Die Nacht legten wir uns zur Ruhe an einem Fleck, dessen ich nie ohne Schaudern mich erinnern kann. Eine kleine Felsentafel, welche über den Abhang an der einen Seite des Stromes hinausreichte und vom Spritzschaum des Wasserfalles naß war, trug den ungeheuren Stamm eines Baumes, den irgend eine große Überschwemmung dahin gebracht haben mußte. Er lag schräg mit einem Ende auf dem Felsen, das andere gegen die Wand der Schlucht gelehnt. An diesen Stamm lehnten wir schräg eine Menge halbverwelkter Äste, bedeckten diese wiederum mit Zweigen und Laub, und erwarteten den Morgen unter dem elenden Schutz, den dieses Obdach bot.
Während dieser Nacht vereinigten sich das ewige Gebrüll des Wasserfalls, das dumpfe Heulen des Sturmes in den Bäumen, das Plätschern des Regens und die tiefe Finsterniß, um mein Gemüth auf eine Weise zu erschüttern und niederzudrücken, wie es früher nie der Fall gewesen war. Naß, halbverhungert und bis im Innersten erstarrt durch die feuchte Kälte des Orts, so wie von den Schmerzen, die mich zerrissen, fast zur Raserei getrieben, sank ich unter dieser Last von Leiden zu Boden und überließ mich den schrecklichsten Vorgefühlen von Bösem; auch mein Begleiter, dessen Muth und Laune doch endlich ein wenig gebrochen war, sagte während der ganzen Nacht kein Wort.
Endlich graute der Tag, wir erhoben uns von unserm elenden Lager, streckten unsere steifen Glieder, aßen Alles, was uns an Brot noch geblieben war, auf, und bereiteten uns dann vor, die letzte Station unsrer Reise zu machen. Ich will nicht die vielen Gefahren erzählen, denen wir nur haarscharf entrannen, noch aller der Schwierigkeiten gedenken, die wir zu überwinden hatten, ehe wir im Schooße des Thales ankamen. Da ich Ähnliches schon beschrieben habe, so wird es genügen, wenn ich sage, daß wir endlich, nach unglaublicher Anstrengung und großen Gefahren, Beide mit gesunden Gliedern am Ende jenes großartig schönen Thales standen, welches fünf Tage früher sich so plötzlich meinen Blicken gezeigt hatte, und zwar fast gerade im Schatten jener Höhe, von deren Spitze wir die Aussicht genossen hatten.
Capitel X. Das Ende des Thales - Vorsichtiges Vorschreiten - Ein Weg - Früchte - Entdeckung zweier Eingeborner - Sonderbares Benehmen derselben - Annäherung an die bewohnten Theile des Thals - Eindruck, den unser Erscheinen bewirkt - Empfang im Hause eines der Eingebornen.
Wie die Früchte erlangen, die, wie wir überzeugt waren, ganz in der Nähe wachsen mußten, war unser erster Gedanke.
Typie oder Happar? Ein schrecklicher Tod durch die Hand der scheußlichsten Cannibalen oder ein freundlicher Empfang bei einem sanftern Stamme der Wilden? Was harrte unsrer? Doch es ist zu spät, eine solche Frage noch näher zu erörtern, da sie sich doch bald lösen muß.
Der Theil des Thales, wo wir waren, schien durchaus unbewohnt zu sein. Ein fast undurchdringliches Dickicht zog sich von einer Seite zur andern, ohne eine einzige Pflanze zu umschließen, die uns die heißersehnte und bestimmt erwartete Speise gegeben hätte, um nun solche zu erspähen, setzten wir unsern Weg längs des Flusses fort, indem wir eifrige Blicke in jedes Gestrüpp warfen.
Mein Begleiter, auf dessen inständige Bitten ich ins Thal herabgestiegen war, begann, da der Schritt nun einmal gethan war, eine Vorsicht zu entfalten, die ich ihm gar nicht zugetraut hatte. Er schlug vor, daß, im Falle wir den nöthigen Vorrath von Früchten fänden, wir in diesem unbewohnten Theil des Thales bleiben möchten, bis wir genügend gestärkt sein würden, um unsre Reise wieder anzutreten, denn wir würden hier wenig Gefahr laufen, von den Bewohnern, wer solche auch sein möchten, entdeckt zu werden; und dann könnten wir, mit einem unsren Bedürfnissen entsprechenden Vorrath von Früchten versehen, zur Bucht von Nukuheva zurückkehren, nach einem hinreichenden Zeitraum, um der Abfahrt des Schiffes gewiß zu sein.
Diesem Vorschlage widersetzte ich mich mit aller Macht, wie annehmbar er auch schien, denn die Schwierigkeiten des Rückweges würden fast unbesiegbar sein, um so mehr, als wir mit den Örtlichkeiten der Insel so wenig vertraut waren. Ich erinnerte meinen Gefährten an die eben überstandenen Leiden, kurz, ich sagte, daß, da wir einmal es rathsam gefunden hätten, ins Thal zu kommen, wir nun auch die Folgen muthig hinnehmen müßten, welcher Art sie auch sein möchten, namentlich da ich überzeugt sei, es würde uns gar keine andere Wahl bleiben, als gleich den Eingebornen zu begegnen und es kühn auf den Empfang ankommen zu lassen, den sie uns würden zu Theil werden lassen: und daß, was mich beträfe, ich durchaus Obdach und Ruhe bedürfe, und daß ich, bis ich es gefunden, durchaus unfähig sein würde, solche Beschwerden wieder zu ertragen, welche wir eben durchgemacht hatten. Etwas zögernd pflichtete Tobias der Richtigkeit dieser Bemerkungen bei.
Wir waren überrascht, so weit vorgedrungen, noch so unwegsame Dickichte zu finden; und da wir dachten, daß die Ufer des Flusses noch eine Strecke mit solchem bewachsen sein könnten, während etwas weiter davon freies Feld sein dürfte, bat ich Tobias, recht scharf auf der einen Seite auszusehen, während ich auf der andern dasselbe that, um irgend eine Öffnung im Gestrüpp zu entdecken und hauptsächlich auf jede Spur eines Weges genau Acht zu haben, der auf die Nähe der Insulaner schließen lassen könnte.
Was für aufmerksame und eifrige Blicke warfen wir in diese halbdunkeln Schatten! Mit welcher Befangenheit schritten wir vorwärts; wir wußten nicht, wie bald wir mit dem Wurfspieß irgend eines versteckten Wilden begrüßt werden konnten! Endlich stand mein Begleiter still und lenkte meine Aufmerksamkeit auf eine kleine Öffnung im Laube. Wir bogen in dieselbe ein und auf einem undeutlich sichtbaren Wege führte sie uns bald an einen verhältnißmäßig freien Raum, an dessen entgegengesetztem Ende wir eine Anzahl jener Bäume sahen, deren Name in der Landessprache "Annuee" ist und die köstliche Früchte tragen.
Oh welches Wettrennen! Ich hinkte dahin, wie ein unglücklicher Krüppel, aber Tobias flog hinüber in den großen Sprüngen eines jungen Windspiels. Er kletterte rasch auf einen der Bäume, an welchem zwei bis drei Früchte saßen, aber zu unserm Ärger waren sie sehr verfault, indem die Vögel die Schalen durchbohrt und sie so dem Verderben preisgegeben hatten. Indeß wir verzehrten sie dennoch rasch und keine Ambrosia hätte uns besser schmecken können.
Wir sahen uns um und wußten nicht recht, wohin wir nun unsere Schritte lenken sollten, da der Weg, der uns bis hieher geführt hatte, plötzlich abzubrechen schien. Endlich beschlossen wir, in einen nahen Hain zu gehen, und waren einige Schritte gegangen, als ich gerade am Rand des Wäldchens eine schlanke Brotfruchtschoote aufhob, die vollkommen grün war und deren zarte Borke eben abgeschält zu sein schien. Sie war vom Saft noch ganz schlüpfrig und augenscheinlich eben erst bei Seite geworfen worden. Ich sagte nichts, sondern hielt sie nur dem Tobias hin, der über dieses sichere Zeichen der Nähe der Wilden sichtlich erschrak.
Die Zeichen wurden nun häufiger. Eine kleine Strecke weiter lag ein kleines Bündel derselben Frucht mit Bast zusammengebunden. Sollte es von einem einzelnen Eingebornen dahingeworfen sein, der bei unserm Anblick erschrocken, seinen Landsleuten zugeeilt ist, um die Nachricht von unserem Herannahen mitzutheilen? - Typie oder Happar? - Aber es war zu spät, umzukehren; daher gingen wir langsam vorwärts, mein Begleiter voraus, der eifrige Blicke rechts und links ins Gebüsch warf, bis er plötzlich zurückbebte, als sei er von einer Natter gestochen. Er sank aufs Knie, während er mir mit der einen Hand winkte, still zu stehen, und mit der andern einige hindernde Zweige zurückschob, um aufmerksam auf einen gewissen Gegenstand zu blicken.
Seinen Wink nicht beachtend, eilte ich vielmehr rasch zu ihm hinan und sah zwei Gestalten halb im Dunkel des Laubes versteckt; sie standen dicht neben einander und zwar durchaus unbeweglich. Sie mußten uns früher gesehen haben und in das Dickicht geeilt sein, um unserer Aufmerksamkeit zu entgehen.
Mein Entschluß war gleich gefaßt. Ich warf meinen Stock fort, riß das Packet vom Schiff mitgebrachter Sachen auf und rollte das Baumwollenzeug auseinander; dann nahm ich dieses in eine Hand und pflückte mit der andern einen kleinen grünen Zweig, winkte Tobias, meinem Beispiel zu folgen und brach durch die Laubwand vor mir, indem ich den verschwindenden Gestalten als Zeichen des Friedens mit dem kleinen Zweige zuwinkte.
Es war ein Knabe und ein Mädchen, schlank und graziös, und ganz nackt, mit Ausnahme eines Gürtels von Borke, von welchem an entgegengesetzten Punkten zwei der braunrothen Blätter des Brotbaumes herabhingen. Ein Arm des Knaben, halb von ihren wilden Locken bedeckt, umschlang den Hals der jungen Wilden, während er mit der andern Hand eine der ihrigen festhielt; so standen sie zusammen und lauschten, die Köpfe vorgebogen, um das leise Geräusch aufzufangen, welches wir bei unserer Annäherung machten, und den einen Fuß halb vorgestreckt, als seien sie geneigt, aus unserer Nähe zu fliehen.
Als wir näher kamen, wuchs ihre Angst zusehends. Da ich fürchtete, daß sie fliehen möchten, stand ich still und deutete ihnen an, näher zu kommen und die Gabe zu empfangen, die ich ihnen entgegenhielt; aber sie wollten nicht; dann äußerte ich ein paar Wörter aus ihrer Sprache, die ich kannte; ich glaubte zwar nicht, daß sie mich verstehen würden, sondern that es, um ihnen anzudeuten, daß wir nicht geradezu aus den Wolken zu ihnen herabgekommen seien. Dies schien ihnen etwas Vertrauen einzuflößen, daher näherte ich mich mehr, in...