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Dr. Singer: Herr Rath, ich würde eine Tonbandkassette mitlaufen lassen, ist das in Ordnung für Sie?
Rath: Das Band läuft ja längst.
Dr. Singer: Ich habe es gerade erst eingeschaltet. Kann es auch wieder ausmachen.
Rath: Schon in Ordnung. Lassen Sie laufen.
Dr. Singer: Sie haben sowieso die Möglichkeit, Ihre Aussagen noch einmal gegenzulesen, sobald ich die Bandaufzeichnungen transkribiert habe.
Rath: Aussagen? Wird das hier ein Verhör?
Dr. Singer: Nein, natürlich nicht. Ich habe es Ihnen doch erklärt. Es geht um Geschichte. Um meine Habilitationsschrift. Um die Arbeit der Berliner Polizei in der Weimarer Republik, im Dritten Reich und in den Jahren nach dem Krieg. Ich bin Historiker und würde Sie gerne als Zeitzeugen befragen. Sie standen doch in all diesen Zeitabschnitten in Diensten der Berliner Kriminalpolizei?
Rath: Ja. Mit Unterbrechungen.
Dr. Singer: Zunächst einmal die wesentlichen Fakten, soweit sie mir bekannt sind: Sie heißen Gereon Wilhelm Rath und wurden am 5. März 1899 in Köln geboren. Ihr Vater, Engelbert Rath, war Kriminaldirektor im Polizeipräsidium Köln. Sie haben einen Bruder im Ersten Weltkrieg verloren, waren selbst aber nicht im Kriegseinsatz. Nach dem Reifezeugnis .
Rath: Entschuldigung bitte, aber ich war im Krieg. Rheinisches Fußartillerieregiment Nummer acht. Ausbildung zum Richtkanonier. Wir sollten nach Flandern. Waren bereits in der Etappe und warteten auf unseren Fronteinsatz. Dazu kam es dann aber nicht mehr.
Dr. Singer: Weil der Krieg beendet war.
Rath: Richtig.
Dr. Singer: Sie haben Ihr Jurastudium an der Universität zu Köln nach vier Semestern abgebrochen und sind im Jahre 1922 in Köln in den Polizeidienst eingetreten.
Rath: So ist es. In diesen unsicheren Jahren brauchte man Ordnungskräfte, dem habe ich mich nicht verwehrt.
Dr. Singer: Sie haben Ihren Dienst in der Kölner Mordinspektion versehen, ab 1925 als Kriminalkommissar. 1929 erfolgte der Wechsel nach Berlin, wo Sie die darauffolgenden Jahre arbeiteten, 1934 dann, nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten, die Beförderung zum Oberkommissar.
Rath: Hören Sie, da gibt es aber keinen Zusammenhang. Mit dem Regierungswechsel, meine ich. Die Beförderung war längst überfällig.
Dr. Singer: Nach einem Schusswechsel während eines Polizeieinsatzes im August 1936 galten Sie als verschollen und wurden ein Jahr später für tot erklärt, tauchten nach dem Krieg dann aber in der britischen Besatzungszone wieder auf. In Ihrer Heimatstadt Köln. Nach einem kurzen Intermezzo bei der Kölner Kriminalpolizei wechselten Sie im Januar 1949 erneut nach Berlin, in Ihrem alten Dienstrang als Kriminaloberkommissar. 1954 erfolgte dann die Beförderung zum Kriminalhauptkommissar, im März 1964 schließlich Ihre Pensionierung und der Eintritt in den Ruhestand. Ist Ihr Werdegang so weit korrekt wiedergegeben?
Rath: Wenn Sie das alles schon wissen, warum wollen Sie mich überhaupt noch sprechen?
Dr. Singer: Das sind nur biografische Daten aus Ihrer Akte. Es geht mir um mehr. Um Ihre persönlichen Erfahrungen als Polizeibeamter in drei unterschiedlichen Regierungsformen. Davon kann nicht jeder berichten.
Rath: Na ja, so sehr unterscheidet sich die Bundesrepublik Deutschland nicht von der Weimarer Republik. Das sind beides Demokratien.
Dr. Singer: Aber im Gegensatz zur Weimarer Republik existiert die Bundesrepublik noch.
Rath: Und das wird sie auch weiterhin. Dafür haben wir schließlich gearbeitet.
Dr. Singer: Wir? Sie meinen die Polizei?
Rath: Die Polizei, natürlich. Aber überhaupt: meine Generation. Die alles wieder aufgebaut hat nach dem Krieg.
Dr. Singer: Die das Land mit dem Krieg aber überhaupt erst kaputt gemacht hat.
Rath: Das waren amerikanische und britische Bomber.
Dr. Singer: (Pause. Papierrascheln.) So, dann machen wir mal weiter. Herr Rath, Sie sind gebürtiger Kölner .
Rath: Das haben Sie ja gerade vorgelesen.
Dr. Singer: . und Ihr Vater war Kriminaldirektor im Polizeipräsidium Köln.
Rath: Das hatten wir doch alles schon.
Dr. Singer: Ich würde gern wissen, warum Sie dann 1929 nach Berlin gewechselt sind.
Rath: Na, warum macht man so etwas wohl?
Dr. Singer: Das kann viele Gründe haben. Ich würde gerne die Ihren hören.
Rath: Liegt doch auf der Hand: Ich habe neue Herausforderungen gesucht. Die Berliner Mordinspektion damals war legendär. Die erfolgreichste Polizeibehörde Europas.
Dr. Singer: Geleitet von Kriminalrat Ernst Gennat .
Rath: Genau. Dann kennen Sie sich ja aus.
Dr. Singer: Aber Sie versahen Ihren Dienst zunächst bei der Sittenpolizei.
Rath: Das war nur am Anfang, wenige Monate. Die meiste Zeit habe ich als Mordermittler gearbeitet.
Dr. Singer: Und am Ende dann im Reichskriminalamt unter Arthur Nebe.
Rath: Im Landeskriminalamt. LKA Preußen. Das Reichskriminalamt gab es da noch nicht. Ich bin ja 36 schon weg aus Deutschland.
Dr. Singer: Bei Ihrer Rückkehr nach Köln im Jahr 1948 haben Sie sich der britischen Militärverwaltung gegenüber als politisch Verfolgter dargestellt. Gleichwohl haben Sie dreieinhalb Jahre Ihren Dienst im nationalsozialistischen Polizeiapparat versehen.
Rath: Das hat Ernst Gennat auch getan, und der war ebenso wenig Nazi wie ich und viele andere, die ihre Pflicht erfüllt haben.
Dr. Singer: Ihre Beförderung zum Kriminaloberkommissar erfolgte 1934, eineinhalb Jahre nach Antritt der Regierung Hitler.
Rath: Wie gesagt: Die Beförderung hätte mir schon zu Republikzeiten zugestanden, doch der Freistaat Preußen musste sparen, es gab eine Beförderungssperre. Die gab es 1934 nicht mehr.
Dr. Singer: Obwohl Ihre Karriere unter der neuen Regierung keinen Schaden nahm, haben Sie Deutschland verlassen. Warum?
Rath: Na ja. Hätten Sie unter den Nazis weiterarbeiten wollen? Außerdem: Ich stand auf einer Fahndungsliste des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS. Es ging um Leben und Tod.
Dr. Singer: Aus welchem Grund hat die SS Sie verfolgt?
Rath: Was weiß ich? Die brauchten nicht immer einen Grund, junger Mann. Das waren Verbrecher.
Dr. Singer: War dann auch Arthur Nebe ein Verbrecher? Ihr Chef beim Landeskriminalamt war SS-Oberführer, später sogar Gruppenführer. Viel höher konnte man bei der SS nicht aufsteigen.
Rath: Junger Mann, Sie haben in diesen Zeiten nicht gelebt, Sie können das nicht beurteilen. Nebe war ein hervorragender Kriminalist. Aber im Krieg hat er Erschießungen an der Ostfront befehligen müssen. So war das damals. Und dann hat er Kontakt zum Widerstand aufgenommen und ist hingerichtet worden. So konnte es einem ergehen. Mit der SS war nicht zu spaßen.
Dr. Singer: Wie haben Sie denn erfahren, dass der SD nach Ihnen fahndet?
Rath: Ein Freund hat mich gewarnt. Dann habe ich die erstbeste Gelegenheit genutzt, um zu verschwinden.
Dr. Singer: Ein Freund .
Rath: Ich möchte hier keine Namen nennen.
Dr. Singer: Die erstbeste Gelegenheit, wie Sie es nennen, war besagter Schusswechsel mit einem Verbrecher an der Schöneberger Brücke am 13. August 1936. Sie stürzten in den Landwehrkanal und blieben danach verschwunden. Das hatte ernsthafte Folgen: Sie wurden 1937 für tot erklärt .
Rath: Die SS wollte meinen Kopf. Ich musste untertauchen. Die Flucht in die USA hat mir das Leben gerettet.
Dr. Singer: . Sie wurden für tot erklärt, und Charlotte Rath, Ihre vermeintliche Witwe, heiratete 1939 ein zweites Mal.
Rath: Lassen wir das. Das ist mir zu privat. Reden wir über meinen Beruf. Darum geht es doch.
Dr. Singer: Eben. Ihre Ex-Frau war ja ebenfalls bei der Polizei. Sie haben sich sozusagen beruflich kennengelernt.
Rath: Aber wir haben nur kurze Zeit im selben Beruf gearbeitet. Sie ist bereits 1933 aus dem Polizeidienst ausgeschieden. Freiwillig.
Dr. Singer: Man könnte sagen, sie hat die Konsequenzen aus den geänderten politischen Verhältnissen gezogen. Warum haben Sie das nicht getan?
Rath: Hören Sie, junger Mann, ich war...
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