Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Frankreich und Holland um 1900. Die junge Jo van Gogh-Bonger verliert ihren geliebten Mann Theo an die Syphilis. Kurz zuvor hat sich Theos Bruder Vincent van Gogh erschossen. Jo bleibt nichts als ein Baby und Hunderte Bilder des noch unbekannten Malers. Sie beschließt, Vincent weltberühmt zu machen, und setzt damit eine gigantische Erfolgsstory in Gang.Über hundert Jahre später stößt die Kunsthistorikerin Gina auf Jos Geschichte. Und Jo nimmt sie mit in eine Welt voller Menschen, die besessen sind: von der Liebe, der Kunst und von Visionen.Ginas Vater ist Schriftsteller und versucht seit zwanzig Jahren erfolglos, sein zweites Buch zu schreiben. An seiner Seite wird Ginas Faszination für Jo selbst zu einem rauschhaften Roman über eine kurze, aber folgenreiche Liebe. Und über zwei Familiengeschichten im Zeichen der Kunst.
Jo weiß, dass sie Theo nie lieben wird. Jo weiß, dass sie nie mehr ohne Theo leben will. Dazwischen liegen siebzehn Monate, in denen Theo nichts anderes getan hat, als Jo seine Liebe zu erklären. Sie beginnen im Juli 1887 in Amsterdam und enden im Dezember 1888 in Paris. Der Juli und der alles entscheidende Dezember sind ungewöhnlich mild, es liegt eine meteorologische Gelassenheit über der Welt, als würde sie sich überhaupt nicht für die Geschichte von Jo und Theo interessieren, als besäße sie keinerlei stürmische, heiße oder anderweitig dramatische Anschmiegsamkeit an diese unerwartet folgenreiche Liebe. Zum Glück bleibt Theo in dieser Zeit der sturste Verliebte zwischen Paris und Amsterdam. Zum Glück erholt sich Jo in dieser Zeit von der Liebe zu einem anderen.
Der andere heißt Eduard, studiert Medizin und ist jünger als Jo. Sie haben sich vor Jahren kennengelernt, am Rand der Kindheit noch, doch plötzlich gewinnt ihre Freundschaft an Innigkeit und an Tragik, plötzlich geschehen Dinge, die ihnen die letzte spätpubertäre Unbekümmertheit austreiben. Plötzlich stirbt Eduards kleine, eben noch überaus lebhafte Schwester, und Jo steht neben ihm am offenen Sarg, der Tod hat alle überrascht, es ist eine Zumutung, wie schnell und jung viele Menschen sterben, denkt Jo, Tuberkulose, Syphilis, Herzversagen, ein Schuss. Vor den Augen der Trauergemeinde verwelken die Blumen im Sarg schneller als das sorgfältig präparierte Gesicht der Toten, und Jo glaubt, in Eduards Augen nicht nur Tränen, sondern auch ein wissenschaftliches Interesse an seiner Schwester zu entdecken, an der jungen Leiche, nur Lunge und Herz kurz und heftig von der Krankheit befallen, die anderen Organe intakt, kaum Schatten unter den geschlossenen Augen. Jo drückt ihre Lippen auf die Leichenstirn, sie fühlt sich kühl und trocken an, wie eine Zeitung, die im Winter auf der Straße verkauft wird. Und plötzlich tanzen Jo und Eduard am Studentenball seiner Fakultät miteinander, alles ist sentimental, und schon beim ersten Walzer wird deutlich, dass diese beiden das beste Paar auf dem Parkett sind, dass da etwas auf ideale Weise miteinander verschmilzt. Es ist nicht Jos erster Ball und Eduard nicht ihre erste Schwärmerei. Sie ist eine entspannte Empfängerin von allerlei Vergnügen und Heiratsanträgen, sie glaubt nicht an die Einmaligkeit, auch nicht an die Einmaligkeit der Liebe, doch als Eduard sie kurz vor Mitternacht fragt, ob er sie nach Hause begleiten dürfe und auf dem Weg die Melodie ihres Walzers summt, weiß Jo, dass dies eine Liebe ist. Die beiden sehen sich oft, gehen spazieren, legen sich nebeneinander ins Gras, halten sich an den Händen, manchmal nimmt er ihr Handgelenk und zeigt ihr, wo das Mondbein auf das Kahnbein trifft, und bringt eine Ader, die durch ihre Haut schimmert, zum Verschwinden, indem er seinen Daumen darauf presst. Manchmal hebt er sie hoch und trägt sie ein Stück weit, als wäre sie seine Frau. Seine Familie ist sich sicher, dass er Jo einen Antrag machen wird.
Sie küssen sich nie, obwohl Jo gerne küsst. Eine der Frauen, bei denen sie gewohnt hat, eine Miss Gard in London, hat ihr das Küssen beigebracht. Wenn Jo an sie denkt, sieht sie Miss Gard in einem silbergrauen Kleid vor sich, in der einen Hand eine Zigarette, in der anderen ein Buch, die Lippen rot geschminkt, die Brille, die sie nur ungern aufsetzt, an einer Goldkette. Sie ist eine Frau ohne Mann, ist belesen, beliebt und schön nach Art der Rothaarigen und betreibt eine Pension, in der Jo während ihrer beiden Studienmonate in London wohnt. Gemeinsam gehen sie ins Theater, Sarah Bernhardt gastiert in London, Jo ist ganz aufgeregt, sie weiß alles über die Bernhardt, denn die Bernhardt erzählt den Magazinen und Zeitungen nichts lieber als ihre eigene Geschichte, dass ihre Mutter eine Kurtisane gewesen sei und sie selbst etliche Einträge im großen Pariser Kurtisanenregister stehen habe. Mademoiselle Sarah B. empfing Monsieur Gauthier, Mademoiselle Sarah B. empfing Monsieur Ducasse, stehe da, äußerst respektvoll, bewundernd beinahe, als hätte sie Hof gehalten, und die Geldbeträge, die sie von ihren Bewunderern erhalten habe, seien exorbitant gewesen. Jo kennt ein Foto der fünfzehnjährigen Sarah, viel Haut, viel Haar, ein erwachsenes, wissendes Gesicht, der Blick kühl und fordernd, eine interessante Erscheinung. Doch dann sitzt Jo neben Miss Gard im Theater und sieht vor sich eine schöne Frau in schönen Kleidern, die so spektakulär und exaltiert spielt, dass es Jo beinahe peinlich ist. Weißt du, wen sie wirklich liebt, flüstert Miss Gard in der Pause, und die Pupillen ihrer Augen vergrößern sich dabei zu einer endlosen, sternenlosen Nacht, sie liebt keinen Mann, sie liebt eine französische Malerin, ein Leben lang und über den Tod hinaus, soll sie gesagt haben, und jeder Mann sei nichts als eine Beilage. Als sie nach dem Theater in der Pension am Kamin sitzen, als sich Miss Gard über Jo beugt und mit einer silbernen Zange ein Stück Gebäck neben Jos Tee legt, kommen sich ihre Gesichter entgegen, und Jo küsst Miss Gard auf den Mund. Und Miss Gard küsst Jo. Dreimal küssen sie sich, wie Jo überglücklich in ihrem Tagebuch vermerkt. Miss Gard nimmt Jo mit in die Kirche, zu Debattierclubs, wo Miss Gard als einzige Frau die Erlaubnis hat mitzureden, oder zum Dreiradfahren an die Themse. Und während Jo Tag für Tag in London in der British Library sitzt und sich auf ein Examen in englischer Literaturgeschichte vorbereitet, verbringt sie zu viele Stunden damit, mit dem übersteigerten Empfinden einer Zwanzigjährigen über Miss Gards Lippen nachzudenken.
Jo ist nicht zurückhaltend, wenn es um ihre Liebe zu Eduard geht, jedenfalls nicht ihren Schwestern und ihrer Brieffreundin Lies gegenüber. Lies mahnt sie zur Vorsicht, sie hat selbst einen wie Eduard geliebt, doch schließlich hat er sie abgewiesen, nein, nicht abgewiesen, er hat die Liebe bloß welken lassen, bis sie keine mehr war. Sie erzählt Jo von ihrem jungen Kummer von damals, aber auch von der Begeisterung darüber, dass es den Mann, den sie liebte, überhaupt gab. Jeder Gedanke an ihn habe sie elektrisiert, sie habe ein Jahr lang kaum geschlafen, zwei Stunden hätten ihr gereicht, sie hätte übermenschlich viel Kraft besessen. Ja, antwortet Jo, so ähnlich sei das bei ihr wohl auch, und das Verrückte seidoch, dass man diese Kraft nicht kanalisieren und in etwas anderes verwandeln könne, in Kunst zum Beispiel, in Gedichte, einen Roman oder eine Klaviersonate. In irgendwas, das bliebe und damit der eigenen Aussichtslosigkeit einen Sinn gäbe. Ein guter Gedanke, schreibt Lies zurück, kannst du Eduard nicht einfach als deine Muse betrachten? So wie Künstler jede Frau, in die sie auf komplizierte Weise verliebt sind, zu ihrer Muse machen?
Lies kennt sich mit Künstlern aus, sie hat zwei Brüder, die beide in Paris leben, der eine ist Kunsthändler, der andere Künstler. Der eine heißt Theo, der andere Vincent. Der Kunsthändler Theo finanziert den Künstler Vincent, und Vincent zahlt es seinem Bruder in Bildern zurück. Auch Jo hat einen Bruder, der in Paris lebt, er heißt Andries, alle nennen ihn Dries, und Dries und Theo sind Freunde. Die beiden jungen Männer sind zwei Holländer in Paris, sie haben sich vor Jahren im holländischen Club kennengelernt, es ist ein Club wie jeder andere, für Herren, mit Alkohol, Raucherwaren, Zeitungen und Kartenspiel. Dries ist Bibliothekar im Club, wobei dies eine Übertreibung ist, es gibt hier kaum Bücher oder Zeitschriften, nur ein paar wenige über die holländische Seefahrt und den Handel mit exklusiven Kolonialwaren. Seine Hauptbeschäftigung besteht darin, dass er als Tabaksachverständiger einer holländischen Handelsgesellschaft Zigarren aus Surabaya oder Batavia mitbringt und auf Wunsch Kaffee und Tee für die Gattinnen der Clubmitglieder. Es geht das Gerücht, dass die asiatischen Dependancen seiner Handelsgesellschaft ihr Geld nicht nur mit Waren, sondern auch mit Glücksspielen machen würden, bei denen schon ganze Schiffsladungen von Juwelen, Kunstschätzen, Raubkatzen und gelegentlich auch eine Geliebte den Besitzer gewechselt hätten, und obwohl Dries nie in Asien war, strahlt er für Theo eine Weltläufigkeit aus, die ungemein anziehend ist. Theo ist vier Jahre älter als Dries, wirkt aber jünger, denn Dries ist seine spätere, jeden Widerspruch unterbindende Stattlichkeit bereits jetzt anzusehen. Im Gegensatz zu Theo, dem Kunsthändler, wird sein Arbeitsalltag ebenfalls von einem Gespür für schöne Dinge bestimmt, aber nicht für Dinge, zu deren Wertschätzung eine intellektuelle Auseinandersetzung notwendig ist. Für Rum, Zigarren, Kaffee und Tee brauchen die Leute bloß einen Gaumen und eine Nase, und die hat so gut wie jeder, sagt Dries.
Er wiederum ist fasziniert von dem empfindsamen Ästheten Theo, der jeden der neuen, wilden Künstler von Paris kennt und versteht, dessen Freunde oft unerträglich anstrengend, fordernd, polemisch, aber immer interessant sind, der seinen Geist jeden Tag von Neuem streckt und dehnt und voller Neugier alles aufnimmt, was die Großstadt ihm an Inspiration anbietet. So einen Mann hat er sich immer für seine Lieblingsschwester Jo vorgestellt, einen außergewöhnlichen, aber nicht zu außergewöhnlich. Dries ist froh, dass Theo kein Künstler ist, sondern am Ende eben doch auch ein Geschäftsmann. Er erzählt Theo von Jo, der ehrgeizigen jungen Englischlehrerin, die bereits die dritte Weiterbildung abgeschlossen und sogar in London studiert hat, und lässt ihn ihre Briefe mitlesen. Die beiden beschließen, dass in Jo eine Schriftstellerin steckt, und noch bevor Theo Jo zum ersten Mal trifft, weiß er, dass sie die Richtige ist. Es ist ein Gefühl, und es ist ihr Gesicht auf dem schwarz-weißen Bild, das ihm Dries allzu gerne schenkt, eines der Porträts,...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.