8. Das Märchen von Mrile
Ein Mensch bekam im Laufe der Zeit drei Söhne. Gut, und der älteste ging mit der Mutter, Kolokasienknollen auszugraben. Dabei sah er einen Samenknollen. Und er sagte:
»Ei, hier ist ein Samenknollen, so schön, wie mein kleiner Bruder.«
Seine Mutter aber sprach zu ihm:
»Wie kann ein Samenknollen so schön sein wie ein Menschenkind?«
Er aber versteckte den Samenknollen, und die Mutter band die Kolokasien zusammen zum Heimtragen. Und er versteckte den Samenknollen in eine Baumhöhlung. Dann sprach er zu ihm:
»msura kwivire-vire tsa kambingu na kasanga.« 1
Des andern Tags ging er wieder hin. Da war der Steckling zu einem Kind geworden. Seine Mutter kochte Essen, und er trug es immer wieder hin. So trug er alle Tage Essen zu, er selbst aber magerte ab.
Sein Vater und seine Mutter sahen, wie er abmagerte, und fragten ihn:
»Sohn, was ist’s, das dich so mager macht? Wo pflegt das Essen, das wir immer kochen, hinzukommen? Sind doch deine jüngeren Brüder nicht so mager geworden?«
Da sahen seine jüngeren Brüder einmal, wie Essen gekocht wurde. Er erhielt seine Portion aufgelegt, aß sie aber nicht, sondern trug sie fort, als ob er sie aufzuheben ginge. Seine Brüder folgten ihm von ferne nach, indem sie ihn belauerten. Da sahen sie, wie er es in eine Baumhöhle schaffte. Sie kehrten nach Hause zurück und sagten seiner Mutter:
»Wir sahen, wie er das Essen in die Baumhöhle schaffte und es einem Kindchen brachte, das sich dort befindet.«
Sie aber sagte zu ihnen:
»Wessen Kind pflegt in einer Baumhöhle zu wohnen?«
Da sprachen sie zu ihr:
»Wohlan, wir wollen gehen, dich dahin zu weisen, Säugerin!«
Und sie führten ihre Mutter dahin und zeigten ihr den Platz. Siehe da, dort in der Höhle befand sich ein kleines Kind! Und seine Mutter traf das Kind und tötete es. Als sie das Kindchen getötet hatte, trug Mrile Essen dahin und fand es nicht mehr, sondern fand es getötet. Er kehrte nach Hause zurück und gab sich dem Weinen hin. Da fragte man ihn:
»Mrile, warum weinst du?«
»Es ist der Rauch.«
Da sagten sie zu ihm:
»Setze dich hierher nach der unteren Seite.«
Er gab sich aber weiter dem Weinen hin. Sie aber sagten zu ihm:
»Warum weinst du immerzu?«
»Es ist nichts als der Rauch.«
»Nimm dir deines Vaters Stuhl und setze dich damit auf den Hof!«
Er nahm den Stuhl, setzte sich damit auf den Hof und gab sich weiter dem Weinen hin. Da sagte er:
»Stuhl, reiche in die Höhe, wie das Seil meines Vaters, mit dem er das Honigfaß aufhängt im Urwald und in der Steppe.«
Da stieg der Stuhl in die Höhe und blieb an einem Baum hängen. Er sprach zum zweitenmal:
»Stuhl, reiche in die Höhe, wie das Seil meines Vaters, mit dem er das Honigfaß aufhängt im Urwald und in der Steppe.«
Da traten seine jüngeren Brüder auf den Hof und sahen, wie er gen Himmel fuhr. Sie verkündigten seiner Mutter:
»Mrile ist zum Himmel aufgefahren.«
Sie aber sagte:
»Warum sprecht ihr mir davon, daß euer ältester Bruder zum Himmel auffahre? Gibt es denn einen Weg, auf dem er in die Höhe stieg?«
Sie aber sprachen zu ihr:
»Komm, und siehe, Säugerin!«
Da kam seine Mutter, nachzusehen und fand ihn in die Höhe gefahren.
Da rief seine Mutter:
»Mrile, kehre zurück,
kehr’ zurück, mein Kind,
kehr’ zurück!«
Mrile aber gab zur Antwort:
»Ich kehr’ nicht mehr zurück,
ich kehr’ nicht mehr zurück,
Mutter, und ich,
ich kehr’ nicht mehr zurück,
ich kehr’ nicht mehr zurück.«
Da riefen seine jüngeren Brüder:
»Mrile, kehr’ zurück,
kehr’ zurück, unser Bruder,
kehr’ zurück!
komme nach Hause,
komme nach Hause!«
Er aber sprach:
»Und ich,
ich kehr’ nicht mehr zurück,
ich kehr’ nicht mehr zurück,
meine Brüder,
ich kehre nicht mehr zurück,
ich kehre nicht mehr zurück.«
Da kam sein Vater und sprach:
»Mrile, da ist deine Speise,
da ist deine Speise!
Mrile, da ist’s!
Mrile, da ist deine Speise,
da ist deine Speise!«
Er aber antwortete selbst und sprach:
»Ich will nicht mehr,
ich will nicht mehr,
mein Vater, und ich,
ich will nicht mehr,
ich will nicht mehr.«
Da kamen die Geschlechtsgenossen und sangen:
»Mrile, komm nach Hause!
komm nach Hause!
Mrile, komm!
komm nach Hause!
komm nach Hause!
Mrile, komm!«
Da kam sein Oheim und sang:
»Mrile, komm nach Haus,
komm nach Haus!
Mrile, komm!
komm nach Haus,
komm nach Haus!«
Er aber sang zur Antwort:
»Und ich,
ich komm’ nicht mehr zurück,
ich komm’ nicht mehr zurück,
Oheim, und ich,
ich komm’ nicht mehr zurück,
ich komm’ nicht mehr zurück!«
Und er entschwand, so daß sie ihn nicht mehr sahen. Da traf er Holzsammler. Er grüßte sie:
»Holzsammler, guten Tag! Zeigt mir doch den Weg zum Mondkönig.«
Sie aber sprachen zu ihm:
»Sammle etwas Holz, dann wollen wir dich hinweisen.«
Da brach er für sie Brennholz. Und sie sagten ihm:
»Gehe nur so weiter, so triffst du auf Grasschneider!«
Darauf ging er weiter und traf auf Grasschneider.
»Grasschneider, guten Tag!«
Sie erwiderten ihm:
»Zeigt mir doch den Weg zum Mondkönig.«
Sie aber sagten zu ihm:
»Schneide etwas Gras, so wollen wir dich hinweisen!«
Da schnitt er etwas. Darauf sprachen sie zu ihm:
»Gehe nur so weiter, so wirst du Ackernde treffen.«
Da ging er und traf Ackernde.
»Ihr, die ihr da ackert, guten Tag!«
Und sie sagten zu ihm:
»Guten Tag!«
»Weiset mich doch zum Mondkönig!«
»Ackere etwas, so wollen wir dich dahin weisen.«
Da ackerte er etwas. Darauf sprachen sie zu ihm:
»Gehe nur so weiter, so wirst du auf Hütende treffen.«
Er ging weiter und traf auf Weidende.
»Ihr, die ihr da weidet, guten Tag!«
»Guten Tag!«
»Weiset mich doch zum Mondkönig!«
»Weide eine Weile, so wollen wir dich dahin weisen!«
Da half er ihnen eine Weile weiden.
Dann sagten sie ihm:
»Gehe nur so weiter zu den Bohnenerntern!«
»Ihr, die ihr da Bohnen erntet, guten Tag! Weiset mich doch zum Mondkönig!«
»Hilf uns ein wenig Bohnen pflücken, dann wollen wir dich hinweisen!«
Da pflückte er ein wenig. Darauf sagten sie:
»Gehe nur des Weges weiter zu den Hirseschnittern!«
Da traf er die Schnitter.
»Ihr Schnitter, seid gegrüßt! Weiset mich doch zum Mondkönig!«
»Hilf uns etwas Hirse schneiden, dann wollen wir dich hinweisen!«
»Gehe nur des Wegs weiter zu den Leuten, die Bananenstengel suchen!«
Und er grüßte sie:
»Ihr Bananenstengelsucher, seid gegrüßt! Weist mich doch zum Mondkönig!«
»Hilf uns einige Bananenstengel suchen, dann wollen wir dich hinweisen!«
Und er suchte ihnen einige. Da sprachen sie zu ihm:
»Gehe nur so weiter, bis du zu Leuten kommst, die Wasser holen!«
»Ihr Wasserförderer, seid gegrüßt! Zeigt mir doch den Weg zum Mondkönig!«
»Gehe nur so weiter bis zu den Leuten, die eben bei sich zu Hause essen!«
»Ihr Hausbesitzer, seid gegrüßt! Weiset mich doch zum Mondkönig!«
»Iß da etwas, dann wollen wir dich hinweisen!«
Gut, da traf er Leute, die rohe Speisen aßen. Und er sagte ihnen:
»Warum kocht ihr nicht mit Feuer?«
Sie aber sprachen zu ihm:
»Was ist das, Feuer?«
Er sagte zu ihnen:
»Man kocht damit die Speise, bis sie gar ist!«
Sie aber sprachen zu ihm:
»Wir wissen nichts vom Feuer, Herr!«
»Wenn ich euch wohlschmeckendes Essen mittels Feuer bereite, was werdet ihr mir geben?«
Der Mondkönig sprach:
»Wir werden dir Rinder und Kleinvieh zinsen.«
Und Mrile sagte ihnen:
»Sammelt viel Brennholz, so will ich das Feuer bringen.«
Da sammelten sie Brennholz. Sie gingen aber hinter das Haus, wo sie nicht von Leuten gesehen wurden. Mrile aber brachte einen Feuerquirl und ein Feuerbrettchen hervor und schlug Feuer, da hinter dem Hause. Sie zündeten an, und er legte grüne Bananen hinein, zum Rösten. Dann sagte er zu dem Mondkönig:
»Versuche diese Bananen zu essen, die ich im Feuer geröstet habe.«
Der Mondkönig verzehrte die Banane und sah, wie sie schmeckte. Darauf setzte er Fleisch an und sagte zu ihm:
»Iß auch gekochtes Fleisch!«
Und er sah, wie es schmackhaft war. Da kochte er alle eßbaren Dinge vollständig...