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Hurra, nach Jahrzehnten mit unterschiedlichen Definitionen von Burnout hilft nun die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit einer Definition weiter.
Definition Burnout
»Burnout ist ein Syndrom, das aus chronischem Stress am Arbeitsplatz entsteht, der nicht erfolgreich bewältigt wird.« Ab Januar 2022 steht diese Definition im aktuellen internationalen Klassifikationssystem der Krankheiten, dem ICD-11.
* https://www.dimdi.de/dynamic/de/klassifikationen/icd/icd-11/ (eigene Übersetzung)
Doch diese Definition greift zu kurz. Ein Burnout kommt nicht nur vom Arbeitsstress. Auch wer keiner bezahlten Arbeit nachgeht, kann ein Burnout erleiden. Die Pflege von Angehörigen, die Kindererziehung - auch dabei kann ein Burnout entstehen.
Bei einem Burnout handelt sich um einen Oberbegriff (ein Syndrom, wie die WHO sagt), der zahlreiche, zum Teil ganz unterschiedliche Erkrankungen in sich vereint. Das ist praktisch, denn so kann annähernd jede psychische Einschränkung und Verminderung des Wohlbefindens, vor allem in Bezug auf den Arbeitsplatz, die sonst keine passende Namensgebung findet, als Burnout eingeordnet werden.
Das ist aber auch ein Problem: »Das Hauptproblem besteht darin, dass es keine klare Definition von Burnout gibt. Es ist nicht möglich abzugrenzen, wer zu den Betroffenen gehört und wer nicht. So ist schon unter Experten unklar, worüber genau eigentlich diskutiert wird. Das führt dazu, dass jeder, der sich erschöpft, lustlos, depressiv oder sonstwie krank fühlt, von sich behaupten kann, unter einem Burnout zu leiden. Der Begriff wird manchmal geradezu inflationär verwendet. Wir sprechen hier also über ein nur vage einzugrenzendes Problem, unter dem jeder etwas anderes versteht.«3
Auch die Abgrenzung zu anderen Krankheitsbildern und Befindlichkeiten ist bei ähnlichen und gleichen Symptomen nicht klar gegeben. Es gibt keine klare Grenze zwischen Burnout und Depression, Stress, Erschöpfung, Demotivation, Leistungsabfall oder Arbeitsunzufriedenheit, Lustlosigkeit, psychosomatischen Störungen oder Überforderung.4
Tatsächlich hat schon Herbert Freudenberger darauf hingewiesen, dass ein Burnout bei jedem Mensch unterschiedlich in Erscheinung treten kann. Eine Diagnose anhand der vorliegenden Symptome zu stellen, ist somit (auch offiziell) nicht möglich.5 Nun haben wir ja auch keine Möglichkeit, den »Burnout-Titer« im Labor zu bestimmen oder in der Bildgebung einen karierten Schatten im Frontallappen festzustellen.
Es stellt sich also die Frage, wie es möglich ist, jährlich allein im deutschsprachigen Raum zehntausendfach Menschen die Diagnose Burnout zu stellen. Man könnte fast den Eindruck bekommen, jeder Zustand von Schwäche und Abgeschlagenheit, aber auch zahlreiche psychosomatischen Probleme, die anders nicht einzuordnen sind, werden kurzerhand zum Burnout ernannt. »Nicht erfolgreich verarbeiteter Stress bei der Arbeit« - wer hat den nicht manchmal?
Aber Burnout klingt viel besser als etwa »Depression«. »[Der Burnout] löst bei den Mitmenschen Mitleid und Hilfsangebote aus, man gewinnt sogar eine gewisse Achtung, weil man die schwierigen Umstände so lange aushalten musste «, beschreibt etwa Seidel die Situation treffend.6
Festgestellt werden kann ein Burnout schlussendlich nur über den Ausschluss anderer Erkrankungen bei vorliegenden Symptomen.
Doch auch mit welchen Symptomen bzw. in welcher Form so ein Ausgebranntsein in Erscheinung tritt, ist im hohen Grad unterschiedlich. Praktisch jede psychische Verfassung, die von der Norm abweicht, findet sich auch unter den Burnout-Symptomen. Das beschreibt auch der Experte Matthias Burisch, der in seinem Fachbuch 130 Symptome nennt.7 Hier einige Beispiele, damit Sie sich selbst ein Bild machen können.
Im Bereich der Psyche kommt es etwa zu abnehmender Leistungsfähigkeit, emotionaler Erschöpfung, Angst vor dem Scheitern, Gefühl der Überforderung, Energiemangel, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Entscheidungsunfähigkeit, weniger Fantasie und Initiative, Gleichgültigkeit, Langeweile, Desillusionierung, Neigung zum Weinen, Ruhelosigkeit, Verzweiflung, Vorwürfe gegen andere, Verlust an Empathie, Zynismus, Partnerschafts-/Familienprobleme, Gefühl von mangelnder Anerkennung, Ärger, Unzufriedenheit, Gereiztheit, Mattheit und Erschöpfung, Niedergeschlagenheit, Misstrauen.
Auch allgemeine körperliche Unzulänglichkeiten, wie sie in Begleitung fast jeder psychischen Erkrankung, aber auch bei zahlreichen physischen Krankheiten, auftreten, werden als Indiz für das Vorliegen eines Burnouts herangezogen. Da finden sich z. B. Engegefühl in der Brust, Atembeschwerden, Rückenschmerzen, Übelkeit, Schwächegefühl, Schlafstörungen, sexuelle Probleme, Tinnitus, Herzrasen, Magenkrämpfe.
Keines dieser Symptome ist auch nur im Geringsten spezifisch. Auch eine Häufung der Symptome, wie sie bei der Diagnose anderer Erkrankungen hergenommen wird, ist in diesem Fall nicht aussagekräftig.
Ist es nicht tatsächlich sogar eher so, dass ein Teil dieser Symptome als normale Charaktereigenschaften durchgehen? Wie viele (kerngesunde) Menschen sind »nah am Wasser gebaut« (Neigung zum Weinen), haben Angst zu scheitern, treffen nur schwer Entscheidungen, sind fantasielos oder haben wenig Eigeninitiative? Nicht jeder ist empathisch (Verlust an Empathie), manch einer in seinem ganzen Wesen Zyniker und frei von Eigenverantwortung (Vorwürfe gegen andere), misstrauisch, ängstlich oder chronisch unzufrieden.
»Genannte Symptome können subjektiv sehr unterschiedlich wahrgenommen und vom Betroffenen auch umgedeutet, umgewertet und anderweitig begründet werden«, weiß auch die Burnout-Literatur. Und weiter: »Viele der genannten Symptome könnten auch anders verursacht sein, etwa durch Stoffwechselerkrankungen.«*
* Jannet T (2014): Kompass Burnout. Alles, was Sie für Ihren persönlichen Ausweg brauchen. Beltz, Weinheim. S. 14
Die unterschiedlichen Erscheinungsformen und oft gegensätzlichen Symptome der Erkrankung lassen sich mit den verschiedenen Schweregraden bzw. Ausprägungen beim Fortschreiten eines Burnouts erklären. So wird in der Fachliteratur generell davon ausgegangen, dass ein Burnout in mehreren Phasen verläuft, deren zeitliche Intervalle jedoch variieren, und die auch nicht zwingend in der vorgegebenen Reihenfolge ablaufen müssen.8
Burisch teilt die Symptome anhand eines sieben Stufen Modells ein und bestimmt somit auch die Schwere und das Fortschreiten der Erkrankung ( Tab. 1).
Tab. 1: Burnout-Phasen nach Burisch*
Freudenberger spricht sogar von zwölf Stufen eines Burnouts9 und Müller- Timmermann nennt fünf Phasen auf dem Weg zum Burnout.10
Nun ist es nicht schwer, etwa die sieben Phasen von Burisch im eigenen Leben wiederzufinden, wenn man bedenkt, dass die Abfolge in keinem eingegrenzten Zeitraum stattzufinden hat. Wenn Sie sich mit einer Dienst-nach-Vorschrift-Mentalität, Gleichgültigkeit und wenig Eigeninitiative in Stufe fünf bei Burisch befinden, wird auch der schlechteste Psychiater in Ihrem Lebenslauf eine Zeit finden, in der Sie sich beweisen wollten, motiviert waren und am liebsten die Welt aus den Angel gehoben hätten. Auch wenn das 20 Jahre her ist.
Sehen Sie? Da waren schon die ersten Anzeichen! Schon damals waren Sie in Phase eins der Abwärtsspirale. Sicher hatten Sie in der Zeit dazwischen auch eine Phase, in der Sie nicht gut auf sich selbst geachtet haben, sich mit Kaffee über den Tag retten, energielos waren und am liebsten nur geschlafen hätten - kurzum: Phase vier. Oder Sie hatten einfach gerade Beziehungsstress, haben Nachwuchs bekommen oder es war ein kalter, ungemütlicher Herbst.
Egal, was Sie tun, wenn Sie ein ganz normales Leben haben, wird man in Ihrem Lebenslauf mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Burnout-Phasen nachweisen können. Da Sie vermutlich in der Pflege arbeiten, besteht sogar die Chance, dass Sie alle klassischen Burnout-Phasen binnen eines Monats durchlaufen können - und dass Sie dabei trotzdem psychisch gesund sind.
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