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Am 7. Januar 2015, dem Tag des Pariser Terroranschlags auf das Satiremagazin Charlie Hebdo, Auftakt weiterer Terrorserien, erschien Michel Houellebecqs Roman Unterwerfung (Soumission).11 Heute wirkt er durch die neuere politische Entwicklung in Frankreich, den Umsturz des Parteiensystems und den Wahlsieg Emmanuel Macrons (2017) sowie der neuen Lage seit der Corona-Pandemie etwas überholt. Houellebecq publizierte den Roman in die Endphase der sozialdemokratischen Regierung François Hollande hinein und imaginierte hier, in den Kategorien Carl Schmitts gesprochen, eine "legale Revolution" durch eine Partei des politischen Islamismus, die, analog Hitler, einen Legalitätskurs zur Machtergreifung verfolgte, weil sie auf die strategische Schwäche der parlamentarischen Systemparteien setzte, um über eine Regierungsbeteiligung zur diktatorischen Macht zu gelangen. Houellebecq entwarf den Musterfall einer legalen Revolution nach dem Drehbuch Schmitts. Sein Ich-Erzähler, Literaturwissenschaftler und Huysmanns-Spezialist ähnelt mit seiner zynischen und sexistischen Lebensführung sowie seiner Ausflucht in den katholischen Rechtsintellektualismus auch Schmitt selbst; auch der wurde immer wieder als nihilistischer Ästhetizist gedeutet, der den Sprung in den autoritären Katholizismus suchte, ohne ihn ernstlich zu leben. Auch die Korrelation von Sexismus und Politik, der Dreiklang autoritärer Liquidierung und Unterwerfung der Frau, des sacrificium intellectus und der politischen Autonomie und Freiheit ähnelt Schmitts gegenrevolutionärer Botschaft. Wie Schmitt 1933 unterwirft sich Houellebecqs Ich-Erzähler am Ende der Diktatur, nachdem ihm persönliche Privilegien und akademische Reputation garantiert wurden.
Aktuell ist die Lage der liberalen und parlamentarischen Demokratie heute, nicht erst seit Corona, alles andere als rosig. Schwenkten die Historiker von den Konfrontationsgeschichten des Kalten Krieges nach 1989 auf triumphale Glücksgeschichten und Erfolgsnarrative um, so wird die Zukunft der Demokratie seit dem 11. September 2001 negativer erzählt. Unter den terroristischen und fundamentalistischen Bedrohungen wurden liberale Freiheiten der Sicherheit geopfert. Erlebte das 20. Jahrhundert die Weltherrschaft der USA, so scheint China heute im hegemonialen Ausscheidungskampf zu triumphieren.12 Es zeigt dabei wenig Neigungen, sich zu demokratisieren, und nutzt die digitale Revolution vielmehr für die Optimierung eines repressiven Überwachungsregimes. Wir diskutieren die aktuelle Krise der Demokratie heute in Europa vereinfacht mit Chiffren und Stichworten wie: Putin, Erdogan, Bolsonaro, Trump. Seit der Milleniumswende erlebten wir ein katastrophales Scheitern vorgeblicher Demokratisierungsmissionen im Mittleren und Nahen Osten, Afghanistan- und Irak-Krieg, den Untergang des "Arabischen Frühlings" in Diktatur und Bürgerkrieg, ein Scheitern des europäischen Verfassungsprozesses an Volksabstimmungen und nationalen Parlamenten, das vielfach bedenkliche exekutive Krisenregime der globalen Finanzkrise, Ukraine-Krieg, IS-Terror und Syrienkrieg, Migrationskrise, autoritäre Tendenzen u.a. in den Visegrád-Staaten Nordosteuropas (Viktor Orbán, Andrej Babis u.a.), separatistische Neigungen nicht nur in Katalonien, "Brexit", einen dramatischen Umbruch der Parteiensysteme u.a. in Italien und Frankreich, rechtspopulistische Herausforderungen in vielen europäischen Staaten. Die großen europäischen Kernstaaten regierten schon vor den Corona-Zeiten mehr oder weniger im Krisenmodus. Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie folgte 2020 ein globaler Ausnahmezustand, der zu starken Einschränkungen von Grundrechten und Prinzipien der liberalen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit führte. Eine unproblematisch stabile liberale und parlamentarische Demokratie findet sich heute fast nirgendwo. Fast überall zeigt sich eine "Wendung" zum autoritären, exekutiven oder totalen Staat, wie sie Schmitt im Untergang der Weimarer Republik für die frühen 1930er Jahre schon als Folge einer Zwischenkriegs- und Krisenzeit diagostiziert hatte.
In der Bundesrepublik erinnerte die Regierungsbildungskrise 2017/18 am Beginn der vierten Amtszeit Angela Merkels erneut an Weimarer Verhältnisse: 1930 war die Sozialdemokratie in Weimar aus einer Koalitionsregierung ausgestiegen und es gab bis zum Januar 1933 nur noch sog. Präsidialkabinette, vom Reichspräsidenten gestützte Minderheitsregierungen, um Neuwahlen zu vermeiden, die extremistische Parteien (NSDAP, KPD) gestärkt hätten. Bundespräsident Steinmeier erinnerte an diese historische Parallele, als er seine SPD 2018 zur Regierungsverantwortung und neuerlichen Merkel-GroKo ermahnte. Die Furcht vor Neuwahlen blieb die Amtszeit Merkel IV hindurch aktuell, ein plötzlicher Bruch der arg gebeutelten und geschrumpften GroKo wurde nur pragmatisch vermieden. Einige Jahre lang erlebten wir das katastrophale Scheitern der Conservative Party und des politischen Systems des United Kingdom an der Brexit-Entscheidung von 2016. Das Mutterland der parlamentarischen Demokratie und des Liberalismus zerlegte sich selbst. Es zerstörte dabei nicht nur seine parlamentarische Kultur, sondern diskreditierte auch das Instrument der Volksabstimmungen, das vor wenigen Jahren noch vielfach als Hoffnungsanker galt. Trump verleugnete Ende 2020 seine Wahlniederlage und rief fast unverblümt zum Sturm auf das Capitol auf, sodass ein zweites Impeachment-Verfahren eingeleitet wurde. Die Mehrheit der Republikaner hielt aber weiter zu Trump und lehnte eine Amtsenthebung ab. In der Bundesrepublik wäre sie deshalb vielleicht ein Beobachtungsfall für den Verfassungsschutz. Natürlich ermöglichen solche Krisen auch heilsame Reformen und Regenerationsprozesse. Es wäre aber naiv anzunehmen, dass die Verheißungen liberaler Demokratie aus diesen Krisen unbeschadet wiederauferstehen. Verkündigte mancher nach 1989 noch sehr vollmundig den definitiven Triumph der demokratischen Mission der Westlichen Welt, ist heute der kritische Befund der Zwischenkriegszeit nach 1918 erneut aktuell, dass der "bürgerliche" Liberalismus in seinen elementaren Bestandsvoraussetzungen eklatant gefährdet und geschwächt ist.
Wer einem solchen Krisenbefund zustimmt, wird sich über das weltweite aktuelle Interesse an Carl Schmitt (1888-1985) nicht wundern.13 Schmitt war ein scharfer Kritiker des Liberalismus, Vordenker des "autoritären" und "totalen" Staates, Apologet des Weimarer Präsidialsystems und "Kronjurist" des Nationalsozialismus. Als junger, hochbegabter Jurist beobachtete er schon vor 1918 den Wandel zur Militärdiktatur unter den Bedingungen des Krieges und folgte diesem Zug zur Diktatur dann als Lebensthema. Als Staatsrechtslehrer konzentrierte er sich dabei auf die deutschen Verhältnisse. 1921 publizierte er eine erste große Monographie Die Diktatur, die ihm sogleich Berufungen nach Greifswald (1921) und Bonn (1922) eintrug. 1928 wechselte er nach Berlin und kehrte 1933 nach kurzem Kölner Intermezzo wieder dahin zurück. 1945 verlor er infolge seiner starken nationalsozialistischen Belastung seine Berliner Professur.
Seit den 1920er Jahren publizierte er in rascher Folge grundlegende und schlagkräftige Schriften, die heute in vielen Sprachen intensiv diskutiert werden. Genannt seien nur: Politische Theologie (1922), Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (1923), Der Begriff des Politischen (1927), Verfassungslehre (1928), Der Hüter der Verfassung (1931), Legalität und Legitimität (1932). Schmitt trennte strikt zwischen Liberalismus und Demokratie. Den Parlamentarismus betrachtete er dabei als eine liberale Form politischer Willensbildung und Entscheidung. Schmitt betonte aber eine Spannung von Idee und Realität; er meinte, dass die parlamentarische Debatte sich in der modernen Demokratie nicht mehr "rationalistisch" an politischer Argumentation und Überzeugung ausrichtet, sondern dass der einzelne Abgeordnete zum abhängigen Agenten im "Parteienstaat" der Parteilinie mutiert. In seiner Verfassungslehre kennzeichnete er das liberale Verfassungsdenken vor allem durch die strikte Gesetzesbindung, Gewaltenteilung und starke Grundrechtsbestimmungen. Er meinte, dass die Verbindung von Demokratie mit Liberalismus, die uns heute um der Liberalität willen selbstverständlich erscheint, eigentlich historisch ist und demokratische Gleichheit sich auch antiliberal und außerparlamentarisch in anderen Formen politischer Willensbildung äußern und organisieren kann. Die Weimarer Republik eröffnete der "unmittelbaren Demokratie" hier u.a. den außerparlamentarischen Weg des Volksbegehrens und Volksentscheids. Der politische Extremismus nutzte diese Instrumente zur Schwächung des parlamentarischen Systems.
Anders als die parlamentarische Demokratie der Bundesrepublik bot die Weimarer Verfassung mehr Möglichkeiten für eine antiparlamentarische Regierungsbildung.14 Der Reichspräsident wurde in Weimar direkt vom Volk für sieben Jahre gewählt. Nach dem Tod Friedrich Eberts übernahm Paul von Hindenburg, der einstige Generalfeldmarschall, Kriegsheld...
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