Ein anderer Kunde bekreuzigte sich. »Wann ist das passiert?«, fragte er.
»Sie kommen immer in den frühen Morgenstunden. Das ist die übliche Vorgangsweise dieser Bande.«
Leonie trat mit zwei Servierplatten aus dem Arbeitsraum hinter dem Laden.
»Was ist denn hier los?«, flüsterte sie Barbara zu.
»Irgendein Professor ist umgebracht worden.« Barbara tippte den Preis des Blumenstraußes in die Kassa. »Raubmord«, fügte sie dann hinzu.
»Na bravo.« Leonie stellte eine der Platten mit den Brötchen auf die Theke. Rasch erfasste sie die Situation. »Das ist die Frau von unserem Polizeikommandanten«, erklärte sie. »Die Frau Direktor Widhalm. Komm mit! Es schadet nicht, wenn ihr euch kennt.«
Barbara kassierte das Geld und folgte Leonie. Um Frau Direktor Widhalm hatte sich bereits eine Menschentraube gebildet.
»Haben sie den Täter schon gefasst?«, fragte eine elegant gekleidete Dame.
Frau Direktor Widhalm nahm eines der Schinkenbrötchen, die ihr Leonie anbot und senkte ihre Stimme zu einem verschwörerischen Raunen: »Mein Mann wartet noch aufs Fernsehen. Ich darf erst nach der Pressekonferenz über die Ermittlungen sprechen.«
Sie spülte das Brötchen mit Prosecco hinunter und gab so unwillkürlich das Signal, dass die Vorstellung beendet war. Das Gedränge löste sich auf und die Gespräche sprangen wieder an.
Barbara stellte sich als Miteigentümerin des Blumenladens vor. Frau Direktor Widhalm übersah ihre ausgestreckte Hand und blickte sich ostentativ im Laden um.
»Schön habt ihr es hier«, sagte sie. »Die Leonie hat halt ein Gespür für Design. Sehr stilvoll diese dunklen Holzregale mit den Keramikvasen. Wie war noch mal Ihr Name?«
»Barbara Aubert.«
»Ich habe gehört, Sie hatten Probleme mit dem Denkmalamt?«
Barbara lächelte ihren Ärger weg.
»Da wissen Sie mehr als ich,« sagte sie.
»Sie sind aber schon diese Frau, die die Stadler-Villa gekauft hat, nicht wahr?«
Barbara nickte.
»Man hört, Sie hatten vor, den Turm abzureißen?«
»Hört man das?« Barbara hatte nun doch Mühe, freundlich zu bleiben.
»Wenn's Ihnen gefällt . ein altes Haus muss man halt auch erhalten können.« Frau Widhalm wandte sich einer jungen Frau zu, die schon länger neben Barbara gestanden war und darauf gewartet hatte, sich ins Gespräch zu mischen. Offensichtlich war Barbaras Audienz beendet. Sie ging hinter die Theke, um die nächste Platte mit Brötchen zu richten. Der Raubmord hatte den Gästen nicht den Appetit verdorben.
»Die Widhalm ist eine Frau ohne Makel«, sagte eine Stimme hinter Barbara. Sie drehte sich um und blickte in freundliche, hellblaue Augen. »Ich bin die Sabine«, stellte sich die Frau vor. Sie war nicht mehr ganz jung, sehr schlank und trug die grauen Haare raspelkurz. Der Lippenstift war für den schmalen Mund eine Spur zu dunkel.
»Die Widhalm ist der Typ, der einem immer das Gefühl vermittelt, unzulänglich zu sein«, sagte sie.
»Du meinst, ich soll's nicht persönlich nehmen?«, fragte Barbara.
»Ich weiß, wovon ich rede«, nickte Sabine. »Die Widhalm ist die Chefin meiner Frau. Du kannst dir nicht vorstellen, was ich mir jeden Abend anhören kann.«
Barbara war kurz irritiert. Dann wechselte sie das Thema.
»Was sagst du zu dem Raubmord?«, fragte sie.
»Grausliche Sache«, Sabine stibitzte ein Dekorationsgurkerl von einem Brötchen. »Wir waren diesmal vor der Polizei da.«
Barbara schaute sie fragend an.
»Ich fahre Notarzt und hatte heute Nacht Dienst.«
»Du hast die Leiche gesehen?«
»Zwangsläufig«, sagte Sabine. »Der Professor ist am Fuß der Freitreppe in der Eingangshalle gelegen. Eine Szenerie wie in einem schottischen Schloss. Unglaublich. Der Hickel hatte eine Riesenvilla. Sie ist um einiges größer als deine.«
Wunderbar, dachte Barbara. Sabine wusste also auch, wo sie wohnte. Diese Stadt war ein Dorf. Aber selbst gewählt und selber schuld. Niemand hatte sie gezwungen, Wien zu verlassen.
»Die Villa Hickel ist vollgestopft mit Kunst«, erzählte Sabine. »Der Vater vom alten Hickel war ein mittelmäßiger Maler. Heute kennt den keiner mehr. Aber er war ein Freund von Schiele und Klimt und hat eine sagenhafte Sammlung hinterlassen.«
»Aha.« Barbara hörte nur mit halbem Ohr zu. Sie wollte das Geschehen im Laden im Blick behalten.
»Meine Frau ist auch Malerin«, erzählte Sabine. »Sie verschenkt aber mehr, als sie verkauft.«
»Diese wertvollen Gemälde verwahrte der Professor in der Villa? In einem normalen Haus?«
Sabine stibitzte ein weiteres Gurkerl. Barbara widerstand dem Drang, sich daran zu stören.
»Die Villa vom Hickel ist ein Kunstwerk. Jugendstil vom Feinsten und das Haus war sehr gut gesichert. Ich habe gehört, -«
»In dieser Stadt hören alle sehr gut«, Barbara unterbrach sie.
»Ich merke das gar nicht mehr«, lachte Sabine. »Vielleicht bin ich schon zu lange hier.«
»Hatte der Hickel keine Alarmanlage?«
»Die Alarmanlage war nicht aktiviert. Es hat ein paar Fehlalarme gegeben und die Polizei hat gedroht, dem Hickel die Einsätze zu verrechnen. Er war sehr sparsam.«
»Wer hat ihn gefunden?«, Barbara nickte einer Kundin zu, die das Geld für einen Strauß Bauernrosen auf die Theke zählte und druckte einen Kassenbeleg aus.
»Die Frau Eder konnte nicht schlafen«, erzählte Sabine. »Deshalb war sie im Morgengrauen unterwegs und hat entdeckt, dass die Eingangstür der Villa Hickel nur angelehnt war. Sie hat sofort den Notruf gewählt. Ich glaube, sie ist gar nicht ins Haus gegangen. Eh besser für sie. Das muss keiner sehen, der weiter ruhig schlafen will. Obwohl, schlafen kann sie ja eh nicht .«
»Wie wurde er umgebracht?«
»Ich vermute, sie haben ihn mit einem Totschläger oder einer Stahlrute erschlagen. Der Schädel war aufgeplatzt. Wie eine Melone, die man aus dem dritten Stock wirft.«
Barbara wurde flau im Magen. Was für ein seltsamer Vergleich.
»Ich bin keine Gerichtsmedizinerin.« Sabine nahm eines der halbnackten Brötchen, denen sie vorhin die Dekoration weggegessen hatte und biss hinein. »Ich tippe .«, sagte sie mit vollem Mund, besann sich und schluckte hinunter. »Ich tippe auf einen Totschläger.«
»Einen Totschläger?«
»Ein Totschläger ist eine flexible Rute mit einem Griff an dem einen und einem Gewicht am anderen Ende«, erklärte Sabine. »Damit erzielst du einen Peitscheneffekt und kannst dein Opfer ratzfatz betäuben. Oder töten. Ich verwende einen Totschläger beim Fischen.«
»Du meinst angeln?«
»Genau dieses Fischen«, nickte Sabine. »Ich habe drüben auf der anderen Seite der Donau, in der Au meinen Platz. Vielleicht hast du Lust mich einmal zu begleiten?«
»Vielleicht.«
»Ich würde mich freuen«, sagte Sabine. »Aber jetzt erzähl von dir. Ich habe gehört, du hattest eine Firma in Wien. Software oder so. Die hast du verkauft und dich mit dem Geld an der Gärtnerei von der Leonie Bogner beteiligt?«
»Dem habe ich nichts hinzuzufügen«, sagte Barbara.
»Das muss eine Riesenfirma gewesen sein.«
»Naja. Wie man's nimmt.«
»Immerhin hast du auch die Villa vom Stadler gekauft. Die Renovierung -«
»Es ist sich ausgegangen.«
»Ich bin zu aufdringlich. Ich weiß. Dieses >Leute ausfragen< ist eine Berufskrankheit. Meine Frau beschwert sich immer über mich. Sie sagt, ich behandle alle Leute, als ob ich ihre Anamnese aufnehmen würde. Entschuldige bitte.«
»Es ist ja kein Geheimnis«, beruhigte sie Barbara. »Nach dem Verkauf meiner Firma wollte ich es noch einmal wissen und habe alles auf eine Karte gesetzt.«
»Warum?«, fragte Sabine.
Barbara überlegte. »Ich habe mir einen Kindheitstraum erfüllt«, sagte sie dann. »Ich wollte schon immer ein Blumengeschäft haben. Vielleicht, weil ich diesen speziellen Duft im Laden so liebe.«
Sabine schnupperte.
»Es riecht nach frischer Farbe und Lösungsmittel«, sagte sie.
*
Barbara schleppte die letzte Kiste mit schmutzigem Geschirr zum Lieferanteneingang. Dann zog sie die Schuhe aus und ging barfuß zurück in den Arbeitsraum. Sie öffnete den Kühlschrank, entschied sich für eine Flasche Riesling und suchte nach einem sauberen Glas. Sie würde mit sich selbst auf den heutigen Tag anstoßen. Alles...
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