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Nie hätte ich gedacht, dass eine simple Zahl mich so unfassbar wütend machen könnte.
Es ist kurz vor Weihnachten 2014, die Redaktion des ZDF-Politikmagazins, für das ich lange arbeite, trifft sich in einer rustikalen Berliner Kneipe im Prenzlauer Berg zum Fest. Die vorhergehenden Betriebsfeiern verlaufen eher trüb. Der einstige Redaktionsleiter äußert, Frauen hätten im politischen Journalismus nichts zu suchen.28 In einem Film, mit dem ihn die Redaktion zu seiner anstehenden Pensionierung satirisch-humorvoll verabschiedet, sagt er in die Kamera: »Frauen und Magazine - schwierig, ganz schwierig. Denen fehlt eben einfach die Härte. Die meisten haben ohnehin nicht gedient, die sind nicht wirklich auf Konfrontation aus. Die interessieren sich dann halt doch immer mehr so fürs Soziale.« Vor Gericht wird das ZDF später vortragen lassen, die Äußerungen habe die Redaktionsleiterin »gescriptet«.29
Eine Kollegin steht am Holztresen, neben ihr der kürzlich pensionierte Redaktionsleiter. Wer in einem solchen Team als vergleichsweise junge Redakteurin arbeitet, droht ganz unten in der Hackordnung zu landen. Da ist ein Kräftemessen mit dem ehemaligen Chef genau der richtige Move, um die Hierarchie zu klären, denkt sich wohl die Kollegin. Sie reißen einige Witze rund um sein Steckenpferd Bundeswehr. Dann fordert sie den Alten zu einer Runde Wodka auf. Er schlägt ein. Der Anfang ist gemacht.
Bald geben sich auch die aktuellen Chef*innen großzügig. Schon lange hege ich den Verdacht, als Frau schlechter bezahlt zu werden. Beschäftigt werde ich als eine von vielen sogenannten »fest-freien Mitarbeiter*innen«: Häufig eingesetzt wie Festangestellte, bekommen sie ein monatliches Fixgehalt, sind jedoch formal als freie Mitarbeiter*innen beschäftigt. Als der Sender einige Jahre zuvor einen neuen Tarifvertrag für langjährige Fest-Freie einführt, hat er mich - als einzige Frau unter neun vergleichbar Beschäftigten - schlechter einsortiert als die acht Männer.30 Erst soll ich in eine schlechtere Vergütungsgruppe rutschen, dann wird es »nur« eine niedrigere Stufe.31 Begründet wird das unter anderem mit der längeren Betriebszugehörigkeit der Kollegen. Doch schon bald gibt es Gerüchte, dass noch ein weiterer Mann, nennen wir ihn Peter, mehr verdiene. Peter ist einige Jahre jünger als ich und wechselte eindeutig nach mir ins ZDF.32
Ich nutze also die Gunst der feucht-fröhlichen Stunde - denn nüchtern habe ich den offiziellen Weg schon ausgeschöpft und Gleichstellungsbeauftragte, Chefredakteur und Personalrat erfolglos bemüht. Nach einigen Runden Wodka weiß ich: Peter verdient damals mehrere Hundert Euro im Monat mehr als ich. Und sehr viele Hundert Euro mehr als die Lieblingskollegin. Dabei hatte die kurz vor ihm beim Sender angefangen, bei gleich langer Berufserfahrung und ähnlicher Ausbildung - und vorheriger mehrjähriger Tätigkeit für ein ARD-Politikmagazin.
Mit einem Schlag ist klar: Die Gründe, die mir der Sender für meinen niedrigeren Verdienst mitgeteilt hat, können nicht zutreffen.
Neben Peter verdienen mindestens zwei weitere Kollegen mehr als ich. Dabei müssten sie nach der mir mitgeteilten Logik eigentlich weniger verdienen, auch wenn sie, wie Peter, in einem anderen Tarifvertrag für Fest-Freie beschäftigt sind. Denn sie kommen Jahre nach mir ins ZDF und verfügen über weniger einschlägige Berufserfahrung.33 Einer von ihnen arbeitet mir für eine Dokumentation zu. Immerhin verdient ein Dritter, der ein Jahr später in der Redaktion starten wird, nicht auch noch mehr. Zwischen dem Berufsanfänger und mir liegen 18 Jahre Berufserfahrung und nur einige wenige Hundert Euro im Monat.
Es sieht ganz so aus, als ob ich jahrelang falsch informiert, wenn nicht sogar bewusst angelogen wurde.
Tage nach der Feier schwanke ich zwischen Taubheit und einer Art Kettensägen-Vision, deren Schauplatz die ZDF-Verwaltung ist. Mit dieser Reaktion bin ich nicht allein, auch wenn nur wenige Frauen öffentlich darüber sprechen, welche Emotionen der Verdacht bei ihnen auslöst, aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt zu werden. »Es ist, als wenn die Chefs Nacktbilder von dir im Büro aufgehängt hätten und jedes Mal lachen, wenn sie dich sehen«, beschreibt die Moderatorin Samira Ahmed ihr Gefühl.34 Sie wird Jahre nach mir vor Gericht ziehen und gegen die BBC gewinnen, weil sie zu Unrecht zu wenig verdient - weniger als ein Sechstel dessen, was der Kollege nach Hause trägt.
Eine meiner Kolleginnen wird sich viele Monate nach meinem persönlichen Schockmoment eines Abends unvermittelt zwischen zwei parkende Autos bücken, um sich spontan zu übergeben, als sie erfährt, dass sie weniger verdient als gleich mehrere jüngere Kollegen.
»Es hat einfach wehgetan, es war wirklich schlimm«, erzählt die Schreinermeisterin Edeltraud Walla, die 2009 erfährt, dass ein gleichwertiger Werkstattleiter im Monat gute 1300 Euro mehr verdient.35 »Diese Ungerechtigkeit war schier unerträglich, das hat mehr wehgetan als das Geld. Das war seelische Grausamkeit. Es hat mich krank gemacht. Ich habe mir die Beine aufgekratzt, ganz übel.« Psychische Entlastung bringt erst die Klage, die sie gegen ihren Arbeitgeber, die Universität Stuttgart, anstrengt. Jahrelang wird sie prozessieren - erfolglos. Trotzdem würde sie es wieder tun, sagt sie. »Aus Selbstachtung. Ich war all die Jahre vorher kein Kämpfertyp. Aber irgendwann ist mir der Kragen geplatzt.«
Auch Miriam Altenberg, die Softwarearchitektin, meint: Nichts habe sie so radikalisiert wie der Verdacht, als Frau schlechter bezahlt zu werden: »Über ein Jahrzehnt fühlte ich mich gut in meinem Job - bis zu dem Moment, als meine Täuschung an der Wirklichkeit zerplatzte. Es löste etwas aus in mir: Das einst sehr höfliche und naive Mädchen, das es einfach nur liebte zu programmieren, nahm sich einen Anwalt und begann, für Equal Pay zu kämpfen.«36
Der Schlag ins Gesicht kommt meist auch noch völlig unerwartet. Denn rund um uns herum tun ja alle so, als ob es Lohndiskriminierung gar nicht gäbe. »Bei 1006 Euro, da hat's mir schon die Sprache verschlagen«, sagt Gabriele Gamroth-Günther in einer ZDF-Sendung.37 »In dem Moment bin ich wirklich vom Hocker gefallen«, erzählt die Finanzmanagerin Sylvia Wilson dem Spiegel, als sie erfährt, dass sie rund 50 000 Euro im Jahr zu wenig verdient.38
Mir geht es ähnlich.
Hätte mir jemand zum Abitur erklärt, dass ich mich in der Mitte meines Lebens damit würde auseinandersetzen müssen, als Frau benachteiligt zu werden, hätte ich das schlicht nicht für möglich gehalten. Ich wäre wahrscheinlich ausgewandert. So naiv wie tapfer habe ich all die Jahre daran geglaubt, dass diese Republik fair ist und ich als Bürgerin nicht schlechter gestellt werde als ein Bürger.
Nun fühle ich mich nicht nur betrogen, sondern auch gekränkt.
Die Ungerechtigkeit will ich nicht auf mir sitzen lassen.
Gerechtigkeitssinn ist den Menschen wohl angeboren, sogar den Primaten. Das legt ein berühmtes Equal-Pay-Experiment nahe, das Forscher*innen von der US-amerikanischen Emory University in Atlanta 2003 veröffentlichten. Für ihre Untersuchung haben sie zwei Kapuzineräffchen testweise gezielt ungleich behandelt: Zunächst erhalten die Tiere Kieselsteine und lernen, diese gegen eine Belohnung - ein Gurkenstückchen - zurückzugeben. Das Arrangement scheint zu gefallen, beide Äffchen mampfen zufrieden ihre Leckerei. In einem weiteren Schritt erhält eines der beiden Tiere eine Weintraube, völlig willkürlich. Die schmeckt ganz offenkundig besser. Das benachteiligte Äffchen reagiert harsch. Wütend wirft es Steine und Gurkenscheiben durch die Gitter. Das niedliche Kapuzineräffchen randaliert.39
Bei Vorführungen sorgt das Versuchsvideo für Gelächter, weil der Zorn so menschlich wirkt. Tatsächlich könnte der zugrunde liegende Gerechtigkeitssinn der Gattung helfen zu überleben, erklärt Forscherin Sarah Brosnan dem Deutschlandfunk: »Bei der Zusammenarbeit und dem Teilen der Nahrung kann ein Gefühl für Fairness dafür sorgen, dass ein Kapuzineraffe nicht übers Ohr gehauen wird. Das stabilisiert die Kooperation, es hilft dem einzelnen Affen, Individuen zu erkennen, mit denen er besser nichts zu tun haben sollte, weil er immer den Kürzeren zieht.«40
Anders gesagt: Es geht nicht um die Gurke. Die ist genauso schmackhaft, auch wenn der Nachbaraffe Trauben bekommt - so wie mein Gehalt nicht weniger wird, weil der Kollege mehr verdient. Nie geht es bei Equal Pay einfach nur um die Höhe des Gehalts oder um die Frage, ob es angemessen sei. Sondern immer geht es vorrangig um Gerechtigkeit. Und um die Frage, ob eine Frau sich darauf verlassen kann, dass die Gemeinschaft funktioniert, dass es fair zugeht.
Doch was genau dabei als ungerecht gilt und wie welcher Missstand behoben werden soll - dazu bleibt die öffentliche Diskussion häufig schwammig.
Kaum jemand versteht das Vokabular rund um die Lohnlücke. Es klingt einfach irre anstrengend: Gender Pay Gap (ein unschöner Begriff, der auch nicht dadurch besser wird, dass er...
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