Schweitzer Fachinformationen
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Sie ist nichts als Gold und Licht. Selbst der Staub um sie schimmert, als vergolde sie die Luft. Dabei ist die Luftvergolderin jung: ein Mädchen mit einer Goldhaube, unter der goldblondes Haar hervorblitzt, ihr Kleid ist mit Sonnen aus Goldfäden bestickt, ihr Hals mit Juwelen geschmückt. Ein Flirren und Glitzern erfüllt den Raum. Ein Funkeln und Glimmen.
"Falscher Zauber", flüstert ein Betrachter der Szene. Das Mädchen spielt eine Himmelskönigin - oder was es dafür hält: Es geht nicht, es schreitet, alles gerät zur Pose. "Mich täuschst du nicht, Beobachten ist mein Beruf!" Noch im Flüstern zählt der Mann auf der Brust des Mädchens zehn feuerzüngelnde Sonnen und er erkennt, dass es geweint hat. Heimlich geweint. Nun schmollt es mit dem Schmollmund eines Kindes. Irgendeines Kindes mit einer fleischigen Unterlippe.
Plötzlich geht ein Ruck durch die zarten Glieder. Das Schmollen weicht einem Lächeln, doch die Augen bleiben starr.
"Deine Augen, in der Farbe von tiefem Wasser, sind das Ehrlichste an dir", wispert der Betrachter mit gedämpfter Stimme.
Aber was ist schon ehrlich in der Hofburg zu Innsbruck? Menschen buckeln vorne und schmähen das Mädchen hintenherum als "goldene Gans". Wohl meinend, es wüsste dies nicht und wäre zu jung für die Wahrheit. Ihre Wahrheit. Und überhaupt: Es ist eine Fremde.
Mit dem Tod Kaiser Maximilians I. im Winter 1519 versank eine Welt mit ihm in einem Gerangel um Macht. Nun, im zweiten Jahr danach, meint die Luftvergolderin, ihr stünde wieder eine Hauptrolle zu. Sie war Maximilians Braut .
"Ich weiß alles, ihr Narren!" Ihre mühsam verstellte Stimme klingt dunkel, die Gewänder sind schwer, der falsche Zauber hat seinen Preis: Eigentlich heißt das Mädchen Anna, aber keiner spricht diesen schönen Namen aus, keiner darf es. Posiert Anna vor ihrem Hofstaat als Lichtgestalt, bleibt sie eine Gefangene ihrer Einsamkeit.
"Majestät, ich bin geblendet!" Der Betrachter heuchelt plötzlich Begeisterung. Ein Maler ist er und so nennt er sich auch: Hans Maler, Maler zu Schwaz in Tirol. Er soll die Luftvergolderin unsterblich machen, sie der Zeit entreißen, denn die Vergänglichkeit frisst auch Mädchen aus Gold. Solche, die Anna heißen, die aber niemand zärtlich "Anna" nennt. "Meine kleine Ungarin" - so nennt Hans Maler Anna in seinen Gedanken. Zärtlich fast, denn sie saß ihm schon häufig Modell: als Kind und als viel zu junge Braut. Eine Braut, die als Jungfrau zur Witwe wurde. Doch dieses ungewöhnliche Wesen zu mögen, ist wie ein Spaziergang auf einem Seil. Einem schwankenden Seil. So weiß der Maler, dass ihr Lachen falsch ist und ihre Haare gebleicht. Früher hatte Annas hüftlanges Haar die Farbe von Lehm. Aber welche eingebildete Himmelskönigin möchte Haare in der Farbe von feuchter Erde? Von Schmutz? Dabei ist ihr Schicksal ungewiss, auch dies weiß er. Raschelnde Gewänder aus Brokat und Goldstickerei bedeuten viel oder wenig in Zeiten wie diesen, einer Epoche des Wandels, die selbst goldene Bräute verschmäht. Solche mit einem Schmollmund allemal .
Sie mag ihn - und sie mag ihn nicht. Eigentlich ist der Maler ihr unheimlich. Sein Blick verweilt nicht an ihrem Sonnenkleid, mag er auch schauspielern, ihn beeindrucke ihr Anblick. Ihre Anmut. Doch sie weiß nur zu gut, dass er kein Blender ist und keiner, der sich blenden lässt.
So langweilen ihn ihre Juwelen und er murrt, wenn er sie malen muss: "Ich interessiere mich mehr für Menschen, die Beschaffenheit ihres Gesichts, die Sprache ihres Körpers. Sie passt selten zu den Worten aus ihren Mündern." Die Ironie seiner Worte wirft Fältchen um jene Augen, denen nichts entgeht. Anna hält diesem Blick stand. Anna hält immer stand. So ist sie erzogen.
Hans Maler steht hinter seiner Staffelei, die Farbpalette zur Linken und einen Pinsel zur Rechten. Er verändert sich. Ja, auch sie beobachtet ihn. Bevor er sein Werk beginnt, folgt er einer Art Choreografie: Der Maler schließt die Lider und saugt Luft in sich hinein, bewegt seine Lippen, als trinke er Luft. Pumpt seinen Brustkorb damit auf. Ein merkwürdiges Spektakel: ein stattlicher Mann, der breitbeinig hinter einer Staffelei steht und Luft zu trinken scheint.
Sie möchte laut herauslachen, aber als der Lufttrinker wieder seine Augen aufschlägt, ist er ein Besessener. Seine Pupillen scheinen nun von einer inneren Glut erhellt, und sogleich dringt er in Anna ein, als sei ihr Köper ein dunkler Brunnenschacht, an dessen Ende ihre Seele wie schwarzes Wasser schimmert. Erdig und geheimnisvoll. Das ist gruselig und faszinierend zugleich.
"Malerei ist Magie", säuselt er.
"Hokuspokus", schimpft Anna. "Magie? Was soll das sein?" Tiefe Gefühle zu zeigen, ist gefährlich, das lernte sie schon als Kind. Auch hält man sie nicht in Innsbruck fest, auf dass sie ein besserer Mensch werde - oder eher noch eine bessere Braut. Hier geht es um ihr Erbe. Ihr Prestige. Das wusste sie schon, als man sie nach Tirol brachte: als Zwölfjährige, weit entfernt von ihrer Heimat und ihrer Familie.
Unterdessen lächelt der Maler in sich hinein und denkt: Ach, kleine Ungarin, mir machst du nichts vor. Ich kenne dein Gesicht. Kenne es besser als das sommersprossige Gesicht meiner Magd Lina, die in pechschwarzer Nacht unter meine Bettdecke kriecht und tagsüber zweimal zur Kirche rennt. Ich kenne dein Antlitz sogar besser als mein eigenes, denn ich bin kein Albrecht Dürer, der sich selbst porträtiert. Und dies immer nach der neuesten Mode: im Pelzrock, mit geschlitzten Hemden, dem Bart eines Rebellen und gebrannten langen Locken. Seit Dürer in Italien war, verkündet er sogar die Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Ja, die Gottesebenbildlichkeit. Ich hörte ihn sogar sagen: "Ein Künstler ist der zweite Schöpfer nach Gott! Er macht den Menschen allansichtig." Ha, nun frage ich mich: Brannte die italienische Sonne zu heiß auf Dürers Lockenpracht? Und, kleine Ungarin, wenn ich deinen Schmollmund male, wäre dies also ein göttlicher Schöpfungsakt? Er schmunzelt über seine Gedanken: Nein, ein Dürer ist er nicht, denn nie würde er sich selbst porträtieren. Dürer ist ein Geck, der nur den Kaiser neben sich duldet. Und vielleicht noch den lieben Gott. Diesen Scherz erzählen sich solche, wie er: Maler, die Großes erschaffen, ohne als Große zu gelten. Aber es erfüllt ihn mit Stolz, ein Maler zu sein.
Dass die Luftvergolderin unglücklich ist, sah er gleich. Plagt sie wieder das Heimweh oder ist es dieses neue Gefühl? Ihr heimliches Begehren, bei einem Mann zu liegen? Sie ist jetzt in diesem Alter . Einem mächtigen Mann mit Armen so lang, dass sie nicht nur ihre dünne Taille umschlingen, sondern die ganze Welt. Ach, ihre Rolle als Himmelskönigin gelingt ihr heute schlecht. All das Gold, das sie umhüllt, ist das, was Gold in den Händen der Menschen meist ist: Blendwerk.
"Majestät, mit Verlaub, ich mache keinen Hokuspokus. Ich bin ein Chronist der Wahrheit." Seine Antwort kommt gefährlich spät, kennt man Annas Ungeduld.
"Ha! Er ist Hofmaler, solche bezahlt man, damit sie gefällig sind", zischt sie entsprechend barsch.
"Ich bin kein Hofmaler und ich leide nicht an der Gefallsucht!", hält er dagegen. "Meine Hand, die den Pinsel führt, gehorcht allein meinem Herz."
Anna schnaubt zornig und dreht sich so abrupt herum, dass aus ihrem Gewand erneut Goldstaub aufwirbelt und sie umschwebt. Glanzpartikel tanzen im milchigen Licht der Butzenglasscheiben.
Man könnte sie für eine Heilige halten, wo sie doch nur eine Scheinheilige ist, denkt Hans Maler als ihr Porträtist.
Annas Antwort bestätigt dies, sie klingt wieder hart und dunkel: "Es steht einem Pinselschwinger nicht zu, so mit einer Königin zu sprechen. So unverschämt. Ihr Maler werdet frech, seit ihr euch einbildet, Künstler zu sein."
"Aber Kunst soll das Unaussprechbare aussprechen ."
"Schweig! Was maßt Er sich an? Er hält sich für einen Seher? Er kann gleich im Kerker darüber nachdenken, wann ein einfacher Mann zu schweigen hat vor einer Königin." Sie ist so erregt, dass ihre Stimme von der abgedunkelten Tonlage der Macht in das Blecherne eines Kindes verfällt. Eines zornigen Kindes.
Hans Maler, der dieses Wesen in allen Verkleidungen und Gemütslagen kennt, spürt, es ist an der Zeit, klein beizugeben. Mit einer Verbeugung tritt er hinter seiner Staffelei hervor. "Ich entschuldige mich und stimme Ihrer Majestät zu", seufzt er demütig.
Anna wirkt für einen Moment verblüfft, fängt sich aber sogleich: "Nur die Tatsache, dass Kaiser Maximilian, mein Gatte, Ihm noch persönlich den Auftrag gab, mich zu porträtieren, bewahrt Ihn vor dem Kerker. Das war meine letzte Warnung." Ihr dünner Zeigefinger bohrt sich in die Luft wie eine Stichwaffe.
Er verbeugt sich einmal mehr.
"Maler, sieh Er sich vor, dies befiehlt Ihm Seine Königin."
Ha, du bist gar keine Königin, auch wenn ich dich mit "Majestät" oder mit "Königin" ansprechen muss, denkt der Maler. Alle bei Hofe müssen dies. Alle bis auf Jeanne, deine Amme, diese Französin. Sie nennt dich "Petite", das meint "Kleine". So übermäßig fett wie diese Amme ist, wirkst du neben ihren rosafarbenen Fleischbergen tatsächlich winzig. Aber als Tochter von Vladislav II., König von Ungarn, Böhmen und Kroatien, bist du nur eine Prinzessin. Keine Königin, eine Vielleicht-Königin bestenfalls. Es freut ihn, dass ihm dieses Wort einfällt, er formt es mit seinen Lippen: "Vielleicht-Königin!" Ein lautloses Flüstern, in den Kerker möchte er...
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