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* 1906 - ┼ 1945, Deutschland
"Dem Rad in die Speichen fallen"
Die "verwilderten" und lauten Jungen der Konfìrmandengruppe aus dem Berliner Arbeiterviertel Prenzlauer Berg ignorierten Dietrich Bonhoeffer in seiner ersten Konfìrmandenstunde - zunächst. Doch er erzählte den Jungen Bibelgeschichten. Und sie hörten zu. Dietrich mietete ein einfaches Zimmer bei einem Bäcker. "Seine Jungen" waren hier immer willkommen. Er lehrte sie auch Schach spielen und etwas Englisch, spielte mit ihnen Fußball, unternahm mit ihnen mehrtägige Ausflüge . Langsam gewann er ihr Vertrauen.
Dietrich Bonhoeffer wurde 1906 geboren. Sein Vater war Universitätsprofessor für Psychiatrie. Mutter Paula unterrichtete ihre acht Kinder in den ersten Schuljahren zuhause und erzählte ihnen viele Geschichten aus der Bibel. Im Hause Bonhoeffer waren immer viele Gäste, Freunde und Freundinnen und Verwandte. Sie hatten, wie Dietrich später schrieb, "einen Boden unter den Füßen, einen Platz in der Welt." Als Dietrich acht war, begann der Erste Weltkrieg. Die Menschen jubelten damals den Soldaten zu und der "Heldentod" wurde in Liedern und auf Postkarten verherrlicht. Doch es gab auch erschreckende Gerüchte von Schützengräben und Giftgas.
Als ein Cousin in der Schlacht fiel, redeten Dietrich und seine Zwillingsschwester Sabine lange über Tod und Ewigkeit. Dann, im August 1918, fiel der ältere Bruder Walter. Damit war Dietrichs scheinbar heile Welt endgültig zu Ende.
Dietrich beschloss, evangelische Theologie zu studieren. Für die großen Brüder war das engstirnig und rückwärtsgewandt. Dietrich antwortete darauf: "Dann werde ich eben die Kirche reformieren!" Anfang 1924 fuhr er mit seinem Bruder Klaus zu einem Studienaufenthalt nach Rom. Dietrich war begeistert von dem bunten, lauten Leben dort. Hier in Rom trafen für ihn Kirche, Glauben und Leben zusammen. Dann fuhr er nach Berlin zurück. Das Berlin der 1920er-Jahre war äußerst bewegt. Vieles, was früher klar und selbstverständlich war, wurde nun hinterfragt und diskutiert. Auch in der Theologie. Die "dialektischen Theologen" wollten eine Kirche, die ganz unabhängig vom Staat war. Das war damals gar nicht selbstverständlich. Dietrich war von diesem Gedanken gefesselt. Seine Doktorarbeit schrieb er über die "Gemeinschaft der Heiligen". Damit meinte er - auch - die ersten Christen und Christinnen, die sich im 1. Jahrhundert gegen die alten Religionen gestellt hatten.
Dietrich war immer freundlich und überall beliebt, aber zugleich war er auch sehr verschlossen, hatte keinen nahen Freund, auch keine Freundin. Nach Abschluss der Doktorarbeit ging er als Vikar (das ist ein Pfarrer in Ausbildung) für ein Jahr nach Barcelona. Dort war "alles ganz anders", die "Arbeit in der Kirchengemeinde" war dort oft einfach fröhliche Geselligkeit bei einem Glas Wein. Doch die Menschen und ihre Geschichten interessierten ihn, überall. Dietrich war ein guter Zuhörer.
Im Februar 1929, wieder in Berlin, stürzte er sich in die Arbeit an seiner Habilitation, dem Abschluss, den man benötigt um Universitätsprofessor zu werden. Er war damals überaus ehrgeizig. Im Nachhinein fand er es "frivol", also leichtfertig, dass er sich damals, als Adolf Hitler an die Macht kam und die Anhänger und Anhängerinnen des Nationalsozialismus laut wurden, überhaupt nicht politisch engagiert hatte. Doch "aufmüpfig" war er schon: Er hielt enge Freundschaft mit dem Theologen Franz Hildebrandt, der als Halbjude im aufkeimenden Judenhass bald "unerwünscht" war, und er besuchte demonstrativ die Messen eines Pfarrers, der als Pazifist und religiöser Sozialist angefeindet wurde.
Ab Juli 1930 lehrte Dietrich mit vierundzwanzig Jahren als jüngster Privatdozent für Theologie an der Berliner Universität. Doch als Pfarrer musste er fünfundzwanzig sein. So fuhr er für ein Jahr mit einem Stipendium nach New York. Am "Union Theological Seminary" herrschte eine für Dietrich ungewöhnliche Aufgeschlossenheit und Nähe: Die Tür des Professors für Sozialethik stand immer für alle Studenten offen und den Kaffee brühte der Professor selber auf.
Doch die strenge Rassentrennung zwischen Schwarzen und Weißen damals in den USA entsetzte Dietrich. Er schloss demonstrativ Freundschaft mit einem schwarzen Mitstudenten aus Harlem, dem schwarzen Ghetto von New York, und besuchte mit diesem die Gottesdienste der schwarzen Gemeinde. Hier wurde "aus voller Brust" gebetet und gesungen, es wurde laut geweint und gelacht . Das schien Dietrich viel echter, viel inniger und auch feierlicher als die Messen, die er von daheim gewohnt war.
Später schrieb er: "Ich hatte schon oft gepredigt, aber ich war noch kein Christ geworden, sondern ganz wild und ungebärdet mein eigener Herr . Die Bibel hat mich davon . befreit, besonders die Bergpredigt." Die Bergpredigt ist ein Text aus dem Matthäusevangelium in der Bibel. Jesus verlangt unbedingte Nächstenliebe und Gewaltfreiheit bis hin zur Feindesliebe. Viele sehen in der Bergpredigt soziale Forderungen, die verwirklicht werden müssen.
In New York lernte Dietrich auch einen jungen Pfarrer aus Frankreich kennen; zunächst empfand er ihm gegenüber das ihm anerzogene Misstrauen gegen Franzosen, doch Jean Lasserre setzte sich als Pazifist für den Frieden ein und lehnte jeden Nationalismus ab - das heißt jede politische Theorie, die die eigene Nation über die anderen setzt. Er sagte: "Man kann nicht Christ und Nationalist zugleich sein!" und weiter: "Christ zu sein bedeutet, die Gemeinschaft der Christen über alle Grenzen hinweg praktisch zu leben." Jean begründete seine Worte mit der Bergpredigt! Hier wird von Feindesliebe gesprochen, und von Friedensstiftung. Denn: Für Christus einzutreten heißt auch, für Frieden und soziale Gerechtigkeit einzutreten! Dietrich überzeugte das, und später, in Krieg und Not, hielt er diese Haltung kompromisslos durch.
Zurück in Berlin bekam Dietrich eine Assistentenstelle auf der Universität und ein Studentenpfarramt. Er übernahm die anfangs erwähnte Konfirmandengruppe, wo er das Vertrauen der Jungen gewann und sich bestens mit ihnen vertrug. Später sah Dietrich das als eine Art Vorstufe für ein "religionsloses Christentum". Denn er wollte diese Jungen nicht "in die Kirche zurückbringen", sondern mit ihnen gemeinsam Kirche SEIN. "Kirche" war für ihn jetzt überall, wo Menschen miteinander solidarisch lebten.
Wirtschaftlich und politisch war es eine schlimme Zeit. In Deutschland gab es sechs Millionen Arbeitslose, gleichzeitig wurde Kaffee ins Meer geschüttet und Getreide verbrannt, um den Preis hochzuhalten. Und bei den Reichstagswahlen 1930 kam die "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei" (NSDAP) von zwölf auf hundertsieben Sitze.
Dietrich Bonhoeffer gründete die "Charlottenburger Jugendstube", wo alle jungen Menschen, auch Juden und Jüdinnen, Sozialisten und Sozialistinnen etc. gemeinsam lernen, reden und feiern konnten. Doch ein halbes Jahr später wurde sie auf Druck der Nazis geschlossen. Dietrich war nun Sozialist und Pazifist. Seine Karriere als Theologe war ihm nicht mehr wichtig. Und während die offiziellen Vertreter der evangelischen Kirche Deutschlands offen für Krieg warben, suchte Dietrich eine friedliche Lösung.
"Christen ist jeder Kriegsdienst . verboten", erklärte er. Denn wenn man das Schwert gegen einen Menschen richtete, würde man es auch gegen Christus richten. Für Dietrich gab es nun keine Trennung von Evangelium und Politik mehr.
Nach dem Reichtagsbrand im Februar 1933 wurde das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Pressefreiheit etc. beschränkt. Das alles war der Beginn des Naziterrors. Dietrich Bonhoeffer hat die Nazis von Anfang an abgelehnt und bekämpft. Seine Schwester Sabine musste mit ihrem jüdischen Mann nach England fliehen. Dietrich Bonhoeffer war überzeugt, die Kirche dürfe nicht schweigen, wenn der Staat die Menschenrechte außer Kraft setzte. Man müsse nicht nur den Opfern helfen, sondern vor allem auch "dem Rad in die Speichen fallen"!
Die evangelischen "Deutschen Christen", 1932 gegründet, unterstützten die Nazi-Ideologie: Kampf gegen "alles Linke", Schutz des Volkes vor den "Untüchtigen und Minderwertigen", "Reinheit der deutschen Rasse". Und die offizielle evangelische Kirche Deutschlands übernahm den Arierparagraphen für alle...
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