Schweitzer Fachinformationen
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Eigentlich war die Kreuzfahrt eine großartige Idee: Während Liv und Nora mit ihren jeweiligen Ehemännern entspannen, toben sich die vier Kinder, zwischen acht und elf Jahren, im Kids-Club aus. Doch was bei einem Ausflug an Land passiert, ist der Albtraum so ziemlich jeder Familie: Wegen eines Moments der Unachtsamkeit der Mütter sind die Kinder plötzlich verschwunden. Während die Eltern zunächst sich selbst und dann sich gegenseitig beschuldigen, geht es bei den Kindern ums blanke Überleben.»Ein Pageturner mit mehr Tiefgang als das tonnenschwere Schiff, auf dem er spielt.« Brigitte»Brillant und hoch spannend erzählt.« ARD Morgenmagazin»Ein unterhaltsamer Roman.« Stern»Ein großer, atemberaubender Roman.« NDR Kultur»Ein Buch, das man nicht zur Seite legen kann!« BRF 1
Das Kreuzfahrtschiff ragte riesig über dem Dock in San Pedro auf. Es sah aus wie eine überdimensionale Hochzeitstorte, oder vielleicht auch wie ein schwimmender Häuserblock, jedenfalls nicht wie ein Schiff.
Liv und ihre Familie gaben den Portiers die Koffer und nahmen nur das Handgepäck mit ins Terminal. Ihr Mann Benjamin betrachtete fasziniert den Kai, der Tausende von Menschen auf Schiffe mit bis zu fünfzehn Decks brachte. Beim Check-in beantwortete Liv die Frage auf dem Formular, ob sie oder ihre Kinder während der letzten zwei Wochen krank gewesen seien, mit Nein. Das war gelogen. Sebastian und Penny waren acht und elf, und es war Dezember. Die beiden waren praktisch wandelnde Bazillenschleudern.
»Du kreuzt auch Nein an, oder?«, fragte ihre Cousine Nora im Flüsterton. Noras Sohn Marcus war genauso alt wie Penny, und beide kämpften gerade mit der gleichen Erkältung. Noras sechsjährige Tochter June hatte Husten.
»Klar«, flüsterte Liv zurück. Bestimmt logen alle anderen bei dieser Frage auch, und der Veranstalter rechnete ohnehin damit. Ein Mitarbeiter mit hellgrünem Brillengestell nahm ihre Pässe in Verwahrung und händigte ihnen dafür Plastikkarten zum Öffnen der Türen und als Zahlungsmittel aus.
Penny drehte ihre Karte hin und her. »Kann ich mir damit was kaufen?«
»Ja, wenn deine Mutter es erlaubt«, antwortete der Mann.
»Erlaubst du es mir? Bitte!«, rief Penny und wedelte Liv mit der Karte vor dem Gesicht herum.
»Was willst du denn überhaupt kaufen?«, fragte Liv.
»Na, so Sachen«, gab Penny zurück.
Zwei adrette junge Australierinnen in weißen Uniformen baten sie, sich für ein Foto vor einem Rettungsring aufzustellen. Benjamin legte den Arm um Liv, Penny und Sebastian stellten sich vor ihnen auf. Diese Familienfotos sahen immer blöd aus. Liv war genauso groß wie Benjamin und versuchte, sich auf Fotos stets ein bisschen kleiner zu machen, obwohl sie es eigentlich lächerlich fand, überhaupt darauf zu achten. Es war ungewöhnlich warm, sie fuhr sich mit der Hand über den schweißnassen Nacken. Ihre Haare trug sie meistens kurz, damit sie vor der Arbeit schwimmen gehen konnte und keine wertvolle Zeit mit Haarpflege vergeudete. Doch wenn sie sich auf Fotos sah, musste sie stets an die Worte ihrer Mutter denken, sie solle sie lieber wieder wachsen lassen.
Sebastian, genauso blond wie Liv, wirkte auf Fotos immer ein wenig erschrocken, der Blitz überraschte ihn jedes Mal. Penny hingegen posierte, als wäre die ganze Welt ihr roter Teppich.
Als das Foto im Kasten war, nahmen Raymond und Nora mit Marcus und June ihre Plätze vor dem Rettungsring ein. Liv betrachtete die vier. Die beiden Erwachsenen waren ausgesprochen gutaussehend, Raymond mit seiner dunklen, glatten Haut, Nora blass, die braunen, seidigen Haare im Pferdeschwanz, die Kinder eine perfekte Mischung der beiden. Sie sahen aus wie die glückliche, bunt gemischte Familie aus einem Werbespot, der online einen Shitstorm auslösen würde. Marcus war groß für seine elf Jahre und ließ sich die Haare gerade zu einem Afro wachsen, Junie trug den Kopf voller dünner Zöpfchen. Raymond hatte sich für die Rolle eines Polizisten die Haare sehr kurz schneiden lassen.
»Wird das das Vorher-Bild, oder was?«, fragte er eine der Australierinnen.
»Könnte man so sagen, ja.« Sie lächelte. »Aber Sie sehen ja jetzt schon aus wie das Nachher-Bild.«
Liv war sich nicht sicher, ob die beiden Raymond erkannt hatten oder nicht. Wahrscheinlich nicht.
»Tut er immer«, sagte sie.
»Glaub ich gern«, antwortete die junge Frau.
»Meine Güte«, stöhnte Nora, als sie mit den Fotos fertig waren. »Wir sind noch nicht mal richtig auf dem Schiff, da geht die Flirterei schon los.«
Sie bahnten sich einen Weg durch das Menschengewühl und überquerten eine Art Atrium mit gemustertem Marmorboden. Ein großer Weihnachtsbaum wuchs durch die Decke.
»Wow!«, staunte Sebastian.
»Wie im Nussknacker«, meinte Penny. »Nur in echt.«
Sie fuhren in einem gläsernen Fahrstuhl an der Spitze des Weihnachtsbaums vorbei, stiegen aus und gingen einen Flur mit blauem Teppichboden entlang. Liv und Nora hatten zwei nebeneinanderliegende Kabinen gebucht. Liv steckte die Karte in das Lesegerät, und die Tür öffnete sich mit einem leisen Klicken. Auf dem Tisch standen eine Flasche Sekt und ein Obstkorb. Schränke und Regale waren aus hellem Holz, die Bettwäsche in den typischen Meeresfarben Marineblau und Weiß gehalten. In einer kleinen Sitzecke stand eine Ausziehcouch, auf der die Kinder schlafen konnten, weshalb das Ganze hier als »Suite« galt. Spiegel an den Wänden sorgten dafür, dass alles etwas geräumiger wirkte, und die kalifornische Sonne schien durch die Balkontüren herein. Penny und Sebastian liefen sofort hinaus, um vom Balkon hinunterzuschauen.
»Aber sonst geht ihr bitte nicht alleine auf den Balkon, nur mit einem Erwachsenen. Abgemacht?«
»Abgemacht!«, riefen die beiden im Chor. Sie kamen wieder hereingerannt und inspizierten die abschließbaren Schubladen und den überall clever versteckten Stauraum.
Marcus und June stießen dazu und verglichen ihre Kabine mit der von Liv und Benjamin.
»Genau wie bei uns, nur alles andersrum«, verkündete Marcus.
»Voll komisch.« June ließ sich aufs Bett fallen. Ihre Zöpfe hüpften vergnügt. »Ich komm mir ja vor wie im Spiegelland!«
Über den Lautsprecher an der Wand wurde nur die Rettungsbootübung angekündigt.
»Was ist das?«, wollte June wissen.
Eine Stewardess steckte den Kopf durch die offene Tür. Die zarte, schmale Frau trug die schwarzen Haare akkurat in der Mitte gescheitelt und stellte sich als Perla vor. Sie zeigte ihnen, wo die orangefarbenen Schaumstoffrettungswesten verstaut waren, und erklärte anhand eines Übersichtsplans, wo sie sich im Notfall einfinden sollten.
»Müssen wir richtig in die Rettungsboote steigen?«, wollte Sebastian wissen.
Perla lachte. »Nein, ihr sollt nur alle mal gesehen haben, wie das geht.«
Die beiden Familien machten sich auf den Weg durchs ebenfalls mit Teppich ausgelegte Treppenhaus.
Im Konferenzraum der Jachtclub-Bar erklärte ihnen ein elegant gekleideter junger Mann - ein Tänzer? - das richtige Verhalten im Notfall. Außer ihnen schienen alle Passagiere hier mindestens achtzig zu sein, andere Kinder gab es keine. Penny und Sebastian spielten miteinander »Ertrinken«, und Junie hüpfte im Kreis. Die alten Leute lächelten knapp, man merkte ihnen an, dass sie genervt waren. Marcus saß still neben seinen Eltern.
»Ich hab Hunger«, quengelte Penny. »Wie lange dauert das noch?«
Liv strich ihr über die braunen Haare. Das Mädchen hatte ständig Appetit und nahm überdies auch nie ein Blatt vor den Mund.
Raymond verschloss die Riemen seiner Rettungsweste. »Ich muss die ganze Zeit an Titanic denken.«
»Dann weißt du ja, was zu tun ist, um nicht zu sterben, falls das Schiff untergeht«, gab Nora zurück.
»Ihr wisst schon, dass die Rettungswesten und Lämpchen nur dafür da sind, damit man die Leichen besser findet, oder?«, mischte sich Benjamin ein.
»Ich glaub, das ist nur bei Flugzeugen so«, erwiderte Liv.
»Wir gehen doch aber gar nicht unter«, sagte Marcus.
»Natürlich nicht, mein Schatz«, besänftigte Nora ihn. »Wir machen nur Spaß.«
Das Notsignal ertönte. Marcus steckte sich sofort die Finger in die Ohren.
»Sorry!«, rief Nora und drückte ihm ihre Hände auch noch auf die Ohren. »Ist gleich wieder vorbei.«
Sieben kurze Töne und ein langer. Dann hatten sie es hinter sich.
Liv warf einen Blick auf den Glukosesensor an Sebastians Hosenbund. »Ich glaub, wir gehen gleich mal zum Buffet.«
»Ist das schon offen?«, fragte Nora.
»Ich dachte, das ist immer offen.«
»Also, ich pack erst mal aus«, verkündete Benjamin, was bedeutete, dass er ein Mittagsschläfchen halten würde.
Raymond wollte sich den Fitnessraum näher ansehen.
Die beiden Männer gingen mit den Rettungswesten davon, die Frauen machten sich auf den Weg zum Buffet. Nora hakte sich bei Liv unter und legte ihr den Kopf auf die Schulter, was Liv das Gefühl gab, riesig groß zu sein.
»Ich hab dich so lieb«, sagte Nora. »Das hier war echt eine tolle Idee von dir.«
Die Kinder nahmen sich Tabletts und stürmten vor. Alle bekamen genau das, was sie wollten: chinesische Bratnudeln für Penny, Hähnchennuggets für Sebastian, Sushi für Marcus und Taquitos für June. Liv sah ihnen beim Essen zu und fühlte, wie die Anspannung von ihr wich und ihre Gedanken langsam zur Ruhe kamen. Essen für die Kinder zu machen, bedeutete auch heutzutage viel Aufwand und Planung, trotz all der verfügbaren Annehmlichkeiten. Noch während man die Teller der letzten Mahlzeit wegräumte, setzte schon leichte Panik wegen der nächsten ein. Jetzt hatte sie jedoch zwei ganze Wochen vor sich, in denen sie keinen Gedanken daran würde verschwenden müssen, was es zu Mittag, Abend oder zwischendurch geben sollte. Den Jäger-und-Sammler-Teil ihres Gehirns, der immer einen Großteil ihrer Energie verschlang, konnte sie nun mit gutem Gewissen für eine Weile abschalten.
Die Reise war Livs Idee gewesen.
Noras Mutter war im Frühsommer nach kurzem Leiden an Bauchspeicheldrüsenkrebs verstorben. Nach ihrem Tod war Nora vor Traurigkeit ganz ermattet gewesen, es traf sie zuweilen so sehr, dass sie nicht reden und kaum atmen konnte. Ihre Mutter war eine schwierige Frau gewesen, die an einer...
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