Schweitzer Fachinformationen
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Sofia Dalmasso war nicht abergläubisch. Natürlich, wie jeder normale Mensch streute sie Salz auf verschüttetes Öl und fasste Eisen an, um Krankheiten oder Unglück abzuwenden, aber das war allein gesunder Menschenverstand. Schließlich gab es einen Unterschied zwischen Aberglaube und Leichtsinn!
Es war nur so, dass Sofia im Großen und Ganzen eben nicht an schwarze Katzen glaubte, die Unglück brachten. Dass sie keine Angst vor der Zahl siebzehn und auch keine Vorbehalte gegen bestimmte Wochentage hatte. Sofia Dalmasso war, so könnte man sagen, durch und durch rational. Was auf den ersten Blick verwunderlich erscheinen mochte, wenn man bedachte, dass sie die Wahrsagerei sozusagen beruflich betrieb. Nicht hauptberuflich, nein, nur hin und wieder, vielleicht zweimal in der Woche kam eine alte Frau oder auch ein nervöser junger Mann mit dem Foto einer Angebeteten zu ihr und bestellte einen Mokka. Dann nickte sie wortlos, führte ihren Gast in die Küche, hinter den hölzernen Vorhang, der die Fliegen fernhalten sollte, und holte die verzierte bronzene Kanne mit Stiel vom Sims. Zuerst gab sie fein gemahlenes Pulver hinein, füllte es mit Wasser auf und ließ den Kaffee dann zweimal aufkochen. Das Besondere am Mokka war das feine Kaffeemehl, das mit eingegossen wurde und nach dem Trinken am Boden der Tasse verblieb. Dies stürzte Sofia dann auf eine Untertasse, wo es leicht austrocknete, und anschließend konnte sie aus dem Kaffeesatz die Zukunft der Person vorhersagen, die den Mokka getrunken hatte.
Sofia hatte ihrer Großmutter noch nie einen Wunsch abschlagen können, und so hatte eines zum anderen geführt und gemeinsam mit dem kleinen Café, in dem sie Kaffee, Gebäck und einen Mittagstisch anbot, hatte Sofia die Kunst der Wahrsagerei von Nonna Valerija geerbt. Dank ihrer Großmutter konnte Sofia die beste Torta di Nocciole Piemontese nördlich von Turin backen und wusste nebenbei, wie man aus einem dunklen Mokka die Zukunft lesen konnte. Bisher hatte sie geglaubt, dass man dafür nur gute Augen brauchte - oder in ihrem Fall eine gute Brille - und die Fähigkeit, sich zu merken, welches Bild welche Bedeutung trug. Keine Hexerei.
Deshalb wunderte sie sich jedoch umso mehr, dass der Mann, der an diesem Nachmittag vor ihrer Theke stand, sie so sehr verunsicherte. Er hatte einen Mokka bestellt, die Besonderheit, die man nicht auf der Karte ihres kleinen Cafés fand. Auf der großen Tafel hinter ihrer Theke standen Espresso und Cappuccino, auch einen Doppio konnte man bestellen, einen Latte Macchiato oder einen Caffè Americano, was die meisten, die Sofias Café besuchten, auch taten.
Nun stand also dieser Fremde vor ihr. Sofia hatte ihn noch nie zuvor gesehen und nicht die leiseste Ahnung, weshalb er von ihr und dem Mokka wusste. Doch aus irgendeinem Grund zögerte sie, ihm seinen Wunsch zu erfüllen.
»Ich kann Ihnen einen erstklassigen Espresso anbieten«, versuchte Sofia ihn stattdessen zu überzeugen.
»Gianluca Ferrari«, stellte er sich vor und reichte ihr die Hand über die Theke. Sein Händedruck war angenehm, fest und warm, und dennoch glaubte Sofia für einen Moment, einen feinen, kaum wahrnehmbaren elektrischen Schlag bekommen zu haben. Ohne Zweifel wirkte Gianluca sympathisch, eine ruhige Art gepaart mit offener Freundlichkeit. Trotzdem gab es da etwas, das Unruhe in ihr auslöste. Obwohl er jung war - sie schätzte ihn auf Mitte dreißig, nur einige Jahre älter als sie selbst - und gut aussah mit seiner feinen Bräune und den dunklen Augen, strahlte er etwas aus, das sie nicht einordnen konnte. Etwas, das ihr . Angst machte.
»Und ich glaube Ihnen, dass Sie einen hervorragenden Espresso anbieten. Aber ich möchte wirklich einen Mokka.« Er blickte ihr fest in die Augen. »Es ist mir wichtig.«
Sofia musterte ihn, die feinen Fältchen, die sich um den Mund abzeichneten, die erste graue Strähne, noch gut versteckt unter einer Locke, die ihm in die Stirn fiel. Machte er ihr Angst? Nein. Sie kniff die Augen hinter ihrer Brille zusammen, nicht er. Etwas an ihm, etwas, das jedoch nichts mit ihm selbst zu tun hatte. Mamma mia, jetzt wirst du schon so wie Valerija, schalt Sofia sich. Denn ja, Nonna Valerija, ihre Großmutter, war abergläubisch gewesen. Hatte gewusst, wie man die Kaffeetasse stürzen musste, wie man die Zeichen im Satz zu lesen hatte, hatte Sofia eingeschärft, dass man Glück und Verderben, doch niemals den Tod vorhersagen konnte. Sie hatte fest daran geglaubt, die Zukunft wirklich vorherzusagen, Glück oder Verderben, Liebe oder Trauer.
Sofia . nicht.
Eine Weile schwiegen Gianluca und sie, er abwartend, sie nachdenklich, bis sie sich schließlich einen Ruck gab. Es bestand kein Grund zur Sorge. Sie würde ihm einen Mokka aufbrühen, er würde den Kaffeesatz stürzen, und dann würde sie ihm unerwarteten Geldsegen prophezeien. Oder die Begegnung mit der Liebe seines Lebens, vielleicht würde sie es auch vage halten, ihm Anerkennung vorhersagen und ihn wieder seiner Wege schicken.
»Kommen Sie mit«, sagte sie also. Sie hielt ihm den hölzernen Vorhang auf, damit er in ihre Küche treten konnte.
Sofias Küche war ihr ganzer Stolz: Sonnendurchflutet, mit einem Holztisch in der Mitte, frische Kräuter standen auf der Fensterbank, Basilikum, Thymian und Rosmarin, ein getrockneter Strauß Oregano hing über dem Herd neben getrockneten Chilistangen und einem aus Knoblauchzehen geflochtenen Zopf, ein geräucherter Schinken komplettierte ihre Ausstattung. Direkt über dem Herd, einem modernen Gasherd mit Umluftbackofen, war ein Brett für die Bialetti, die mechanischen Espressokännchen, angebracht - und eben auch für die Mokkakanne. Es duftete nach gerösteten Haselnüssen, die sie für hausgemachtes Nougat in den Ofen geschoben hatte.
»Setzen Sie sich.« Sie deutete auf einen der beiden Stühle am Küchentisch und griff zur kleinen Mokkakanne mit dem Stiel und dem rußgeschwärzten Boden. Dann löffelte sie das Pulver hinein, gab Wasser hinzu und bemerkte, dass ihre Hände leicht zitterten. In diesem Moment schob sich eine Wolke vor die Sonne und ihre sonst so helle Küche wirkte seltsam düster. Sie versuchte, alle Gedanken an dunkle Omen abzuschütteln, stattdessen drehte sie sich zu Gianluca, als die Flamme des Gasherds brannte.
»Kann ich Ihnen vielleicht einen Keks anbieten?« Sie nahm das große Glas, das auf der Arbeitsfläche stand und mit Biscotti gefüllt war. Diesmal waren es Mandelkekse, die sie am Wochenende gebacken hatte.
Doch er verneinte. »Nur den Mokka, bitte.«
Sofia nickte und schöpfte den Schaum ab, der sich gebildet hatte, als der Kaffee zum ersten Mal kochte. Dann nahm sie sich selbst einen Keks und knabberte daran herum, während sie darauf wartete, dass der Mokka erneut aufkochte.
»Sie haben die Kunst von Ihrer Großmutter gelernt, richtig?«
Erstaunt blickte Sofia auf.
Er lächelte. »Es ist ein kleines Dorf.«
Das war es in der Tat. Zum ersten Mal seit dem Beginn ihrer Unterhaltung musste Sofia grinsen. Mit Schwung warf sie sich ihren Zopf über die Schulter, dann goss sie den Mokka in eine kleine Tasse und stellte sie Gianluca hin. »Zucker?«
Erneut verneinte er.
Sie setzte sich ihm gegenüber, während er trank, bedächtig, langsam, damit das Pulver Zeit hatte, sich am Boden abzusetzen. Obwohl er jung war, obwohl er gut aussah, strahlte er etwas aus, das Sofia urplötzlich mit dem Traum verband, den sie in dieser Nacht gehabt hatte. Seit ein paar Tagen träumte sie schlecht, sie hatte es auf die Wärme geschoben, die schon jetzt nachts herrschte. Aber in diesem Moment fühlte sie genau das Gleiche, das sie heute Morgen beim Aufwachen gespürt hatte: eine allumfassende Schwere, eine Düsternis, die sie mit sich zog.
Schließlich schob er die leere Tasse zu Sofia hinüber, die sie vorsichtig auf eine Untertasse stürzte. Das dunkle Kaffeemehl zog feine Fäden auf dem Weiß der Tasse, bildete Figuren und Symbole. Sofia suchte nach dem ersten Bild, einem Kreuz. Nicht gut, nicht gut. Sie atmete tief ein, versuchte, Gianluca beruhigend zuzulächeln, und suchte nach dem nächsten Symbol. Nein. Das konnte nicht sein. Noch nie hatte sie so etwas gesehen, noch nie so eindeutig. Sofort blickte sie auf, zu ihrem Gast. Hatte er bemerkt, wie erschrocken sie war? Er musste es registriert haben, denn erwartungsvoll schaute er sie an. Bevor er fragen konnte, was los war, sah sie ihn an, sah in seine dunklen, forschenden Augen und versuchte zu lächeln.
»Der Kaffeesatz ist nicht immer so eindeutig«, murmelte sie. Ihr Herz klopfte wie wild.
Der Tod! Es war der Tod!
»Ihre Zukunft .«, stotterte Sofia ein wenig verloren. Der Tod! Wie sollte sie ihm . wie sollte sie überhaupt? Noch nie hatte sie den Tod gesehen. Und doch waren die Bilder heute so klar wie nie zuvor. Konnte das stimmen? Oder war sie nicht vielleicht einfach übernächtigt, von den schlechten Träumen verängstigt, und sah nun Gespenster, wo keine waren?
Mit der Zungenspitze fuhr sie sich über die Lippen. Wie hatte Nonna Valerija ihren Kundinnen schlechte Nachrichten überbracht? Zum Glück fiel es ihr wieder ein.
»Seien Sie auf der Hut vor Gefahren«, sagte Sofia langsam. Das war eine gute Möglichkeit, denn wenn man auf der Hut war, bedeutete das, man konnte die Gefahren abwenden. Erneut blickte sie dem Mann in die Augen und erneut wurde sie von einer inneren Unruhe ergriffen. Sie unterdrückte den Impuls, auf ihrem Stuhl herumzurutschen. Stattdessen starrte sie wieder intensiv auf den Kaffeesatz, auf die Untertasse vor ihr. Was war es genau gewesen,...
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