Die Strafregeln - einmal druff und gut ist's?
"Strafregeln? Wass'n das? Der weiß doch, was er falsch gemacht hat. Das seh ich dem doch an!" Bist du dir sicher?
Stell dir doch mal vor, dein Hund würde gerne Kaninchen jagen. Und das letzte Mal, als er Kaninchen gejagt hat, hast du ihn so richtig zusammengeschissen, als er zurückkam. Logisch, denn er soll ja endlich verstehen, dass du Kaninchenjagen so richtig kacke findest und dass er ja nicht wagen soll, auch nur ein einziges Kaninchen mit einem halben Auge anzublinzeln! So! Jetzt hast du's ihm aber gezeigt!
Und? Kann dein Hund ab sofort ohne Leine laufen? Oder würde er bei nächster Gelegenheit wieder dem Kaninchen nachlaufen? Müsste er jetzt nach deiner Strafe nicht vom Kaninchenjagen endgültig ablassen, wo dein Hund doch jetzt ganz genau weiß, dass das nicht erwünscht ist?
Er jagt immer noch Kaninchen? Nun, da hast du wohl etwas falsch gemacht. Was du da falsch gemacht hast, kannst du jetzt selbst herausfinden.
Nimm dir bitte einen Zettel und einen Stift und krame in deinem Gedächtnis nach einer Strafmaßnahme, die du in den letzten Stunden angewendet hast.
BEISPIELE
Du hast deinen Hund an der Leine geruckt. Du hast deinen Hund auf den Boden gedrückt. Du hast deinen Hund in die Flanke gekniffen.
Ich meine also Schreck- oder Schmerzreize. Falls du aus den letzten Stunden gerade nichts präsent hast, nimm einfach die letzte Strafmaßnahme, die dir so einfällt.
© Anna Auerbach/Kosmos
Leinenruck ist eine Strafe.
Und jetzt checken wir mal gemeinsam, ob du deine Strafmaßnahme richtig angewendet hast. Dafür überprüfen wir deine Maßnahme anhand der Strafregeln. Strafregeln sind Regeln, die du als Strafender einhalten musst, damit dein Hund auch versteht, für welches Verhalten er gestraft wird und damit dieses Verhalten auch wirklich in Zukunft nicht mehr gezeigt wird.
STRAFREGELN
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Das bestrafte Verhalten muss durch deinen Hund willentlich steuerbar sein!
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Du musst das unerwünschte Verhalten immer bestrafen!
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Du musst das unerwünschte Verhalten immer sofort bestrafen!
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Du musst das unerwünschte Verhalten hart, aber nicht zu hart bestrafen!
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Du musst deine Strafen immer ankündigen.
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Bevor du bestrafst, muss dein Hund ein alternatives Verhalten gelernt haben und es auch zeigen können!
REGEL NUMMER EINS
REGEL EINS
Das Verhalten, das du bestrafen möchtest, muss durch deinen Hund willentlich steuerbar sein!
Dein Hund muss das Verhalten durch seinen Willen beeinflussen können. Er muss also in dem Moment, in dem du strafst, so klar im Kopf sein, dass er sich ganz bewusst anders entscheiden könnte. Damit fallen zum Beispiel alle Verhaltensweisen raus, die auf Reflexen, Angst, großer Aufregung oder auch auf körperlichen Problemen basieren. Diese kann dein Hund kaum beeinflussen.
Ein paar Beispiele
Du übst mit deinem Hund das "Fuß". Das heißt, er soll schön dicht neben dir laufen. In einer Linkskurve läufst du halb in ihn rein, weil er unaufmerksam war. Dein Hund erschreckt sich, weil du in ihn reinläufst und macht reflexartig einen kleinen Satz zur Seite. Du ruckst an der Leine, weil er die Position an deiner Seite verlassen hat. Dabei konnte dein Hund gar nicht anders reagieren.
Ihr begegnet einem anderen Hund. Der kommt rasant angerast. Deiner traut der Sache nicht und weicht aus. Den Der-tut-nix interessiert das nicht und er bedrängt deinen Hund, weil er unbedingt spielen möchte. Dein Hund kann nicht mehr ausweichen. Er knurrt oder schnappt, weil er in Panik gerät. Du bestrafst ihn, weil du nicht möchtest, dass dein Hund andere Hunde anknurrt. Dabei hatte dein Hund gar keine andere Wahl, als sich zur Wehr zu setzen.
Dein Hund ist noch nicht ganz stubenrein oder hat eine Blasenentzündung. Weil er mal dringend muss, pinkelt er dir ins Wohnzimmer. Du siehst das, packst deinen Hund am Nackenfell und schüttelst ihn. Dein Hund hätte aber gar nicht anders gekonnt, als ins Wohnzimmer zu pinkeln, weil du nicht rechtzeitig mit ihm rausgegangen bist.
Und noch ein letztes Beispiel: Du bürstest deinen Hund. Plötzlich zuckt er zusammen, dreht sich um und schnappt nach deiner Hand. Du haust ihm die Bürste über den Kopf, weil er nicht nach dir zu schnappen hat. Kurze Zeit danach fällt dir auf, dass sich dein Hund an der gebürsteten Stelle immer wieder schleckt. Er hat dort eine Wunde auf der Haut, die dir vorher nicht aufgefallen ist.
Bei all diesen Beispielen hätte dein Hund sich gar nicht anders verhalten können, als er sich verhalten hat. Daher solltest du dir, wenn du deinen Hund durch Schreck- oder Schmerzreize strafen willst, immer als Erstes die Frage stellen: Kann mein Hund in dieser Situation, in der er Verhalten zeigt, was ich doof finde, überhaupt anders reagieren?
Wenn nein, macht es gar keinen Sinn, in diesen Situationen zu strafen. Dein Hund versteht deine Strafe dann nicht und das kann ganz blöde Nebenwirkungen haben.
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Bürsten kann unschönes Verhalten auslösen.
© Anna Auerbach/Kosmos
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Bei Hundebegegnungen strafen ist keine gute Idee.
Was passieren kann, wenn du diese Regel nicht einhältst:
Es kann zu Fehlverknüpfungen kommen. Das heißt, dass dein Hund die Strafe anders verknüpft als du das gerne hättest. Wenn du deinen Hund zum Beispiel Wasser ins Gesicht spritzt, weil er den Nachbarshund anbellt, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass dein Hund diese Strafe nicht mit seinem eigenen Verhalten in Verbindung bringt, sondern mit dem Nachbarshund. Merke dir: Dort, wo die Augen deines Hundes hinschauen, dort befindet sich gerade sein Gehirn! Wenn dein Hund also völlig auf den Nachbarsfiffi fixiert ist, weil dieser für deinen Vierbeiner gerade die Kreatur aus der Hölle darstellt, verbindet er deine Wasserspritzerei vermutlich weniger mit seinem Gebell, sondern eher mit der Anwesenheit des Nachbarhundes. Du kannst das ganz einfach testen: Wenn dein Hund beim nächsten Mal dem Nachbarshund begegnet, hält er dann die Klappe und bleibt total ruhig, ohne dass du erneut spritzen musst? Wahrscheinlich nicht.Das ist ja auch kein Wunder, denn dein Hund wird ja nur angespritzt, wenn ein fremder Hund in der Nähe ist. Das kann sehr schnell dazu führen, dass sich dein Hund immer schneller und heftiger reinsteigert, sobald er fremde Hunde sieht. Und die Wahrscheinlichkeit, dass er jemals wieder entspannt anderen Hunden begegnen kann, sinkt gen Null, da er ja gelernt hat, dass es für ihn immer sehr, sehr unangenehm wird, sobald ein anderer Hund am Horizont auftaucht. Das war aber vermutlich nicht das, was du ihm beibringen wolltest, oder? Es könnte auch passieren, dass dein Hund beginnt, dich zu meiden, indem er dir ausweicht oder versucht, rückwärts aus dem Halsband oder Geschirr zu schlüpfen, weil du ihm Angst machst. Falls du deinen Hund immer an der gleichen Stelle erschreckst, weil da zum Beispiel immer der Nachbarshund um die Ecke kommt, könnte es auch sein, dass er an dieser Stelle nicht mehr vorbeigehen möchte. Wenn die Wasserspritzerei deinem Hund richtig Angst macht, könnte es sogar passieren, dass dein Hund dich angeht und nach dir schnappt, weil er sich nicht anders zu helfen weiß. Außerdem kann es sein, dass dein Hund bei Geräuschen, die dem Spritzen von Wasser ähneln, plötzlich hektisch oder ängstlich oder aggressiv reagiert. Das muss alles nicht passieren, kann aber passieren und ist auch schon passiert.
© Anna Auerbach/Kosmos
Jetzt bitte nicht den Hund erschrecken!
Was ziemlich sicher nicht passieren wird: Dein Hund findet andere Hunde auf einmal total klasse, ist zu jedem freundlich und nähert sich ihnen unbefangen und ganz ohne Gebell. Dabei ist das doch eigentlich das, was du gerne hättest, oder?
Oder nehmen wir noch ein anderes Beispiel: Dein Hund hat gelernt, dass er gestraft wird, wenn du bemerkst, dass er in die Wohnung pieselt. Es kann passieren, dass er beim nächsten dringenden Bedürfnis hinter die Couch pinkelt, damit du ihn nicht siehst, während er mal dringend muss.
Wenn du also weißt, dass das Verhalten, das du blöd findest, eines ist, was dein Hund eigentlich gar nicht wirklich willentlich beeinflussen kann, dann musst du hier gar nicht weiterlesen, sondern kannst gleich zum nächsten Kapitel blättern. Dein Hund versteht deine Strafe eh nicht.
REGEL NUMMER ZWEI
REGEL ZWEI
Unerwünschtes Verhalten muss immer bestraft werden!
Du kannst dir nicht aussuchen, wann du deinen Hund strafst. Du musst ihn immer strafen, wenn er was macht, was du doof findest. Also nicht nur dann, wenn du gerade neben ihm stehst. Nicht nur dann, wenn dich das Verhalten deines Hundes zufällig mal nervt. Sondern immer! Dein Hund hat ja sonst gar keine Möglichkeit zu lernen, welches Verhalten denn nun bestraft wird und welches nicht.
Stell dir mal vor, du gehst mit deinem Hund Gassi. Er ist total aufgeregt, freut sich und zieht deswegen an der Leine. Um ihm zu zeigen, dass er das nicht soll, ruckst du mal kräftig. Dein Hund geht dann auch drei, vier Meter an lockerer Leine, bevor die Aufregung wieder siegt und er wieder zieht. Du ruckst wieder. Das Spielchen geht noch ein paar Mal so weiter, bis du irgendwann...