Schweitzer Fachinformationen
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Es gab Cocktails und Pianomusik und einen Blick aus diesen Augen. Die Farbe undefinierbar. Helles Grün, helles Blau, meerwassergleißend. Augen wie Fenster zu einem Geheimnis - oder in eine große Leere. Bartstoppeln. Er lächelte vor sich hin, als er sich mit der Hand durch die Haare fuhr. Er trug sie nach hinten gekämmt. Dunkel waren sie, voll und wellig. Weiß wie Milch die Zähne. Brusthaare, die er gern ein paar Zentimeter aus dem Hemd blitzen ließ. Er verstand die Menschen nicht, die anderen ihre Eitelkeit vorwarfen wie einen Makel. Eitelkeit war in seinen Augen nur der Beweis dafür, dass man sich selbst nicht gleichgültig war. Mochte man andere Menschen auch als bedeutungslos für das eigene Leben empfinden, sich selbst gegenüber hätte Tobias diese Form von Abgestumpftheit als Verrat betrachtet. Noch idiotischer aber war es, andere merken zu lassen, wie wenig sie einem bedeuteten, wie sehr man sie insgeheim verachtete. Das gestattete er sich nur in kleinen Momenten der Schwäche, bevor er die Maske wieder aufsetzte.
Sie saß perfekt.
Seine kleine Familie war Teil der Tarnung.
Sicheres Netz.
Warmes Nest.
Hübsches Haus, schöne Freundin. Leider war sie zu anhänglich, war wie eine dieser Kletten, die sich mit ihren hakeligen Blüten beim Sonntagspaziergang an Mäntel und Hundefelle hefteten. Larissa war sogar so weit gegangen, ihm ein Kind anzuhängen. Gegen seinen Willen war sie schwanger geworden, und gegen seinen Willen liebte er seinen Sohn abgöttisch. Theo war zwei und Grund genug, diese Vater-Mutter-Kind-Idylle zu ertragen. Dieses Duftgemisch aus Kräutergarten, selbstgebackenem Apfelkuchen und Babykacke. Eines Tages würde es auf klare Worte und eine Trennung hinauslaufen. Noch bestand keine Notwendigkeit. Noch war es angenehm, so wie es war. Der Sex. Ihr Lachen. Ihre emsige Art, die Vegetarierin rauszukehren und ihm Gemüse schmackhaft zu machen. So als würde die Welt eine bessere, nur weil man Auberginen aß. Sie war naiv in ihrer Glücksgläubigkeit, und er ließ sie gewähren.
Sie hatte das Beste vom Leben gewollt - und ihn gekriegt.
Ihr Problem.
Tobias Hansen war der Meinung, dass es nur zwei Kategorien von Menschen gab, die Guten und die Bösen, und er hatte das nicht ganz unbedeutende Talent, das Eine in sich schlummern zu wissen und es durch das Andere zu kaschieren.
Die Frauen waren verrückt nach ihm. Das ließ sich nicht vermeiden, wenn man dieses Aussehen hatte - und Talent am Klavier. Er war Barpianist in einem der besten Hotels der Stadt. Berühmt für seine Küche und die Terrasse am Fluss unter alten Lindenbäumen.
As Time Goes By. Summertime. Ballade pour Adeline. Moonlight Serenade. Candle in The Wind.
Er hatte alles drauf. Er untermalte ihre Träume musikalisch, während sie in den Samtsesseln der Bar saßen, die Beine übereinandergeschlagen, am Champagner nippten, ihm zulächelten und mit der Fingerspitze über den Rand ihres Glases strichen, als wäre es der spitz gezeichnete Amorbogen seiner Lippe, die oben voller ausfiel als unten. Ungewöhnlich, aber nicht ohne Reiz.
Es war ruhig heute Abend. Ein Sonntag. Er liebte die Sonntagabende. Sie waren eine bittersüße Auflehnung gegen das ernüchternde Gesicht des nahenden Montags. Er ließ seine Blicke schweifen, trank Whisky, spielte was von der Knef.
Für mich soll's rote Rosen regnen.
Es war diese Zeit zwischen Tag und Traum, die er mochte, während die große Stadt ihre ganz eigene Melodie fand. Die Schwärmerei der anwesenden Damen amüsierte ihn allenfalls. Er mochte es lieber, wenn sie sich desinteressiert zeigten, anfangs, ihn mit kalten Augen anblitzten, ihn abblitzen ließen, bevor sie schwach wurden und sich ihm hingaben voller Wollust, alles vergaßen, ihren Mann, ihre Kinder, ihren Anstand, ihre guten Manieren. Wenn sie schwitzend in seinen Armen lagen und es ihnen egal war, dass die Mascara von ihren Wimpern krümelte und schwarze Schatten unter ihre Augen malte. Er bevorzugte die Adretten, Akkuraten, Verheirateten, Pflichtbewussten, die so glatt und kühl waren wie die Perlen um ihren Hals. Es erregte ihn, die festgezurrten Linien ihrer schmalen beherrschten Münder aufweichen zu sehen, bevor ihnen ein Stöhnen oder ein leiser Schrei entfuhr. Die Elbvororte waren voll von Frauen mit dieser perfekten Fassade - und das Hotel von weiblichen, erfolgreichen Gästen, die sich nach ihren Geschäften nach etwas Wärme sehnten wie ein kühler Tag, der sich plötzlich aufheizte und in der Mittagssonne zerfloss.
Mir sollten sämtliche Wunder begegnen.
Konnten sie haben.
Aber nicht heute.
Auch wenn die Bar von diesen Zutraulichen wimmelte, ein paar Drinks im Blut, Hunger im Blick, die man nicht lange um ein nächtliches Vergnügen hätte bitten müssen und in denen Sehnsucht aufwallte, sobald er diesen Titanic-Song spielte.
My Heart Will Go On.
Sichere Nummer.
Ging immer.
Er spulte noch das herunter, was man von ihm erwartete, ein wenig Nat King Cole, ein bisschen Sinatra, Unforgettable, Strangers in The Night, und machte um ein Uhr nachts Feierabend. Froh, endlich allein zu sein, obwohl er unter Schlaflosigkeit litt, die einen Menschen einsam und melancholisch machen konnte. Es war die Schlaflosigkeit jener, die die Gier kennen. Nicht das Sattsein.
Er fuhr immer denselben Weg nach Hause. Und wie so häufig legte er einen Stopp ein an einem Ort, an dem er nichts zu suchen hatte. Vor einem Haus im Hamburger Westen, das nicht das seine war. In einer Gegend, in der er nicht wohnte. Ihn zog es zu einer kleinen Straße, die von der vornehmen Elbchaussee abzweigte. Othmarschen war ein feines Pflaster, blank gefegt und ruhig. Stille und Sauberkeit. Nur wenige Minuten zu Fuß waren es von hier bis zum Elbstrand, nur wenige Minuten, bis man die Schuhe abstreifen und im Sommer durch feinen Sand laufen konnte, von den nackten Zehen hochkatapultiert zu kleinen Fontänen. Der Elbstrand war Hamburgs Spezialeffekt. Das glitzernde Wasser des Flusses, die Ahnung von Meer, die Riesenpötte und die Sonnenuntergänge, die der Himmel der Stadt manchmal spendierte, bis alles getränkt war im Farbton eines beschwingten Glases Rosé. So spät in der Nacht und um diese Jahreszeit war alles anders. Die Bäume waren noch nackt. Fäden von Nebel hingen in der Luft. Das Pflaster war feucht vom Regen. Auf den Straßen standen Pfützen. Es war kalt, und die Ruhe, die auch am Tage hier draußen herrschte, war dröhnendem Schweigen gewichen. Der Wind zischelte um seinen Wagen. Die Hafenkräne auf der Kaimauer am gegenüberliegenden Ufer des Flusses wirkten wie gigantische Raubvögel mit zur Erde geneigtem Schnabel, bereit zur Attacke.
Er hielt vor dem Haus am Ende der Straße, das durch sein großes Grundstück respektvoll Abstand hielt zu seinen Nachbarn. Er schaltete Motor und Scheinwerfer aus, obwohl er sich nicht lange aufhalten würde, und blickte hinüber zu dem gewaltigen Gemäuer. Von der Substanz her ansehnlich, wirkte es durch langen Leerstand verlottert in dieser manikürten Gegend. Tobias schlug in rhythmischem Trommelwirbel aufs Lenkrad. Wie oft hatte er hier schon gestanden! Bei Tag, bei Nacht. Bei Sonne und Regen und Sturm und Schnee. In Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Es war ein imposantes Anwesen inmitten eines weitläufigen Gartens. Trotz seiner Verwahrlosung verfügte er aufgrund seines jahrhundertealten Baumbestandes immer noch über die nötige Grandezza. Die Fassade des dreistöckigen Hauses bestand aus braunem Backstein. In der ersten Etage befand sich ein Erker mit bleiverglasten Scheiben, der so romantisch aussah, als habe hier vor vielen Jahren ein Dichter am offenen Fenster gestanden und seine Verse hinausgerufen auf die Straße. Im Stockwerk darüber wurden zwei nebeneinanderliegende Bogenfenster von einem Giebel in Obhut genommen.
An den Mauern der Villa war der Efeu nicht zu bändigen. Die Kirschlorbeerhecke, die ums Grundstück lief, wucherte wild und war vermutlich ein Nachbarschaftsärgernis. Im Vorgarten baumelte an einem weißen galgenförmigen Balken das Schild eines Maklers. Zu verkaufen. Zwei Steinskulpturen rechts und links der Treppe zum Eingang hatte man im Regen stehen lassen. Dunkelheit und Schweigen, Totenstille. Nichts hatte sich in all den Jahren verändert, in denen das Haus leer stand.
Nichts ging voran.
Sollte das ewig so weitergehen?
Er saß noch einen Moment lang untätig hinter dem Steuer auf der verlassenen Straße, dann ließ er den Motor wieder an. Ihm war nach einem schweren Wein und nach Rachmaninow. Dieses Haus suchte ihn heute noch heim. Es war sein Schicksal. Wie eine düstere Musik. Die blieb für immer in einem, wenn man sie nicht zu vertreiben vermochte. Man konnte sein altes Ich nicht einfach abschütteln.
Endlich fuhr er nach Hause ins Treppenviertel von Blankenese, wo sich Kapitänshäuschen an herrische Villen schmiegten. Die Sackgasse, in der er wohnte, zweigte südlich von der Terrasse des Hotels Süllbergs ab, auf dessen Aussichtsturm die rot-weiße Fahne der Hansestadt wehte. Er schien über das Treiben unter ihm zu wachen, und man konnte gar nicht anders, als sich geborgen zu fühlen, behütet und sicher, unbelästigt und unbehelligt von allem Bösen, das hier draußen weit weg zu sein schien.
Es war kurz nach halb zwei in der Nacht. Seine Zeit. Er hatte lange nicht mehr tief und fest geschlafen, ihm war kalt, aber er dachte nicht daran, sich hinzulegen. Er wollte jetzt niemanden neben sich haben. Vermutlich hatte es Theo zu...
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