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Gert Grellmann
Man sollte auf alles achten, denn man kann alles deuten.
(Hermann Hesse, aus "Das Glasperlenspiel")
Dieses Kapitel handelt von der präklinischen Versorgung des Schlaganfallpatienten als Bindeglied zwischen dem ambulanten Bereich und der nachfolgend behandelnden Klinik. Da in der Medizin das Bewusstsein für die Notfallsituation "Schlaganfall" in den letzten 20 Jahren gewachsen ist und man inzwischen weiß, dass hier der Zeitfaktor genauso entscheidend ist wie beim akuten Myokardinfarkt, nimmt die präklinische Versorgung eine Schlüsselposition in der Behandlungskette ein.
2.1 Einleitung
Unter dem akuten Schlaganfall versteht man ein Syndrom, welches durch ein plötzlich einsetzendes fokales Defizit des zentralen Nervensystems (ZNS) gekennzeichnet ist. Kombinationen mit einem akut einsetzenden nicht fokalen neurologischen Defizit, wie z. B. der Bewusstseinstrübung, sind möglich. Der Schlaganfall kann verursacht sein durch eine akute zerebrale Ischämie oder eine akute intrazerebrale Blutung (ICB). Die zerebrale Ischämie ist mit ca. 85% die mit Abstand häufigste Ursache. Derzeit wird noch die flüchtige zerebrale Ischämie mit Rückbildung der Symptome innerhalb von 24 Stunden (transitorisch ischämische Attacke, TIA) vom kompletten Hirninfarkt unterschieden (Schellinger et al. 2005). Die ICB ist nur in ca. 15% der Fälle für den Schlaganfall verantwortlich, wobei 10% auf intrazerebrale und 5% auf subarachnoidale Blutungen (SABs) zurückzuführen sind.
Da der Notarzt jedoch nicht zwischen einer Blutung und einer Ischämie unterscheiden kann, berücksichtigt die präklinische Versorgung die unterschiedlichen Ursachen des Schlaganfalls nicht. Aufgabe der präklinischen Versorgung sind daher in erster Linie das Erkennen der Notfallssymptomatik, die Sicherung der Vitalparameter, die Vorbereitung des Transportes und einer adäquaten stationären Therapie (Koennecke et al. 2005).
Der Schlaganfall gehört sowohl für das Rettungsdienstpersonal als auch für die Notärzte zum obligatorischen Ausbildungsinhalt.
Im Gegensatz zum akuten Myokardinfarkt besteht in der Bevölkerung noch ein großer Aufklärungsbedarf über den Notfallcharakter des Schlaganfalls. Nur mit gesteigerter Aufmerksamkeit großer Bevölkerungsgruppen kann es gelingen, mehr Patienten frühzeitig einer Therapie zuzuführen, welche in der Lage ist, dauerhafte Beeinträchtigungen zu minimieren bzw. zu verhindern. Um den Zeitfaktor in der Notfallsituation sprachlich zu verdeutlichen, hat sich der Terminus "time is brain" durchgesetzt.
Fallbeispiel 1
Über Funk wird die Besatzung eines Rettungswagens (RTW) und eines Notarzteinsatzfahrzeuges (NEF) parallel alarmiert. Auf dem "Pager" findet das Rettungsdienstpersonal folgende Angaben: 9:45 Uhr. RTW und NEF 1: "Patient LM, 68 Jahre, kann nicht mehr richtig sprechen, Kraftminderung bzw. Kraftlosigkeit Arm" und die Adresse. In nur einer Minute wird der Einsatz von den Fahrzeugen über Funk bestätigt. Die Rettungsmittel befinden sich in der Anfahrt zum Notfallort.
9:50 Uhr. Der RTW trifft als Erster ein. Die Rettungsassistenten entnehmen ihrem Fahrzeug einen Notfallrucksack, ein EKG-Gerät und ein mobiles Beatmungsgerät.
9:51 Uhr. Die Rettungsassistenten treffen in der Wohnung des Patienten LM ein. Sie finden einen am Frühstückstisch sitzenden 68-Jährigen, leicht adipösen Patienten vor. Die anwesende Ehefrau berichtet, dass ihr Mann während des Frühstücks plötzlich mit dem rechten Arm die Kaffeetasse nicht mehr halten konnte und der Kaffee aus dem rechten Mundwinkel hinauslief. Seine Sprache war verwaschen, er war jedoch vollständig orientiert und ansprechbar. Daraufhin hatte sie zunächst den Hausarzt angerufen, der sofort die Rettungsleitstelle über die Telefonnummer 112 verständigte.
Die Rettungsassistenten bringen den Patienten zunächst aus der etwas zu engen Küche in das Wohnzimmer und legen ihn mit leicht erhöhtem Oberkörper auf das Sofa. Dabei fällt ihnen auf, dass auch das rechte Bein nicht richtig auftreten kann.
Sie messen den Blutdruck, legen ein 3-Kanal-EKG an und bestimmen die Sauerstoffsättigung. Der Blutdruck beträgt 170/100 mmHg, die Sauerstoffsättigung 97%. Die Herzfrequenz liegt bei 90 Schlägen pro Minute. In der Zwischenzeit ist der Notarzt eingetroffen. Die Rettungsassistenten berichten von ihren erhobenen Befunden. Sowohl den Rettungsassistenten als auch dem eintreffenden Notarzt ist sofort klar, dass es sich hier um einen akuten Schlaganfall und damit um einen Notfall handelt.
Der Notarzt legt in den nicht beeinträchtigten linken Arm eine Flexüle und nimmt Blut für nachfolgende Laboruntersuchungen ab. Dann schließt er die vorbereitete Infusion (Ringerlösung) an. Der Blutzucker wird bestimmt, er beträgt 8,5 mmol/l. Die EKG-Auswertung des Notarztes ergab eine Absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern. Parallel dazu hatte der Fahrer des NEF bereits die Rettungsleitstelle über die Situation vor Ort verständigt und jene gebeten, in der etwa 10 Minuten entfernten Klinik der Maximalversorgung mit einer großen neurologischen Abteilung inklusive einer speziellen Schlaganfallstation (Stroke-Unit) eine Voranmeldung zu veranlassen. Der zweite Rettungsassistent hat in der Zwischenzeit im Rettungswagen die Trage vorbereitet und ist mit einem Tragetuch wieder in der Wohnung erschienen. Während die Rettungsassistenten nun den Patienten auf das Tragetuch lagern, um ihn im engen Treppenhaus nach unten in den Rettungswagen transportieren zu können, hat der Notarzt nochmals die Ehefrau befragt. Dabei notiert er die Medikamente und Vorerkrankungen des Patienten. Außer einem diätetisch geführten Diabetes mellitus und einer bisher gut eingestellten arteriellen Hypertonie gibt es keine Auffälligkeiten. Er notiert ebenfalls die Telefonnummern des Hausarztes und der Ehefrau. Nochmals lässt er sich die genaue klinische Symptomatik schildern und kann den Symptombeginn auf 9:30 Uhr festlegen. Nach einer erneuten Messung des Blutdrucks wird nun der Patient in den Rettungswagen getragen. Er wird mit 30 Grad Oberkörperhochlagerung auf der Trage gelagert, die Infusion läuft langsam weiter. Parallel werden dazu kontinuierlich das EKG und die Sauerstoffsättigung abgeleitet. Da diese auf 95% leicht abgefallen ist, veranlasst der Notarzt eine Sauerstoffgabe mit 2-4 l/min über die Sauerstoffmaske. Da runter steigt die Sauerstoffsättigung prompt wieder an. Blutdruck und Herzfrequenz sind auf dem vorhergehenden Niveau stabil. In der Zwischenzeit hat die Rettungsleitstelle die Zielklinik über Funk bestätigt.
10:15 Uhr. Der Rettungswagen mit dem begleitenden Notarzt verlässt mit Sondersignal den Notfallort. Während der Fahrt verständigt der Notarzt über Handy die Kollegen der neurologischen Klinik über die Situation und kündigt die Ankunft des Patienten für ca. 10:20 Uhr in der interdisziplinären Rettungsstelle des Klinikums an.
Die Fahrt verläuft komplikationslos.
10:31 Uhr. Der Rettungswagen trifft dann tatsächlich im Klinikum ein. Hier wird der Patient bereits vom Neurologen erwartet. Der Notarzt übergibt den Patienten und dokumentiert seine erhobenen Befunde, die durchgeführten Maßnahmen und die Angaben zu den Vorbefunden und Telefonnummern. Parallel dazu wird der Patient bereits vom Neurologen untersucht. Bei Verlassen der Rettungsstelle sieht der Notarzt, wie der Patient zur computertomografie gefahren wird.
14 Tage später erhält er nachrichtlich einen Entlassungsbrief des Patienten. Er sieht sich in seiner Verdachtsdiagnose auf einen Mediainfarkt der linken Hirnhälfte bestätigt.
Die aufgrund des optimalen Zeitfensters durchgeführte Lysetherapie mittels rt-PA und die anschließende Behandlung auf der Stroke-Unit waren insofern erfolgreich, als dass der Patient mit einem minimalen fokalen neurologischen Defizit in eine wohnortnahe Rehabilitationsklinik verlegt werden konnte.
Fallbeispiel 2
In der Rettungsleitstelle geht um 6:35 Uhr der Notruf eines sehr aufgeregten männlichen Anrufers ein. Er sei gerade neben seiner Ehefrau aufgewacht und habe festgestellt, dass diese nicht mehr richtig reagiere. Daraufhin habe er versucht, sie aus dem Bett zu heben, ihm sei aufgefallen, dass sie auf seine Fragen nur verwaschen und nach seinen Angaben "unsinniges Zeug" erwiderte und nicht an der Bettkante sitzen geblieben, sondern immer wieder in das Bett umgefallen sei.
Die Rettungsleitstelle alarmiert einen Rettungswagen und ein Notarzteinsatzfahrzeug. Die Fahrzeuge treffen beide parallel ca. 10 Minuten später am Notfallort ein. Die Einsatzkräfte finden eine 75-jährige stark adipöse Frau im Bett liegend vor.
Sie hat eingenässt und kann auf die Fragen des Notarztes nicht richtig antworten. Dieser diagnostiziert eine Wortfindungsstörung und eine Störung des Sprachverständnisses. Die Patientin ist lediglich in der Lage, Stereotypien von sich zu geben. Weiterhin findet er eine schlaffe Hemiparese der gesamten rechten Körperhälfte. Der Ehemann berichtet, dass sie beide am Abend zuvor gegen 21:30 Uhr ins Bett gegangen seien. Dann schlief er bis früh morgens durch. An Vorerkrankungen sind ein schwer einstellbarer Diabetes mellitus (insulinpflichtig), eine arterielle Hypertonie, eine Fettstoffwechselstörung und eine Adipositas bekannt.
Da die Patientin Ärzte nicht leiden konnte, sei sie nur sporadisch zum Hausarzt gegangen, ihre Tabletten gegen erhöhten Blutdruck habe sie nur unregelmäßig eingenommen und an Diätvorschriften habe sie sich nur widerwillig gehalten. Die "Zuckerärztin" habe sie immer wegen hoher "Zuckerlangzeitwerte" ermahnt. Die kurze...
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