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Die Suche nach Wasser erzählt die Geschichte der Menschheit als getrieben von Durst. Virginia Mendoza kombiniert darin persönliche Erfahrungen am trockensten Ort Europas mit einer ansteckenden Neugier für die Ergebnisse anthropologischen Forschens. So entsteht eine packende, einmalige Zivilisationsgeschichte, die den Blick auf das Wasser und sein Ausbleiben grundlegend verändert.
Ihre ersten Erinnerungen handeln von der Trockenheit. Denn Virginia Mendoza wächst in La Mancha, Spanien, auf, in der trockensten Region Europas. Vater, Mutter, Großeltern, dazu fast jedes Wort, Werkzeug oder Tradition ihrer Heimat vermitteln eine Überzeugung: Ohne Wasser kein Leben, ohne Wasser keine Zivilisation. Als Virginia Mendoza schließlich fort geht und Anthropologie studiert, wird diese über Generationen tradierte Einsicht zum Leitgedanken ihres wissenschaftlichen Arbeitens. Intensiv befragt sie fortan die Geschichte der Menschheit nach den Auswirkungen von Dürre, Durst und Wasserknappheit. Und entwickelt eine Perspektive, aus der jede unserer Wegmarken - seien es Migrationsströme, Ackerbau, der Blick in die Sterne, das Brot, die ersten Städte, Schriften, Wissenschaften - als eine Etappe auf der Suche nach Wasser erscheint.
Noch war nicht genügend Zeit vergangen, da merkte ich, dass ich durstig war, aber kein Wasser dabei hatte. Ich wollte eine Weile warten, bevor ich auf die Suche ging, doch dann erinnerte ich mich, dass es Dinge wie Durst, Tod oder Liebe gibt, denen man nicht entrinnen kann; früher oder später würde ich gehen müssen.
Núria Bendicho Giró,
Tierras muertas
Weder möchte, noch kann ich jenen Ort in La Mancha vergessen, an dem ich den Durst kennenlernte. Im Hof meiner Großeltern mütterlicherseits wartete eine von Töpfen und Schöpfkellen umringte alte Wanne auf den Regen. Die Wasser des nahen Flusses Villanueva wurden knapp und erreichten nicht mehr die Gärten und Felder von Villanueva de la Fuente (Provinz Ciudad Real). Manche Bauern verloren die Ernte, eine Frau musste gar ihre Kühe verkaufen. Auch die Trinkwasserversorgung war in Mitleidenschaft gezogen. Der Grundwasserleiter 24 (der vom Campo de Montiel), der den Fluss speiste, lag praktisch trocken. Obwohl den Bauern gesagt wurde, dass der ausbleibende Regen daran schuld sei, ahnten sie seit geraumer Zeit, dass da noch anderes im Spiel war. Inmitten der Trockenheit, während die eigenen Feldfrüchte verdorrten, wuchsen auf den fast eintausend Hektar Land eines Herzogs dank einer modernen Bewässerungsanlage prächtige Maiskolben heran. Im August 1987 organisierten die Einwohner von Villanueva de la Fuente und anderer Dörfer wie Albaladejo, Villahermosa und Montiel eine Protestaktion. Sie zogen mit umgedrehten Wasserkrügen und Transparenten mit Aufschriften, auf denen »Wir haben Durst« und »Wir wollen unser Wasser« stand, zum Landgut des Herzogs. Es änderte sich nichts.
Längst überzeugt, dass ihr Durst wenig mit dem ausbleibenden Regen zu tun hatte, kippten die Bewohner von Villanueva am 15. August, einem Samstag, vier der Masten um, die Strom zum Herrengut führten. Am Sonntagmorgen, als sie sahen, dass die Arbeiter der Stromunion im Begriff waren, die Masten zu reparieren, stürzten sie die vier Masten abermals um, und neunzehn andere auch. »Wer war das?« »Wir waren es alle, Herr«, sagten sie. Etwa dreitausendfünfhundert Menschen lebten das ganze Jahr im Dorf, Mitte August waren es sehr viele mehr, doppelt so viele. Sie inszenierten ihr eigenes, unblutiges Fuenteovejuna: »Es gibt hier keinen Anführer, wenn es das ist, was Sie wissen wollen; wir sind das ganze Dorf, und wenn sich erwartungsgemäß herumsprechen sollte, dass Sie die Strommasten wieder aufstellen, werden wir alle wie eine Lawine anrollen und das verhindern, aber wir werden mit bloßen Händen kommen, ohne Waffen, wir wollen ja keine Gewalt, wir fordern nur das, was uns gehört: das Wasser«, sagte einer der Befragten auf dem Dorfplatz zu Luis Otero. Der Journalist war gekommen, um sich nach der Frau zu erkundigen, die ihre Kühe verkauft hatte. Eigentlich hieß sie Julia, aber in jenen Tagen fingen ihre Nachbarn an, sie Agustina de Aragón zu nennen. Sie war eine widerständige Alte, die andere mit ihren selbstgeschriebenen Liedchen ansteckte und sich damit zur Wortführerin und auch zur Chronistin des Dorfaufstandes machte.
Was ein Bewohner von Villanueva de la Fuente gegenüber El País sagte, fasst das Geschehen im Dorf zusammen: »Seit Gottes Zeiten gehörte das Wasser uns, bis dieser Mann die Bewässerung für seinen Mais baute«. Sie gaben dem Sohn des Herzogs die Schuld für ihren Durst, weil er ein paar Brunnen von fast hundertfünfzig Metern geschlagen hatte, die an ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem angeschlossen waren und allen das Wasser raubten. Auch den Viehzüchter vom Hof daneben hatten sie im Visier. »Wir sagten: Klar gibt es Dürre, aber es sind die Landgüter, die den Quellen und den Seen von Ruidera Schäden zufügen«, erzählte Bürgermeister Juan Ángel Amador, der sich gleich zu Beginn seiner Amtszeit mit dem Wasserkrieg herumärgern musste. Sogar die Bereitschaftspolizei sei angerückt, es heißt, mit zweihundert Mann. Die protestierenden Anwohner konterten so gut, dass man den Wächtern applaudierte, als der Bürgermeister die Reparatur der Masten schließlich stoppte. Und dann führte der Fluss wieder Wasser. Und die Justiz gab ihnen Recht: Zwei Jahre später wurde bestätigt, dass am Grundwasserleiter Raubbau getrieben worden war.
In jenem Sommer trat die Bereitschaftspolizei noch in einem weiteren Dorf ins Rampenlicht. Während man sich in Villanueva dagegen gewehrt hatte, die Stromleitungen reparieren zu lassen, kletterten die Einwohner von Riaño (Provinz León) auf die Dächer ihrer Häuser und weigerten sich herabzusteigen. Es war der verzweifelte Kampf gegen eine Vertreibung, die sie nicht aufhalten konnten und die in der Überflutung ihres Dorfes und acht weiterer Dörfer der Gemeinde mit den Wassermassen des Stausees gipfelte, welcher der Bewässerung und der Stromerzeugung dienen sollte.
Die Pressebilder aus jenem Sommer illustrieren, dass die Dürstenden und die Ertrinkenden nicht selten eine gemeinsame Geschichte haben, sie sind zwei Seiten einer Medaille. In Villanueva stieg ein Kind aus Protest in ein ausgetrocknetes Flussbett hinab, im anderen Dorf stieg eines aufs Hausdach, um die Überflutung seines Dorfes zu stoppen. Beide wurden porträtiert.
Der Durst aber blieb, er kommt niemals nur auf Stippvisite; bald kehrte er mit einer neuen Dürre zurück. In Spanien und anderen Mittelmeerländern gibt es in jedem Jahrzehnt zyklische Dürreperioden, die meist drei oder vier Jahre andauern. Im Sommer 1992, als ganz Spanien entweder Siesta hielt oder hoffte, dass Miguel Induráin zum zweiten Mal die Tour de France gewann, dachten wir in meinem Dorf Terrinches noch immer nur an Wasser, und an fast nichts sonst. An das ausbleibende Wasser, an das Wasser, das uns vertreiben könnte, wenn es noch knapper würde. Die Erwachsenen lebten damals am Rande der Verzweiflung, und da lernte ich Wasser so zu schätzen, wie man nur Dinge schätzt, die verloren gehen. Es wurde zu einem Wunder, das eine Zeit lang nur mit Hilfe von Tankwagen und den Händen meines Großvaters Norberto geschah. Noch heute stehen Tanks auf den Terrassen des Dorfes, falls sich das wiederholt.
Da mir die Abwesenheit von Durst heute normal erscheint, hüte ich die Erinnerungssplitter von damals, solche, die den eigentlichen Erinnerungen, in denen Wasser vorkam, vorausgingen. Es sind Szenen, die ihre Spuren hinterließen, weil Wasser normalerweise fehlte: Mein Großvater, in eine Höhle gezwängt, auf der Suche nach Wassertropfen, die er dann in eine Zisterne leitete, um den Gemüsegarten zu bewässern. Mein Großvater auf dem Weg vom Gemüsegarten zum Hof, um sich mit einer Schöpfkelle zu waschen. Das Wannenwasser, in das die ganze Familie stieg, weil man es mehrfach und bis zum letzten Tropfen nutzen musste. Fehlte nur noch, die Luft herauszupressen. Alles diente dazu, Wasser aufzufangen, das kaum vom Himmel fiel und das später manchmal als Schatz aufbewahrt wurde, auch wenn es zu fast nichts mehr zu gebrauchen war. Vielleicht habe ich deshalb ein so klares Bild von den Kaulquappen, die in einem Benzinkanister zur Welt kamen und sich dort vermehrten. Jene Dürre, die bis 1995 anhielt, ließ das Wasser in spanischen Stauseen auf bloße 15% schrumpfen und den gemauerten Brunnen, aus dem das Dorf seit Jahrhunderten getrunken hatte, versiegen. Während meine Nachbarn in ein anderes Dorf gingen und die Heiligen um Regen baten, erwogen andere, einen Eisberg mit Schleppschiffen zum Guadalquivir zu bringen, zu dessen Wassereinzugsgebiet Terrinches gehört, um die Wassermenge des Flusses zu erhöhen. Entweder das - oder ein Umzug in die nahe Provinz Sevilla. Die Idee, einen Eisberg zu verschleppen, war nicht neu, das plante man inmitten einer Dürre fast zwei Jahrzehnte vorher schon in Benidorm.
Im Roman Mondwind erzählt Antonio Muñoz Molina von einem Jungen, der von der Landung des Menschen auf dem Mond fasziniert ist und in einem Dorf in Jaén lebt, so trocken wie meins und unweit entfernt. Pedro, der Onkel des Protagonisten, hat die absurde Idee, auf dem Hof eine Dusche zu installieren. »Bei uns kann man sich nur in einer abgeplatzten Emailleschüssel waschen, in die wir einen Eimer eiskaltes Wasser aus dem Brunnen gießen. Fließendes Wasser ist für uns ein ebenso ferner Traum wie regelmäßig und reichlich strömender Regen auf unserem trockenen Land«, heißt es dort. In Terrinches gab es einen Seher, der behauptete, eine Dusche auf dem Hof zu haben, obwohl niemand...
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